Originaltitel: X-Men: Days of Future Past__Herstellungsland: USA/Großbritannien__Erscheinungsjahr: 2014__Regie: Bryan Singer__Darsteller: Hugh Jackman, Jennifer Lawrence, Peter Dinklage, Michael Fassbender, Evan Peters, Ellen Page, Nicholas Hoult, James McAvoy, Anna Paquin, Ian McKellen, Halle Berry, Shawn Ashmore, Patrick Stewart, Omar Sy, Booboo Stewart, Famke Janssen, James Marsden u.a. |
„X-Men: First Class“ hatte die Franchise 2011 unter der Regie von Matthew Vaughn zu neuem Leben erweckt, für „X-Men: Days of Future Past“, der den Brückenschlag zwischen zwei Mutantengenerationen darstellt, kehrte Bryan Singer, Regisseur der ersten zwei Teile, zurück.
„X-Men: Days of Future Past“ steigt in einer apokalyptischen, aber nahen Zukunft ein, schätzungsweise 2023, in der die Mutanten, aber auch ihre menschlichen Sympathisanten und jene, deren Gene eventuell Mutanten hervorbringen könnten, von der Regierung gejagt werden. Düster sind die Bilder von zusammengepferchten Gefangenen und via Rampe abgeladenen Leichen, eine Analogie zu gewohnten Blicken auf das grausige Wirken mancher totalitärer Regime. Und natürlich hat sich Widerstand formiert, wie man in einer ersten Actionsequenz sieht, in der sich ein Mutantengrüppchen um Kitty Pryde (Ellen Page) gegen die so genannten Sentinels, Robotereinheiten der Regierung, welche die Fähigkeiten von Mutanten absorbieren und gegen sie einsetzen können, verteidigen. Nur durch Kittys Zeitreisefähigkeiten kann man eine Niederlage abwenden, da Kitty verhindert, dass sie und ihre Truppe überhaupt vor Ort waren.
Auf genau jene Fähigkeiten wollen auch Professor X (Patrick Stewart) und Magneto (Ian McKellen) zurückgreifen um abzuwenden, dass die Sentinels jemals gebaut werden. Das Programm wurde erst in großem Stil finanziert, nachdem Mystique (Jennifer Lawrence) den Sentinel-Erfinder Dr. Bolivar Trask (Peter Dinklage) 1973 erschoss, also soll die Tat verhindert werden. Da Kitty das Bewusstsein des Zeitreisenden in dessen jungen Körper zurückschicken muss und eine derartige Reise äußerst strapaziös ist, kann nur Wolverine (Hugh Jackman) den Sprung wagen; ein Kniff, der halbwegs nachvollziehbar mit dem Zeitreisekonstrukt hantiert, natürlich aber die für solche Plots üblichen logischen Fragezeichen mit sich bringt – davon gibt es aber erfreulich wenige und schließlich war selbst die „Terminator“-Reihe nicht davor gefeit.
Um Mystique ausfindig zu machen benötigt Wolverine sowohl die Hilfe des jungen Professor X, Charles Xavier (James McAvoy), als auch die des jungen Magneto, Erik Lehnsherr (Michael Fassbender) – beide sind 1973 aber noch zerstritten und Magneto sitzt noch dazu in einem Spezialgefängnis, da man ihm das Kennedy-Attentat anlastet…
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Von den Swinging Sixties zu den Groovy Seventies: Für das Jahrzehnt typische Hemden, Sonnenbrillen und Lederjacken kleiden die Heroen, Autos, Frisuren und Barttrachten beschwören die Dekade herauf und hin und wieder imitiert Singer auch den körniger Look eines 1970er-Films. Wo „X-Men: First Class“ noch die Protestbewegungen der 1960er (die im folgenden Jahrzehnt nicht verstummt waren) aufgriff, da verweist „X-Men: Days of Future Past“ auf das Misstrauen gegenüber der Regierung, das in den 1970ern wuchs. Hier ist Richard Nixon (Mark Camacho) noch amtierender Präsident, doch Singers Film zeigt bereits die Mauscheleien und Tricksereien der Regierung, darunter natürlich auch Experimente an gefangenen Mutanten. Mystique kämpft einen Guerillakrieg gegen die Regierung, nachdem ihr Rebellenanführer Magneto in den Knast gesteckt wurde, was Singer in der packenden, ausgesprochen stimmigen Vietnamsequenz zeigt, die freilich etwas isoliert vom Restfilm ist und in erster Linie ein paar Mutanten wie Toad (Evan Jonigkeit) oder Havok (Lucas Till) in dem Film unterbringt.
Tatsächlich war die Menge an X-Men eine Herausforderung für Singer und seinen Drehbuchautor Simon Kinberg („Sherlock Holmes“), die beide aber meistern: Viele altbekannte Charaktere haben Cameos oder kleine Nebenrollen, die Zukunftsgeschichte liefert eher einen Rahmen, in dem alte Bekannte wie Storm (Halle Berry) und Iceman (Shawn Ashmore) ebenso auftauchen wie Neulinge wie Bishop (Omar Sy) und Blink (Fan Bingbing), hauptsächlich konzentriert sich der Film jedoch auf das Jahr 1973, in dem Wolverine, Charles, Erik, Mystique sowie Hank McCoy (Nicholas Hoult) alias Beast mit- und gegeneinander arbeiten, obwohl sie alle das gleiche Ziel haben. Doch wie schon in eigentlichen allen „X-Men“-Filmen ist es die Wahl der Mittel, welche die Mutanten entzweit.
Dieser Konflikt, in dem auch die menschlichen Kontrahenten eine Rolle spielen, ist die Grundlage des wilden Mixes aus dystopischer Sci-Fi, Superheldenaction und sozial bewussten Politthriller, die Singer hier auftischt, wobei der erfreulich ambivalente Ton der Saga beibehalten werden: Während die Mutantenprotagonisten für unterschiedliche Ideologien stehen, so ist auch Trask kein einfacher Bilderbuchschurke. Vielmehr ist auch er von einem Glauben an eine bessere Zukunft (für die Menschen) beseelt, sieht in der Mutantenrasse den Feind, der frühere Kriegsparteien zusammenschweißt, und geht für die Schaffung seines Ziels einer angeblich friedlichen Welt über Leichen. Hinzu kommen die Interessen von Regierung und Militär, letzteres unter anderem verkörpert durch den jungen Major Bill Stryker (Josh Helman), der ja auch in „X-Men 2“ und „X-Men Origins: Wolverine“ eine wichtige Rolle spielte.
Vor allem aber zieht „X-Men: Days of Future Past“ seine Spannung aus verschiedenen Fragen: Reicht die Verhinderung des Attentats allein? Müssen für die Verhinderung des Sentinel-Baus weitere Vorkehrungen getroffen werden? Wann kann Wolverine zurückkehren? Und natürlich nach bester Wettlauf-gegen-die-Zeit-Masche: Können die Professor X, Magneto, Kitty und die anderen die Sentinels lang genug aufhalten, damit Wolverine seine Mission beenden kann? Aus dieser verschachtelten Konstruktion schlägt Singer Potential, da er nicht nur einfache Plotschemata bedient (eben nicht: Besiege jenen Bösewicht und gewinne damit), sondern der Geschichte so einen neuen Spin verpassen kann. Gleichzeitig birgt das Zeitreiseszenario auch seine Risiken. Zum einen wirken einige der erwähnten Nebenwirkungen, vor allem Wolverines Gefangensein zwischen zwei Zeiten, wie Werkzeuge, mit denen zwischendrin die Mission verkompliziert und noch etwas Spannung aufgebaut werden soll, nicht wie organische Bestandteil des Zeitreiseverfahrens. Zum anderen sorgt die Idee einer alternativen Zeitlinie für eine Negation bekannter Ereignisse, die wiederum die Kämpfe und Errungenschaften, aber auch Tragödien früherer „X-Men“-Filme verneint oder obsolet erscheinen lässt, wenn man auf den Schluss des Films schaut.
Als Baustein im „X-Men“-Universum versucht „X-Men: Days of Future Past“ gleichzeitig Continuity-Fehler zu beheben: Es wird erklärt warum Professor X in einigen Rückblenden laufen konnte, obwohl er am Ende von „X-Men: First Class“ eigentlich schon an den Rollstuhl gefesselt wurde, warum man Hank McCoy in „X-Men 2“ in menschlicher Form sah, obwohl er sich in „First Class“ transformiert hatte usw. Gleichzeitig ergeben sich andere Fragen, etwa die, warum Wolverine in der Zukunft Adamantiumklingen besitzt, da er diese ja in „The Wolverine“ verlor. Doch diese Brüche sind etwas, mit dem Comicleser schon seit Jahren und Jahrzehnten leben, die sich bei der Ausweitung filmischer Comicuniversen fast zwangsläufig einstellen müssen. Die Macher von „X-Men: Days of Future Past“ klärten hier auch mit Marvel Entertainment Rechtefragen an der Figur Quicksilver, die den Comicuniversen beider Studios zu sehen sein wird, Hier wird er von Evan Peters („Never Back Down“) gespielt, nicht von dessen „Kick-Ass“-Kollegen Aaron Taylor-Johnson („Godzilla“), der die Rolle in der Mid-Credit-Sequenz von „Captain America: The Winter Soldier“ und „The Avengers 2“ verkörpert. Auch das „X-Men“-Universum wird erweitert, „X-Men: Apocalypse“ ist ja bereits angekündigt und in einer Post-Credit-Sequenz wird in diesem Film auch darauf verwiesen, weshalb Fox der Franchise hier das bisher dickste Budget bewilligte: 225 Millionen Dollar, also 15 Millionen mehr als „X-Men: The Last Stand“, während man dem Reboot „X-Men: First Class“ deutlich weniger Geld bewilligt hatte.
Besagtes Budget sieht man dann in den üppigen, aber nie verschwenderischen Actionszenen: Selbst wenn Magneto im Finale ein ganzes Stadion schweben lässt, kommt diesem später eine Bedeutung innerhalb der Handlung zu. Mit einer famosen Kombination aus CGI-Tricksereien und handgemachter Action kämpfen die Mutanten in der Zukunft gegen die adaptionsfähigen Sentinels, zum Schluss in einer wahrhaft apokalyptischen Schlacht, oder die Mutanten der Vergangenheit gegen menschliche Kontrahenten oder einander, wobei vor allem Mystique akrobatische Nahkampfeinlagen, Beasts animalisches Wüten und Wolverines (hier etwas seltener zu bestaunende) Klaueneinsätze für eine realistische Erdung in der Action sorgen – ganz zu schweigen von Quicksilvers herrlich ironisch inszenierter Actionszene, in welcher der Zuschauer miterleben darf, wie sich eine Konfrontation für den blitzschnellen Mutanten anfühlt.
Doch erst durch die emotionale Unterfütterung funktioniert der Film, denn auf großes Rambazamba wurde hier nicht das Hauptaugenmerk gelegt. Charles ist zum zurückgezogenen Junkie geworden, der seine großen Träume aufgegeben hat, Hank leidet mit ihm und unter dem Verlust von Raven alias Mystique, während ebenjene unsicher ihren Platz in der Welt sucht, ihren Guerillakrieg ohne Anleitung oder Halt sucht. All diese Dilemma buchstabiert Singer nicht platt aus, sondern arbeitet sie einfühlsam wie organisch in den Film ein, teilweise nur über kleine Gesten wie Blickwechsel zwischen Hank und Mystique. Mit Wolverine hat er dann eine Figur, die als cooler Held Sympathien auf sich zieht, doch ebenfalls eine gebrochene Seele ist: Wolverines Verluste schlummern in ihm, das zeigt der Film deutlich, doch er muss hier derjenige sein, der mit leuchtendem Beispiel vorangeht, der den anderen zeigt, wie sie ihre eigenen Traumata überwinden.
Natürlich funktioniert das vor allem über die gewohnt tolle Darbietung Hugh Jackmans („Prisoners“) in seiner Paraderolle, der mit dem famos unterkühlten Michael Fassbender („300“) und der grandiosen Jennifer Lawrence („The Hunger Games“) tolle Mitstreiter hat. James McAvoy („Welcome to the Punch“) übertreibt die Leidensmasche hin und wieder, gibt sich aber sonst keine Blößen, Patrick Stewart („Fletchers Visionen“) und Ian McKellen („Last Action Hero“) sind in kleinen Rollen Edelsupport und Nicholas Hoult („Kampf der Titanen“) als Beast kann in seiner dankbaren Rolle mehr als überzeugen. Peter Dinklage als Schurke punktet, so überragend wie bei „Game of Thrones“ ist er allerdings nicht, und dann ist da noch Nebendarstellerensemble, in dem alte Bekannte wie Halle Berry („Last Boy Scout“), Ellen Page („Inception“) und Daniel Cudmore („Icarus“) ebenso mit von der Partie sind wie diverse Neuzugänge, wobei internationale Stars wie Omar Sy („Ein MordsTeam“) und Fan Bingbing („Flash Point“) schon leicht berechnend für den Erfolg in Übersee an Bord sind. Und nicht allen kann der Film dabei gerecht werden, manche Mutanten sind nur kurz zur Demonstration ihrer Fähigkeiten da, und im Falle von Booboo Stewart („The 5th Commandment“) in der Rolle des Warpath weiß man am Ende auch nicht so richtig, worin diese eigentlich bestehen.
Vermutlich inspiriert von Marvels „The Avengers“ ist auch „X-Men: Days of Future Past“ ein Verbindungsfilm, der am besten bei der Kenntnis der Vorgänger funktioniert, gleichzeitig aber eigenständiger und komplexer als der Rächer-Film innerhalb seines Universums ist – dafür aber auch weniger action- und temporeich, zumal manche Mutanten nur kurz ihr Gesicht zeigen, damit sie eben da waren und die Zeitreisekomponente für ein vielleicht allzu einfaches Ende genutzt wird. Vielleicht auch nur ein vorübergehendes, der nächste Teil kommt ja bald. Dank der tollen Effekt- und Actionszenen, der facettenreichen Charaktere und der sicheren Inszenierung ist auch dieser „X-Men“-Film ein echter Treffer, wenn auch nicht ganz so gut wie „X-Men“, „X-Men 2“ und „X-Men: First Class“.
„X-Men – Zukunft ist Vergangenheit“ startet am 22. Mai 2014 in den deutschen Kinos und kommt von der Twentieth Century Fox. Die FSK 12 freigegebene Fassung ist uncut.
© Nils Bothmann (McClane)
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