Originaltitel: Lucy__Herstellungsland: Frankreich__Erscheinungsjahr: 2014__Regie: Luc Besson__Produktion: Luc Besson u.a.__Darsteller: Scarlett Johansson, Analeigh Tipton, Morgan Freeman, Pilou Asbæk, Choi Min-sik, Amr Waked, Mason Lee, Frédéric Chau, Claire Tran u.a. |
Zu Beginn von „Lucy“ sehen wir Zellen. Sich teilende Zellen. Immer mehr werdende Zellen. Leben beginnt. Und ein affenartiger Vorgänger unserer Spezies beendet den wundervoll wuchernden Evolutionsvorspann. Dann lernen wir dank eines kurzen und knackigen Zwiegespräches Lucy kennen. Sie ist eine Studentin in Taipeh. Sie feiert gern. Und sie schleppt gerne hässliche Spacken ab. Der aktuelle Typ bittet sie, an seiner statt einen Koffer bei einem Koreaner abzugeben. Er biete ihr dafür 500 Euro. Als er den Koffer auch noch mittels Handschellen an Lucys Arm kettet, beugt sie sich und vereinbart ein Treffen mit dem Koreaner. Als dieser die Szenerie betritt, ist sich Lucy sicher, dass es mit ihrem Leben vorbei ist.
Tatsächlich verliert sie das Bewusstsein. Doch kurz darauf erwacht Lucy wieder und muss erfahren, dass ihr und drei Männern ein Päckchen einer neuartigen Droge in den Unterbauch eingesetzt wurde… Luc Besson macht gleich zu Beginn seines Filmes alles richtig. Er schmeißt seine Hauptfigur – und den Zuschauer mit ihr – mitten hinein ins Geschehen. Kein großartiges Vorgeplänkel. Nichts. Aktion und Reaktion treiben den Film an und man spürt bereits jetzt, dass Besson wieder ein wenig zurück will zu seinen alten Sturm und Drang Tagen. Als er noch eine eigene Handschrift hatte. Schon zu Beginn wirkt „Lucy“ ab und an schroff, sehr direkt, sehr europäisch. Und viel weniger glatt als des Regisseurs letzte Werke.
httpv://www.youtube.com/watch?v=W1FigL5IGrw
Kurz darauf dreht Besson dann richtig auf. Lucy wird nach Strich und Faden von ein paar Schergen des Koreaners verprügelt. Dabei platzt das Päckchen in ihrem Unterleib auf und die darin enthaltene Droge bahnt sich ihren Weg durch ihre Adern. Dank CGIs sehen wir, wie Lucys Gehirn sozusagen freigeschaltet wird. Wie ihre Synapsen gezündet werden. Wie ihr Verstand durchstartet. Via Einblendung erfahren wir, dass Lucy nun bereits deutlich mehr Kapazität ihres Gehirns nutzen kann als jedes andere Lebewesen. Parallel dazu schneidet Luc Besson einen Vortrag von Morgan Freeman („Batman Begins“). Der wird in seiner Rolle als Professor Norman zum großen Erklärbar, den Besson dringend braucht, um nicht abzuheben und seinen Film halbwegs zu erden. Norman erklärt uns fortan, was mit Lucy passiert. Welche Fähigkeiten sie freischaltet. Hier spielt Besson massiv mit seiner eigentlichen Grundprämisse: Was wäre, wenn… der Mensch sein Gehirn vollständig entsprechend dessen Leistungsfähigkeit nutzen könnte.
Und Besson nutzt diese Prämisse um mehr und mehr zu fantasieren, mit der Idee zu spielen und jegliche Grenzen (auch der Vorstellungskraft) zu sprengen. Er wirft seine Lucy in einen hyperschnellen Trip, in deren Verlauf sie zum einen immer mächtiger wird und zum anderen dafür sorgen muss, dass ihr Körper nicht verfällt. Dazu muss sie sich die anderen drei Drogenpäckchen besorgen. Es beginnt also ein Wettlauf gegen die Zeit, um die Päckchen, gegen die Koreaner und um das Erreichen der höchsten Evolutionsstufe überhaupt.
Dabei geht dann auch einiges zu Bruch. Eine starke Autoraserei durch Gegenverkehr, einige Shootouts und diverse humorige Momente halten das Tempo durchgehend auf einem hohem Level. Und Scarlett Johansson („The Return of the First Avenger“) brilliert. Sie muss spielen, dass sie das wichtigste verloren hat, was ein Schauspieler eigentlich transportieren muss: Ihre Emotionen. Alleine dieser Übergang zwischen der verängstigten Lucy und der neuen, komplett rational denkenden und jedwede Emotionen ausschaltenden Lucy gelingt Luc Besson in einem genialen, einem kleinen Moment. Einem Moment, in dem Lucy sich einfach aufrichtet. Aus dem zusammengesunkenen Häufchen Elend erwächst ein neuer Mensch. Wortwörtlich. Die neue Lucy zeigt nur ein einziges Mal echte Emotionen. Wenn sie mit ihrer Mutter telefoniert, ihr neues Ich beschreibt. Was sie fühlt, spürt, schmeckt und riecht. Wie weit ihre Erinnerungen zurückreichen. Ein fantastischer Moment, in dem Luc Besson einfach direkt draufhält und mit kleinen, kaum merklichen Kamerabewegungen eine ganz eigene, seltsam unreale Atmosphäre heraufbeschwört.
Gegen Ende dann muss Morgan Freeman richtig ran. Zwar verwundert es den Zuschauer, woher er all das weiß, was er da verbalisiert, gleichzeitig braucht er Freemans Figur nun auch, um nicht vollends auszusteigen. Denn Luc Besson postuliert, dass die wichtigste Variable überhaupt die Zeit sei. Und mit der beginnt er nun zu spielen. Er hält sie an, er dreht sie zurück. Kennt kein Halten mehr. Lässt Lucy auf den eingangs erwähnten Urahnen unserer Spezies treffen, zitiert ein Bild Michelangelos und macht den Weg frei für einen metaphysischen Trip zurück in die Ursuppe. Visualisiert mittels Bildern, die an „2001“ erinnern, dessen Weg er aber umkehrt. Ging es in Kubricks Film aus der Urzeit in die Zukunft, dreht Besson das Rad der Zeit in die andere Richtung. Am Ende steht ein rotzfreches Schlussbild. Eines, bei dem Besson selber wohl in seinem Sessel sitzt und sich einen abfeixt. Und der Zuschauer? Der versteht entweder nur Bahnhof oder er feixt mit. Und wenn alles gut geht, macht er, was die allmächtige Lucy ihm am Ende rät: Er nutzt seine Zeit…
Am Ende bleibt eine Räuberpistole von einem Film. Vom geerdeten, von den Basic Instincts getriebenen Actionthriller bis zur Science Fiction ist es in „Lucy“ ein kurzer, ein wahnwitzig unterhaltsamer Trip, der offenkundig auf Logik pfeift und sich einen Dreck um Konventionen schert. Dieser Trip ist fantastisch montiert, kommt keine Sekunde zu lang daher, hat einen tollen Soundtrack von Eric Serra und in Scarlett Johansson eine bärenstarke Hauptdarstellerin. Die Action sitzt, der Humor kommt wirklich ungemein trocken daher und die ganze Produktion mutet unerwartet kantig an und lässt ziemlich konsequent die Glätte diverser Hochglanzproduktionen missen. Ein absolutes Highlight für mich waren die beständig wuchernden, morphenden Special Effects, die in gewisser Weise die Faszination des Ekels hochleben ließen. Das wichtigste aber ist: „Lucy“ präsentiert einen Regisseur, der endlich wieder bereit ist, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen! Der bereit ist, abstruse Storyideen ohne Wenn und Aber aufzublasen und beinahe irrwitzig auf der Leinwand implodieren zu lassen. Bei all diesen wilden Ideen geht man zwar letzten Endes nicht vollkommen mit, im Großen und Ganzen aber bleibt ein irre unterhaltsamer Streifen, fernab des üblichen Besson-Auswurfs der letzten Jahre.
„Lucy“ erscheint am 12. Januar 2015 von dem Label Universal auf DVD und Blu-ray. Der erstaunlich rabiate Streifen ist mit einer FSK 12 tatsächlich ungeschnitten.
In diesem Sinne:
freeman
……
Nicht immer nur generische Nonsens-Action, sondern mal wieder was mit Köpfchen, Eingebung und künstlerischem Wert, das war wohl die hochtrabende Planung für EuropaCorp und deren Chef Luc Besson („The Family“), der bei „Lucy“ die Zügel höchstselbst in die Hand nahm.
Lucy ist nicht nur der Name der ersten, noch sehr affenartigen Frau der Erde, sondern auch der einen US-Studentin (Scarlett Johansson) in Taiwan, die von ihrem Freund, den sie vor einer Woche beim Saufen kennenlernte, in ein Hotel geschickt wird, einen Koffer für den mysteriösen Mr. Jang (Choi Min-sik) abzugeben. Der lässt Richard abknallen und zwingt Lucy den Koffer zu öffnen, nachdem er aus dem Hotelzimmer getreten ist, in dem er offensichtlich mehrere Leute massakriert hat. Warum er das alles tut (den Koffer hätte er ja eh erhalten), wer die Leute waren und andere Details interessieren Luc Besson als unheilige Dreifaltigkeit von Regisseur, Drehbuchautor und Produzent in Personalunion natürlich überhaupt nicht.
In dem Koffer befindet sich eine neue Wunderdroge, die Lucy prompt in die Heimat schmuggeln soll, nachdem man sie betäubt und ihr ein Paket in den Bauch eingenäht hat. Zusammen mit drei anderen unfreiwilligen Schmugglern erfährt sie, dass Zuwiderhandlungen mit der Exekution ihrer gesamten Familie bestraft werden. Anstatt die Eingeschüchterte direkt zum Flughafen zu bringen stecken die Übelwichte sie unsinnigerweise lieber in einen ihrer Kerker, wo ein übergriffiger Wächter ihr in den Bauch tritt (es ist ja nicht so, als ob sie dort die wichtigste Fracht seines Bosses transportieren würde), worauf der Beutel auch prompt platzt.
Anstelle des zu erwartenden Exitus tritt nach einer unfreiwillig komischen Transformationssequenz eine Veränderung bei Lucy ein: Sie kann mehr als die 10% Hirnkapazität, die jeder Mensch nutzt, anwenden und hat dadurch übermenschliche Fähigkeiten…
httpv://www.youtube.com/watch?v=4WIr1_d3E1I
Dass die Grundthese des Films Bullshit ist, den Wissenschaftler widerlegt haben – geschenkt. Dass Lucys neue Fähigkeiten Telekinese, Frequenzbeeinflussung und derartiges beinhalten – auch egal. Aber dass Bessons Drehbuch seinen Background mit massiv pseudowissenschaftlichem Gesabbel authentifizieren möchte, gleichzeitig aber keine einzige Figur logisch erklären kann, das ist eine Unverschämtheit. Der Film versucht verzweifelt zu vermitteln, dass Lucy nach der Transformation die Menschen egal sind (wie etwa bei Dr. Manhattan in „Watchmen“), schafft dies aber nie überzeugend und torpediert die Botschaft auch immer wieder: Da nietet einen Patienten im OP um, da dieser eh nicht zu retten gewesen wäre, führt danach aber direkt ein weinerlich sentimentales Telefongespräch mit ihrer Mutter. Ganz kurios wird es im Finale: Lucy befiehlt einem Polizisten ein Gebäude gegen die verbliebenen Gangster zu sichern, das Gefecht hat nicht nur einige Tote zufolge, sondern gefährdet auch die Umsetzung von Lucys Plänen – warum erledigt sie die Übelwichte nicht kurz mit ihren Superfähigkeiten, was sie ja in Sekundenbruchteilen tun könnte.
So muss jede Gefahrensituation in „Lucy“ künstlich und bar jeder Logik konstruiert werden, da die Heldin bereits nach der Exposition quasi unbesiegbar ist, was ihren Kampf natürlich sterbenslangweilig macht. So fallen auch die Actionszenen, in denen Lucy ihre Gegner anfangs noch unspektakulär niederschießt, später einfach mit der Kraft ihrer Gedanken einschläfert oder schweben lässt, auch entsprechend schnarchig aus; einzige und allein eine rasante (aber auch CGI-unterstützte) Autofahrt durch den Pariser (Gegen-)Verkehr liefert da kurzfristig echte Schauwerte. Doch man sorgt sich dabei nie um die Heldin, nicht nur aufgrund ihres Superwesenstatus, sondern weil das Drehbuch sie eindimensional lässt: Man erfährt ein paar belanglose Fakten über Lucy, doch ein Charakter mit Emotionen, Wünschen oder Background wird nie aus ihr, weshalb dann auch ein später etablierter Wettlauf gegen die Zeit (die Droge löst Lucy langsam auf) ebenfalls vollkommen egal ist.
Doch als wäre all diese Belanglosigkeit nicht schon schlimm genug, versucht sich Bessons zwischendurch nach als großer Künstler, was dann allerdings nur zu unfreiwilliger Komik führt. Wenn reingeschnittene Naturaufnahmen einen auf Arthouse machen, aber nur auf Simpelmetaphorik hinauslaufen, etwa wenn Lucy anfangs von Jangs Schergen festgenommen wird und Besson parallel dazu Szenen montiert, in denen ein Gepard eine Gazelle reißt, wenn sich später Johansson-Lucy und die grunzende Affenfrau-Lucy gegenüberstehen und wenn die visuellen Gimmicks einfach banale Spielerei sind, dann versagt Bessons Kunstanspruch komplett und löst bestenfalls Lachanfälle aus. Noch dazu sind die Bilder selten wirklich schön oder ästhetisch ansprechend, sondern könnten auch in der Montage von gängigen Werbeclips vorkommen. Manchmal würden sich diese assoziativen Schnittfolgen im Rahmen eines echten Arthouse-Films oder einer Installation vielleicht besser machen, aber Besson besteht auf seinem generischen Rahmen, den er allerdings auch nie zu füllen weiß.
Schauspielführung liegt im anscheinend auch nicht mehr, denn Scarlett Johansson („The Avengers“) in der Hauptrolle liefert eine ihrer schwächsten Darbietungen ab, die zwischen übertriebenem Gewinsel (vor der Transformation) und aufgesetzter Emotionslosigkeit (nach der Transformation) schwankt. Noch schlimmer hat es allerdings Morgan Freeman („Olympus Has Fallen“) getroffen, der als Hirnforscher Professor Norman nur holprig in den Filmfluss integrierte Erklärbärszenen bestreiten darf und vollkommen verschenkt ist. Allenfalls Choi Min-sik („I Saw the Devil“) hat als Schurke ein paar ganz brauchbare Szenen. Andere Darsteller, etwa Analeigh Tipton („The Green Hornet“) als Mitbewohnerin oder Amr Waked („Contagion“) als nutzloses Polizistenhelferlein, kommen dagegen nie wirklich im Film an.
Selten haben Anspruch und Realität so weit auseinander geklafft wie bei „Lucy“: Künstlerisch wertvoll, pseudowissenschaftlich und neu soll Bessons Film sein, doch die Bildsprache ist unbeholfen, über die Ausstaffierung der Gaga-Prämisse wird jede innere Filmlogik vergessen und Motive von „Lucy“ haben „Scanners“, „Ohne Limit“ sowie diverse Superheldengeschichte vorher deutlich besser verhandelt – der hier hingegen ist bloß hirnverbrannter Bullshit und kackenlangweilig noch dazu.
„Lucy“ läuft ab 14. August 2014 ungekürzt mit FSK 12 in den deutschen Kinos.
© Nils Bothmann (McClane)
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