Originaltitel: Slender Man__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2018__Regie: Sylvain White__Darsteller: Joey King, Julia Goldani Telles, Jaz Sinclair, Annalise Basso, Alex Fitzalan, Taylor Richardson, Javier Botet, Jessica Blank, Michael Reilly Burke, Kevin Chapman, Miguel Nascimento u.a. |
Slender Man erschreckt Jugendliche. Tomate erschreckt Slender Man. Klägliche 7% erreicht das Tomatometer für die Verfilmung der modernen Horrorgestalt, die im Internet geboren wurde und demnach ein gewisses Interesse daran haben dürfte, was das Internet über sie denkt. Und da ist offensichtlich nicht viel Gutes dabei.
Dabei sagt diese abstrakte Zahl, die sich Bewertungsspiegel schimpft, ja noch lange nichts über das tatsächliche Qualitätsempfinden aus. Man darf wohl anzweifeln, dass sich irgendjemand aus dem Fenster geworfen hat, weil er jetzt für das Genre “Javier Botet” keine Zukunft mehr sieht. Sicher, gewisse Gründe für so einen konsequenten Schritt ließen sich bestimmt finden. Der spanische Körperschauspieler mit den Spinnenarmen zieht eben mal wieder sein Ding ab und trägt dazu bei, dass Schreckensgeschöpfe heute immer aussehen wie Abkömmlinge einer sexuellen Zusammenkunft zwischen Jack Skellington und dem Tall Man. Man könnte fast glauben, neue Monster werden neuerdings nach Botets Körpermaßen modelliert. Andererseits ist er aber auch ein vorzüglicher Expressionist, der im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten stets frische Akzente zu setzen weiß und wenigstens in Sachen Make-Up bisher noch mit jeder Produktion neue Erfahrungen sammeln konnte. Auch der aus dünnen Gliedmaßen bestehende Einsiedler aus dem Wald sitzt ihm mal wieder wie ein Maßanzug (der wiederum selbst einen Anzug trägt). Egal wie sehr er sich jedoch verbiegt, ein Film wird inzwischen schon durch seine reine Beteiligung leicht ausrechenbar.
In den anderen Bereichen ist es um die Originalität noch weniger gut bestellt. Die guten, alten, amerikanischen Lagerfeuergeschichten sind einfach nicht tot zu kriegen, selbst wenn die Augen voller Angst inzwischen nicht mehr von der Glut des Feuers beleuchtet werden, sondern von Smartphone-Kameras und Laptop-Monitoren. Online Mary, online Mary, online Mary! Vor allem aber die VHS-Ästhetik der “Ring”-Filme wird in aufpolierter Form für Generation Internetvirus reproduziert, und das so einfallslos wie es die Vorstellungskraft nur hergibt. Es werden sogar recht eindeutig Ausschnitte aus dem Ring-Tape zitiert, indem sie als Grundlage für eigene traumartige Kompositionen missbraucht werden. Auch der morphologische Surrealismus von “Silent Hill” lebt in tumorförmigen Kopfklumpen ohne Gesicht weiter, bloß werden sie diesmal ohne Sinn und Verstand einfach ins Bild geklatscht, weil es eben gerade (wieder?) angesagt ist. Ob nun einsame Gittertore mitten im Wald abgefilmt werden oder einer alten Frau in der Badewanne eines Krankenhauses das unnatürlich lange Haar gekämmt wird, die willkürliche Auswahl verwirrender Sequenzen dürfte Kritikern und Publikum in seltener Einigkeit sauer aufgestoßen sein. Selbst wenn sich die Zielgruppe von fehlender Originalität wohl eher nicht abschrecken lässt, das Verständnis hört spätestens dann auf, wenn der Teenager plötzlich nicht mehr kapiert, was er auf dem Bildschirm sieht.
Schaut in den Trailer zu “Slender Man”
httpv://www.youtube.com/watch?v=eVnPvJ4cFmY
Was an der Titelfigur dabei wohl so sehr irritiert, ist ihre taufrische Mythologie. Slender Man ist im kosmischen Vergleich der Buhmänner ja praktisch noch ein Neugeborenes und entsprechend noch nicht darauf festgelegt, welche Kräfte es eigentlich entwickeln möchte. Mit Slendie, so scheint es, kann man Pferde stehlen. Teenies fressen? Kein Problem. Teenies entführen? Warum nicht, ein, zwei Exemplare könnte man sich ja als Koch- und Putzsklaven in der Slender-Blockhütte halten. Teenies in den Wahnsinn treiben? Eine seiner Spezialitäten. Seine Auftritte werden von einer diffusen Wolke begleitet, die es schwer macht, ihm ein handfestes Profil zuzuweisen. Während Samara aus dem Brunnen ziemlich eindeutig als moderne Medusa konzipiert ist, die ihre Opfer mit einem tiefen Blick in die Seele zu Stein erstarren lässt, ist nie so ganz klar, was unser dünner Hering im Schilde treibt.
Die fehlende Festlegung auf ein spezielles Triebtäter-Muster wird vom Drehbuch natürlich als Stärke verstanden und in Überraschungen umzumünzen versucht. Leider ist die empfundene Stärke aber eine ausgeführte Schwäche, weil ihr kein roter Faden zugrunde liegt. Monster müssen nicht immer einer Logik folgen, sie sollten aber wie alles andere zumindest einem gewissen Konzept unterliegen, wenn sie nicht als Sammelbecken für ein „Average Of American Teenage Mainstream Horror“ enden wollen. Von der Mutprobe im Wald mit verbundenen Augen (Bird-Box-Contest, yeah!) über perspektivische Spielchen mit Handy-Bildschirm wird so ziemlich alles in einen Topf geworfen, was das Schnapsideenbuch hergab. Und ganz ohne jedes Gefühl für Komposition und Erzähltakt zusammengefügt. Vielleicht ist aber gerade das die Quintessenz des viralen Internet-Horrors, der die Schulhof-Tauschbörsen schon längst abgelöst hat. Kommuniziert wird viel Scheiße, wenig Substanz. Eigentlich genau wie damals, nur heute mit mehr Followern.
Dazu passt natürlich auch, dass es Slender Man vornehmlich auf eine keifende Girlgroup abgesehen hat, deren Anführerin (Julia Goldani Telles) stets melancholisch schmachtend vor der Kamera posiert, als gelte es, einen Wettbewerb für den besten Schlafzimmerblick zu gewinnen. Selbst, als ihre Freunde einer nach dem anderen vom Waldschrat eingesackt werden, meint man, noch ein dezentes Lächeln in ihrer Mimik zu entdecken, was sie mitunter gruseliger wirken lässt als ihren Widersacher.
Diese und ähnliche Patzer lassen Nachwuchshoffnung „Slender Man“ kläglich scheitern und in letzter Konsequenz absteigen in die Butzemann-Regionalliga, in der trostlose Gestalten wie der „Bye Bye Man“ ihr klägliches Dasein fristen. Mag zwar sein, dass sich Slendie gegen Bye-Bye in einem fairen Duell noch mit Ach und Krach durchsetzen könnte. Ein „Babadook“ allerdings verschlänge das schmächtige Kerlchen mit einem Happs als Vorspeise und würde noch Nachschlag verlangen, weil so wenig Fleisch an den Knochen ist.
Informationen zur Veröffentlichung von “Slender Man”
In den traditionell schlecht besuchten Sommermonaten startete “Slender Man” 2018 in den deutschen Kinos. Bereits seit Dezember ist der Horrorstreifen über Sony Pictures Home Entertainment auch für das Heimkino erhältlich – als Blu-ray, DVD oder Video on Demand.
Sascha Ganser (Vince)
Was hältst du von dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright aller Filmbilder/Label: Sony Pictures Home Entertainment__FSK Freigabe: FSK16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja / Ja |