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Tomboy

Originaltitel: The Assignment__Herstellungsland: USA/Kanada/Frankreich__Erscheinungsjahr: 2016__Regie: Walter Hill__Darsteller: Michelle Rodriguez, Sigourney Weaver, Caitlin Gerard, Tony Shalhoub, Anthony LaPaglia, Ken Kirzinger, Terry Chen, Paul McGillion, Paul Lazenby, Adrian Hough u.a.
Tomboy

Ein Rachethriller mit Transgender-Aspekten: „Tomboy“ von Walter Hill mit Michelle Roriguez und Sigourney Weaver

Nachdem sein 55 Millionen Dollar teurer Old-School-Reißer „Bullet to the Head“ gerade einmal 22 Millionen an der Kasse erwirtschaftete, versucht sich Actionveteran Walter Hill mit seinem neuesten Werk im Low-Budget-Bereich und kombiniert dabei Althergebrachtes und Unkonventionelles.

„Tomboy“, auch unter den Titeln „(Re)Assignment“ und „The Assignment“ veröffentlicht, kostete gerüchteweise gerade einmal 5 Millionen Dollar. Hauptfigur ist der Auftragsmörder Frank Kitchen (Michelle Rodriguez), den man bei der Erledigung eines Jobs kennenlernt; ein gefragter Mann in seiner Branche und damit durchaus Jimmy Bobo aus „Bullet to the Head“ ähnlich; außerdem basieren beide Filme auf Graphic Novels. Die Besetzung der Männerrolle mit einer Frau allerdings, das ist ein Novum, denn bald darauf wird sich Frank zur Frau umoperiert in seinem Hotelzimmer wiederfinden, nachdem seine Auftraggeber ihn verraten haben. Dass Michelle Rodriguez Frank in beiden Inkarnationen spielt, sorgt für Kontinuität, bringt aber das Problem mit sich, dass man bei Männer-Frank immer noch die weibliche Darstellerin erkennt, da mögen auch ein dekorativ zur Schau getragener Bart und ein in Nacktszenen gezeigter Prothesenmännerkörper inklusive Schniepi nicht viel dran ändern.

Parallel zu den Erzählungen von Franks Schicksal springt „Tomboy“ auch einige Zeit in die Zukunft, in welcher der Psychologe Ralph Galen (Tony Shalhoub) die brillante Chirurgin Rachel Kay (Sigourney Weaver) interviewt, die nun in der Klapse sitzt und bereits vor einiger Zeit ihre Lizenz verlor. Kay, auch The Doctor genannt, ist die einzige Überlebende eines Blutbads, für das sie Frank Kitchen verantwortlich macht. Ganz unschuldig ist Kay nicht an der Sache: Aus Rache dafür, dass Frank ihren Bruder (das Opfer aus der Auftaktszene) killte, ließ sie ihn zu sich bringen und machte eine Frau aus dem Obermacho. Allerdings will keiner ihr die Geschichte von Frank Kitchen glauben, dessen Name so sehr nach Pseudonym klingt, dass es kaum einen Zuschauer wundern sollte, wenn man zur Halbzeitmarke erfährt, dass es nur ein solches ist. Aber anscheinend zieht dies keine der Behörden in Erwägung.

Auf wechselnden Zeitebenen wird nun dargestellt wie Frank, das Opfer des perfiden Racheplans, mit seiner neuen Situation umgeht und nun seiner- bzw. ihrerseits Rache für die erlittene Operation nehmen wird, während Kay dem Psychologen mehr über ihre Seite der Geschichte erzählt…

httpv://www.youtube.com/watch?v=gxeaXb7N2AE

Wie diese Rache nun ausgehen und aussehen wird, das weiß der Zuschauer dann allerdings auch den erzählerischen Aufbau, der quasi jedes Überraschungspotential aus dem Film austreibt: Bereits nach Kays erstem Auftreten liegen fast alle Fakten auf dem Tisch, den einen Twist in der Geschichte kann jeder semi-aufmerksame Zuschauer am Verhalten einer bestimmten Figur ablesen und das Schlussbild hat noch eine nette Pointe parat, die jetzt aber keine radikal neue Sicht auf den Film erzielt. Dazwischen reden die beiden Hauptpersonen viel Bedeutungsschwangeres zu Gesprächspartnern oder in irgendwelche Aufzeichnungsgeräte, doch bei genauem Hinsehen hat keiner der beiden wirklich etwas zu sagen. Immerhin hat Kay ein paar Gelegenheiten Galen auflaufen zu lassen, wenn sie ihm seine mangelnde Bildung in Sachen Shakespeare und Edgar Allan Poe vorwirft.

Zu den von ihr diskutierten Werken gehört auch Poes „The Philosophy of Composition“ mit der Prämisse, dass jedes Kunstwerk vor allem durch seinen eigenständigen ästhetischen Wert, nicht nur politischen oder sonstigen Kontext zu beurteilen sein. Genau diese Überlegung ist schon sehr ironisch, arbeitet sie doch eher gegen „Tomboy“. Denn der interessanteste Aspekt ist sicherlich die Transgender-Hauptfigur, die ein Novum im Action- und im Gangsterfilm darstellen dürfte. Ob das nun progressiv ist, da es eine derartige Figur innerhalb außerhalb eines Spartenfilms zeigt, oder anstößig, weil die Umoperation eine Strafe ist, das muss wohl jeder selbst entscheiden – der Film löste auch eine kleine Kontroverse aus. Doch thematisch ist er jedenfalls interessanter als inhaltlich.

Denn Frank bleibt eine statische Figur – zwar mit neuem Gesicht und neuem Körper, doch der gleiche abgebrühte Drecksack, über den man eigentlich nichts erfährt, außer seinem Beruf, seinem Machotum und zwei Minisätzen zu seiner Vergangenheit. Entsprechend ist das Drama, wenn er mit den Veränderungen an sich umgehen muss, ein hohles und bloß behauptetes, denn weder ist Frank sonderlich sympathisch noch weiß man genug über ihn um wirklich mit ihm mitzufühlen. Er ist ein kaum ein Klischee, eher ein Abziehbild eines Klischees, so wie fast jede Figur hier, wobei immerhin Kay eine starke Gegenspielerin ist, die den Film dominiert, trotz gelegentlich zu gewollter Hannibal-Lecter-Parallelen.

Doch Sigourney Weaver, die mit der von Hill produzierten „Alien“-Reihe zum Star wurde, gibt alles und macht „Tomboy“ dann zumindest in ihren Szenen durchaus sehenswert – intelligent, manipulativ und mit einem perversen Selbstverständnis als gleichzeitige Künstlerin und Wissenschaftlerin legt sie ihre größenwahnsinnige Figur an, die auch als Seitenhieb auf moderne Schönheitschirurgie angesehen werden kann. Michelle Rodriguez („Fast & Furious 7“) in der Hauptrolle gibt sich Mühe, kann aber wenig aus dem undankbaren Material machen, das sie stets nur mit dem gleichen angepissten Gesichtsausdruck und Reibestimme durch die Gegend schickt. Gestandene Nebendarsteller wie Tony Shalhoub („Pain & Gain“) und Anthony LaPaglia („Cold Steel“) reißen routiniert ihre Parts runter, ebenso Caitlin Gerard („Smiley“) in der größten Nebenrolle des Films, doch so wirklich glänzen kann außer Weaver niemand hier.

Alles andere als glänzend ist leider auch die sparsam eingesetzte Action. Sicher war Walter Hill in dem Bereich stets bodenständig, ohne die Akrobatik des Hongkong-Kinos oder den Stilwillen der Videoclipästheten, doch den wenigen Shoot-Outs in „Tomboy“ fehlt der Drive: Meist schießt Frank nur überraschte Gegenspieler nieder, selbst bei seltener Gegenwehr sind die Schusswechsel schnell vorbei und auch handwerklich ist das Ganze bestenfalls solide, nie mitreißend. Das mag auch am niedrigen Budget gelegen haben, das keine großen Sprünge erlaubte.

Interessant dagegen ist die Verortung von „Tomboy“ in Walter Hills Schaffen. Zum einen erinnert das Milieu der Malocher, Gangster und Killer an den Kosmos, den er schon in früheren Filmen gerne darstellte, vor allem in dem thematisch ähnlichen Gesichts-OP-Thriller „Johnny Handsome“, zum anderen hat „Tomboy“ ein wenig von der anderweltlichen Stimmung, die schon Filme wie „Streets of Fire“ auszeichnete. „Tomboy“ ist dem Film Noir verpflichtet, mit seiner expressiven Lichtsetzung, den rauchdurchfluteten Hinterhöfen und schmierigen Stundenhotels, in denen große Teile des Films stehen. Doch „Tomboy“ steht nicht in der Tradition großer Hollywood-Noirs, sondern günstiger Produktion wie Edgar G. Ulmers „Detour“. Ein dreckiger Billigfilm, der sich auf andere dreckige Billigfilme bezieht (die heute teilweise Klassikerstatus haben). Auch die Irrenanstalt, in der Mad Scientist Karen Ray einsitzt, wirkt aus der Zeit gefallen und könnte aus jenen B-Pictures stammen, auf die sich jüngst Werke wie „Shutter Island“ und „A Cure for Wellness“ bezogen.

So bleibt Eigenwert von „Tomboy“ ausgesprochen diskutabel: Von der Atmosphäre her ist der Film durchaus stimmig, aber eben in erster Linie durch seine Zitate des klassischen Genrekinos und Walter-Hill-Topoi. Erzählerisch dagegen ist der neueste Streich des Actionaltmeisters eine schwache Nummer, während die Shoot-Outs kaum der Rede wert sind. Interessanter ist da schon der Transgender-Aspekt, der hier im Rahmen eines modernen B-Pictures abgehandelt wird, nicht in einem Message Movie mit eingeschränkter Zielgruppe. Die Massen dürfte „Tomboy“ dann eher wegen seiner zahlreichen Holprigkeiten nicht erreichen, auch wenn Hill immerhin stilistisch interessant scheitert.

Während der Film in Deutschland noch nicht zu haben ist und in den USA nur digital, gibt es ihn seit 3. April in Großbritannien auf DVD von dem Label Precision Pictures. Während der offizielle US-Titel inzwischen „The Assignment“ ist, ist die britische DVD unter dem Titel „Tomboy“ erschienen.

© Nils Bothmann (McClane)

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