Originaltitel: Girlhouse__Herstellungsland: Kanada__Erscheinungsjahr: 2014__ Regie: Trevor Matthews__Darsteller: Ali Cobrin, Adam DiMarco, Slaine, Alyson Bath, Elysia Rotaru, Alice Hunter, Chasty Ballesteros, Nicole Fox, Zuleyka Silver, Wesley MacInnes, Erin Agostino u.a. |
Pornografie spielte für den Menschen schon immer eine große Rolle. Ob frivole, naiv gehaltene Zeichnungen an Höhlenwänden, detailliertere Abbildungen von sexuellen Akten auf Tongefäßen oder in allen Farben zelebrierte Malereien von Rubensfrauen, neue Darstellungsarten und -möglichkeiten sorgten für immer neue Wege, die fleischliche Lust zu dokumentieren. Dementsprechend war es nur zu logisch, dass mit dem Aufkommen der Fotografie bald die ersten Nacktfotos folgten und mit Erfindung des Filmes die ersten Sexfilme. Vor allem Fotografie und Film sorgten für eine enorme Beschleunigung der Ausbreitung von pornografischem Material.
Das mündete in den 1970ern in Filme wie „Deep Throat“, die sogar in ganz normalen Mainstreamkinos liefen. Der Sex war in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Einführung der VHS und später der DVD sorgten für einen Paradigmenwechsel. Die Pornografie breitete sich zwar quasi ungebremst aus und eroberte immer neue Märkte, gleichzeitig wurde der Sex in die Anonymität der eigenen vier Wände zurückgeführt.
Das Internet beendete diesen Höhenflug. Wo man früher noch in die Videotheken oder die Sexshops musste, um sich seine Pornos gegen einen Obulus zu beschaffen, wurde Pornografie sozusagen zu einem Gemeingut. Heute sieht es jeder als selbstverständlich an, kostenlos und an allen Ecken und Enden des WWW auf seine Dosis Porno zu stoßen. Das stellte die Branche vor Herausforderungen, auf die sie teilweise extrem falsch reagierte. Die Folge: Das lange gehegte Starsystem brach vollständig zusammen. PornoFILME waren nicht mehr gefragt und billig produzierter Gonzomüll (also der reine Geschlechtsakt, ohne jedweden störenden Ballast) wurde zur einzig rentablen Sparte.
Bis die Branche die „Mädchen von nebenan“ für sich entdeckte. Der Amateurporno erlebt auch aktuell noch einen erstaunlichen Boom. Die Prämisse: Menschen wie du und ich vögeln sich vor der Kamera in simplen Clips die Seele aus dem Leib. Bieten „authentischen Sex“, „echte“ Gefühle und bedienen alle Vorlieben. Findige Unternehmen entwickelten dafür Plattformen, wo die Mädels (und freilich auch Jungs) ihre Clips einfach nur hochladen und sich um nichts weiter kümmern müssen, als mit den Fans zu kommunizieren. Kaum eines der Mädels wird irgendwann berühmt, aber viele schaffen es dennoch, sich ein erkleckliches kleines Zubrot zu verdienen.
httpv://www.youtube.com/watch?v=HvjjbeqbP1U
Und genau hier setzt der Horrorfilm „Girlhouse“ an. Girlhouse ist eine Website, die das Leben mehrerer Girls in einem mit Kameras verwanzten Haus abbildet. Die Mädels sind dabei natürlich angehalten, so freizügig wie möglich zu agieren. Dementsprechend sind die Kleiderschränke der Damen eher mit Dessous denn mit sinnvollen Klamotten befüllt. Der Kunde kann sich nun beliebig durch die Kameras des Hauses klicken, die Mädels beim Duschen, Sporttreiben und Ficken beobachten oder via Webcam-Chat mit ihnen direkt in Kontakt treten. Das neueste Girl im Girlhouse heißt Kylie und ist eigentlich rundweg zu schön für die ganze Handlung. Aber auch das ist ja Pornografie: Die Vortäuschung des schönen Scheins…
Auf jeden Fall mischt Kylie bei Girlhouse mit, weil sie sich so ihr Studium finanzieren will. Sonst müsste sie ihrer Familie auf der Tasche liegen und das will Kylie nicht. Ihr erster Auftritt, ein Strip, schlägt ein wie eine Bombe. Dabei weckt sie vor allem die Begehrlichkeiten von zwei Girlhouse-Kunden. Der eine heißt Ben, ist ein echtes Schnuckel und kennt Kylie noch aus Schulzeiten. Der andere trägt das Alias „Loverboy“, hat als Kind ein Mädchen, das ihn zugegebenermaßen ziemlich schwer demütigte, umgebracht und auch infolgedessen ein ziemlich eigenwilliges Verhältnis zu Frauen aufgebaut. Dreimal dürft ihr nun raten, wer irgendwann mordend durch das Girlhouse ziehen wird, um sich für weitere unbedachte Schmähungen zu rächen, und wer versuchen wird, Kylies Leben zu retten.
Leider vergeht bis zu diesem Zeitpunkt wirklich extrem viel Zeit. Zeit, die Regie-Debütant Trevor Matthews (vor allem als „Jack Brooks: Monster Slayer“ bekannt geworden) nutzt, um ausführlich die Idee hinter dem Geschäftsmodell „Girlhouse“ auszubreiten und dem Zuschauer Kylie genauer vorzustellen. Dabei vergisst er aber alle anderen Mitbewohner im Haus. Diese bleiben leblose, vornehmlich nackt präsentierte Hüllen, die abseits von körperlichen Merkmalen keine Eigenschaften zu besitzen scheinen. Das ist natürlich dem großen Finale äußerst abträglich, da einen das Ableben der Mitbewohnerinnen von Kylie kein Stück juckt.
Mit Kylie hat man zumindest einen ansatzweise interessanten Charakter kreiert. Ihr Grund für die Mitarbeit am „Girlhouse“-Konzept ist heutzutage gar nicht mehr so abwegig, wie man glauben könnte. Dazu muss man nur mal schauen, aus welchen Schichten sich beispielsweise vor allem Escort-Damen rekrutieren. Das sind zu weiten Teilen Studentinnen… Interessant ist das Verhältnis, das Kylie zur Sexualität hat. Sie wirkt dahingehend sehr offen und unverkrampft, ihre Familie beispielsweise würde sie aber nie in ihre Tätigkeit einweihen. Auch vor der Kamera gibt es immer den Moment, wo sie sich merklich überwinden muss, weiter zu gehen. Ist der Punkt überschritten, genießt sie ihre Macht über die Zuschauer sichtlich. Diese Ambivalenz hat mir sehr gut gefallen und wird auch glaubwürdig umgesetzt. Ein weiteres Phänomen der aktuellen Webcam-Girl-Schwämme wird ebenfalls trefflich an Kylies Figur aufgearbeitet: Während Kylie von den Zuschauern gesehen und gehört wird, hat sie von ihren Gegenübern nicht mehr als Textnachrichten. Sie agiert also ins Leere und ist gefordert, sich weitgehend selbst ein Bild von ihren Kunden und dem zu machen, was sie wollen. Das bringt „Girlhouse“ gut rüber und nutzt es ziemlich clever für die allmählich angekurbelte Explosion von Loverboy.
Bei Loverboy reiht man leider nur ein Klischee ans andere. Hübsch ist er nicht, mit Frauen kann er nicht umgehen, im Job ist er ein Loser und immer wieder ist er Ziel von Anfeindungen und Schmähungen. Logisch, dass da ein Tropfen irgendwann reicht, um das Fass überlaufen zu lassen. Hier hätte man ruhig einen interessanteren Weg gehen können. Das große Problem ist, dass man „Loverboy“ auch als Zuschauer aufgrund der irgendwann zu überzeichneten Darstellung nicht mehr recht ernst nehmen mag. Weshalb sich die von ihm ausgehende Bedrohlichkeit auch in Grenzen hält. Was durch seine in meinen Augen lächerliche Maskierung (die mit jener auf dem deutschen DVD-/Blu-ray-Cover nichts zu tun hat!) nur verschärft wird.
Das gleicht „Girlhouse“ aus, indem es Loverboy im Berserker-Modus ziemlich deftig wüten lässt. Mit vornehmlich Hausmeister-Werkzeugen – aber auch mit Dildos und einer Sling! – metzelt er die Mädels im Girlhouse dahin und kennt keinerlei Erbarmen. Die handgemachten Splatter-Effekte verfehlen dabei ihre Wirkung nicht und „Girlhouse“ selbst ist jetzt in einem coolen Tempo-Modus. Die letzten 30-40 Minuten folgt Aktion auf Aktion und Kill auf Kill. Und auch wenn keine Spannung aufkommen mag, weil ja beispielsweise das Final Girl schon lange vorm Finale eindeutig gesetzt ist, lässt einen „Girlhouse“ jetzt nicht mehr zur Ruhe kommen.
Leider setzt es in diesem Abschnitt auch diverse Logikbugs. So hackt der arg simpel strukturiert wirkende Loverboy mit spielender Leichtigkeit die vorgeblich megasichere technische Infrastruktur des Girlhouses und kann mit einem Mal alle Abläufe in dem Haus steuern. Dagegen erweisen sich alle informierten Behörden (denn freilich können die Girlhouse-Kunden auch dem Treiben von Loverboy zuschauen!) als zu blöd, das Girlhouse zu finden. Dazu kommen die üblichen Slasher-Film-Problemchen. Genannt sei nur mal der bewusstlos geschlagene Übelwicht, dem natürlich NICHT der Garaus gemacht wird. Derartigen Klischees begegnet „Girlhouse“ mit coolen Ideen: Etwa wenn Kylie das Prinzip der totalen Überwachung in dem Haus vollkommen umkehrt und gegen Loverboy einsetzt. Leider macht die bloße Existenz dieser netten Szene schmerzlich bewusst, wie wenig Potential aus der eigentlich sehr coolen Prämisse des komplett kameraüberwachten Hauses gezogen wird. Nicht einmal der Killer nutzt die sich daraus ergebenden Möglichkeiten wirklich gewinnbringend für sich aus.
Das viel bemühte Bild von „Licht und Schatten“ beschreibt „Girlhouse“ sehr treffend. Der Film hat fraglos eine ganze Menge an Schwächen. Vor allem die in den Nebenrollen nicht vorhandene Figurenzeichnung, der teilweise lächerliche Übelwicht, die fehlende Spannungskurve und der teilweise zu zerdehnte Einstieg in den Film seien hier genannt. Das macht der Film mit manch gelungenem Moment, einer hochwertigen Inszenierung, einem flotten Schlussdrittel, der sympathischen Hauptfigur, dem coolen Score von TomAndAndy und harschen Gewalteinlagen weitgehend wieder wett. Das Ergebnis ist ein netter Slasher-Streifen, der seine Fans ernst nimmt und in seiner erstaunlich humorlosen Umsetzung sowie dem rabiaten Schlussakt überzeugt. Obendrein fährt er mit dem Freitod einer Figur einen der beklemmendsten Momente des Horror-Jahres auf… und das nicht nur wegen dem, was man sieht, sondern vielmehr wegen dem, wodurch die Entscheidung der Figur ausgelöst wird: Oberflächlichkeit. Oder besser: Der schöne Schein. Er ist allgegenwärtig. Auch und vor allem, und hier schließt sich der Kreis zum Einstieg, in der Pornografie…
Die deutsche DVD/Blu-ray erschien am 11. Juni 2015 von Concorde Home Entertainment und ist mit einer FSK 18 Freigabe ungeschnitten.
In diesem Sinne:
freeman
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