Wie schon in meiner Besprechung zu „Hit-Girl in Kolumbien“ erwähnt, ist Hit-Girl in ihrer eigenen Serie als Vigilantin in der gesamten Welt unterwegs.
Zum einen flieht sie vor den Behörden in den USA, zum anderen will sie dem Andenken ihres Vaters Ehre erweisen und Gerechtigkeit in unsere Welt tragen. In Teil zwei ihrer Weltreise verschlägt es Hit-Girl nun nach Kanada.
Hier ist sie auf der Suche nach einem Kerl namens Billy Baker. Der schmuggelte in einer Tour miese Drogen in die USA, was schon diverse Menschen das Leben kostete. In der Wahl ihrer Mittel ist Hit-Girl wie gewohnt nicht eben zimperlich und dünnt mal eben die gesamte Familie des Drogendealers empfindlich aus.
Doch der Vater von Billy Baker entpuppt sich als extrem harter Knochen. Und dass Hit-Girl irgendwann in einer Bärenfalle landet, macht ihren Selbstjustiz-Trip in Kanada nicht zwingend einfacher…
“Hit-Girl in Kanada” macht rüde da weiter, wo “Hit-Girl in Kolumbien” aufhörte
Es zeichnete sich schon in „Hit-Girl in Kolumbien“ ab: Die feine Klinge will die von Mark Millar ins Leben gerufene Reihe nicht schwingen. Und so präsentiert Jeff Lemire (Seine „Sweet Tooth“-Reihe sei an dieser Stelle einfach mal empfohlen) wie schon Mark Millar ein wie wild tobendes Hit-Girl, dass sich durch die kanadische Unterwelt schnetzelt. Dabei geht Lemire seine Story noch reduzierter an als Millar. Erzählerische Kniffe sind hier absolute Mangelware. Stattdessen lässt Lemire seine Heldin immer nach vorne gehen.
„Mounties… Ich hasse Kanada!“
Nur kleine Einsprengsel, in denen Hit-Girl in ihrer Fantasie auf ihren toten Vater trifft sowie die gemeinsamen Momente mit einem bärbeisigen Einsiedler, erden die Story ein wenig und versuchen so etwas wie ein wenig Tiefe zu generieren. Allerdings bleibt es bei dem Versuch. „Hit-Girl in Kanada“ will eine actionreiche Girl-on-a-Mission-Story erzählen und tut das auch – und zwar ohne Haken und Ösen. Zumindest wirkt Mindy alias Hit-Girl nicht mehr gar so blutrünstig wie im Vorgängerband. Findet in der schroffen kanadischen Natur sogar fast ihren Meister und muss durchaus leiden!
Gerade wegen dem zurückgeschraubten Gewaltpegel verwundert schon, wieso der deutsche Verlag hier eines der blutigsten Comics überhaupt gesehen haben will. Sowohl in Sachen Höhe des Bodycounts als auch hinsichtlich der Splatter-Szenarien hält sich „Hit-Girl in Kanada“ wohltuend zurück. Nicht falsch verstehen: Auch in Kanada weiß Hit-Girl, wie man Lumpen fachgerecht zerlegt, doch Lemire und sein Zeichner Eduardo Risso gehen dahingehend nicht zu detailverliebt zu Werke.
Was rundweg für die Zeichnungen von Risso gilt. Der arbeitet allgemein sehr reduziert. Wird nur bei den Hauptinhalten der Panels mal detailverliebter, während Hintergründe eher einfarbig und großflächig gehalten bleiben. Das Artwork wirkt aber dennoch immer modern und frisch. Zudem betont Risso das Dunkle und Düstere der kanadischen Wälder eindrucksvoll, schafft einen beeindruckenden Gegenpol zum zuletzt sehr grellen „Hit-Girl in Kolumbien“ und verleiht den bislang grotesk überzogenen Abenteuern Hit-Girls (ihre Kick-Ass-Auftritte eingerechnet) ein wenig mehr Bodenhaftung.
Interessanterweise macht Risso Hit-Girl auch deutlich jünger, als es die bisherigen Hit-Girl-Zeichner getan haben. Hier kommt Mindy wirklich mal wieder wie eine 12-jährige rüber. Was ihr Gemetzel teils noch einen Zacken verstörender macht. Interessant sind dahingehend ein paar Variantcover der Einzelhefte. Hier sieht man auch wieder deutlich ältere Inkarnationen von Hit-Girl.
“Hit-Girl in Kanada” bietet flotten Lesespaß – aber leider nicht mehr
Was am Ende bleibt, ist ein unterhaltsamer, fast schon zu krass aufs Wesentliche reduzierter Lesespaß, den man mühelos in 20 Minuten durchgelesen hat, ohne das Gefühl zu haben, dass die Bilder eventuell nicht richtig wirken konnten oder dergleichen. Man fliegt förmlich durch die vier Einzelhefte der Miniserie, was für deren Tempo und knackige Erzählweise spricht. Gleichzeitig ist der erzählerische Nährwert von „Hit-Girl in Kanada“ im Vergleich zum Vorgänger doch reichlich niedrig. Weder wird Hit-Girl wirklich weiterentwickelt noch hat die Geschichte erzählerische Kniffe zu bieten. Auch den Millar’schen Humor vermisst man teils schmerzlich.
Interessant ist, dass Millar für seine „Hit-Girl“-Serie wohl plant, Autoren und Zeichner von Abenteuer zu Abenteuer permanent wechseln zu lassen. Im konkreten Fall von „Hit-Girl in Kanada“ hatte dieser Wechsel einen realistischeren Gegenpol zu den bisherigen „Hit-Girl“-Geschichten zur Folge. Eine willkommene Entwicklung im allumfassenden, grell-krassen „Kick-Ass“-Universum. Dementsprechend gespannt darf man sein, was Rafael Albuquerque und Rafael Scavone für „Hit-Girl in Rom“ einfällt, um die Serie nicht zum „Kill of the Week“-Procedural verkommen zu lassen.
Alle Informationen zur Veröffentlichung des Hit-Girl-Abenteuers
„Hit-Girl in Kanada“ war in den USA eine Miniserie, bestehend aus vier Einzelheften. Diese wurden vom Panini-Verlag zu einem Sammelband zusammengefasst. Der präsentiert neben den Einzelheften diverse Variant-Cover zu den Heften und kleine Charakterdesign-Skizzen von Zeichner Risso.
Hit-Girl in Kanada
von Jeff Lemire (Autor), Eduardo Risso (Zeichner)
Taschenbuch: 100 Seiten
Verlag: Panini; Auflage: 1 (26. Februar 2019)
ISBN-13: 978-3741611384
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In diesem Sinne:
freeman