Originaltitel: O Animal Cordial__Herstellungsland: Brasilien__Erscheinungsjahr: 2017__Regie: Gabriela Amaral__Darsteller: Murilo Benício, Luciana Paes, Irandhir Santos, Camila Morgado, Jiddu Pinheiro, Ernani Moraes, Humberto Carrão, Ariclenes Barroso, Eduardo Gomes, Thais Aguiar, Diego Avelino u.a. |
Man stelle sich zwei Schichten vor, die symmetrisch übereinander gelagert sind. Auf der oberen Schicht spielt sich das ab, was wir als gesellschaftliche Normalität kennen: Smalltalk zwischen Tür und Angel, die vorgeschriebene Freundlichkeit der Kellnerin gegenüber dem Gast, die Aufopferung für den Beruf, oder ganz allgemein: Die Rollen, die wir tagtäglich im Umgang mit Anderen einnehmen. Auf der unteren Schicht werden die Rollen abgelegt. Zum Vorschein kommt Neid, Missgunst, unstillbares Verlangen, Vergeltungsdrang und letztlich rohe Gewalt. Die „wahre“ Natur womöglich; vielleicht aber auch einfach nur das aufgestaute Resultat dessen, was sich auf der oberen Schicht abspielt.
Natürlich bestehen zwischen diesen beiden Schichten Verbindungen, die sich in den Subtexten unserer Kommunikation äußern. Die kleine Spitze, die in einen freundlich formulierten Satz eingebaut wird, damit dem Adressaten eine von Herzen kommende Botschaft der Verachtung zugestellt werden kann, ohne dass man deswegen seine Maske fallen lassen müsste. Vielleicht auch einfach nur ein unmissverständlicher Blick. Nicht offensichtlich genug, um die Regeln des gesitteten Miteinanders zu verletzen, aber gerade mit genug Nachdruck, damit das Gegenüber versteht, was wirklich gemeint ist.
Der erste Akt des Suspense-Thrillers „The Friendly Beast“ (oder direkt aus dem Portugiesischen übersetzt: „Das herzliche Tier“), der wie der gesamte Film vollständig im Inneren eines Restaurants spielt, beschäftigt sich fast ausschließlich mit den Verbindungen zwischen diesen zwei Ebenen. Ungeduld steht in den Gesichtern der Angestellten geschrieben, denn der Feierabend steht kurz bevor. Doch der Restaurantbesitzer möchte noch ein letztes Kundenpaar umgarnen, glaubt er doch, dass es sich bei dem Herrn mit weiblicher Begleitung um einen Kritiker handelt, der mit einer positiven Bewertung für gute Werbung sorgen könnte. Zur Ungeduld der Angestellten gesellt sich allmählich Unzufriedenheit aufgrund der ständigen Sonderwünsche des Chefs. Stets hinter verschlossener Tür versteht sich, unsichtbar für die zahlenden Gäste. Die wiederum lassen ihrer Kleinlichkeit und Arroganz freien Lauf und werden trotzdem weiter freundlich bedient; als Quittung für ihr Verhalten spiegelt sich lediglich die Verachtung in den Augen der Kellnerin, die aber ohnehin unbemerkt bleibt. Blindheit für äußere Belange liegt eben in der Natur der Arroganz.
Regisseurin und Drehbuchautorin Gabriela Amaral etabliert für dieses Possenspiel eine Art Vormitternachts-Dämmerung und muss dazu nicht einmal den sich verdunkelnden Himmel über São Paulo zeigen. Würde es sich hier um „From Dusk Till Dawn“ handeln, ginge es um die finale Sperrstunde, kurz bevor die Vampire ihre Fratzen zeigen – nur eben ohne den Trubel einer mexikanischen Grenzlandbar. Stattdessen entwickelt sich in diesem Fall ein intimes Kammerspiel mit einigen wenigen Gestalten, die ruhig auf ihren Plätzen hocken, bis etwas Ungewöhnliches passiert. Als zwei Vermummte das Lokal stürmen und Bargeld fordern, treffen sie auf insgesamt sechs Personen: Drei Gäste, den Chef, die Kellnerin und den Koch. Auf die Stabilität der oberen Schicht vertrauend, wagen sich die unbekannten Eindringlinge ins Innere und nehmen sich Dinge heraus, die man sich nur in der Anonymität leisten kann. Doch durch ihr destruktives Verhalten bringen sie die ohnehin bereits hauchdünne Eisdecke zum Einsturz und setzen die ungefilterten Dämpfe der unteren Schicht frei. Die Masken fallen…
Schaut in den Teaser zu “The Friendly Beast” hinein
httpv://www.youtube.com/watch?v=-RqXBHIga5M
Nicht ohne Grund wird hier der Dienstleistungssektor porträtiert: Immerhin trägt dieser mindestens die Hälfte zum Bruttoinlandsprodukt Brasiliens bei und eignet sich somit besonders gut für einen gesellschaftlichen Querschnitt, in dem sich die Wege von Unter-, Mittel- und Oberschicht kreuzen. Mit der Konstellation der Gäste aus dem offenbar (neu-) reichen Milieu, des Besitzers eines Mittelklasse-Restaurants und dessen schlecht bezahltem Personal zieht sich eine hierarchische Struktur durch das Repertoire an Figuren, die im folgenden so genussvoll gebrochen wird wie die Knochen eines Arms unter einem Drehgewinde. Die Machtverteilung verändert sich antiproportional zu den gesellschaftlichen Verhältnissen, denen es sich tagtäglich zu unterwerfen gilt und bringt einige Wendungen hervor.
Um dabei den gewünschten Effekt zu erzielen, experimentiert Amaral mit Metaphern, wobei ihr vor allem die Kochkunst eine Muse ist. Das „medium rare“ bestellte, jedoch fast roh servierte Steak wird so für das verwöhnte Edelpüppchen im schlampigen Outfit zur unüberwindbaren Hürde in die ihr fremden Abgründe, die das Skript in der zweiten Hälfte zu entfesseln versucht. Der Sack Müll, den es unbemerkt an den Gästen vorbeizuschleusen gilt, wird zur Sündenkollektion einer Branche, in der es eben auch um oberflächliche Diskretion und Sauberkeit geht. Der Film mausert sich langsam zum unterhaltsamen Experiment und geht in dieser Funktion der Frage nach, wie stark sich der angeschlagene Ton der Verständigung binnen Minuten drehen kann, wenn man einfach mal die Oberfläche aufreißt und beobachtet, was passiert.
Formal bleibt die Signatur der Regisseurin durchgehend präzise, sehr definiert und wird von eher leisen Tönen angeführt. Obwohl sie die Ausgangssituation im Grunde genommen relativ stur auf links dreht und daher nur wenige echte Überraschungen vorweisen kann, gerät ihr die Arbeit nie zu stumpfsinniger Exploitation, jedoch hält sie immerzu die Fäden in jene Richtung aufrecht. Gezeigt wird immer gerade das, was notwendig ist und selten mehr. Eine vom Restgeschehen relativ isolierte Sexszene entwickelt auch deswegen die beabsichtigte animalische Wirkung, weil sie quasi aus dem Nichts kommt. Sie profitiert von den Kontrasten der blutbeschmierten Körper zur sauberen Kulisse, die zuvor so akribisch in Position gebracht wurde, während das Blut im dunklen Holz versickert wie Kirschsaft im Kuchenboden. Nicht zuletzt spielt die Anatomie der Szene eine entscheidende Rolle: Es ist kein normaler Sex, der hier stattfindet, sondern eine Zepterübergabe: Die Frau oben, grunzend, zitternd und sich gehen lassend, hält sie dennoch die Zügel in der Hand. Dass der Überfall nicht der eigentliche Wendepunkt der Handlung ist, sondern diese grelle Sequenz, sagt im Übrigen viel darüber aus, was in einer brasilianischen Großstadt als Normalität empfunden wird.
Allerdings gelingt der Aufbau dann doch etwas besser als die eigentliche Eskalation. Gerade als es zur Sache geht, tönt der für sich genommen durchaus interessante Elektro-Soundtrack von Rafael Cavalcanti manchmal eine Spur am Ziel vorbei. Die Ruhephasen zwischen den Höhepunkten werden zwar von den intelligenteren Figuren im Film (etwa des Kochs) für analytische Beobachtungen genutzt, die allerdings den letzten Schliff in den Dialogen vermissen lassen (sofern nicht eine Menge Information bei der Übersetzung aus dem Portugiesischen verloren gegangen ist). Einige der Figuren, die sehr vielversprechend eingeführt werden, scheinen auf halber Strecke außerdem ihren Reiz zu verlieren, was gerade bei Murilo Benício auffällt, der als Restaurantbesitzer facettenreich eingeführt wird und dann zurechtgestutzt wird wie eine wild wuchernde Hecke. Das Gegenteil lässt sich immerhin von Luciana Paes behaupten, die einen relativ unscheinbaren Einstieg bekommt, letztlich aber nichts Geringeres als das Gesicht des Films wird. Doch ist diese inkonsistente Figurenentwicklung kein Makel mehr, sondern eine bewusst getroffene Ansage. Angesichts der patriarchalen Strukturen, die weltweit existieren, handelt es sich also wohl auch um einen zutiefst feministischen Film.
„The Friendly Beast“ dürfte also vor allem jene Zielgruppe ansprechen, die bei Indies wie „The Invitation“ oder „Coherence“ gerne in Beobachterposition hinter dem Sofa kauerte, um das Verhalten von Personen innerhalb einer abgeschiedenen Gruppe während einer Ausnahmesituation zu studieren. Hinter den genannten Arbeiten muss sich das Spielfilm-Regiedebüt der langjährigen Autorin Gabriela Amaral jedenfalls nicht verstecken, auch wenn noch etwas mehr Biss in der Präsentation der Grundaussage nicht geschadet hätte. Dem aufgeschlossenen Cineasten offenbaren sich immerhin spannende Einblicke in die Beurteilung der gesellschaftlichen Dynamik aus dem Herzen Südamerikas, die sich organisch mit Anleihen aus dem Kino des Monströsen und Deformierten verknüpfen. Obwohl dieses minimalistische Dialogstück somit vor allem die Eigenschaften eines am Realismus orientierten Sozialexperiments verkörpert, referenziert es auch Genre-Streifen (v.a. durch die langsame Dezimierung des Casts) und wird so fast beiläufig zu deren Synthese.
Informationen zur Veröffentlichung von “The Friendly Beast”
Aufatmen, liebe DropOut-Freunde, der Hahn tropft wieder. Nach der Veröffentlichung des Boxerdramas „Der Boxer und der Tod“ im Mai 2018 ist es verdächtig still geworden um das Kölner Arthaus- und Indie-Label; so still, dass mancherorts bereits über einen möglichen Exitus spekuliert wurde. Es hat nun schließlich mehr als ein sattes Jahr gedauert, bis „DropOut 033“ in den Regalen stehen sollte. Und alle Zeichen stehen auf Besserung: Im September wird der deutsche Mystery-Thriller „Luz“ als Nr. 34 erscheinen, im Oktober folgt dann endlich der lang erwartete „Wild Boys“ aus Frankreich als #35.
Machen wir aber vor unserer Europa-Tour zunächst eine Reise auf den südamerikanischen Kontinent. Hinter dem „DropOut 33“ verbirgt sich eine kleine Werkschau der brasilianischen Regisseurin Gabriela Amaral Almeida, die 2006 mit dem dokumentarischen Kurzfilm „Revolución azul“ ihre ersten Credits als Autorin erntete und 2010 mit „Náufragos“ nach eigenem Drehbuch ihren ersten Kurzfilm drehte. Inzwischen bringt sie es auf sechs Kurz- und zwei Spielfilme. Bei „The Friendly Beast“ handelt es sich um ihren ersten Langspielfilm. Auf dieser Veröffentlichung wird er begleitet von zwei Kurzfilmen, die im folgenden vorgestellt werden.
Die Hand, die hält
Originaltitel: A Mão Que Afaga__Herstellungsland: Brasilien__Erscheinungsjahr: 2012__Regie: Gabriela Amaral__Darsteller: Luciana Paes, Antônio Camargo, Marina Flores, Valéria Lauand |
Eine Frau (Luciana Paes) spricht in die Kamera. Doch sie spricht nicht zu uns; ein Headset ist um ihren Kopf gelegt. Sie ist offenbar Telefonistin und soll wahllose Haushalte von den Vorteilen einer „SilverCard“ überzeugen. Einem Mann, den sie gerade am Telefon hat, sagt sie mechanisch ihren Werbetext auf. Der Mann reagiert verärgert ob des unerwünschten Anrufs, wird zynisch und schließlich persönlich. Doch die Telefonistin bleibt in ihrer Rolle, womit sie den Vorgaben ihres Arbeitgebers nachkommt. Was weder der Arbeitgeber noch der Mann am Telefon sehen können: Die Frau wird durch die Beleidigungen seelisch verletzt. Ein Musterbeispiel für fehlgeschlagene Kommunikation mit unbeabsichtigten Kollateralschäden.
Schon anhand dieser ersten Szene werden die thematischen Grundlagen sichtbar, die Gabriela Amaral offenbar stark genug beschäftigten, um sie in späteren Arbeiten weiter zu erkunden. Für diesen Kurzfilm ist es eine bildhafte, fast wie ein Sprachspiel von Wittgenstein präsentierte Eröffnung für ein noch wesentlich komplexeres Erkundungsgebiet, das in einer schlecht organisierten Kindergeburtstagsparty gefunden wird. Dunkel ausgeleuchtet wie in einem David-Lynch-Alptraum, die Partygäste symmetrisch im Bildkader positioniert wie bei einer Theaterinszenierung, bleibt jede kindliche Spontanität und Authentizität ein reines Phantasma. Ein solches schwebt im Raum durch die Bemühungen der anwesenden Erwachsenen, die „so tun“ müssen, als sei die Veranstaltung mit bloß einem Gastgeber und einem Gast ein großer Spaß, obwohl es das ganz offensichtlich nicht ist. Ein tanzender Animateur im Bärenkostüm setzt der Falschheit der Situation die Krone auf.
„Die Hand, die hält“ zeigt eindrucksvoll auf, wie man bereits im Kindesalter lernen muss, Rollen anzunehmen, um den Schein der Normalität zu wahren – und wie man auch im Erwachsenenalter an der früh gelernten Verweigerung von Individualität und persönlichem Ausdruck oft zu ersticken droht. Luciana Paes, die fünf Jahre später auch in „The Friendly Beast“ als Hauptdarstellerin glänzen würde, gelingt es über Mimik und Gestik, die Gefangenschaft in sozialen Mustern nahe an den Zuschauer heranzutragen. Unterstützt wird sie dabei von guten Nebendarstellern, einer hervorragenden Kameraarbeit, stimmungsvoller Ausleuchtung und einer geschmackvollen Auswahl an Metaphern, die zwar in der hier verwendeten Ausführung nicht mehr zu den neuesten Instrumenten des Bildhauers gehören, jedoch fachkundig eingesetzt werden.
Keine Bewegung!
Originaltitel: Estátua!__Herstellungsland: Brasilien__Erscheinungsjahr: 2014__Regie: Gabriela Amaral__Darsteller: Maeve Jinkings, Helena Ignez, Clarissa Kiste, André Guerreiro Lopes, Cecilia Toledo |
In „Keine Bewegung!“ schärft Gabriela Amaral vor allem jene Werkzeuge, die sie benötigt, wenn sie sich zukünftig im Thriller- und Horror-Fach unter Beweis stellen möchte. Der ungewöhnliche Plot um eine schwangere Nanny, die sich einen Abend lang mit einem unheimlichen Teufelsbraten herumschlagen muss, lässt implizit eine Stimmung wie bei „Rosemary’s Baby“ aufkommen, denn die Vorfreude auf das eigene Kind weicht langsam der diffusen Ahnung, dass das Leben als Mutter vielleicht doch nicht die Erfüllung aller Träume sein könnte.
Mit dunklen Silhouetten in der Tür und Kameraschwenks, die auch bei Jump Scares verwendet werden (hier allerdings ohne Buh-Effekte) ist dieses Zweipersonenstück jedenfalls in Sachen Genre-Kategorisierung klar positioniert. Was den Subtext angeht, ist die Vorgehensweise jedoch äußerst subtil. Abgezielt wird letztlich auf die allgemeine Einigung darauf, dass Mutterschaft etwas Wunderbares ist, der einzige relevante Daseinszweck einer Frau womöglich, und dass ein Leben ohne Kinder ein verschwendetes Leben ist. Wie viel von einer gesellschaftlichen Fessel in einer solchen Vorstellung steckt, veranschaulicht dieser Kurzfilm in einer sukzessiven Abkehr von der Idealvorstellung, die langsam und unaufhaltsam heranrückt wie eine grauenvolle Vorahnung. Hauptdarstellerin Maeve Jinkins wird in Situationen gezeigt, in denen sie offensichtlich einen Ausweg aus der Situation als alleinerziehende Mutter sucht – im Gespräch mit dem Erzeuger des ungeborenen Kindes beispielsweise, der nichts mit alldem zu tun haben will, oder bei der ziellosen Masturbation unter der Dusche, die nicht zum gewünschten Ergebnis führt.
Das Spiel, das die werdende Mutter am Ende mit ihrem Schützling spielt, ist auch eine Metapher für die eingefrorene Selbstverwirklichung – brav in der Pose verharren, bis der ganze Spuk vorbei ist.
Der Audiokommentar
Diese beiden Kurzfilme bilden natürlich das Zentrum des Bonusmaterials, das auf Video-Ebene ansonsten nur noch einen Trailer zum Hauptfilm zu bieten hat. Allerdings geleitet die Regisseurin per Audiokommentar noch einmal in knapp 100 Minuten durch ihre erste große Arbeit. Der Kommentar ist erwartungsgemäß auf Portugiesisch eingesprochen, wurde aber selbstverständlich optional mit deutschen Untertiteln versehen (und wäre anderenfalls für die allermeisten Zuschauer wohl auch vollkommen unbrauchbar gewesen). Wie fast jeder Solo-Kommentar hat auch dieser mit einigen Momenten des Schweigens zu kämpfen, zumal man sich an die eher monoton klingende Stimme der Sprecherin zunächst ein wenig gewöhnen muss. Sie belohnt ihre Zuhörer allerdings durch interessante Hintergrundinformationen und geht darüber hinaus sogar oft in den Agitationsbereich eines Filmhistorikers oder -Analysten hinein, wenn sie beispielsweise Bildaufteilungen erläutert und so auf Details hinweist, die eine ganz neue Sicht auf die jeweiligen Szenen erlauben.
Ton und Bild
Nicht nur der Audiokommentar verfügt über deutsche Untertitel, sondern auch der Hauptfilm und die beiden Kurzfilme. Eine absolute Notwendigkeit, denn eine deutsche Synchronisation ist nicht Teil der Veröffentlichung. Der in DTS abgemischte Originalton ist dafür allerdings absolut gelungen. Wenn Djair in seiner Küche die Speisen zubereitet, hört man jedes Schmatzen der Messer, die durch Sehnen schneiden und jedes Häckseln, das die Kräuter zerkleinert. Ansonsten dominieren vorwiegend Dialoge, aber vereinzelte Pistolenschüsse, die Reibung von Haut auf Haut und das Gestöhne und Gegrunze aus Angst oder sexueller Erregung kommt voluminös aus allen Kanälen. Auch der Soundtrack greift sich den Platz, den er benötigt, und verändert auf Anhieb die Stimmung, wann immer er ins Geschehen eingreift.
Das Bild derweil transportiert das mit Bedacht gewählte Farbschema mindestens ebenso gut wie der Ton. Ein Kontrast aus hellen und dunklen Flächen bestimmt das Ambiente. Die weiße Berufskleidung der Bedienung ergänzt sich mit der vollmundigen Einrichtung und die Blu-ray bringt dieses Spiel der Kontraste sehr schön zur Geltung.
Die Verpackung
In den Läden wird man insgesamt zwei Fassungen finden: Die DVD und die hier besprochene Blu-ray. Wie gewohnt wird für beide Versionen ein transparentes Amaray-Case in DVD-Größe verwendet mit Platz für eine Disc. Das Einlegemotiv zeigt im Inneren eine Nahaufnahme des mit Blut besudelten Holzbodens. Von außen blicken die Hauptdarsteller Murilo Benício und Luciana Paes auf der Vorder- und Rückseite durch die Bullaugen der Schwenktüren und man möchte darin auf Anhieb eine kleine Reminiszenz an Jack Nicholson in „Shining“ erkennen. Die Amaray wiederum steckt in einem kunstvoll gestalteten Pappschuber, dessen Frontmotiv eine stilistisch und farblich stark verfremdete Nahaufnahme von Luciana Paes zeigt, über die sich ein expressionistisches Netz aus weißen Strichen spannt. Das Backcover führt eine Inhaltsangabe, diverse Screenshots, zwei Kritiker-Zitate, die Produktionsdetails und eine Auflistung des Bonusmaterials. Eine beigefarbener Rahmen läuft oben und unten entlang; auch der obere und untere Rand des Schubers ist noch einmal bedruckt mit Filmtitel, FSK18-Logo, Label-Logo und Copyright-Hinweisen. Das sieht insgesamt sehr edel aus, kann aber auch überladen wirken. Der Schuber ist übrigens wie gewohnt nochmals von einer Banderole umwickelt, die den Rahmen in blau einfasst (in der Blu-ray-Variante) und im Frontbereich Platz lässt für Icons, die dann glücklicherweise nicht mehr auf der Front des Schubers abgedruckt werden müssen – das Blu-ray-Logo, das fette FSK18-Zeichen oder der „F-Rated“-Hinweis. Wer sich übrigens fragt, was ein „F-Rating“ ist: Dieses wurde 2014 von Holly Tarquini vom FilmBath-Festival als Indikator eingeführt, um eine Vorstellung davon zu geben, inwiefern Frauen vor und hinter der Kamera als treibende Kräfte an der Produktion beteiligt waren – vergleichbar mit dem Bechdel-Test. Klar, dass dieser Film sein F-Rating sicher hat.
Das Booklet
Auch das 20-seitige Booklet wurde von zwei Frauen verfasst. Kat Ellinger, die wir gerade erst im Bonusmaterial zu „Die Rache des Pharao“ über Jeanne Roland haben referieren hören, verfasst zu „The Friendly Beast“ einen Text, in dem sie interessante Bezüge zum phantastischen Kino spannt. Shelagh Rowan-Legg geht im Folgetext vergleichbare Wege, wählt aber stattdessen den Exploitation-Film als Vergleichsobjekt. Beide Texte sind intelligent geschrieben, werfen interessante Thesen in den Raum und wetzen sich nicht unnötig lange an Filmbiografien ab. Noch dazu sind sie schön flüssig zu lesen. Ein Dank geht hier an die deutsche Übersetzung, denn: Die Texte sind in Deutsch abgedruckt.
Soundtrack und Limited Edition
Wer sich die volle Ladung geben will, sollte aber direkt den Online-Shop von Bildstörung ansteuern. Dort gibt es exklusiv eine auf 300 Stück limitierte Edition, in der nicht nur Blu-ray und DVD der Einzelfassungen enthalten sein werden, sondern auch noch eine Bonus-CD mit dem Soundtrack von Rafael Cavalcanti. Die CD umfasst 9 Titel bei einer Gesamtlaufzeit von ca. 19 Minuten. Es handelt sich um einen Elektro-Score mit Dream-Pop-Elementen, der streckenweise auf Rhythmik verzichtet und einfach nur seine Ambient-Spuren schweben lässt, zwischenzeitlich aber auch sehr beatlastig werden kann, Handclaps und stumpfe Basswalzen inklusive. Die Gesamtstimmung ist eher melancholisch-düster; das dritte Stück erinnert stark an die Titelmelodie von „Twin Peaks“. Gesang ist nur im sechsten Stück zu finden, das achte wiederum experimentiert mit Versatzstücken aus der klassischen Musik. Das Hauptmotiv ertönt gleich an erster Stelle, wird aber noch einmal im fünften Stück mit einer Reprise beehrt. Zum Ausklang werden Drone-Fanfaren mit Handtrommeln serviert. Eine insgesamt sehr interessante Klangerfahrung, die sich im Film zwar nicht immer organisch mit den Bildern vereinen mochte, auf CD allerdings mit voller Aufmerksamkeit genossen neue Facetten preisgibt.
Sascha Ganser (Vince)
Bildergalerie von “The Friendly Beast”
Sascha Ganser (Vince)
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