Originaltitel: Pleasantville__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1998__Regie: Gary Ross__Darsteller: Tobey Maguire, Reese Witherspoon, William H. Macy, Joan Allen, Jeff Daniels, J.T. Walsh, Giuseppe Andrews, Jenny Lewis, Marissa Ribisi, Jane Kaczmarek, Denise Dowse, Paul Walker u.a. |
Als Drehbuchautor von Komödien mit Herz und nachdenklichen Zwischentönen wie „Big“ und „Dave“ hatte sich Gary Ross etablieren können, weshalb man ihn 1998 bei einer solchen erstmals Regie führen ließ: „Pleasantville“.
„Pleasantville“ ist nicht nur der Name des Films, sondern auch der jener intradiegetischen Fifties-Sitcom, die Teenager David (Tobey Maguire) mit Freude verschlingt. Der ist ein Nerd, der sich gern in die Heile-Welt-Idylle der TV-Welt flüchtet und in seiner Highschool den garantierten Uncoolheitsfaktor hat. Seine Schwester Jennifer (Reese Witherspoon) ist das genaue Gegenteil: Eine beliebte Schülerin, mit Sex-Appeal und -Erfahrung. Als diese ihren Freund zum Fernsehabend einlädt, hat sie natürlich das Konzert auf MTV im Sinn, während David eigentlich einen „Pleasantville“-Marathon glotzen möchte, obwohl er die Folgen quasi auswendig kennt. Ein ganz normaler Topos des Teenagerfilms eigentlich: Die ungleichen Geschwister, welche die Gedankenwelt des anderen erst kennen und akzeptieren lernen müssen.
Im Gegensatz zu den meisten herkömmlichen Teeniekomödien führt dieser Weg in „Pleasantville“ allerdings im wahrsten Sinne in eine andere Welt (und aus dem Genre der Teeniekomödie hinaus). Als sich das Duo nämlich um die Fernbedienung streitet, geht diese in die Binsen. Wie auf Bestellung steht bereits ein Fernsehmechaniker (Don Knotts) vor der Tür, der von Davids „Pleasantville“-Wissen begeistert ist und ihnen eine neue Fernbedienung dalässt. Als sie diese bedienen, befördert sie ein Knopfdruck allerdings mitten ins Fernseherzeugnis der 1950er, in die Rollen der Protagonisten Bud und Mary Sue Parker, ebenfalls Geschwister und die Kinder von George (William H. Macy) und Betty (Joan Allen). Hier ist auch ein formaler Clou zu verzeichnen: Stilecht ist die Filmwelt des intradiegetischen „Pleasantville“ in schwarz-weiß gehalten.
Da der verschrobene Fernsehmann die Übersiedlung nach Pleasantville für Davids sehnlichsten Wunsch hielt und gar nicht an eine Rückholung denkt, stecken die Geschwister in der Serie fest. Sie wollen die vorgeschriebenen Rollen ausfüllen, doch schon bald sorgt vor allem Jennifers Nonkonformismus für Leben in der Bude – und Farbtupfer im schwarz-weißen Pleasantville…
httpv://www.youtube.com/watch?v=514Ihcj1qAI
Man kann bei „Pleasantville“ und seiner Prämisse an Werke wie „Last Action Hero“ und „The Purple Rose of Cairo“ denken, in denen die Konventionen medialer Welten und reale Menschen aufeinandertreffen. Mit letzterem teilt sich der Film auch Jeff Daniels, der bei Woody Allen noch irritiert in die Realität kam, in „Pleasantville“ aber innerhalb der Fiktion ähnlich planlos dasteht: Sein Dinerbesitzer ist in den Routinen der Serie so gefangen, dass er immer verwirrt ist, wenn Bud/David sich nicht genau an (Zeit-)Abläufe hält. Dabei treibt „Pleasantville“ wie die oben genannten Werke ein Spiel mit Konventionen, die durch die Grenzüberschreitung zwischen unserer und der Fernsehwelt gebrochen werden: In Pleasantville, wo jeder Korbwurf beim Basketball ein Treffer ist und die Fifties-Idylle mit dreifachem Zuckerguss serviert wird, lernen die Einwohner auf einmal die Bedeutung von Sex kennen und die Feuerwehr muss tatsächlich mal zum Löschen und nicht zum Katze-aus-dem-Baum-Retten ausrücken. Genau aus diesem Gegensatz zieht „Pleasantville“ einen Großteil seiner Komik, denn die Einwohner sind in Serienkonventionen ebenso gefangen wie in einer überidealisierten Vorstellung der 1950er, sodass jede noch so kleine Veränderung riesige Irritationen auslöst.
Genau diese Veränderungen sind nicht nur Teil der Komik (die beim Aufmischen der Fifties durch gegenwärtige Teens eine leichte Seelenverwandtschaft zu „Zurück in die Zukunft“ erkennen lässt), sondern auch zentrales Thema des Films: Die Pleasantville-Bewohner lernen abseits festgefahrener Routinen und Konventionen zu funktionieren, Individualität und Bedürfnisse zu entdecken. Genau diese Befreiung schlägt sich auch im visuellen Stil des Films nieder: Die veränderten Einwohner und andere Gegenstände sind plötzlich in Farbe, erst als kleine Farbtupfer in der Schwarz-weiß-Welt, später in größerer Zahl. Dabei erweist sich „Pleasantville“ als ungewöhnlicher Effektfilm: Abseits von dicken Explosionen oder Raumschlachten ist der Film voller digital bearbeiteter Shots, um die Pleasantville-Welt und ihr Farbkonzept auf die Leinwand zu bringen.
Das ist mehr als Spielerei, sondern eben mit der besagten Message eng verknüpft. Doch nicht nur die Pleasantville-Bewohner verändern sich, auch Jennifer und David sind Transformationen unterworfen. Beide müssen aus ihren Rollen und Konventionen brechen, David aus der des stillen Nerds, der alles hinnimmt, Jennifer aus der Rolle der forciert Abgeklärten, der alles egal ist. So sind die anfänglichen Verfärbungen zwar durch sexuelle Kontakte ausgelöst, weshalb es Jennifer wundert, dass sie trotz ihrer entsprechenden Erfahrungen schwarz-weiß bleibt. Aber es geht eben um mehr, um das Standhalten gegenüber gesellschaftlichen Erwartungen, sodass sie genau wie David erst dann in Farbe erscheint, als sie sich selbst und eine eigene Identität gefunden hat.
Wie in der Realität erzeugt Veränderung aber gesellschaftlichen Gegendruck, etwa durch verständnisarme Ehemänner, die eine Lebenskrise kriegen, wenn abends kein gemachtes Essen auf dem Tisch steht. Dabei sieht „Pleasantville“ von einfachen Feindbildern ab, zeigt selbst bei späteren Ausschreitungen die Aggressoren einfach nur als Verschreckte, die Veränderung aufgrund der Furcht vor dem Unbekannten ablehnen. Allerdings ist die dabei verfolgte Bügerrechts- und Rassismusmetaphorik manchmal etwas unsauber, wenn die „Farbigen“ ausgegrenzt werden und es sogar zu einer Bücherverbrennung kommt, ehe dann urplötzlich eine doch recht versöhnliche Lösung gefunden wird. Zudem ist „Pleasantville“ in manchen Punkten auch erzählerisch nicht zu Ende gedacht: Was sind die Motive des Fernsehmechanikers? Nehmen Zuschauer die Veränderung wahr oder nur der Mechaniker? Vergeht die Zeit in der Realität oder bleibt sie während des Pleasantville-Aufenthalts stehen? Und wie will es eine der beiden Protagonistenfiguren am Ende des Films erklären, wenn sie aus Pleasantville in die Realität zurückkehrt, die andere Figur dagegen (vorerst) dort bleibt?
Aber solche Fragen sind letztendlich zweitrangig angesichts dieses charmant-witzigen Plädoyers für Individualität, das auch von seinen Darstellern lebt. Mit Tobey Maguire („Spider-Man“) und Reese Witherspoon („Inherent Vice“) sind zwei spätere Stars in den Hauptrollen besetzt, die sich freudig die Bälle als streitendes, aber letzten Endes zusammenhaltendes Geschwisterpaar zuwerfen. Unter den Nebendarstellern punktet vor allem Jeff Daniels („Looper“) als herzensguter Diner-Wirt, der dem größten Wandel vom Routinemenschen zum expressiven Künstler durchmacht. William H. Macy („Blood Father“) als begossener Spießerpudel ist in seiner Paraderolle gecastet, macht das aber gewohnt famos, während Joan Allen („Face/Off“) eine eingängige Performance abliefert, die vielleicht die geerdeste des ganzen Films ist: Die einer 1950er-Ehefrau, die ihre eigenen Bedürfnisse abseits von Ehe und Familie findet und sich dessen gleichsam schämt. Weitere bekannte Gesichter in markanten Nebenrollen sind J.T. Walsh („Sniper – Der Scharfschütze“) als Bürgermeister und Paul Walker („Fast & Furious 7“) als Basketballstar-Boyfriend, der Jennifer/Mary Sue den ersten Grund gibt, es doch gar nicht so schlecht in der Fernsehwelt zu finden.
Regiedebütant und Drehbuchautor Gary Ross mag „Pleasantville“ nicht immer ganz zu Ende gedacht haben und die Rassismusmetaphorik nicht ganz überzeugend im Griff haben. Und doch ist „Pleasantville“ eine toll gespielte, visuelle einfallsreiche Komödie, die Medienkonventionen ebenso beleuchtet wie die Frage nach der eigenen Identität angesichts eines genormten Fernsehkosmos – damit lag der Film parallel zu „EdTV“ und „Die Truman Show“ auch voll im Trend, ohne einfach nur ein Trendfilm zu sein, denn seine Qualitäten sind zeitlos gut.
„Pleasantville“ wurde hierzulande erst von Concorde, später von Warner auf DVD veröffentlicht. Die ab 6 Jahren freigegebenen Medien beinhalten informatives Bonusmaterial, darunter ein Audiokommentar des Regisseurs, ein Making Of, Trailer und ein Musikvideo. Bei den Concorde-Versionen gibt es zusätzlich noch Bio- und Filmographien von Cast und Crew inklusive Interviews.
© Nils Bothmann (McClane)
Was hältst du von dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright aller Filmbilder/Label: Concorde/Warner__FSK Freigabe: ab 6__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Ja |