Originaltitel: The Brood__Herstellungsland: Kanada__Erscheinungsjahr: 1979__Regie: David Cronenberg__Darsteller: Oliver Reed, Samantha Eggar, Art Hindle, Cindy Hinds, Henry Beckman, Nuala Fitzgerald, Robert A. Silverman u.a. |
Cronenbergs „Die Brut“ hat wie fast alles aus seinem Frühwerk viel mit Psychosomatik in Form einer Manifestation psychischer Geschwüre zu tun, die sich zur Überraschung der Betroffenen nicht als Krankheit oder Behinderung herausstellen, sondern zum Arm medialer Verlängerung ausformen; so wie „Die Fliege“ ihren Verfallsprozess zunächst als Weg in den sicheren Tod versteht, um bald doch eine (bei Cronenberg stets negativ konnotierte) Stärke daraus zu schöpfen, dienen die tumorartigen Auswüchse im vorliegenden Film der Optimierung menschlicher Weitervererbungsstrategien.
Obwohl die Überraschungsattacken entstellter Kobolde in Kinderjacken auf überrumpelte Erwachsene klar nach den Mechanismen klassischer Horrorfilme verlaufen, von denen sich Cronenberg spätestens seit „Spider“ (2002), streng genommen aber schon seit „Videodrome“ (1983) zu lösen begann (womit ihm heute möglicherweise ein Verständnis für das eigene Frühwerk abhanden gekommen sein mag), sind bereits endlos verschachtelte Subtexte in den vermeintlich geradlinigen SciFi-Horror-Plot integriert, die ein ganzheitliches, unmittelbares Verständnis für die Geschehnisse erschweren und als Resultat eine gewisse Trägheit mit sich führen; denn das Reißerische eines Genrefilms bricht nur dann hervor, wenn Cronenberg im autobiografischen Modus die Pferde durchgehen und er seine erste Ehefrau, die er einst an eine Sekte verlor, auf der Leinwand im wahrsten Sinne des Wortes erwürgt. Selbst wenn die Entfremdung der Ehefrau von der eigenen Familie zuvor milder illustriert wird, etwa in den Gesprächen zwischen dem Ehemann (Art Hindle) und dem Psychotherapeuten seiner Frau (Oliver Reed), sorgt eine Mischung aus Zorn und Unterkühlung noch für eine vergiftete Atmosphäre. Abseits dieser Szenen wirkt speziell die Kameraarbeit unangenehm objektiv, immer darauf bedacht, das Asymmetrische (die abstrakte Architektur der Polizeistation von Toronto, die wie ein Holzfußboden aussehende Wandverkleidung in Dr. Raglans Demonstrationssaal, die Blumentapeten im Haus der Schwiegermutter) so symmetrisch wie möglich einzufangen.
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So wird die Verfleischlichung geistiger Entitäten anhand eines Buches mit dem Titel „The Shape Of Rage“ vorangetragen, der bei verschiedenen Gelegenheiten ins Bild gerückt wird und für sich genommen bereits Schlüsselbegriff für anregende geisteswissenschaftliche Diskurse sein könnte. Darüber hinaus geht es aber auch noch um das Durchbrechen von Masken: Die erste Szene zeigt ein Rollenspiel zwischen zwei Männern, augenscheinlich Vater und Sohn, gut ausgeleuchtet in einem ansonsten völlig dunklen Raum. Es ist nicht auf Anhieb ersichtlich, worin die Rolle besteht und worin die Natur. Erst spät offenbart Cronenberg mit einem Zoom-Out ein Publikum und es wird deutlich, dass nicht Vater und Sohn in einem Zwiegespräch zu sehen sind, sondern Arzt und Patient. Mit dieser Erkenntnis einher geht eine völlige Irritation des Zuschauers, der fortan in Hauptdarsteller Art Hindle – dies wiederum als Zugeständnis an das gut definierte Regelwerk des Genrefilms – eine Identifikationsfigur findet, die sich voller Verzweiflung durch den Plot bewegt, worin Dinge geschehen, die sich jenseits seines Kontrollbereichs finden.
Insbesondere wenn er sich auf das Mädchen (Cindy Hinds) konzentriert, kann Cronenberg es sich erlauben, die Genreregeln für den Einsatz roter Heringe zu missbrauchen; dass ihre Mischform als Opfer bzw. Medium im Stil des vier Jahre später folgenden „Poltergeist“ und als Kapuzengestalt wie in „Don’t Look Now“ (1973) zur Ablenkung genutzt werden kann, kommt sämtlichen Handlungssträngen und ihrer Verknüpfung zugute. Vor allem lässt er das Publikum lange über die Verbindung des Mädchens mit dem/den deformierten Angreifer(n) im Unklaren. Ein Anorak als Kutte des Bösen? Wenn dem so ist, streut der Regisseur Verdachtsmomente in diese Parallele und schiebt somit die komplette Handlung in eine potenzielle Auflösung, die letztlich so nie aufgelöst wird.
Obwohl „Die Brut“ eigentlich über eine sehr kompakte Struktur verfügt, die sich immer unmittelbar um die Schützerrolle des Vaters dreht, wagt sich der Nebenschauplatz um einen Ex-Patienten (Robert Silverman) ein wenig vom Kern weg, indem er die Unmittelbarkeit und Dringlichkeit des Gebotenen für einen erkenntnisreichen Exkurs kurz verlässt. Dennoch bleibt der Eindruck einer straffen Erzählung, die wenig Entropie benötigt, um ein Maximum an Zusammenhängen zu generieren. Der Eindruck des Schmucklosen kommt nicht von ungefähr, denn was entbehrlich ist, landet gnadenlos auf dem Schneideraum. Mit entsprechender Sorgfalt ist das Übrige zu betrachten; eine Bedeutung hat jede noch so kleine Verschiebung.
Das gleichzeitige Empfinden einer gewissen Trockenheit und einer dennoch unleugbaren emotionalen Aufgewühltheit aufgrund der sehr persönlich dargestellten Themen führt zwar zusammen mit der noch nicht völlig ausgereiften Signatur zu einem etwas unrunden Seherlebnis, dennoch ist „Die Brut“ wohl der erste große Cronenberg nach seinem experimentellen Kokon-Status aus „Stereo“- und „Crimes of the Future“-Zeiten.
Informationen zur Veröffentlichung
Rückblickend haben Wicked Vision vor allem mit dieser 2016er Prestige-Veröffentlichung das Fundament für ihren guten Ruf gelegt und zugleich die Referenz-Formel für zukünftige Veröffentlichungen gefunden. Als einer der bekannteren Filme aus dem Label-Bestand wurde ihm ein besonderer Aufwand zuteil, was eine ganze Menge heißen möchte, bedenkt man, wie umfangreich selbst unbekannte Nischenfilme ausgestattet werden.
Vollständig ausgeschöpft wurden die Möglichkeiten zwar nicht; geplant war einstmals ein 3-Disc-Set, möglicherweise im Digipak mit Hardcover-Schuber und 100-seitigem Booklet. Geworden ist es „nur“ ein 2-Disc-Set im Mediabook; die Aufnahme einer 90-Minuten-Doku über Cronenberg aus den 3sat-Archiven scheiterte an hohen Gebühren, die Sonderverpackung an hohen Produktionskosten, die den Endpreis in die Höhe getrieben hätten. Dennoch: ausgestattet mit dem brillanten Cover von Sam Wolfe Connelly, das bei der bescheidenen Cover-Auswahl für diesen Film die mit Abstand beste mir bekannte Option darstellt, ist das überwiegend in beige gehaltene Mediabook ohnehin schon ein Hingucker; noch dazu ist der (deutsche) Titel mit Gloss-Finish auf die Front gedruckt, so dass man den Titel gegen das Licht gehalten lesen kann, ohne dass er die Wirkung des Artworks generell beeinträchtigen würde. Ebenfalls mit Gloss-Effekt findet sich auf der Rückseite die Tagline „Sie warten… auf dich!“. Minimales Design funktioniert nicht immer, hier ist es aber ein echter Blickfang, auch wenn man nun trotzdem vor dem Problem steht, nicht zu wissen, wo man Infozettel und Deckblatt verstauen soll.
Statt 100 Seiten sind es auch „nur“ 24 geworden, diese werden aber sinnvoll genutzt für einen Text vom üblichen Verdächtigen Marcus Stiglegger. Seine Analyse des „neuen Fleischs“ bringt zwar keine völlig neuen Erkenntnisse mehr, wenn man sich bereits ein wenig in die Diskurse zu Cronenbergs Oeuvre eingearbeitet hat, liefert aber doch eine schlüssige Kontextualisierung seines Gesamtwerks bis „Cosmopolis“.
Bei der Aufbereitung des Films merkt man, dass eine Menge Arbeit eingeflossen ist: Das Bild wirkt stellenweise so scharf wie von einer Neuproduktion, nur vereinzelt macht sich Grundrauschen bemerkbar. Die Farben wirken kräftig und frisch, die Bilddetails erschlagen geradewegs und eröffnen ganz neue Einblicke in den Film. Man kann sich nun darüber streiten, ob ein solches Bild, gerade bei den verwendeten Sepia-Herbsttönen, überhaupt zu einem analogen Filmemacher wie Cronenberg passen; Fakt ist aber, in einem Direktvergleich mit der alten britischen DVD aus dem Hause Anchor Bay eröffnen sich glasklare Unterschiede.
Für die Reproduktion des deutschen Tons soll man bei 0 angefangen haben. Und das hat sich durchaus gelohnt. Ein Dialogfilm wie dieser braucht vor allem klare, präzise Stimmaufteilung und diese könnte man sich von einem fast 40 Jahre alten Film kaum besser wünschen.
Bei den Extras glänzt die Veröffentlichung mit Eigenproduktionen. Den Kern bilden vier Interviews mit ehemaligen Beteiligten am Film: Während Komponist Howard Shore, Produzent Pierre David und Kameramann Mark Irwin Einblicke in die Entstehungsprozesse und in Cronenbergs Arbeitsweise geben, bekommt man durch „Candy“-Darstellerin Cindy Hinds, im heutigen Leben Maklerin, eine interessante Außenseiterperspektive, bei der die Eindrücke am Set aus kindlicher Perspektive geschildert werden.
Mit an Bord ist außerdem eine Super-8-Fassung, diverse Trailer, Programmhefte, Aushangfotos etc. Untertitel liegen in Deutsch und Englisch vor.
Sascha Ganser (Vince)
Bildergalerie von “Die Brut”
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