Originaltitel: John Wick: Chapter 2__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2017__Regie: Chad Stahelski__Darsteller: Keanu Reeves, Riccardo Scamarcio, Common, Laurence Fishburne, Ian McShane, Ruby Rose, John Leguizamo, Peter Stormare, Franco Nero, Lance Reddick, Bridget Moynahan, Claudia Gerini u.a. |
Am Ende von „John Wick“ konnte man sich entspannt zurücklehnen: In einem absolut notwendigen Gewaltausbruch hatte Keanu Reeves als namensgebender Held die halbe Russenmafia zerlegt, um seinen Hund zu rächen. Der war John Wicks letzte weltliche Verbindung zu seiner verstorbenen Frau, für die er einst seinen Job als Superkiller an den Nagel gehängt hatte.
Doch Moment. So richtig zu Ende erzählt war die Story des Filmes nicht. Denn obschon John Wick vom Betreiber des Continental Hotels ein neues Muscle Car zur Verfügung gestellt bekommen hatte, befand sich John Wicks Lieblingskarosse immer noch in den Händen irgendwelcher ruchloser Russen-Rüpel. Regisseur Chad Stahelski, der die Fortsetzung im Alleingang stemmte (sein „John Wick“-Co-Regisseur produzierte „nur“), nutzt diesen offenen Storystrang und entfesselt gleich in den ersten Minuten von „John Wick: Kapitel 2“ ein wahres Actionfeuerwerk:
John Wick schlägt elegant um sich, bricht Knochen, verteilt blaue Bohnen und zerlegt bar jeder Rücksicht diverse Karren, um endlich sein geliebtes Auto wieder in die Hände zu bekommen. Schon bei diesem Einstieg wird deutlich, dass sich die Ausrichtung des Filmes im Vergleich zum Vorgänger in Richtung finsteren Humors und comichafterer Elemente verschieben wird. In der Folge nutzt John Wick sein Auto wie eine Abrissbirne, um den Russen eine Lektion zu erteilen.
httpv://www.youtube.com/watch?v=Bvb7Lj-p_WQ
Ist diese erste Gewalteskalation zu einem halbwegs versöhnlichen Ende gebracht, besinnt sich John Wick auf sein ursprüngliches Ansinnen: Den Ruhestand genießen. Also vergräbt er seine Waffen und Goldmünzen wieder im heimischen Kellerboden. Während der Beton noch am Aushärten ist, klingelt es an der Tür. Vor ihm steht Santino D’Antonio, der eine gemeinsame Vergangenheit mit Wick hat und von ihm die Erfüllung eines Blutschwurs einfordert.
Brüsk lehnt John Wick ab. Zur Strafe lässt D’Antonio Wicks Haus in einem Feuerball aufgehen. Und John kann nicht einmal etwas dagegen tun. Der Blutschwur verhindert das und bindet ihn. Absolut. Zähneknirschend stimmt er darum zu, D’Antonios Schwester in Rom zu meucheln. D’Antonio will sie aus dem Weg haben, weil er ihren Platz am runden Tisch der größten Gangstervereinigung überhaupt einnehmen möchte.
Natürlich erledigt John den Auftrag mit brutaler Präzision, doch D’Antonio kann sich keine Mitwisser für sein machthungriges Gebaren erlauben. Er lobt ein exorbitantes Kopfgeld auf John Wick aus, was diesen zur Zielscheibe aller Killer dieser Welt macht…
Soviel zur Story von „John Wick: Kapitel 2“. Diese ist jener des ersten Teils minimal unterlegen. Nicht, weil sie nicht funktionieren würde. Im Gegenteil: Sie funktioniert prächtig und bedient die hinlänglich bekannten Genre-Klischees sauber und kurzweilig. Doch ihr fehlt die Emotionalität, die den gesamten ersten Teil durchzog. Und die den Zuschauer richtiggehend in den Vorgänger eintauchen ließ. Klar, Wick rächte da oberflächlich gesehen nur einen Hund, doch stand der für soviel mehr. In der Folge konnte man sich mit dem eiskalten Killer identifizieren und hielt ihm die Daumen. Man fieberte mit ihm mit.
Das geht Teil 2 nun vollkommen ab. John Wick wird hier zum Man on a Mission, der aufgrund eines viel zu abstrakten Blutschwurs in die Bredouille gerät. Folglich schaut man John Wick etwas unbeteiligt bei seinem Killertreiben zu, wird niemals richtig involviert und bemerkt auch häufiger ein Abfallen der Spannungskurve.
Das klingt nun aber deutlich schlimmer als es tatsächlich ist. Denn Chad Stahelski (Actionregie bei „Hitman: Agent 47“) und sein Drehbuchautor Derek Kolstad versuchen dieses emotionale Defizit mit einer ordentlichen Ladung an Ideen wettzumachen. Dabei ragt vor allem die Ausgestaltung der in Teil 1 etablierten Killer-Unterwelt überdeutlich hervor. Damit geht ein neuer, finsterer Humor einher, der sowohl John Wick als auch dem Film verdammt gut steht. Die Zeit des Trauerns ist ganz offensichtlich vorbei.
In der Folge erleben wir mit, wie beinahe beiläufig in Rom ein zweites Continental Hotel etabliert wird, was vermuten lässt, dass dieser Ort der Sicherheit für Killer in jeder großen Stadt einen Franchise-Ableger haben könnte. Betreut wird das römische Hotel im Übrigen von Franco Nero, der in seiner kleinen Nebenrolle eine Menge Spaß macht.
In Rom erleben wir dann mit, wie sich John Wick in der weitverzweigten Killer-Unterwelt bewegt und sich für seinen Auftrag ausstattet. Für jede Kleinigkeit scheint es in diesem Film eine Parallelwelt neben der unsrigen zu geben. In einer abgeranzten Nähstube etwa findet sich in einem Hinterzimmer der Bereich eines Edelschneiders, der die kugelfestesten Materialien überhaupt verarbeitet. Die entstehenden Klamotten sind so genial, dass John Wick in einer Szene SEINEN SCHLIPS!!! gezielt als Deckung einsetzt. In einem Waffengeschäft wird Wick in einem Nebenzimmer mit derartiger Selbstverständlichkeit mit den modernsten Knarren eingedeckt, dass man sich über den Ablauf des Kunden-Verkäufer-Gesprächs nur beäumeln kann.
Das Highlight aber ist Laurence Fishburne („Batman v Superman“) als Bowery King. Der behauptet von sich selbst, alles zu wissen, alles zu hören und alles zu sehen. Mit ausladender Geste berauscht er sich selber an seiner Macht… und lässt nebenher eine Brieftaube steigen. Ganz genau. Der allwissende König der Bettler verschickt seine Neuigkeiten mit Brieftauben. Die transportieren dann zwar Mikrochips anstelle von Briefen, die Szene ist dennoch oder gerade deshalb einfach zu köstlich. Und sie führt die beiden Matrix-Heroen Neo (Reeves) und Morpheus (Fishburne) endlich wieder zusammen.
Wo „John Wick: Kapitel 2“ im Vergleich zum Vorgänger aber am deutlichsten zulegte, ist die Action. Länge, Aufkommen, Brutalität, choreografische Brillanz, in allen Abteilungen legt die Fortsetzung des Überraschungsactionhits von 2014 zu. Die erste Szene ist dabei vom Materialeinsatz her die aufwändigste. Carcrashes und Carstunts spielen im weiteren Verlauf leider keine Rolle mehr, lassen aber zumindest zu Beginn den Puls ordentlich hochschnellen.
Schon in Actionszene Nummer zwei, die mit einer irrsinnigen Ballerei inmitten von Konzertbesuchern beginnt und nach einem langen Shootout in finsteren Katakomben in einen knüppelharten Infight mündet, läuft die Gewalttätigkeit von „John Wick: Kapitel 2“ ordentlich Amok. Spätestens wenn John Wick mit einer Pumpgun nach demselben Prinzip agiert, mit dem er seine Kleinkaliberwaffen einsetzt (Körpertreffer, Headshot), ist jedem Zuschauer klar, wie hier der Hase läuft.
Natürlich übernahm Chad Stahelski das Gun-Fu, das schon den ersten Teil so atemberaubend machte, und lässt seinen Star um sich ballernd komplexeste Choreografien umsetzen. Hätte man nun noch einen Weg gefunden, die unzähligen Kopfschüsse des Filmes irgendwie ohne CGI-Blut umzusetzen, „John Wick: Kapitel 2“ wäre schon jetzt actiontechnisch nahe dran an der Perfektion.
Prallt John Wick dann in der langgezogenen dritten Actioneinlage auf zig Killer, ist die Gewalt vollends auf comichaftem „Shoot em Up“-Niveau angelangt. Mit Bleistiften werden Schädel durchstoßen, ein Sumoringer erweist sich als nahezu unbesiegbarer Kugelmagnet und John Wick liefert sich mit seinem Killerkollegen Cassian, der „etwas“ sauer auf Wick ist, meuchelte der doch mit Gianna D’Antonio dessen Klientin und Geldgeberin, einen Shootout zur Rush Hour in einer U-Bahn-Station. Dank Schalldämpfern unbemerkt von allen anderen Fahrgästen. Hier kommt man dann aus dem Staunen zum Teil gar nicht mehr raus.
Im Showdown huldigt Stahelski dann unter anderem einem seiner liebsten Actionfilme („Enter the Dragon“) und lässt John Wick in einer Installation aus zig Spiegeln optisch höchst reizvoll diverse Lumpen umrußen. Man mag sich gar nicht vorstellen, was es für ein Kraftakt gewesen sein muss, diese Szene in dieser Form umzusetzen. Stahelski bestätigte auf der Pressekonferenz zum Film dann auch, dass alleine die Versuche, das Filmteam zumindest ansatzweise so zu verstecken, dass man nicht jede Szene mit visuellen Effekten „retten musste“, einen irren Aufwand bedeuteten.
Doch der Actionfan kann sich freuen: Nicht nur in der Szene versucht Stahelski alles, seinen Actionszenen einen einzigartigen Anstrich zu geben. Höhepunkt ist aber freilich die optische Umsetzung des Ganzen. In langen, genießerischen Einstellungen lässt Stahelski die Action auf der Leinwand explodieren. Keine Stakkato-Schnitte, kein Kamera-Gewackel. Und dennoch fühlt sich die Action wuchtig, dynamisch und optisch spektakulär an! Ganz ehrlich: Was will ein Actionfan mehr? Ok, ein paar Explosionen wären fein gewesen. Keine Frage. Und mehr handgemachtes Geblute. Aber sonst…
In Sachen Stil drehte man bei „John Wick: Kapitel 2“ noch einmal an diversen Stellschrauben. Die Anzüge wirken noch zackiger als im Vorgänger, die Nobelkarossen wurden noch mehr auf Hochglanz gewienert, die spiegelnden Häuserfronten reflektieren besser als der neueste Spiegel und der zur Schau getragene Waffenfetisch aller Figuren ist einfach nur derb. Dazu immer mal wieder komplementärfarbene Bilderbögen, untermalt von dem wundervoll groovenden „John Wick“-Musikthema. Ein Hochgenuss!
Keanu Reeves fühlt sich obendrein sichtlich wohl in seiner Rolle, überzeugt sowohl in der Action als auch in den humorigen Momenten und hat in dem Superkiller eine noch ikonischere Rolle gefunden als anno dazumal mit Neo. „John Wick: Kapitel 2“ ist denn auch einzig und allein seine große Show. Es gibt nur wenige Darsteller, die neben ihm überhaupt auffallen: Ian McShane („Der Spion und sein Bruder“) als Inhaber des Continental in New York sei genannt und der physisch sehr präsente Common („Date Night“). Dagegen stinken ausgerechnet die Bösewichter vollkommen ab. Vor allem Riccardo Scamarcio kommt als Oberfieswicht gefühlt nie im Film an und Ruby Rose („Resident Evil: The Final Chapter“) als seine rechte Hand fand ich einfach nur extrem Panne. Nicht auszudenken, was der Film mit Claudia Gerini als echter Antipodin hätte sein können. Ihr kurzer Auftritt als Gianna D’Antonio ist meines Erachtens echt zum Niederknien: Uneinschätzbar, unvorhersehbar, leider viel zu kurz und mit tollem Finish!
Was am Ende bleibt ist, ist eigentlich eine absolut ideale Fortsetzung: „John Wick: Kapitel 2“ ist nicht einfach nur eine aufwändigere Neuauflage des Vorgängerfilmes. Er erzählt eine eigene Geschichte und entwickelt viele Elemente aus dem ersten Teil absolut organisch und überzeugend weiter. Vor allem die ausgebaute Parallelwelt der Killer im „John Wick“-Universum ist wundervoll grotesk und angefüllt mit vielen tollen Aha- und Komik-Momenten. So entwickelt „John Wick: Kapitel 2“ gar eine ganz eigene Mythologie, die ohne Probleme weitergeführt werden könnte – was das Finale durchaus andeutet. Problematisch ist allerdings, dass „John Wick: Kapitel 2“ etwas zu bewusst in Sichtung Actioncomic gedrängt wurde und so ein emotionales Zentrum missen lässt. Man wird vom zweiten Teil trotz tadelloser Leistung des extrem engagiert wirkenden und behände um sich schlagenden Keanu Reeves’ einfach nicht so richtig mitgerissen. Was über zwei Stunden Laufzeit hinweg durchaus mal für Spannungslöcher sorgt. Die brutale, breit ausgewalzte und ausgiebig zelebrierte Action sowie deren grandiose Inszenierung gleichen dieses Manko zumindest für Actionfans locker wieder aus. Dennoch fühlte sich Teil 1 insgesamt einfach ein wenig runder an.
In diesem Sinne:
freeman
……
„John Wick: Kapitel 2“ – Würdige Fortsetzung mit superber Action
Mit „John Wick“ gelang Keanu Reeves ein Comeback, mit dem zu dem Zeitpunkt kaum noch jemand gerechnet hatte, weshalb alsbald ein Sequel in Auftrag gegeben wurde.
Während sein Co-Regisseur David Leitch den Thriller „The Coldest City“ drehte, verantwortet Chad Stahelski die Regie zum Sequel im Alleingang, doch die bewährte Handschrift des Vorgängers lässt sich bereits in der Auftaktsequenz sehen, in der John Wick (Keanu Reeves) erneut mit dem Tarasov-Clan aneinandergerät: Abram (Peter Stormare), der Bruder des im ersten Teil getöteten Viggo, hat Wicks Auto, was dieser sich nun wiederholt. Hatte der Vorgänger den scheinbar nichtigen Anlass des Rachefeldzugs noch mit John Wicks Erinnerungen an seine verstorbene Frau Helen (Bridget Moynahan) begründet, ist die Fortsetzung da oberflächlicher. Auch die Frage, warum weder John noch seine Widersacher im Opener gar nicht oder erst spät zur Schusswaffe greifen, kann er aus ästhetischen denn aus handlungslogischen Gründen beantwortet werden, denn so gibt es reichlich Nahkämpfe und ein Destruction Derby in und um eine Lagerhalle anstelle von Geballer zu sehen.
Nach vollzogener Arbeit will John eigentlich zurück in den Ruhestand, doch kaum hat er seine Waffen und die in der Unterwelt als Zahlungsmittel nötigen Goldmünzen im Keller einbetoniert, da steht auch schon ein alter Bekannter, der Mafiaboss Santino D’Angelo (Riccardo Scamarcio) vor der Tür. Dabei hat er eine Marker genannte Scheibe, mit der ein Unterwelter ausdrückt, dass er bei einem anderen in der Schuld steht – in diesem Falle ist es John, welcher bei seiner legendären unlösbaren Aufgabe von dereinst Santinos Hilfe benötigt und diesem nun einen Gefallen schuldig ist. Damit erweitert „John Wick 2“ jene comicartige Parallelwelt der Verbrecher und Killer, die schon zu den Alleinstellungsmerkmalen des ersten Teils gehörte.
Santino fordert die Einlösung des Gefallens, nun da John zurückgekehrt ist. Obwohl dieser sich anfangs weigert, muss er sich den Gesetzen der Unterwelt unterwerfen und den Auftrag annehmen. Er soll Santinos Schwester Gianna (Claudia Gerini) töten, damit dieser ihren Platz an der Spitze der Mafia einnehmen kann…
httpv://www.youtube.com/watch?v=aVSNABPgEbY
Sowohl John als auch dem Zuschauer ist klar, dass dies weitere Verstrickungen, weitere Gefechte und mehr Tote mit sich bringen wird. Doch „John Wick 2“ präsentiert sich als noch weniger geerdet als der Vorgänger und setzt auf stärkere Ästhetisierung und Mythologisierung. Bereits der Auftakt mit den entsetzten Reden Abrams unterstreicht die übermenschliche Unbesiegbarkeit des Racheengels John Wick, während der Film, der rund 20 Minuten länger als sein Vorgänger ist, stellenweise regelrecht schwelgt in seinen Aufnahmen, gerade in den Establishing Shots von bis ins kleinste Detail durchdesignten Locations, darunter Kunstmuseen und zur Partylocation umfunktionierte Ruinen. Alles in grelles Neonlicht getaucht, mit einem jenseitigen Look, der die Parallelwelt der Gangster und Profikiller nicht nur erzählerisch, sondern auch optisch als solche ausweist.
Dabei erweitert der erneut von Derek Kolstad („The Package“) geschriebene Film diese Parallelwelt: Wick bereits die Filiale des Continental-Hotels in Rom, man erfährt von einem 12köpfigen Rat der führenden Verbrecherorganisationen (in dem Santino durch den Mord Mitglied würde) und den weiteren Regeln der Unterwelt, die vor allem vom New Yorker Continental-Manager Winston (Ian McShane) erklärt werden. In dieser Welt haben sich selbst die Bettler zu einer Art Gilde zusammengeschlossen. Mehr noch als der Vorgänger präsentiert „John Wick 2“ diese Parallelwelt als ein Nebeneinander vormodern und ultramoderner Eigenschaften und Technologien. Das Zentralregister der Unterwelt wird von Sekretärinnen betrieben, die Anrufe über altmodische Schaltbretter durchstellen, Akten mit Stempel und Schreibmaschine bearbeiten und Mitteilungen in Computer frühester Generationen eingeben, ehe diese blitzschnell an Smartphones und sonstige moderne Kommunikationsmittel gesendet werden. Der Bettlerchef (Laurence Fishburne) verschickt Brieftauben, die anstelle von Nachrichten Mikrochips überbringen. Vor allem versinnbildlicht das Kunstmuseum, in dem mehrere Szenen spielen, diesen Gegensatz: In der unteren Etage stehen klassische Statuen und Gemälde vergangener Epochen, im Obergeschoss ist eine moderne Installation zum Thema „Fenster zur Seele“.
Einhergehend mit diesem zunehmenden Fokus auf Ästhetik geht auch eine Entrückung von der Realität daher. War der erste Teil, allem Style zum Trotz, noch eine Rachegeschichte mit Augenzwinkern, so betont „John Wick 2“ seine Künstlichkeit noch, gerade auch durch In-Jokes. Der römische Continental-Manager Julius (Franco Nero) lässt John dort erst absteigen, als dieser ihm bestätigt nicht den Papst umlegen zu wollen, die Frage, ob John wieder arbeite kommt, dieses Mal nicht von einem Polizisten, sondern einem Feuerwehrmann, während die Reichweite der Killer- und Verbrecherorganisationen schon surreale Züge annimmt. Zunehmend ironisch zeichnet „John Wick 2“ diese Unterwelt, in der ein Leben kaum etwas wert ist, in dem selbst die Straßenmusiker an der Ecke und die Putzkräfte getarnte Killer sein können, in dem ein Weg durch die Straßen New Yorks zum tödlichen Spießrutenlauf werden kann, wenn „John Wick 2“ in der zweiten Hälfte leichte Züge eines Menschenjagdfilms annimmt.
Natürlich setzt sich der Held entsprechend zur Wehr, mit der bewährten Mischung aus Schusswaffengebrauch und Nahkampf, gerne in Kombination miteinander. Wick verteilt nicht nur die bewährten Kopfschüsse, sondern bricht Genicke, rammt Messer in den Genitalbereich und setzt selbst Bleistifte als tödliche Waffen ein, was Chad Stahelski, sein Stunt Coordinator J.J. Perry („Best of the Best 3“) und sein Kampfchoreograph Jonathan Eusebio („The Avengers“) als entrücktes Todesballett inszeniert, in dem sich Wick gleichermaßen schlagend, tretend, schlitzend, werfend und schießend durch die Gegnerschar fügt. Die Choreographie ist einfallsreich und präsentiert unter anderem eine Grapplingeinlage, bei der Pistolen und Messer zum Einsatz kommen, oder Szenen, in denen Wick einen Gegner am Boden fixiert und gleichzeitig nachzuladen versucht um diesem den Fangschuss zu verpassen. Dabei kann „John Wick 2“ nicht mehr auf den Überraschungseffekt des aus dem Nichts kommenden Vorgängers setzen, bietet aber stark choreographierte, abwechslungsreiche und gut über den Film verteilte Action.
Gleichzeitig findet die inszenatorische Betonung von Style und Ästhetik ihre intradiegetische Entsprechenung, wenn John sich mit kugelsicheren Anzügen, Waffen und Bauplänen ausrüsten lässt, was eher wie ein Besuch im Etikette-Unterricht oder bei dem gehobenen Herrenausstatter wirkt, mit exquisiter Höflichkeit auf allen Seiten. Hin und wieder mag „John Wick 2“ sich etwas zu sehr in diesen Feinheiten ergehen, während Santino und seine rechte Hand Ares (Ruby Rose) auch nicht unbedingt die charismatischsten oder einprägsamsten Schurken sind. Am ehesten bleibt da noch Cassian (Common) im Gedächtnis, ein Seelenverwandter Johns, der nur eben auf der anderen Seite steht und sich am ehesten als ebenbürtiger Gegner erweist.
Keanu Reeves („Gefährliche Brandung“) als Racheengel, dem mehrere Figuren eine Art Sucht nach dem Killerleben attestieren, schlägt sich erneut stark in seiner neuen Paraderolle und dominiert den Film. In seiner etwas größeren Rolle ist Ian McShane („Hercules“) gewohnt stark, während Lance Reddick („White House Down“), Bridget Moynahan („Lord of War“) und John Leguizamo („Kick-Ass 2“) in ihren aus dem Erstling bekannten Rollen charmante bessere Cameos absolvieren. Nette Akzente sind die Gastauftritte von Franco Nero („Stirb langsam 2“) und Peter Stormare („Bad Boys 2“), während sich Common („Run All Night“) von den Neuzugängen am besten schlägt: Ein würdiger Gegner für John Wick. Riccardo Scamarcio („Dritte Person“) ist angenehm schmierig, wird aber vom Film etwas im Stich gelassen, sodass tatsächlich Claudia Gerini („Die Passion Christi“) mehr Eindruck hinterlässt, auch wenn sie nur einen längeren Auftritt hat. Laurence Fishburne („Standoff“) spielt den König der Bettler mit Laune, während die Darbietung von Ruby Rose („xXx 3 – Die Rückkehr des Xander Cage“) durchwachsen ist: Einerseits muss sie als stumme Killerin nur mit ihrer Mimik spielen und macht das teilweise recht überzeugend, gleitet andrerseits in ein paar Szenen dabei in unfreiwillig komische Gesichtskirmes ab.
„John Wick 2“ ist eine würdige Fortführung des Vorgängers, die am Ende schon den Plot einer möglichen, aber nicht zwingend nötigen Fortsetzung anteasert. Die Action ist gewohnt superb, die Besetzung stark und die aufgebaute (Unter)Welt des Films faszinierend. Mit seiner stärkeren Betonung von Style, Inszenierung und Ironie ist „John Wick 2“ etwas entrückter und auch minimal schwächer als der schnörkellosere Rachevorgänger, aber ein gutes Beispiel dafür, wie man beim fortsetzungstypischen Abwägen zwischen Variation und Wiederholung sehr produktiv sein kann.
Die Fortsetzung wird von Concorde in die deutschen Kinos gebracht und zwar ab 16. Februar 2017. Dabei erhielt „John Wick 2“ eine Freigabe ab 18 Jahren.
© Nils Bothmann (McClane)
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