Originaltitel: シン・ゴジラ / Shin Gojira__Herstellungsland: Japan__Erscheinungsjahr: 2016__Regie: Hideaki Anno, Shinji Higuchi__Darsteller: Hiroki Hasegawa, Yutaka Takenouchi, Satomi Ishihar, Ren Ôsugi, Akira Emoto, Kengo Kôra u.a. |
Tokyo, heute: Ein monströses Amphibienwesen erhebt sich aus den Gewässern vor der Küste und bewegt sich auf die Stadt zu. Das japanische Militär ist auf eine solche Ausnahmesituation nicht vorbereitet. Es versucht, Notfallpläne im Umgang mit Naturkatastrophen anzuwenden, doch die Kreatur trotzt allen Gegenangriffen scheinbar mühelos – und steht dabei noch im ersten Evolutionsstadium…
„Shin“ kann je nach Kontext vieles bedeuten: „neu“, „echt“, „evolutionär“. „Shin Godzilla“ markiert in jedem Fall eine Zäsur innerhalb der Toho-Serie, da sich dieser jüngste Eintrag nicht mehr in erster Linie als Teil einer Tradition betrachtet, sondern im Kinderzimmer Marke „japanische Großstadt“ einmal richtig aufräumt und alles wieder brav bis zur Turmspitze aufbaut, um die Hochhäuser unter neuen Vorzeichen wieder einzureißen.
Die Vorzeichen, das sind die Nuklearkatastrophe von Fukushima (2011), das Erdbeben von Tōhoku (ebenfalls 2011) und natürlich Gareth Edwards US-Neuverfilmung (2014), die sich selbst bereits deutlich von diesen realen Ereignissen der jüngeren Geschichte beeinflusst zeigte.
Entsprechend konsequent ist Hideaki Anno in seiner Funktion als Drehbuchautor und Teilregisseur (neben Special-Effects-Macher Shinji Higuchi) darin, den japanischen Militärapparat beim Hadern im Umgang mit unvorhergesehenen Katastrophen zu zeigen. Dass der Kult um die seit über 60 Jahren wütende Riesenechse zugunsten von Reboot-Eigenschaften ausgeklammert wird, hat sicherlich zur großen Beachtung hierzulande beigetragen; schon das unorthodoxe Monsterdesign weckt die Neugier auf den längst überfälligen Bruch mit der Suit-Motion, deren unterschiedliche Inkarnationen nur Kenner zu unterscheiden wissen. Zugleich hat es aber eine story-bedingte Berechtigung: Je unbekannter der Angreifer und je unvermittelter der Angriff, desto größer die Ohnmacht des Militärs.
Man kann das end- und ziellose Geschwafel von überforderten Entscheidungsträgern in grauen Büros voller Computer, Bildschirme und hektisch durch die Gänge irrender Mitarbeiter zu Recht völlig uninteressant finden, denn sie nehmen einen überproportionalen Anteil der Gesamtlaufzeit ein und führen im Wesentlichen zu nichts. Verweise auf eine amerikanische Souveränität, die über jene Japans verfügt, klingen an, die wenigen klugen Köpfe in Form der Hauptdarsteller werden von den Zweiflern überstimmt, aus denen sich die Uniform tragende Masse zusammensetzt.
Schaut in den Godzilla-Streifen “Shin Godzilla” hinein:
httpv://www.youtube.com/watch?v=2uPA24TrTfs
Der Grund für die Ratlosigkeit, das Monster, wird in kleinen Häppchen präsentiert und kündigt sich jeweils in unterschiedlichen Evolutionsstufen an. Die erste ist zugleich die kurioseste und hat viel Häme bezüglich der suboptimalen CGI-Umsetzung erfahren. Tatsächlich mutet Godzilla im Larvenstadium an wie ein verwirrter Molch aus einem Samstagnachmittags-Cartoon, doch genug Abstraktionsvermögen vorausgesetzt, vermittelt es die Quintessenz der Schöpfung „Godzilla“ wie keines seiner späteren Entwicklungsstadien. Gerade der Design-Unfall, als der das schielende, rotes Sekret in Flutwellen absondernde Reptil die Gewässer verlässt und an Land kriecht, unterstreicht, wie eindeutig es nicht an diesen Platz oder überhaupt auf diesen Planeten gehört. Das Impulsgesteuerte, das aus seinen ausdruckslosen Fischaugen strahlt, behauptet weder Bösartigkeit noch verrät es Eroberungs- oder Fressinstinkte, es lässt die vom Menschen erbaute Stadtwelt lediglich wie ein fragiles Gerüst aus Stufen erscheinen, die sich dem massigen Wesen wie bedeutungslose Duplosteine präsentieren. Wenn man Empathie für Godzilla empfinden kann, der sich im Vergleich mit einem King Kong ungleich weniger als emotionaler Spiegel eignet, dann über das pessimistische Verständnis eines fehlgeleiteten Kreationismus, der Zerstörung für die Heimgesuchten bedeutet und völlige Isolation des Heimsuchenden, aus der letztendlich die Sinnlosigkeit seiner Existenz resultiert.
Fukushima und Tōhoku manifestieren sich dann mit jedem Stadium deutlicher, als Godzilla, inzwischen wesentlich beeindruckender umgesetzt, in mächtigen Panoramawinkeln an der Skyline Tokyos wütet. Betonbrocken zerschmetterter Wolkenkratzer knallen auf die Straße, bunte Laserstrahlen bahnen sich den Weg durch alles wie Butter, egal ob Luft oder Stein. Mit spitzen Nadelzähnen, eingesunkenen Augen, einem rot pulsierenden, wulstigen Körper und einem Schwanz, der ebenso massig ist wie das eigentliche Tier, hebt sich das Creature Design deutlich von den Millenniums, Heiseis und Shōwas ab und untermauert seine Ambitionen auf einen kompletten Neustart. So gewöhnungsbedürftig der Anblick zu Beginn erscheint, so überzeugend fällt er aus, selbst wenn die Umsetzung nicht immer den höchsten Ansprüchen genügt, insbesondere nachdem der neue US-Godzilla die Messlatte diesbezüglich weit nach oben gehängt hat. Lange Zeit bleibt auch der berühmte Godzilla-Schrei aus, fast so, als möchte man ihn sich für einen besonders dramatischen Moment aufheben (ähnlich, wie sich Edwards den radioaktiven Strahl bis zum Ende aufgehoben hat als jenen Aspekt der Vorlage, der dem angestrebten Realismus vielleicht am meisten widerspricht).
Glücklicherweise fällt dem Drehbuch nach zwei Dritteln noch der ein oder andere Kniff ein, mit dem der Kreislauf aus Zerstörung und panischer Beiwohnung unterbrochen wird, denn gemessen an der Gesamtlaufzeit fühlen sich die fraglos überaus vergnüglichen Auftritte der Titelfigur viel zu kurz an. Es darf auch bezweifelt werden, dass es nach Edwards oft kritisierter Versteckspiel-Strategie eine kluge Entscheidung war, die japanische Anwartschaft auf das Dominieren der eigenen Marke mit vergleichbarer Armut an sichtbarem Spektakel zu gestalten. Dennoch ist „Shin Godzilla“ mehr als nur eine halbgare Reaktion auf Hollywood, eine durchaus relevante Neubelebung nämlich.
Sascha Ganser (Vince)
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