Originaltitel: Avengers: Endgame__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2019__Regie: Anthony Russo, Joe Russo__Darsteller: Chris Evans, Robert Downey Jr., Chris Hemsworth, Scarlett Johansson, Jeremy Renner, Mark Ruffalo, Paul Rudd, Don Cheadle, Karen Gillan, Brie Larson, Josh Brolin, Tessa Thompson, Gwyneth Paltrow, Hiroyuki Sanada, Linda Cardellini u.a.__Sprecher: Bradley Cooper u.a. |
Kritik von McClane:
„Avengers: Infinity War“ entließ die Marvel-Fangemeinde mit einem „Das Imperium schlägt zurück“-Ende. Einem Ende, auf das noch etwas folgen musste. Anno 1980 konnte Han Solo nicht einfach Gefangener bleiben, anno 2018 durfte nicht die Hälfte aller Lebensformen, darunter diverse Avengers, ausgelöscht sein. Der zweite Teil, „Avengers: Endgame“, muss nun also den Paukenschlag irgendwie auflösen.
Dabei beginnt der Film sehr ruhig, mit den Nachwehen des Fingerschnippens, mit dem der Titan Thanos (Josh Brolin) sein Vernichtungshandwerk beging. Clint Barton (Jeremy Renner) alias Hawkeye war der Auseinandersetzung bewusst aus dem Weg gegangen, um bei seiner Frau Laura (Linda Cardellini) und den Kindern bleiben zu können – nur um seine Familie zerbröseln zu sehen. Tony Stark (Robert Downey Jr.) alias Iron Man und Nebula (Karen Gillan) treiben hilflos im All, ehe Carol Danvers (Brie Larson) alias Captain Marvel sie vor dem sicheren Tod rettet und zur Erde zurückbringt. Dort schmieden Steve Rogers (Chris Evans) alias Captain America, Natasha Romanoff (Scarlett Johansson) alias Black Widow und die verbliebenen Avengers weiter hilflos Pläne. Es ist ein betont ruhiger Einstieg, der trotz kleinerer humoriger Einsprengsel bei der Interaktion zwischen Stark und Nebula eine gedämpfte Stimmung hinterlässt.
Stimmungshebend wirkt auf die Avengers, dass sie mit Hilfe von Captain Marvel und moderner Technologie einen Hinweis auf Thanos‘ Aufenthaltsort bekommen, weshalb sie bereits nach einem Bruchteil der insgesamt dreistündigen Laufzeit dorthin aufbrechen, bereit fürs entscheidende Gefecht. Das ist es natürlich nicht, viel mehr müssen sie feststellen, dass Thanos die Infinity Stones vernichtet hat, eine einfache Nutzung ihrer Kraft nicht möglich ist – und damit auch alle einfachen Fantheorien zunichte sind, die vermuteten, dass eine Rückeroberung des Infinity Gauntlet kurzerhand alle zu Staub Zerfallenen zurückholen würde.
Von da an springt „Avengers: Endgame“ fünf Jahre in die Zukunft, lässt die Avengers auf ihre eigene Art mit der neuen Situation umgehen. Als der in der Post-Credit-Sequenz von „Ant-Man and the Wasp“ im Quantum Realm verschwundene Scott Lang (Paul Rudd) alias Ant-Man jedoch wieder auftaucht, keimt neue Hoffnung auf…
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Um „Avengers: Endgame“ wurde eine Geheimniskrämerei wie um keinen Marvel-Film zuvor betrieben, mit bewusst irreführenden Trailerszenen, Informationssperren usw. Und doch steht dem Film ein wenig im Weg, dass es natürlich auch nach diesem Endspiel weitergehen muss, wenn auch vielleicht nicht wie bisher. Doch schon die Ankündigung von Fortsetzungen zu „Doctor Strange“ und „Spider-Man: Homecoming“ bedeutete, dass nicht alle einschneidenden Änderungen permanent sein würden, dass bestimmte Charaktere am Ende des Endspiels am Leben sein würden. Für weiter Informierte kommt das Wissen um endende Verträge bestimmter Darsteller dazu, weshalb „Avengers: Endgame“ eben nicht die große Überraschung sein kann, die er in einem theoretischen luftleeren Raum wäre. Aber Marvel-Mastermind Kevin Feige als Strippenzieher, die Regisseure Anthony und Joe Russo und die Drehbuchautoren Stephen McFeely und Christopher Marcus geben sich alle Mühe, dass es immer noch einige unvorhergesehene Twists gibt. Noch dazu wird die Riege der Marvelhelden tatsächlich ausgedünnt – vielleicht nicht so radikal wie möglich, aber einige sterben, anderen gehen in den wahrscheinlichen Ruhestand und andere scheiden auf andere Weise aus.
Trotz der Fortsetzungslogik, die Franchises wie das MCU beseelt, kann „Avengers: Endgame“ aber auch tatsächlich als eine Art Endpunkt stehen bleiben, weshalb man auch auf die üblichen Mid- und Post-Credit-Szenen verzichtet, nicht direkt die nächsten Sequels anteasert. Vor allem erweist sich „Avengers: Endgame“ beinahe als eine Art Gegenentwurf zu „Avengers: Infinity War“. War letzterer fast schon eine reine, wenn auch sehr launige Aneinanderreihung von Fan-Service-Momenten, Gags und Actionszenen, da ist „Avengers: Endgame“ fast schon introspektiv und für seine drei Stunden recht sparsam mit der Action. Viel Zeit wird auf das Leben der Avengers mit dem Verlust verwandt: Captain America leitet Selbsthilfegruppen an, Black Widow stürzt sich in die Arbeit, Thor (Chris Hemsworth) verwahrlost als Anführer der am Leben gebliebenen Asgard-Bewohner in deren neuem Heim auf der Erde. Wir erfahren also, was aus den Überlebenden wurde, dass Valkyrie (Tessa Thompson) noch am Leben ist. Auch das potentielle Heilmittel im Kampf gegen den Verlust wird langsam erforscht, weshalb der Plot sich wenig geradlinig bewegt, sondern eher langsam auf das Finale zutastet.
So wechseln Tempo und Ausrichtung von „Avengers: Endgame“ mehrfach. Beginnt das Ganze erst als Quasi-Trauerverarbeitungsdrama unter Superhelden, so wird es später zum Heist Movie der etwas anderen Art, ehe schließlich der Showdown mit der gewohnten Action ansteht. Wie schon bei „Avengers: Infinity War“ müssen die Russo-Bruder verschiedene Erzähltöne, Figuren und Stile übereinander bekommen und leisten dies meist souverän. Nur manchmal hakt es im Ton. So ist „Avengers: Endgame“ eher düster, phasenweise fast schon melancholisch. Jeder muss Verluste verarbeiten, Hawkeye wird dadurch gar zum Verbrecher schlachtenden Ronin. Hin und wieder gibt es lockere Sprüche und Gags, die aber nie überhand nehmen – mit einer leider etwas unrühmlichen Ausnahme: Es ist sicher reizvoll den verwahrlosten Thor als eine Art Lebowski-Version mit Sonnenbrille, Zottelhaar und Schmerbauch darzustellen, doch inmitten mancher dramatischer Rettungsaktion wird noch weiter auf den Selbstzweifel und dem Erscheinungsbild des Donnergottes herumgeritten, was tonal eher unpassend wirkt.
In all seinen Stufen ist „Avengers: Endgame“ aber tatsächlich eine Art Geschenk an zahlreiche Fans, die dem MCU seit Jahren die Treue halten. So ermöglichen erzählerische Kniffe auch noch einmal Auftritte von Figuren, die definitiv schon tot sind (und tot bleiben werden), mit denen die Zuschauer noch einmal ein Wiedersehen feiern können, ein Wiederbesichtigen von Schlüsselszenen von Vorgängern wie „The Avengers“ oder „Thor – The Dark Kingdom“, während Dialoge immer wieder auf einschneidende Veränderungen hinweisen, die Filme wie „Avengers: Age of Ultron“ und „Captain America: Civil War“ mit sich brachten. Das kann man durchaus als Fanservice verstehen, der das MCU auch schon mal vor einige Logikprobleme stellt, die Filme aber eigentlich immer haben, wenn sie alternative Realitäten, Zeitreisen oder ähnliche Scherze verhandeln – „Avengers: Endgame“ ist da weder das durchdachteste noch das schludrigste Exemplar.
Wenn man sich auf diese Heldenreise mit Comiclogik einlässt, dann ist „Avengers: Endgame“ eben tatsächlich ein Abschlussfilm, einer, der eine elf Jahre und 22 Filme dauernde Tour zu Ende bringt, weshalb nicht nur die Filmlänge, sondern auch der Schluss Züge von „Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs“ hat. Viele Figuren bekommen einen Abschluss ihrer Reise, viele Erzählstränge werden zu einem Ende gebracht, alles darf noch einmal atmen und auch emotionale Momente, gerade in Sachen Abschiednehmen, hat „Avengers: Endgame“ parat. Tatsächlich ist der MCU-Film hier vielleicht sogar runder als die Tolkien-Adaption, da man die Figuren einfach besser kennen lernen konnte, sich das Verabschieden nicht so zieht, auch wenn „Die Rückkehr des Königs“ insgesamt der bessere und etwas zielgerichtetere Film ist, während sich bei „Avengers: Endgame“ die weitere Richtung des Plots erst nach und nach herausschält.
In Sachen Heldengewichtung trägt „Avengers: Endgame“ dann etwas leichter als sein direkter Vorgänger, da über die gesamte Filmlänge fast nur die Überlebenden des Infinity War auftreten. Chris Evans („Snowpiercer“) liefert eine famose Vorstellung als Captain ab, der selbst in dieser aussichtlosen Lage seinen Optimismus zu bewahren versucht, während Robert Downey Jr. („Sherlock Holmes“) ihm kaum in etwas nachsteht als gebrochener Tony Stark, dessen Sarkasmus in Verbitterung umzuschlagen droht. Scarlett Johansson („Hail, Caesar!“) bekommt als trauernde, zweifelnde Black Widow so viel Raum wie nie, den sie dankbar annimmt, während auch Karen Gillan („Jumanji – Welcome to the Jungle“) und Jeremy Renner („Wind River“) in ausgebauten Rollen punkten. Paul Rudd („Year One“) darf mal etwas ernster sein, aber das steht ihm gut zu Gesicht, während viele andere Darsteller bekannter MCU-Charaktere nur wenig Screentime haben, manchmal nur für eine Szene vorbeischauen, obwohl so viele wieder dabei sind – selbst Tilda Swinton („Moonrise Kingdom“) und Frank Grillo („The Purge: Anarchy“) geben sich noch einmal die Ehre. Dafür gibt es kaum Neuzugänge zu verzeichnen und wenn, dann sind die meist schnell weg vom Fenster wie Hiroyuki Sanada („47 Ronin“) als Gangsterboss. Überraschend selten greift Brie Larson („Kong: Skull Island“) als Captain Marvel in den Film ein, was mit ihren interstellaren Verpflichtungen begründet wird, aber wohl auch praktische Gründe hat: Captain Marvel wirkt einfach zu übermächtig im Vergleich zu den anderen Helden, ähnlich wie Superman im DC-Universum.
So ist die Action dann auch wieder etwas zupackender als die finale Flugobjektzerstörung in „Captain Marvel“, auch wenn es natürlich nicht ganz so bodenständig wie in „Captain America: The Winter Soldier“ und „Captain America: Civil War“ von den Russos wird. Doch die Kämpfe, vor allem wenn Steve Rogers involviert ist, sind stark choreographiert und setzen erfreulich oft auf handgemachte Stunteinlagen, auch wenn bei einem kosmischen Zusammentreffen der Helden und Schurken natürlich CGI-Unterstützung angesagt ist. Doch selbst die große Finalschlacht, die einem etwas kleiner skalieren Kampfgeschehen zwischen vier Kombattanten und anderen Scharmützeln folgt, lässt bei allen Massenaufmärschen, bei allem Laserbeschuss und bei aller Fliegerei immer noch Gestaltungswillen und Raumgefühl erkennen, packt den Zuschauer durch die starke Kameraarbeit von Trent Opaloch („Elysium“). Da nimmt man es auch hin, dass so herausstechende Wow-Momente wie Sechs-Avengers-in-einer-Plansequenz aus „The Avengers“ oder die Splash-Panel-Sequenz aus „Captain America: Civil War“ hier nicht zu finden sind.
Insofern ist „Avengers: Endgame“ nicht der beste Marvel-Film, durchaus mit seinen kleinen Fehlern, seien es kleine Logikschwächen, Lebowski-Thor oder die zu übermächtige Captain Marvel. Aber es ist ein doch sehr runder Abschluss, der sich überraschend langsam entwickelt, seine Story erst nach und nach herausschält und mit seinen Exkursen zur psychischen Verfassung der überlebenden Helden durchaus auch mal in die Tiefe geht. Die Action ist auf gewohnt hohem Niveau, die vertrauten Schauspieler in Topform – ein stimmiger Abschluss, trotz kleinerer Schönheitsfehler. Auch wenn es natürlich mit weiteren Marvel-Filmen und -Serien weitergehen wird.
Knappe:
© Nils Bothmann (McClane)
……
Kritik von Vince:
Es ist alles so egal geworden. Black Widow schmiert sich ein Erdnussbuttersandwich, Thor mutiert zu seiner eigenen Asgard-Schausteller-Parodie und in Tony Starks Blick ist der zynische Glanz verloren gegangen, der früher einmal so unzerstörbar erschien. Es wurde ihnen allen etwas genommen, das unantastbar hätte sein müssen. In einer Dekade Marvel hat sich immerhin ein komplexes Regelwerk aus verschachtelten Paragraphen gebildet, das auf einem Abkommen zwischen Helden und Villains, nicht zuletzt zwischen Marvel und den Zuschauern basierte. Die Quintessenz des aufgebauschten Gesetzbuchs war jedoch denkbar simpel: Die Helden lernten etwas über sich selbst, wuchsen an den Villains und besiegten sie schlussendlich. Mit Cola begossen und Popcorn beschossen wurde nichts Geringeres als die unendliche Geschichte des Guten, das am Ende durch Zusammenhalt obsiegt, ganz egal, wie viele Opfer dazu nötig sind. Doch dann kam Thanos. Er verstand die Regeln nicht und weigerte sich folglich, sie zu akzeptieren. „Infinity War“ war wie eine nicht für möglich gehaltene Eskalation auf dem Spielplatz: Wie unter ein paar Kindern, die sich regelmäßig im Sandkasten treffen und augenzwinkernd mit Platzpatronen aufeinander schießen. Es ist Raum für heldenhafte Posen und lockere Sprüche aus der Hüfte. Aber dann kommt ein großer Kerl von außerhalb und will mitspielen. Dafür hat er die geladene Waffe seines Vaters mitgebracht…
12 Monate später. Die ultimative Jubiläumsedition müsste der offensichtlich betitelte Abschluss „Endgame“ eigentlich sein, der Höhepunkt einer epochalen Entwicklung. Die finale Prestige-Ausgabe, mit der eine mühsame Reise beendet wird. Erstmals erscheint keine versteckte Szene nach dem Abspann. Klammern werden geschlossen. Es geht um das letzte Aufbäumen der Avengers, die wir seit einer Dekade bei ihren Abenteuern begleiten. Man wird nur das Gefühl einfach nicht los: Der eigentliche Paradigmenwechsel, die tatsächliche Revolution, fand bereits vor 12 Monaten statt.
Auch wenn Thanos’ Gewaltakt in „Infinity War“ nicht mit einer Tatsachenentscheidung besiegelt wird und ein Videobeweis die Möglichkeit zur nachträglichen Korrektur einräumt: Zarathustra sprach eben trotzdem schon in dem Moment, als der Finger geschnippt und die Hälfte der Weltbevölkerung zu Staub zermalmt wurde. Über einen so radikalen Schritt fantasiert haben schon viele Bösewichte. Diesmal aber auch tatsächlich das Ergebnis zu sehen, musste eine Zäsur des Marvel-Universums bedeuten, vielleicht sogar des Blockbuster-Kinos, wie wir es momentan kennen.
Was bedeutet das nun für die Zeit nach dem Knall? Um nicht zum langen Epilog zu geraten, hätte „Endgame“ mit einem erneuten unvorhersehbaren Schachzug das Gewagte noch einmal toppen müssen; ein Unterfangen, das aufgrund der umwälzenden Nachwirkungen des vervollständigten Gauntlets völlig unmöglich war. Als eine 180-minütige Laufzeit angekündigt wurde, dachte man automatisch an das finale „Herr der Ringe“-Kapitel „Die Rückkehr des Königs“ – wegen des ewig erscheinenden Fade-Outs, das sich Peter Jackson und sein Team durch eine lange, harte Reise sicherlich verdient hatten. Die Russo-Brüder erlauben sich in den letzten Minuten vor dem schwarzen Abspann Vergleichbares. Doch weil im Grunde der komplette Abschlussfilm nichts anderes mehr als ein Schaulaufen ist, gerät das groß angekündigte, Zuschauerrekorde pulverisierende letzte Ausrufezeichen zum drei Stunden langen Abspann, in dem gemessen am Impact des Vorgängers nichts mehr von Belang passiert. Sondern einfach nur das, was noch passieren musste. Und das ist schon arg ironisch, bedenkt man, dass das Gros der Zuschauer einen Abspann normalerweise nur absitzt, wenn es erwartet, mit einem letzten Aha-Moment belohnt zu werden…
Natürlich, es gibt Opfer (zum Teil auch unerwartete), reichlich Genugtuung durch Vergeltung (nicht nur in der Endschlacht) und jede Menge Rührseligkeit, in der man sich baden kann, bis man vom Zorn über die Ungerechtigkeit der Welt reingewaschen ist. Die Russos setzen darauf, dass man inzwischen eine feste emotionale Bindung zu den Figuren aufgebaut hat, was insofern eine riskante Annahme darstellt, als dass es sich hier überwiegend um Superhelden mit übernatürlichen Fähigkeiten handelt, also nicht gerade um Menschen wie dich und mich. Trotzdem ist der Einstieg brillant gewählt: Wie der für lange Zeit aus dem Spiel genommene Hawkeye still und heimlich mit den Auswirkungen eines Krieges konfrontiert wird, an dem er nicht aktiv teilnahm, könnte man kaum besser inszenieren, zumal dazu kein pompöser Score eingespielt wird, sondern einfach nur das Rieseln im Wind nachwirken muss. Wenn der beachtliche Geräuschpegel eines voll besetzten Kinosaals plötzlich verstummt, muss so ein Einstieg irgendwas richtig gemacht haben.
Auch wenn eine inhaltliche Steigerung der 2018er-Ereignisse nie im Bereich des Möglichen war, so greifen die Regie-Brüder zumindest im logistischen Sinne dankbar auf die Ruinen des Infinity-Krieges zurück. Mit nur halb so vielen Kostümierten lässt es sich eben doppelt so souverän jonglieren – das sollte man wenigstens meinen. Da nun die überschüssige Luft aus dem Ballon gelassen wurde, nimmt das Drehbuch allerdings eine merkwürdig lineare Form an. Ein Charakter nach dem anderen wird solo abgehandelt, als stünde die Gruppe vor applaudierendem Publikum und holte jeden Akteur einzeln auf die Bühne, um Danke zu sagen. Die Gruppendynamiken, von denen der Vorgänger lebte, werden auf diese Weise zu einem monotonen Staffellauf ausgerollt. Nicht, dass dabei nicht manch starker Moment entstünde: Neben der bereits genannten Einführung Hawkeyes bleibt man zum Beispiel auch von der Rückkehr Ant-Mans aus der Quantendimension nicht ganz unberührt. Captain America wird am Ende eine wunderbare Verabschiedung zuteil. Und selbst Thor, der aufgrund seiner verlotterten Erscheinung gerne hämisch mit dem „Big Lebowski“ verglichen wird, entzieht seinem Comic Relief einen sehr menschlichen Kern, zumal das maßlose Schlemmen und Trinken mit Bezug auf die nordische Mythologie nicht ohne Bedacht gewählt ist.
Als jedoch das Selbstmitleid nicht versiegen möchte, droht man schon bald im salzigen Meer der Tränen zu ertrinken. Eine kleine Schar Aufständischer versucht sich zwar noch gegen die Resignation zu wehren, doch erschreckend lange dominieren hängende Köpfe in trister Umgebung das Gesamtbild und sorgen für Stagnation. Die daraus entstehende Action-Armut wird ob der Overkills der bisherigen Avengers-Streifen sogar gefeiert; dabei geht es ja nicht um die Abwesenheit von Action, sondern darum, was man mit dem freigeschaufelten Platz anstellt. Seltsamerweise scheint sich das Drehbuch im ersten Akt aber gar nicht für inhaltliche Lösungsansätze zu interessieren. Sobald die Fortschritte dann irgendwann unabdingbar werden, handelt es diese einfach lieblos im Off ab, obwohl sie die Möglichkeit geboten hätten, etwas Schwung in die Handlung zu bringen – so etwa, wenn sich Stark nach einem Gespräch mit Captain America „einen Ruck“ gibt und quasi über Nacht mal eben die Zeitreisen neu erfindet. Noch eine kleine Comedy-Einlage mit dem Ameisenmann als Testobjekt und hopps, ist die Überleitung in den Mittelteil auch schon geschafft.
Der wiederum öffnet dann endlich mal ein paar Fässer. Nicht nur lässt er sich auf Zeitreiseparadoxien ein, wissend, dass die Ritter der Logik jede Ungereimtheit gegen den Film richten werden, nein, er wagt es sogar, dem cineastischen Konsens aus 1001 Sichtungen „Zurück in die Zukunft“ und „Terminator“ zu widersprechen. Die zwangsläufig daraus folgenden Plotholes sind für das Gelingen des Unternehmens zu vernachlässigen, hat dieses doch keine wasserdichte Theorie zum Ziel. Es geht eher darum, zehn Jahre Marvel mit kleinen Flashbacks noch einmal Revue passieren zu lassen. Keine dumme Idee, gerade wenn man bedenkt, wie souverän die Russos bisher mit der Überlagerung von Handlungsebenen jonglierten. Da überrascht es doch sehr, dass die Rückkehr zu einstmals besuchten Schauplätzen so ohne jede Raffinesse vonstatten geht. Die Begegnungen mit alten Bekannten und früheren Ichs verläuft im Grunde nach einem ähnlich linearen Kausalprinzip wie der gesamte erste Akt. Der augenzwinkernd ausgespielte Wissensvorteil der Zeitreisenden gegenüber ihren Vergangenheitsversionen reicht nicht aus, um das inzwischen längst verworrene Garn in einen Schlüssel zu formen, mit dem endlich eine Tür zu etwas Neuem geöffnet werden könnte. Und auch John Slatterys Gastauftritt, so rührend er für einen der Avengers ausfallen mag, folgt doch sehr auffällig dem Klischee des Treffens zweier Menschen, von denen nur einer über die gemeinsame Verbindung Bescheid weiß und der andere trotzdem die ganze Zeit mit einem gefühlten Augenzwinkern seine Dialoge führt.
Man sollte nun meinen, dass wenigstens der Schlusskampf die Kohlen aus dem Feuer holt, aber die Glut ist längst verraucht. Zum Teil liegt das sogar an so etwas Banalem wie der unausgegorenen Action-Inszenierung: Über 350 Millionen Dollar Budget scheinen nicht genug, um einen angemessenen Anteil in eine gute Planung und Konzeption einer Schlacht zu investieren. Wieder öffnen sich Dimensionstore und Kämpfer schwärmen hindurch, um gegeneinander anzutreten, jedoch ohne Blick für die Glaubwürdigkeit bei der Bewegungsphysik oder für die Greifbarkeit der Umgebung, die nur noch irgendeinen dunklen Krater in einer zerstörten Welt abbildet. Animierte Figuren wie Thanos oder Hulk (letzterer diesmal in seiner 1991 etablierten Das-Beste-aus-beiden-Welten-Ausgabe, womit der grüne Wüterich weiterhin einen Beweis seiner Power schuldig bleibt) haben an Realismus nicht gewonnen, sondern sogar verloren und auch viele andere werden von ihren voll animierten Kostümen regelrecht verschluckt. Doch selbst, wenn all diese Dinge besser gelungen wären, es würde nichts daran ändern, dass hier ein gewaltiger Antiklimax zum tragen kommt, mit dem der bislang größte Höhepunkt der von Marvel erschaffenen Welt im Grunde wieder revidiert wird – notgedrungen, wenn es wie gewohnt weitergehen soll.
Immerhin bleibt trotz allem ein Funken Düsternis bestehen. All die Schwächen des finalen Akts ändern nichts daran, dass Marvel ein bedeutsamer Abschluss gelungen ist, der zu guter Letzt mit einem packenden Endspurt über die Ziellinie läuft (womit natürlich in erster Linie „Infinity War“ gemeint ist) und parallel dazu auch noch auf ausgefuchste Weise mit den auslaufenden Verträgen der Darsteller umzugehen weiß (so viel zu „Endgame“). Und jetzt, zwischen den Trümmern unter dem verdunkelten Himmel, taucht eine Spinne auf und baut sich ein kleines Netz. Gar kein Zweifel: Die von Marvel wissen ganz genau, wie man so einen Neuanfang angeht.
Walt Disney bringt „Avengers: Endgame” ab dem 24. April 2019 in die deutschen Kinos.
© Sascha Ganser (Vince)
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Copyright aller Filmbilder/Label: Walt Disney__FSK Freigabe: ab 12__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, ab 24.4.2019 in den deutschen Kinos |