Originaltitel: It__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2017__Regie: Andrés Muschietti__Darsteller: Bill Skarsgård, Jaeden Lieberher, Jeremy Ray Taylor, Sophia Lillis, Finn Wolfhard, Wyatt Oleff, Chosen Jacobs, Jack Dylan Grazer, Nicholas Hamilton, Jackson Robert Scott, Javier Botet, Owen Teague u.a. |
Im Herbst des Jahres 1988 wird in der amerikanischen Kleinstadt Derry ein kleiner Junge ermordet. Sein großer Bruder Bill (Jaeden Lieberher) kann den Verlust nicht verkraften; er gibt sich selbst eine Teilschuld an dem grausamen Tod. Von seinen Eltern, die selbst in Trauer um ihren Sohn versunken sind, erhält er keine Unterstützung.
Den darauffolgenden Sommer verbringt er mit neu gewonnenen Freunden, die ihm bei der Verarbeitung der Geschehnisse eine große Hilfe sind: Ben (Jeremy Ray Taylor), Richie (Finn Wolfhard), Eddie (Jack Grazer), Mike (Chosen Jacobs), Stanley (Wyatt Olefs) und Beverly (Sophia Lillis), sie alle sind auf ihre Art gesellschaftliche Außenseiter und bringen Verständnis für die Probleme der Anderen auf. Der Sommer 1989 sollte für sie eine wundervolle Zeit sein, doch ein unheimlicher Clown (Bill Skarsgård) zerstört endgültig ihr Vertrauen in das Gute. Er ist der Mörder von Bills Bruder, und der “Club der Verlierer” muss großen Mut beweisen und Zusammenhalt bewahren, um sich ihm in einem Kampf gegenüberzustellen und ihn überleben zu können…
In Deutschland gerade erst gestartet, ist die halbe Milliarde weltweit bereits im Sack. „ES“ ist jetzt schon der kommerziell erfolgreichste R-Rated-Horrorfilm aller Zeiten – zwar nicht inflationsbereinigt, aber trotzdem längst jenseits der kühnsten Träume, die Warners beste Traumkonstrukteure jemals hätten errechnen können. Nachdem zuletzt aufgeblasene Action-Epen wie „Avatar“, „The Fast And The Furious XY“ und etliche Superheldenfilme die Rekordbrecher waren, ist es inzwischen verdammt lange her, dass ein Film die Lorbeerfelder auch tatsächlich verdient, die es einheimst. Jetzt ist es endlich wieder soweit.
Ein Blick ins Kinorund zeigt zwar, dass der Erfolg nicht ausschließlich Zuschauern zu verdanken ist, die tatsächlich die Verdienste dieses Werks zu schätzen wissen. Es ist einfach ein Event geworden, ihn im Kino mitzunehmen, besonders wenn man vorher in den Youtube- und Facebook-Kommentarspalten unter dem zahllos oft aufgerufenen Trailer über das Phänomen „Gruselclown“ gefeixt hat. Gelächter an den falschen Stellen, offensichtliche Fehlinterpretationen vermeintlich gewollt gruseliger und ungewollt komischer Szenen, Kommentare wie „ist das eine Komödie?“, die lediglich die eigene Unsicherheit verraten… wem Kings Novelle am Herzen liegt und wer alle Erfahrungen hüten möchte, die mit ihr zusammenhängen, der sieht sich beim Gemeinschaftserlebnis Kino aktuell vielleicht nicht in bester Gesellschaft (je nach Spielort und Zeitpunkt). Aber man kann sich zumindest darüber freuen, dass auch diese Zuschauer die kommende Fortsetzung finanzieren und somit sicherstellen, dass die Clown-Mär jetzt mit den bestmöglichen Mitteln abgeschlossen werden kann.
Schaut in den Horror-Hit “Es” hinein
httpv://www.youtube.com/watch?v=D1M7BXPlEt0
Nicht, dass Muschiettis erster Akt nicht auch für sich alleine stehend ziemlich rund gewesen wäre. Es wäre eine Unvollendete geblieben, aber von erstaunlicher Sauberkeit. „Wenn ES zurückkehrt…“, spricht eines der Kinder am Ende aus. Wenn. Falls. Und dabei bleibt es. Keine dumme Endsequenz mit glühenden Augen, kein anschwellender Score, der verrät, dass es noch nicht vorbei ist… einfach nur dieser Kreis der Verlierer irgendwo in einem Feld, während die Nachmittagssonne bereits tief am Horizont steht und das Ende des Sommers symbolisiert. Es ist gerade die Unsicherheit bezüglich der Zukunft, die auch in Kings Erzählung den Bruch ausmacht, diese Genugtuung über einen Zwischenerfolg, ohne sich direkt darum zu scheren, was in 27 Jahren weiter passieren wird. Es ist eben eine für ein 14-jähriges Kind dermaßen lange Zeitspanne, dass sie ihm völlig irreal erscheint.
Gerade beim Einfühlen in diese Perspektive wurde Muschietti mit der TV-Verfilmung ein schwerer Brocken als Hypothek auferlastet. In satten drei Stunden, von denen netto mindestens die Hälfte (eher mehr) auf die Jugendzeit der 50er Jahre fiel, konnte man sich damals in den 90ern alle Zeit der Welt nehmen, um in die kindliche Weltsicht einzutauchen und die Ewigkeit einer einzelnen Jahreszeit einzufangen. Die TV-Adaption wurde aus zwei Gründen nie vergessen: Erstens, weil Tim Curry eine der wichtigsten Horrorikonen der Filmgeschichte erschaffen hat. Und zweitens, weil es außer den „Goonies“ und „Stand By Me“ kaum einem Film gelungen ist, den Begriff „Coming Of Age“ so sehr zu prägen, erst recht keinem solchen, der fürs Fernsehen produziert wurde.
Verbesserungspotenzial wurde dem Erwachsenenteil zugestanden (der uns noch bevorsteht), nicht einem der oben genannten Punkte. Tim Curry zu übertreffen, sollte ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit sein, aber auch das Erleben der Kinder in solcher Intensität nachzuzeichnen, traute man weder dem „Mama“-Regisseur noch sonst irgendwem zu. Kritik gab es prompt für die Entscheidung, auf die Flashback-Erzählweise zu verzichten und sich ganz auf den Kinderteil zu konzentrieren. Dabei hätte man keine bessere Entscheidung treffen können. Unterstützt von durchweg guten bis brillanten Kinderdarstellern saugt Muschietti uns mühelos in Derry hinein. Er hindert uns wenigstens in diesem Moment an Analysen und Vergleichen mit der Vorlage, soweit es eben möglich ist. Es gibt nur diesen Ort irgendwo tief im amerikanischen Norden, bevölkert von einem Mikrokosmos aus Kindern, die sich in der Schule versammeln und bei Schulschluss alle auseinandergehen, um sich ihren Einzelschicksalen zu stellen. Die Erwachsenen sind überwiegend Teilnahms- und Ziellose; in gewisser Weise gilt die schaurige Catch Phrase „You’ll Float Too“ bereits längst diesen Menschen, an denen ES nicht interessiert ist, weil sie ohnehin längst nicht mehr richtig leben, sondern nur noch wie Zombies auf Erden wandeln. Und wenn einige dieser Exemplare doch noch nicht von der Lethargie befallen sind, walten zerstörerische Kräfte in ihnen, die das Leben ihrer Kinder zum Alptraum machen.
Als King dieses Szenario zeichnet, macht er das mit einer bewussten Betonung eines Schwarz und Weiß, eines reinen Gut und eines unsagbar Bösen, dessen Verkörperung Pennywise schlussendlich ist. Die Verfilmung hält sich in diesem Punkt extrem nah an die Vorlage und fühlt sich in solchen Augenblicken wie die ideale Buchadaption an. Dem Drehbuch gelingt es, ein jedes Mitglied des immerhin siebenköpfigen „Club der Verlierer“ isoliert zu betrachten und seine Persönlichkeit und Erfahrung anschließend in die Gruppe einzubringen. Zu den größten Herausforderungen des Romans gehörte es, das grausame Handeln Einzelner, dargestellt stets als Schwächen, mit der abgrundtiefen Bösartigkeit des Clowns zu verknüpfen, der trotz seiner humanoiden Maskerade, so zeigt der Fortgang der Handlung, nichts annähernd Menschliches in sich trägt, oder wenn, dann bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert. Die Kinder müssen sich nicht nur mit dem Entdecken ihrer eigenen Identität beschäftigen, sondern auch mit Schlägern in der Schule, den Problemen im Elternhaus und letztlich auch noch einer übernatürlichen Manifestation der daraus entstehenden Ängste.
Genau hier entfaltet der Film seine volle Brillanz: Welcher Film kann schon von sich behaupten, sieben ausgereifte psychologische Portraits in einem 135-Minuten-Film miteinander zu verknüpfen und dann auch noch die Zeit zu haben, dies mit Genre-Elementen zu verknoten? Zugegeben, bei einem Eddie Kaspbrak (Jack Grazer) fallen eklatant wichtige Handlungsstränge unter den Tisch, Stanley Uris (Wyatt Oleff) bleibt eine blasse Gestalt an der Linie und Richies (Finn Wolfhard) Einzelbegegnung mit Pennywise fällt arg flapsig aus, womit der Clown es verpasst, Richies Schlagfertigkeit einen Schuss vor den Bug zu setzen. Noch nicht Auserzähltes könnte aber noch im Director’s Cut oder auch in den Rückblenden im kommenden zweiten Teil nachgeholt werden (vermutlich wieder die richtige Entscheidung, hier nicht ausschließlich auf die Erwachsenen zu setzen) und dass Stan blass bleibt, gehört immerhin zu seinen Charaktereigenschaften; dass er es ist, der den Klub in der Verbrüderungsszene als erstes verlässt, wird exakt so inszeniert, wie es inszeniert werden muss: Still und unbemerkt. Im Gegenzug liefern insbesondere Sophia Lillis als Beverly und auch Finn Wolfhard als Richie Außergewöhnliches ab.
Als Reaktion auf diese Stärken wird „ES“ in der Rezeption nun hauptsächlich als Coming-Of-Age-Drama betrachtet, die Horror-Elemente werden im besten Fall als Katalysatoren betrachtet und Bill Skarsgårds Leistung wohlwollend anerkannt, im schlechtesten Fall werden sie als simple Jump Scares abgelehnt und als überflüssig erachtet. Skarsgård hatte schon mit Aufkommen der ersten Teaser-Poster schlechte Karten. Wenn das Informationszeitalter eine Unart mit sich gebracht hat, dann ist es die voreilige Meinungsbildung auf Grundlage kleinster Informationsfetzen. Weil der Clown auf dem ersten Poster gewollt böse guckte und diabolisch grinste, sprach man ihm bereits die Ausstrahlung ab. Nichts könnte ferner von den finalen Tatsachen sein. Skarsgård ist ein hervorragender Pennywise, das macht er bereits in der Eröffnungssequenz mit Georgie und dem Paraffin-Schiff deutlich. Er schielt, sabbert, kichert, erfüllt dabei zunächst alle Massenmörder- und Kindesentführer-Klischees. Er freundet sich mit dem misstrauischen Jungen im gelben Regenmantel durch den Kanalisationsschacht hindurch an, verwickelt ihn in ein Gespräch über Popcorn und Zuckerwatte, übertüncht die surreale Situation, ein Clown in einem Abwasserkanal zu sein, mit süßlichem Smalltalk – und spätestens, als er für einen Moment innehält und ins Leere blickt, als sei der Geist aus der Maschine entflohen, hat Skarsgård die Figur verinnerlicht. Was er liefert, ist mehr als die Imitation der üblichen Joker-Marotten, es gelingt ihm, die totale Absurdität in der mimisch begrenzten Maske eines Clowns festzuhalten und eine Ahnung vom unvorstellbaren Grauen zu geben, das hinter der Schminke lauert.
Tim Currys zynische Verhohnepiepelung attackiert er gar nicht erst, sondern sucht nach einem eigenen Weg, der dem Clown aus dem Buch wesentlich näher ist als Curry, der auf seine Art so großartig bleibt wie eh und je; doch in diesem Film vermisst man ihn nicht. Dass Pennywise dabei auch mal Humor walten lässt, wurde gerne missverstanden; sinnbildlich in der Tanzszene, die keinesfalls reinen Horror transportieren soll, sondern im Gegensatz von Witz und Grusel in erster Linie gemäß des Uncanny-Valley-Effekts befremden und verwirren soll. Muschietti sorgt dabei immer wieder für die notwendigen Fratzen, die visuellen Tricks und eine hohe Varietät in der Erscheinung des Gestaltwandlers, der nicht nur in unterschiedlichen Inkarnationen eine gute Figur macht (genau wie man ihn sich beim Lesen vorgestellt hat: Javier Botet als Leprakranker), sondern sogar als Clown an sich in unzähligen Variationen auftritt, von denen vielleicht nur wenige wirklich angsteinflößend sind (die Dia-Szene möglicherweise), allesamt jedoch ein absoluter Hochgenuss, den man bis zum letzten Frame auskostet. Lange konnte man einen Villain nicht mehr so feiern wie diesen.
Das Zusammenspiel aus Horror und Coming-Of-Age funktioniert dann auch noch so nahtlos, dass nicht mehr allzu viele Wünsche übrig bleiben. „ES“ bietet bislang die besten 135 Minuten des Kinojahrs. Sicher, auch die Überlänge reicht noch nicht, damit man rundum glücklich sein darf, doch angesichts der begrenzten Hoffnungen und aller Vorzeichen (nicht zuletzt jenes mit dem Namen „Der Dunkle Turm“) ist „ES“ ein nicht für möglich gehaltenes Meisterstück des argentinischen Regisseurs und nicht zuletzt eine brillante Adaption, die den Kern des Werkes durchgängig begriffen hat.
Sascha Ganser (Vince)
“ES” läuft seit dem 28.09.2017 in den deutschen Kinos. Eine Heimkinoveröffentlichung ist für Februar 2018 geplant.
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