Originaltitel: Billy Lynn’s Long Halftime Walk__Herstellungsland: USA/Großbritannien/China__Erscheinungsjahr: 2016__Regie: Ang Lee__Darsteller: Joe Alwyn, Kristen Stewart, Chris Tucker, Garrett Hedlund, Vin Diesel, Steve Martin, Beau Knapp, Jackie Dallas, Ismael Cruz Cordova, Makenzie Leigh, Deirdre Lovejoy, Tim Blake Nelson, Bruce McKinnon u.a. |
Vier Jahre nach seinem oscarprämierten und relativ öffentlichkeitswirksam gestarteten „Life of Pi“ drehte Ang Lee dieses Drama mit Irakkriegbezug, das kaum auf dem Radar auftauchte, abgesehen von einer Diskussion um technische Aspekte.
„Die irre Heldentour des Billy Lynn“, im Original kaum unkomplizierter „Billy Lynn’s Long Halftime Walk“, wurde nämlich in wenigen, ausgewählten Kinos mit einer High-Frame-Rate-Optik mit 120 Frames pro Sekunde gezeigt, die den Film unmittelbarer und realistischer, aber nach Meinung mancher Kritiker auch unfilmischer wirken ließen. Davon ist auf der DVD nichts mehr zu sehen, es passt aber zu einem Film, dessen größtes Kennzeichen seine Unmittelbarkeit ist. So wirft die erste Szene den Zuschauer auch kontextlos ins Geschehen und zeigt ein uninszeniert-authentisch scheinendes Kamerabild, die Aufnahme davon wie ein Soldat einem Kameraden zu Hilfe eilt, der von Gegnern bedroht wird.
Erst danach wendet der Film sich seinem titelgebenden Event und seiner Hauptfigur zu, die sich als der zu Hilfe eilende Soldat aus dem Video erweist: Billy Lynn (Joe Alwyn). Billy und seine Einheit Bravo Squad haben gerade Fronturlaub bekommen, den die US-Army im Jahre 2004 nach Veröffentlichung besagten Videos als PR-Tour zur Stärkung der amerikanischen Moral daheim nutzen will. Also soll die Einheit im Allgemeinen und Billy Lynn im Besonderen für einen PR-Auftritt in der Halbzeit eines Footballspiels herhalten, an der Seite der Popband Destiny’s Child, eingefädelt von Teambesitzer Norm Oglesby (Steve Martin), begleitet von PR-Producer Albert Brown (Chris Tucker), angeführt von Sergeant Dime (Garrett Hedlund). Sergeant Virgil ‘Shroom‘ Breem (Vin Diesel), der im Video Gerettete, hat es dagegen nicht lebend in die Heimat geschafft.
So begleitet der Film Billy und die seinen durch das Event, wobei es immer wieder Rückblenden zu Billys Familienleben, insbesondere mit seiner Schwester Kathryn (Kristen Stewart), seiner Ausbildung und vor allem den Geschehnissen im Irak zurück gibt…
httpv://www.youtube.com/watch?v=EqfXVbR8oZc
„Die irre Heldentour des Billy Lynn“ fängt gelungen ein Stimmungsbild der jüngeren Vergangenheit ein, in der effektiv die Show- und Konsumwelt der USA mit der harten Realität des Krieges kontrastiert wird, den die Soldaten wider eigener Erfahrungen als gute Sache verkaufen sollen. Viele sind aus wirtschaftlichen Überlegungen, nicht aus patriotischer Überzeugung Soldaten geworden und noch halbe Kinder, die der ebenso strenge wie fürsorgliche Dime als Vaterersatz erzieht, dabei sowohl deren Wohl als auch kriegerischen Erfolg im Blick, womit Dime eine ausgesprochen gelungen nuancierte Figur ist, ähnlich wie sein Kollege Shroom, der gleichzeitig hartes Frontschwein und Anhänger des Buddhismus ist. In einer pointierten Szene zeigt Lee dann mit welchen die Phrasen die Soldaten bei einer Pressekonferenz auf Fragen zu ihrem Einsatz antworten und in kontrastierenden Schwarz-Weiß-Bildern wie die akkurateren, meist unflätigeren und weniger heroischen Antworten lauten müssten.
Trotz derartiger Botschaften und Verweisen auf oft unbehandelte posttraumatische Störungen bei Veteranen ist „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ weniger ein politischer Film, sondern eher eine gelungene, teilweise auf angenehme Weise flüchtige Momentaufnahme aus dem Leben Billys, die vor allem durch die bereits erwähnte Unmittelbarkeit überzeugt. Billy, selbst eher zufällig zum Helden geworden, ist als 19jähriger fast noch ein Kind, hin- und hergerissen zwischen Einflussfiguren wie seinen Vorgesetzten, seinem den Krieg befürwortenden Vater und seiner linksliberalen Schwester, wobei der Kontrast dadurch noch verstärkt wird, dass er seinen Sold dafür ausgibt um die hohen Behandlungskosten für seine Schwester zu bezahlen. Es tauchen hohle Gratulanten zu Billys Heldenruhm auf, auf welche die Soldaten eher als weltfremde Enthusiasten herabblicken, die Cheerleaderin Faison (Makenzie Leigh), die – wie Billy bald schmerzhaft feststellen muss – eher am medial vermittelnden Heldenbild Billys interessiert ist als an Billy als Person, Norm und all die anderen, welche die Heldentat im Irak marketingtechnisch ausschlachten wollen und den Soldaten das Blaue vom Himmel versprechen. Alles negative Figuren, und doch Ang Lee in seiner Kritik am Irakkrieg und dem damit verbundenen Attitüden nicht allzu forcierend, erlaubt sich nuancierte Einblicke und stößt den Zuschauer nicht mit dem Holzhammer auf die Themen.
So bleibt es auch nur eine Momentaufnahme ohne zwingende erzählerische Stoßrichtung, ohne allzu große Einordnung in weitere Kontexte und mit teilweise unaufgelösten Konflikten, weshalb „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ dann unterm Strich auch nicht das ganz große Drama ist, was allerdings auch zu der Leichtigkeit passt, mit der Lee seinen Film erzählt. Ebenso wichtig für die Erzählung ist auch der technische Aspekt, der über die HFR-Optik hinausgeht: Plansequenzen, eine Kamera, die dem Helden folgt und den Zuschauer dabei mehr oder wenige in seine Perspektive zwingt, kleine Verfremdungen, die aber den Zuschauer nicht hinauswerfen, sondern eher in Billys Gedankenwelt hineinzwingen, um nur einige Stilmittel zu nennen. So sind auch die wenigen Kriegsszenen eher ein Vermittlung von Billys Eindrücken und weniger leinwandfüllendes Spektakel, eher introspektiv als exzessiv.
Dabei ist die Besetzung der Titelrolle mit einem Filmdebütanten natürlich ein Wagnis, doch in „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ geht es auf. Joe Alwyn ist nicht nur gut, sondern seine Unbedarftheit inmitten lauter dem Zuschauer bekannter Gesicht passt auch bestens zur Rolle. Extrem stark ist Garrett Hedlund („Vier Brüder“) als facettenreicher Sergeant, während Kristen Stewart („American Ultra“) erneut beweist, dass sie in Independentrollen Akzente zu setzen weiß. Actionstar Vin Diesel („The Fast and the Furious 8“) hat einen besseren Cameo als harter Hund mit Herz, absolviert den aber mehr als brauchbar, und Chris Tucker weiß, wie schon in „Silver Linings Playbook“, die dauerbrabbelnde Hustler-Attitüde seiner früheren Rollen gewinnbringend in anderen Kontexten einzusetzen. Etwas enttäuschend dagegen ist einseitige Performance von Steve Martin („Der rosarote Panther“) als Geldsackgastgeber, was aber auch am Drehbuch liegt – die negativen bis einfältigen Figuren werden mit weitaus weniger Finessen und Abwägungen gezeichnet als die Hauptcharaktere.
Doch trotzdem allem ist „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ ein gelungener Einblick sowohl in die Psyche seiner Hauptfigur, in das amerikanische Lebensgefühl seiner Zeit und die PR-Maschinerie hinter der Fabrikation von Kriegshelden, ähnlich wie Clint Eastwoods noch etwas besserer „Flags of Our Fathers“. Nie zu schwermütig oder thesenhaft, wenn auch in manchen Figurenzeichnungen etwas zu einfach; ein kleiner Film, der nie das ganz große Drama oder ein Augenöffner sein will, aber damit gut fährt.
Sony hat den Film auf DVD und Blu-Ray veröffentlicht, ungekürzt ab 12 Jahren freigegeben. Das Bonusmaterial umfasst ein paar Making Ofs und entfallene Szenen.
© Nils Bothmann (McClane)
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