Originaltitel: Emperor of the North Pole__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1973__Regie: Robert Aldrich__Darsteller: Lee Marvin, Ernest Borgnine, Keith Carradine, Charles Tyner, Malcolm Atterbury, Simon Oakland, Harry Caesar, Hal Baylor, Matt Clark, Elisha Cook Jr., Joe Di Reda, Sid Haig, Lance Henriksen u.a. |
Ursprünglich war „Emperor of the North Pole“ als Film Sam Peckinpahs geplant, doch der streitbare Regisseur überwarf sich mit den Produzenten und wurde durch Robert Aldrich („Das dreckige Dutzend“), einen anderen Vertreter der Männerfilms, ersetzt.
Es spielt nur eine Frau mit und die ist auch nur in einer Szene zu sehen, sonst ist das hier Männerkino durch und durch, was auch am Sujet liegt: Die Welt der Hobos zur Zeit der großen Depression, genauer gesagt im Jahr 1933. Die Männer springen auf Züge auf und suchen überall in den USA nach Arbeit, damit sie wenigstens ein bisschen Geld für sich und eventuell ihre Familien verdienen. Die Zugführer bewachen die Vehikel und Shack (Ernest Borgnine) ist der Schlimmste von ihnen: Mit diebischer Freude schlägt er mit seinem Hammer in der Auftaktszene einen Hobo, der vom fahrenden Zug fährt und überrollt wird, was Aldrich auch mit aller Härte zeigt und somit früh klar macht, wie weit dieser Mann bereit ist zu gehen.
A No. 1 (Lee Marvin) ist der ungekrönte König der Hobos, den man deswegen auch „Emperor of the North Pole“ nennt – ein Titel, der zeigt wie wertlos diese Position ist, die A No. 1 trotzdem stolz macht. Der Verleih benannte den Film später in „Emperor of the North“ um, hatte er Angst, dass die Zuschauer einen Familienfilm über Reisen zum Nordpol (und eventuell Santa Clause) damit verbinden könnten, was jedoch den Sinn entstellt, da diese Phrase im Film nie gebraucht wird. A No. 1 fährt ein Stück auf Shacks Zug, nachdem er sich gegen den jungen Hobo Cigaret (Keith Carradine) und dessen Helfer verteidigt hat – unter anderem, indem er sie mit einem lebenden Huhn verdroschen hat, was schon eine Szene für die Ewigkeit ist.
Die Eisenbahner erwischen Cigaret, als er und A No. 1 sich aus dem Zug befreien, in dem sie zwischenzeitlich eingeschlossen waren. Es reift die Idee einer Wette: A No. 1 soll auf Shacks Zug bis nach Portland fahren, worauf Eisenbahner und Hobos wetten. Shack kriegt Wind davon und will den Zug nun noch emsiger verteidigen, während Cigaret an dem Ruhm teilhaben will…
httpv://www.youtube.com/watch?v=DWuc2QeMw18
Der Beginn des Films führt ein wenig in die Irre: Die Depression bleibt nur Hintergrund des Ganzen, erklärt die Motivation der Zugfahrten, die Hobo-Camps und die Notwendigkeit zu stehlen, aber der eigentliche Grund, die Arbeit und die Suche danach, die blendet „Emperor of the North Pole“ weitestgehend aus. Auch die harte Auftaktszene mag zwar zeigen, wer Shack ist und warum er so gefürchtet wird, passt aber nicht ganz zum Rest vom Film, der eher an eine Gaunerkomödie erinnert, die Armut zwar nie ausblendet oder zu sehr verharmlost, das Hobo-Dasein aber doch eher als Spiel darstellt, in dem aufrechte Männer dem Staat und seinen Vertretern immer wieder Schnippchen schlagen.
So sind manche Episoden abseits des Zuges nett gemeinte, aber eher ausbremsende Dreingaben, sei es nun der Diebstahl von Kleidung bei einer Taufzeremonie oder die Demütigung eines Polizisten, der A No. 1 und Cigaret nach dem Diebstahl eines Truthahns erfolgt. Das Herz des Films schlägt jedoch immer dann am stärksten, wenn es auf den Zug geht, den Shack verteidigen will. So wie der Film die Depression nur als Szenario benutzt, so sind auch die Figuren auf Funktionen heruntergebrochen und entsprechen Archetypen, schon daran zu sehen, dass viele Namen (etwa der der Hauptfigur) nicht Tauf-, sondern Spitznamen oder Rangbeschreibungen sind. Ironischerweise raucht Cigaret im Film nie. In dieses Raster passt dann auch Shack, der wie der große böse Wolf den Zug bewacht, ohne Rücksicht auf Verluste, dabei Schäden an Material und Mannschaft in Kauf nimmt, was nicht mehr im Sinne der Auftraggeber sein kann.
Ernest Borgnine („Geheimcode Wildgänse“) spielt Shack dann auch mit etwas Overacting, das in diesem eher mythischen Kontext aber nicht unpassend wirkt als Unsympathen, der selbst unter den Kollegen eher gefürchtet als geachtet wird. Lee Marvin („Die gefürchteten Vier“) als lakonischer Mentor dagegen den coolen Ruhepol des Films, der widerwillig zum Mentor für den von Keith Carradine („Wild Bill“) gespielten Cigaret wird – eine Rolle, die Carradine als (gewollt) nerviges Großmaul anliegt, der unberechenbar ist. Manchmal vielleicht etwas zu wechselhaft in seiner Attitüde, was aber eher dem Drehbuch geschuldet ist. Der Rest vom Ensemble hat da wenig zu vermelden, zu dem neben der alten Größe Elisha Cook Jr. („Tote schlafen fest“) auch Sid Haig („Creature“) in einer frühen Rolle als Hobo gehört. Lance Henriksen („Harbinger Down“) soll kurz als Eisenbahnarbeiter zu sehen sein.
Durch die Konzentration auf seine Hauptfiguren erzählt Aldrich vom erbitterten Duell zweier Männer (mit Cigaret als dritter, darin verwickelter Person) in einer Mischung aus Abenteuer, frühem Actionfilm und Thriller. Die Parteien belauern sich, A No. 1 arbeitet einfallsreich mit List und Tücke sowie gelegentlicher Hilfe seiner Hobo-Kollegen, mit dem Charme des Underdogs, was zu raffinierten Winkelzügen, psychologischer Kriegsführung teilweise handfesten Auseinandersetzungen führt. Das ist spannend anzuschauen und mündet schließlich in ein rohes wie packendes Finale, in dem A No. 1 und Shack beide nie so wirklich zu gewinnen scheinen wollen – keiner scheint ohne die Herausforderung des anderen zufrieden zu sein und es wird angedeutet, dass dies nicht das letzte Duell der beiden war – trotz blutiger Konsequenzen. Da kann Cigaret kaum mehr als Zuschauen und die letzte Szene verdeutlicht, wenig bedeutend er im Direktvergleich zu den anderen ist.
„Emperor of the North Pole“ ist nicht ganz einheitlich im Ton, doch in den Szenen an und um den Zug ein grandios gespieltes Duell zwischen Lee Marvin und Ernest Borgnine, spannend und abwechslungsreich. Sobald sich Aldrichs Film davon entfernt, büßt er leider von seiner Faszination ein, was glücklicherweise nicht so häufig vorkommt.
Die deutsche DVD von Koch Media ist ungekürzt ab 16 Jahren freigegeben und bietet neben einigem Bonusmaterial (Trailer, Making Of und den Audiokommentar des Filmhistorikers Dana Polan) ein 28seitiges Booklet.
© Nils Bothmann (McClane)
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