Originaltitel: Polar__Herstellungsland: USA/Deutschland__Erscheinungsjahr: 2019__Regie: Jonas Åkerlund__Darsteller: Mads Mikkelsen, Vanessa Hudgens, Matt Lucas, Robert Maillet, Katheryn Winnick, Ruby O. Fee, Fei Ren, Josh Cruddas, Anthony Grant, Richard Dreyfuss, Johnny Knoxville u.a. |
Kassenerfolge wie „Taken“, „The Equalizer“ oder „John Wick“ machen es vor: Mit alternden Profis, die noch einmal zu Hochform auflaufen und die Feinde gleich hordenweise ins Jenseits schicken, ist im Actionfilm gerade gut Stimmung zu machen. Netflix wollte da auch nicht hintanstehen und schickte die ähnlich gelagerte Graphic-Novel-Adaption „Polar“ ins Rennen.
Dem Ursprungsmaterial zollt Regisseur Jonas Åkerlund („Horsemen“) in Figurensemble und Bild Tribut, werden die Figuren doch im besten Guy-Ritchie-Style mit Namenseinblendung bei eingefrorenem Bild vorgestellt, ähnlich wie in der artverwandten Comicverfilmung „Accident Man“, die „Polar“ ebenfalls inspiriert haben könnte. Auf diese Weise lernt man jedenfalls eine Hit Squad kennen, die in der Anfangsszene den verrenteten Profikiller Michael Green (Johnny Knoxville) umnietet: Hilde (Fei Ren), Sindy (Ruby O. Fee), Karl (Robert Maillet), Facundo (Anthony Grant) und Alexei (Josh Cruddas). Anscheinend hoffen Regisseur Åkerlund und Drehbuch Jayson Rothwell („Silent Night“), dass der Zuschauer bei soviel Style und Abgedrehtheit geflissentlich übersieht, dass diese Killertruppe, die man öfter sieht, fast keinerlei Persönlichkeit besitzt, sieht man mal von Attributen wie dem Lockvogel oder dem Scharfschützen ab. Das sah bei der Deadly Viper Assassination Squad aus „Kill Bill“, um noch ein weiteres Vorbild zu nennen, ganz anders aus.
Für die gleiche Organisation, angeleitet von deren Chef Blut (Matt Lucas), arbeitet auch Duncan Vizla (Mads Mikkelsen), auch Black Kaiser genannt. Der ist auf dem Weg in den verordneten Ruhestand, der an seinem 50. Geburtstag fällig wird, und gar nicht mal so unfroh darüber: Er ignoriert die Anrufe bezüglich des nächsten Mordauftrags und lebt zurückgezogen in einem kleinen Bergkaff, als Nachbar der schüchternen Camille (Vanessa Hudgens). Wie John Wick, wie Ross McCall ist auch Vizla immer noch auf Zack und sehr vorsichtig, verschleiert den eigenen Aufenthaltsort sogar vor seinem Buchhalter. Fast ebenso obligatorisch für einen gealterten Profi im Actionfilm sind die Erinnerungen an frühere Tötungsaufgaben, hier in Form traumatischer Flashbacks gereicht, die an Åkerlunds Hintergrund als Musikvideoregisseur erinnern, sowie der immer noch vorhandene Ehrenkodex, der ihn irgendwann doch noch den Auftrag annehmen lässt.
Also sucht Vizla den vermeintlichen Hintermann des Mordes an Green auf, nur um festzustellen, dass er das eigentliche Ziel bei der Operation ist. Seinen Gegner und dessen Schergen kann er zwar ausschalten, doch Bluts Killerteam ist auf Vizlas Fährte…
httpv://www.youtube.com/watch?v=kPH21j3N5Cc
In jedem vernünftig erzählten Actionfilm würden besagte Häscher dann auch spätestens in Minute 20 auf Vizlas Matte stehen, doch der mit zwei Stunden viel zu lange „Polar“ lässt den (Anti-)Helden erst zur Halbzeitmarke auf die Killertruppe treffen. So verschwendet „Polar“ viel zu viel Exposition für eine banale Handlung, zumal der Zuschauer schon lange vor dem Protagonisten weiß, was Phase ist: Blut will die Rentenzahlungen für Killer im Ruhestand einsparen, weshalb Vizla sterben soll. Das ist schon eine reichlich dünne Geschichte, außerdem schon x-mal gesehen und dargereicht mit allem, was man aus artverwandten Werken kennt. So muss natürlich Camille, über die Vizla quasi-väterlich wacht, auch irgendwann in Gefahr geraten, so gibt es die alten Killerkollegen und Waffenhändler, die mal eine Hilfe, mal Verräter sind, und am Ende einen Twist, den jeder Zuschauer schon erahnt, der schon mal den einen oder anderen Film über Profikiller gesehen hat und während des Films halbwegs aufmerksam war.
Aber auch bei einer simplen Story kann man ja durchaus ein Actionfeuerwerk abbrennen, doch auch in dieser Hinsicht liefert „Polar“ nur bedingt. Die meisten Konfrontationen sind leider eher kurz, weshalb eigentlich nur der Überfall auf Vizlas Hütte und die Flucht aus dem Folterkeller so wirklich herausragen. Dafür ist das Gebotene meist gelungen choreographiert, versiert in Szene gesetzt (nur hin und wieder schwächelt Akerlunds Rauminszenierung) und mit einem derben Härtegrad versehen: Da werden Beine und Genicke mit lautem Knacken gebrochen, blutige Einschüsse serviert und Hackebeile in Köpfe geworfen. Etwas schade ist die Natur der Lagerhallenszene im letzten Drittel und des Showdowns, welche beide die Erwartungen an exzessive Gefechte unterlaufen – im Fall der Lagerhalle immerhin mit einem coolen Gimmick. Aber aus dramaturgischer Hinsicht ist das Ganze dann allerdings fragwürdig: Gerade im Schlussspurt sollte ein Actionfilm doch die möglichst besten Actionsequenzen bieten, Überraschungseffekt der besagten Szenen hin oder her.
Ansonsten erinnert „Polar“ dann an jene Tarantino-Plagiate, die vor allem in den 1990ern die Videotheken bevölkerten (Åkerlund hatte Tarantino in seinem Musikvideo zu Lady Gagas „Telephone“ ja auch schon gehuldigt), mit all jenen vermeintlich abgedrehten Begaben. Es gibt also jede Menge schräge Gewaltmomente wie ausgestochene Augen, es gibt adrette Frauen, gern leicht bekleidet, gern mit lesbischen Neigungen, es gibt viel Gefluche, es gibt Nacktheit und Sex, es gibt coole Unterweltgestalten und es gibt jene Szenen, in denen diese Figuren (vermeintlich) aus der Rolle fallen, etwa wenn die Killertruppe nach erledigtem Auftrag gemeinschaftlich „Dancing in September“ von Earth, Wind & Fire trällert, inklusive Karaoke-Einblendung. Nur wirken viele dieser Elemente einfach wie hingeschluderter Frass fürs Videoabend-Publikum, etwa die Szenen, in denen die Hit Squad auf der Suche nach Vizla einen misogynen Frauenschläger, jugendliche Kiffer und einen grotesk fetten Couch Potato durch den Wolf dreht. Besonders deplatziert und pseudo-gewagt wirkt jener Part, in dem Vizla erst einen Welpen kauft, diesen dann nach einem Alptraum allerdings versehentlich abballert.
So wirkt „Polar“ fast wie ein Gegenentwurf zu Åkerlunds vorigem Film, dem Black-Metal-Biopic „Lords of Chaos“. War jener noch ein überlegter Film über Posertum und dessen Gefahren, so ist „Polar“ dann eher ein Poser-Film. Einer, der um jeden Preis cool und edgy sein will und deshalb nur bemüht wirkt. Immerhin verbindet Åkerlund bei der Inszenierung zwei stilistisch vermeintlich inkompatible Elemente seiner bisherigen Filme und Musikvideos: Auf der einen Seite ist da jene Unterschichts-, Schmuddel- und Absturzästhetik, die schon „Spun“ oder seine Metallica-Musikvideos zu „Turn the Page“ und „Whiskey in the Jar“ auszeichnete, auf der anderen Seite grelle und comichafte Elemente, die sich in den bunten Kostümen vieler Figuren und der knalligen Ausleuchtung mancher Szenen äußern. Diese optische Gratwanderung gelingt „Polar“ auf jeden Fall, womit der Film immerhin visuell etwas zu bieten hat.
Ein weiteres Pfund, mit dem die Comicverfilmung punkten kann, ist sein Hauptdarsteller: Mads Mikkelsen („Rogue One“) ist – wie eigentlich immer – eine Bank als stoischer, gnadenlos cooler Profi, der vorsichtig, hilfsbereit und gnadenlos sein kann, je nach Situation. Duncan Vizla mag als Figur vom Drehbuch nur begrenzt gut ausgearbeitet werden, aber Mikkelsens Präsenz kann den Film tragen. Vanessa Hudgens („Frozen Ground“) als zurückgezogene Camille kann ebenfalls punkten. Schlechter sieht es beim Supportcast aus: Die talentierte Katheryn Winnick („Der dunkle Turm“) ist einfach nur verschenkt, da ihre Rolle kaum eine Funktion erfüllt und in erster Linie abgefahrene Frisuren und Kostüme zur Schau tragen darf, während Matt Lucas („Small Apartments“) als Oberschurke hübsch sadistisch ist, aber viel zu sehr im Hintergrund bleibt. Die sonstigen Killer bleiben oberflächliche Scherenschnitte, deren Darsteller entsprechend wenig Raum zum Spielen bekommen, während weder Johnny Knoxville („Skiptrace“) noch Richard Dreyfuss („Paranoia – Riskantes Spiel“) in ihren jeweiligen Einzelszenen große Akzente setzen können.
Anstelle von „Polar“ sei also lieber ein Griff zu Vorbildern wie „John Wick“, „Accident Man“ oder „Shoot ‘Em Up“ empfohlen. Regie und Hauptdarsteller leisten zwar viel, die gebotenen Actionszenen sind teilweise recht gelungen, aber der 08/15-Plot, diverse dramaturgische Fehlentscheidungen und viele Szenen, die eher gewollt als gekonnt abfahren sind, öden schon an. Ein maximal mittelmäßiges Wannabe-Tarantino-Style-meets-Action-Filmchen, eher die Güteklasse von „Free Fire“, „Smokin‘ Aces“ oder „3000 Miles to Graceland“, eigentlich sogar noch etwas schwächer.
Knappe:
Da es sich bei „Polar“ um eine Netflix-Produktion handelt, ist der Film nur bei dem Streaming-Dienst zu sehen. Dort ist er ungekürzt mit einer Altersempfehlung ab 18 Jahren versehen, aber nicht offiziell von der FSK geprüft worden (ähnlich wie im Falle von „Darc“ oder „The Night Comes for Us“).
© Nils Bothmann (McClane)
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