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Fear City – Manhattan 2 Uhr nachts

Originaltitel: Fear City__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1984__Regie: Abel Ferrara__Darsteller: Tom Berenger, Billy Dee Williams, Jack Scalia, Melanie Griffith, Rossano Brazzi, Rae Dawn Chong, Joe Santos, Michael V. Gazzo, Jan Murray, Janet Julian, Daniel Faraldo, Maria Conchita Alonso u.a.
Fear City

Tom Berenger und Jack Scalia jagen einen irren Killer in Abel Ferraras “Fear City”

Der deutsche Untertitel „Manhattan 2 Uhr nachts“ passt tatsächlich sehr gut zu Abel Ferraras „Fear City“, denn sein Großstadtthriller fängt die Stimmung von gewissen New Yorker Vierteln in den 1980ern nicht nur ein, sondern macht auch daraus seine Hauptattraktion.

Während der Titelsong, „New York Doll“ von David Johansen, tönt, überfliegt die Kamera erst das nächtliche Manhattan, steigt danach aber in dessen dreckigere Vergnügungsspelunken ab. Schuppen, in denen Stripperinnen tanzen, aus deren Kreis Loretta (Melanie Griffith) der Star ist. Sie und andere werden an die Läden von einer Agentur vermittelt, die der Ex-Boxer Matt Rossi (Tom Berenger) und sein Kumpel Nicky Parzeno (Jack Scalia) leiten. Matt und Nicky kassieren Kommission und arbeiten mit einer Mafiafamilie zusammen – so wie jede andere Nackttänzerinnenvermittlung der Stadt auch. Damit erzählt „Fear City“ von einem Ökosystem der New Yorker Halbwelt, in dem Matt und Nicky halb Zuhälter, halb kumpelhafte Arbeitsvermittler sind, die ihre Pferdchen auch mal anschnauzen, gleichzeitig aber ein echtes Beschützerinteresse an ihnen haben.

Besagtes Interesse kann auch weitergehen: Nicky ist mit einer Stripperin zusammen, Matt ist Lorettas Ex-Freund. Doch Stripperinnen und Vermittler werden empfindlich getroffen, als ein wahnsinniger Mörder Jagd auf die exotischen Tänzerinnen macht, die vor allem aus dem Stall von Matt und Nicky stammen…

httpv://www.youtube.com/watch?v=T6y46SESYYM

Mit „Fear City“ führt Ferrara seine Geschichten aus dem Unterleib von New York City weiter, siehe dazu auch seine vorigen Werke „Driller Killer“ und „Die Frau mit der 45er Magnum“. Allerdings will „Fear City“ gleich alles auf einmal sein: Slasher, Liebesdrama über beschädigte Seelen, Gangsterfilm, garniert mit Erotik, einer Boxergeschichte und ein paar Actionszenen. Denn der Killer ist Kampfkünstler, der fast jedes Opfer mit einer anderen Ninja-Waffe umbringt, von Handmesser über das Nunchaku bis zum Schwert, womit Ferrara auch dem Creative Killing des Slasherfilms Rechnung trägt. Wenngleich die Szenen etwas abgehackt daherkommen, da „Fear City“ für ein R-Rating mehrere Schnittrunden über sich ergehen lassen musste. Die erhältliche Unrated ist dann in erster Linie bei Nacktheit freizügiger, während der Fehlmaterial der Mordszenen verschollen bleibt. Natürlich gibt das Vorgehen des Bösewichts Raum für ein zünftiges Finale, in dem Matts Old-School-Boxen gegen die fernöstliche Kampfkunst des Killers steht, zu einer Zeit, in welcher der Martial-Arts-Film auch in den USA immer populärer wurde. Neil Clifford („Die Klasse von 1984“) zeigt durchaus Körperbeherrschung in der Rolle des namenlosen, noch nicht einmal im Vor- oder Abspann genannten Mörders, die Kampfszenen bieten auch nette Schauwerte, doch sonst hat man sich wenig zum Killer einfallen lassen: Ein Whodunit fällt flach, weil der Zuschauer den Schurken von Anfang an sieht und dieser sowieso keine tiefergehenden Motive hat. Es ist einfach ein Fanatiker auf einem selbstgewählten Kreuzzug gegen den vermeintlichen Schmutz und Abschaum, den er in den Stripperinnen verkörpert sieht.

Eine nicht ganz unähnliche Mordserie hatte William Friedkin wenige Jahre zuvor mysteriöser und fesselnder in „Cruising“ geschildert, während die Morde und Mordversuche hier nur Set-Pieces sind. Vor allem aber geschieht der Mordplot erschreckend beiläufig und scheint in erster Linie dafür da zu sein, dass noch irgendwas die Handlung gelegentlich am Laufen hält. Ein Gangsterkrieg droht auszubrechen, wird aber abgeblasen, als der Killer Damen aus verschiedenen Zirkeln anfällt, ein harter Bulle, Al Wheeler (Billy Dee Williams), jagt ebenfalls nach dem Mörder und ergeht sich in Kompetenzgerangel mit der Unterwelt, die das Problem lieber auf eigene Weise lösen will, hat aber erst im letzten Drittel wirklich Berührungspunkte mit der Geschichte Matts.

Dem schreibt das Drehbuch die Traumata noch und nöcher an die Rübe: Unter der Trennung von Loretta leidet er ebenso wie an der Erinnerung an einen früheren Kampf, bei dem er seinen Kontrahenten im Ring totschlug, weshalb er die Pulle Sprit stets im Anschlag hat. Wenn er dann im Kampf gegen den Killer die Chance zur Vergebung sieht, die Möglichkeit seine mörderischen Prügelimpulse gegen den Schurken anzuwenden, dann ist das aus der Geschichte eigentlich klar, aber da Ferrara sein Publikum offensichtlich für schwer von Begriff hält, müssen während dieser Prügelei noch Flashbacks zu besagtem Totschlag im Ring sein, damit auch die Dümmsten die Parallele noch kapieren. Und trotz all dieser Informationen bleibt Matt eine seltsam leere Figur, ähnlich wie Loretta, was die Beziehung der beiden, ein vermeintliches Herzstück des Films, zum weiteren Schwachpunkt werden lässt: Warum die beiden sich getrennt haben, warum sie immer noch so viel füreinander empfinden, das kann Ferrara ebenso wenig glaubwürdig vermitteln wie die Tatsache, dass die eigentlich seit einer Weile clean lebende Loretta nach dem Tod einer Freundin in Rekordzeit einen Rückfall hat und zum zugekoksten Wrack wird.

Vor allem aber ist die Geschichte von Matt und Loretta, trotz der dichten Manhattan-2-Uhr-nachts-Atmosphäre, trotz der Morde, Nacktszenen und des Gangstermilieus, ziemlich 08/15 – denkt man sich den erwähnten Rahmen weg, dann ist es die handelsübliche Geschichte zweier Menschen, die nur schwer miteinander, aber noch schwerer ohne einander können, nur eben hier mit begrenzt gelungener Charakterzeichnung. Und für diese Geschichte finden Ferrara und Drehbuchautor Nicholas St. John („King of New York“) dann auch ein 08/15-Ende. *SPOILER* Natürlich ist Loretta das letzte Beinahe-Opfer des Films, natürlich geht es ihr fast an den Kragen, als Matt auf einmal als Ein-Mann-Kavallerie in der Gasse auftaucht und den Schurken plattboxt. Die Polizei ist zumindest an der Oberfläche not amused, packt die beiden zwecks Verhör in einen Streifenwagen, wo man die Versöhnung des Paares sieht. Die toten Stripperinnen, der beste Freunde im Koma – das interessiert an dieser Stelle weder Film noch Protagonisten, weshalb Ferrara dann auch konsequent an dem Punkt den Abspann rollen lässt. *SPOILER ENDE*

Beim Casting macht „Fear City” dagegen wenig falsch. Tom Berenger („Sniper: Homeland Security“) ist stark besetzt als Alki, der mit sich selbst und seinem Leben hadert, ein Verlorener im nächtlichen Neonsumpf, der eher dumpf vor sich hin funktioniert als wirklich zu leben. Billy Dee Williams („Nachtfalken“) und Jack Scalia („T-Force“) machen das Beste aus ihren vom Drehbuch nur unzureichend skizzierten Figuren, Charakterfressen wie Joe Santos („Last Boy Scout“) und Michael V. Gazzo („Last Action Hero“) bevölkern das halbseidene Milieu und unter den Stripperinnen sieht man talentierte Schauspielerinnen wie Maria Conchita Alonso („Ausgelöscht“) und Rae Dawn Chong („Commando“) in frühen Rollen. Einziger Schwachpunkt ist Melanie Griffith („Fegefeuer der Eitelkeiten“), die zwar viel Körpereinsatz zeigt, aber nie so recht vermitteln kann, was denn nun an Loretta so toll, einzigartig und faszinierend ist, dass ihr Matt und die Stripclubbesucher zu Füßen liegen, und auch sonst darstellerisch schwächelt.

„Fear City“ erweist sich als atmosphärisch extrem dichter Thriller, dessen Drehbuch leider mit der einzigartigen Stimmung des Films nicht mithalten kann: Zu oberflächlich für ein Liebesdrama im halbseidenen Milieu sind die Protagonisten angelegt, zu egal ist der Plot um den gestörten Karate-Killer. „Fear City“ will zwar extrem viel auf einmal sein, ist aber deshalb nichts davon so richtig.

In Deutschland wurde „Fear City“ früher von e-m-s, inzwischen von Concorde auf DVD veröffentlicht und das in der Unrated-Fassung, die hierzulande ab 16 freigegeben ist. Dieser merkt man allerdings das Hickhack mit der MPAA immer noch an; sie ist aber in ein paar Szenen freizügiger als die amerikanische R-Rated-Fassung. Die Concorde-Version enthält in Sachen Bonus ein paar Trailer, bei e-m-s gibt es Biographien und ein Abel-Ferrara-Portrait.

© Nils Bothmann (McClane)

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