Originaltitel: Luz__Herstellungsland: Deutschland__Erscheinungsjahr: 2018__Regie: Tilman Singer__Darsteller: Luana Velis, Jan Bluthardt, Julia Riedler, Johannes Benecke, Lilli Lorenz, Nadja Stübiger u.a. |
(((Klong))). Das Sounddesign übernimmt die Führung, mit einer einzelnen Note, präzise, pointiert und bestimmt. Es reicht aus dem Unterbewusstsein ans Ohr und spezifiziert eine neue Situation, die den Smalltalk in den Kino-Sitzreihen oder auf dem Wohnzimmersofa rüde unterbricht. Das Bild ist da noch gar nicht zugegen; der schwarze Bildschirm wird lediglich mit weißem Text gefüllt, der darüber informiert, dass dies eine von der Medienstiftung NRW unterstützte Abschlussarbeit der Kunsthochschule Köln ist.
(((Klong))). Diesmal im Einklang mit dem Bild, das die Szenerie nun endlich auch für die Augen eröffnet. Die Kamera verharrt starr im vorderen Winkel eines Raumes, der sich weit in die Tiefe erstreckt. Sie zeigt den bieder eingerichteten Empfangsraum einer Polizeibehörde, eine von Zeit und Raum losgesagte Hölle bürokratischer Nüchternheit. Obwohl sein Film im Gesamten nur 70 Minuten misst, lässt Tilman Singer den Eröffnungs-Take ganze vier Minuten lang in unbewegter Position verharren, während ein älterer Herr hinter dem Schreibtisch zur Linken eifrig seinen Papierkram erledigt. Eine burschikose junge Frau mit rücklings aufgesetzter Kappe betritt die Halle von rechts. Sie trägt Verletzungen im Gesicht. Gedankenverloren schlurft sie zum Getränkeautomaten, zieht sich eine Cola, nimmt zwei Schlucke, murmelt dann etwas zum alten Mann und wird schließlich sehr laut – bis in großen, bedrohlichen Buchstaben die Titeleinblendung vollzogen wird: LUZ.
Noch eine weitere längere Szene dauert es, bis Singer schließlich zu seiner großen Kernszene vorstößt, die das ganze Dasein des Films überhaupt rechtfertigt. Es ist jene Art von monolithischer Kammerspiel-Explosion, in der alles zusammenläuft, was man im Vorfeld an Thesen und Ideen gesammelt hat. Ein Polizeipsychologe führt an der verletzten Taxifahrerin eine Hypnose-Sitzung durch. Doch der Zuschauer steht bereits selbst unter Hypnose, ohne es zu wissen… und zwar ganz genau ab dem Moment, als er das erste (((Klong))) vernommen hat.
Vom Stigma der Hochschul-Filmtheorie und der naiven studentischen Prätention sollte man sich nicht allzu sehr blenden lassen. Während man noch darauf geeicht ist, die bewusst vom Konventionellen abweichenden Stilmittel an der Hand abzuzählen, um sie gegen den Film zu verwenden, arbeitet der im Hintergrund längst konzentriert an seiner inneren Kohärenz, die er hinter den undurchsichtigen Drehbuchseiten einer nicht-linearen Story versteckt. Durch die geschlossenen Räume, die limitierte Anzahl an Sets und die fein abgezählten Darsteller verrät sich „LUZ“ als weitgehend mittelloses Gelegenheitsprojekt, das durch Glück, Timing, Geschick, Schweiß und Blut wesentlich kosmischer wirkt als es, gedreht in irgendwelchen leer stehenden Büroräumen in Köln-Kalk, eigentlich ist. Das analoge 16mm-Filmmaterial zwingt zur Improvisation, denn das physische Drehmaterial ist eine knappe Ressource; vor jeder Szene muss ganz genau überlegt werden, was auf welche Art gedreht werden soll. Minimalismus ist in einer solchen Situation vorprogrammiert, ebenso wie der improvisierte Expressionismus der Akteure. Was zuerst zählt, ist die Gesamtkomposition des Moments; dann die Eingliederung des Moments in den Kontext der Geschichte, die jedoch voller Asymmetrien steckt.
Schaut in den Teaser zu “Luz” hinein
httpv://www.youtube.com/watch?v=WyCUzfNukgg&feature=youtu.be
Als Konsequenz dieser Methodik sehen wir Schnitte, die Verbindungslinien rücksichtslos durchtrennen und passend dazu radikale Veränderungen der Einstellungsgrößen, durch die man sich binnen Sekunden an neue Perspektiven gewöhnen muss. Die Supertotale dominiert das Erscheinungsbild, was die Akteure mitunter schrecklich klein erscheinen lässt, ein Phänomen, das sich auch auf die Tonspur überträgt; Julia Riedler muss bei ihrem ersten Auftritt aus der hinteren Ecke einer Bar so laut rufen, dass ihr Kollege Jan Bluthardt, der den eingangs erwähnten Polizeipsychologen spielt, sie gerade so versteht; was nicht bedeutet, dass auch wir sie zwangsläufig verstehen, da wir noch weiter von ihr entfernt sind als er. Ihr Gesicht wird von den fahlen Neonröhren an der Wand überstrahlt. Wir können seine Züge kaum erkennen. Während wir noch mit zugekniffenen Augen auf Gesichtserkennung geschaltet haben, wird aber wieder die Einstellungsgröße gewechselt. Es übernimmt eine Nahe oder der Close-Up, das Seiten- oder Halbprofil geht dabei manchmal sogar in die Frontale über, so dass wir den Akteuren Auge zu Auge gegenübersitzen. Gerade in den nahen Momenten beginnt man auch das starke Filmkorn wahrzunehmen und die künstlich hinzugefügten Schmutzpartikel im Bild, die es ebenso wie die gesamte Ausstattung erschweren festzustellen, wo und wann wir uns gerade befinden. Es wird überwiegend Deutsch geredet, doch die chilenische Hauptfigur verbreitet die wichtigsten Zeilen des Dialogbuchs, die mehrfach wiederholt werden, auf Spanisch: „Vamos hoy a cogernos el hijo de María“. Dazu werden chinesische Hinweise an den Toilettentüren abgefilmt und in der simulierten Outdoor-Szene kommt auch noch Englisch dazu.
In gewisser Weise schließt sich „LUZ“ damit der Strömung des Nostalgiefilms an, denn er könnte zu jeder Zeit in der Vergangenheit spielen, nur nicht im Jahr 2018, seinem Entstehungsjahr. Für ein Zeitalter, das so sehr von verwertbaren Daten abhängig ist wie das unsere, hat er einfach nicht genug an den Knochen, das statistisch zu ermitteln wäre; ein abgegriffenes Basecap mit „CHILE“-Flockung vielleicht, mehr nicht. Nur tote Räume, getaucht in künstliche Beleuchtung, die alles wie einen langen Wartesaal für das Jenseits wirken lässt. Einstellungswechsel und Montagen, die zwar hart wirken, wenn man explizit auf sie achtet, die aber nicht dazu führen, dass einem die Wahrheit wie Schuppen von den Augen fällt. Im Gegenteil, je mehr man das Gezeigte zu durchschauen meint, desto weicher bettet es den Verstand auf eine Illusion, die zunehmend diffuser wird. Die Schlussszene ist passenderweise ein leeres Nebelfeld, in dem unbesetzte Stühle als einzige Orientierungsmarker dienen. Das Verschwinden der hinteren Reihen deutet an, dass man nur wenige Meter in den Raum blicken kann. Ein schöner Kontrast zur Eröffnungssequenz; und man könnte kaum sagen, dass man diese Transformation der Location in aller Deutlichkeit mitverfolgt hätte.
Und doch ist das Mittelstück eine meisterhafte Konstruktion, deren verschachtelte Anmutung nicht unbemerkt mit der Zeit weiterzieht. Wie in Lars von Triers „Dogville“ wird die spartanische Kulisse zum Theatersaal, der mit reiner Suggestion den Status der Realität erklimmt. Kamerawinkel vermitteln in harmonischer Paarung mit dem Foley Design, dass da ein Auto mitten im Raum steht. Der aus diversen Tarantinos bekannte Trunk Shot wird mit den Geräuschen eines zuklappenden Kofferraums garniert, auf ihrem Sitzplatz wird Luana Veliz zur Bleifuß-Pantomime. Ihr männlicher Konterpart gibt sich der Travestie hin, um im Minikleid die Rekonstruktion einer bizarren Rückblende perfekt zu machen. Ein Übersetzer fungiert in seinem Holzkämmerlein im Bildhintergrund als Vermittler zwischen dem Zuschauer und dem Irrsinn, in den sich das Spektakel langsam steigert. Er schreit und verkriecht sich in der Ecke, als ihn auf einmal die Augen des Teufels anstarren. Wer hätte denn auch ahnen können, dass sich mitten in einem behördlichen Gebäude im deutschen Sprachraum plötzlich die dämonischen Feuer lateinamerikanischer Kultur entzünden könnten?
Mit der Filmtheorie jedenfalls spielt „LUZ“ so leidenschaftlich wie mit der Erwartungshaltung der Augen, die auf der anderen Seite der Leinwand wie Irrlichter von einer Ecke zur nächsten schwirren und darüber selbst in Trance fallen. Der Plot ist ein Gejagter im Schnee, sich rückwärts bewegend, um seine verräterischen Spuren zu verwischen; seine wahre Position kann man niemals auch nur erahnen. Wie in Peter Stricklands „Berberian Sound Studio“ gerät die äußere Form stellvertretend für den Inhalt in den Vordergrund und behauptet, das Eigentliche zu sein. Sie füllt das Vakuum, das der verlorene rote Faden hinterlässt und lässt sich dabei von dem surrealen Sounddesign begleiten. Dass Tilman Singer im Grunde nur einen überlangen Kurzfilm gedreht hat, ändert nichts an seiner Effizienz. Jede Geste, jeder Ton sitzt.
Informationen zur Veröffentlichung von “Luz”
Drop Out 034
(((Klong))). Gerade sitzen wir noch in einem Restaurant in Brasilien, da schnippt der Hypnotiseur mit den Fingern und wir sind zurück in Deutschland. Doch es ist eine weiche Rückkehr. Schließlich sitzt neben uns eine Chilenin und wiederholt spanische Zeilen wie ein Gebet. Wir haben also ein Stück Südamerika mit nach Hause genommen.
Man muss Bildstörung für ihre wohldurchdachte Produktlinie loben. Der als Drop Out 033 erschienene brasilianische Psychothriller „The Friendly Beast“ und die neue Nr. 034 aus Deutschland mit dem griffigen Titel „LUZ“ sind zwei grundverschiedene Filme… und doch gelingt es dem Kölner Label, aus seinen kunterbunten Veröffentlichungen ein kontinuierliches Produktdesign zu ziehen. Selbst die Artworks verfolgen ein ähnliches Konzept: War schon das Portrait auf dem Cover von „The Friendly Beast“ von einem Netz aus Rissen überzogen, sehen wir auf „LUZ“ übereinander plakatierte Darsteller-Gesichter, die sich durch abgerissene Papierfetzen überlagern und so zu einer Collage vereinen.
Die Verpackung
Versteht sich von selbst, dass der hohe Verpackungsstandard der Reihe gehalten wird. Ein Hochglanz-Papierumschlag mit blauer Blu-ray-Banderole und FSK16-Logo umwickelt einen Pappschuber, auf dem das Artwork nur von einem dezenteren schwarzen Rahmen eingefasst ist; ansonsten erstrahlt es auf dieser eigentlichen Umverpackung in voller Pracht. Die Körnigkeit des Motivs kommt hier auch noch einmal besser zur Geltung als auf dem Hochglanz-Umschlag, auf dessen Innenseite noch einmal alle bisherigen Releases aufgeführt sind. Das Backcover bietet eine Inhaltsangabe, fünf Screenshots, zwei Pressezitate vom Filmdienst und Film-Rezensionen.de sowie eine Auflistung des Bonusmaterials und der technischen Daten.
Weil das komplette Haupt-Artwork bereits auf dem Schuber Platz findet, ist auf der Amaray in DVD-Größe Platz für erweiterte Designs. Dieser Raum wird genutzt, um die Darsteller Jan Bluthardt (Front) und Julia Riedler (Back) während ihrer Bar-Szene abzubilden, wobei der schwarze Spine mit „LUZ“-Schriftzug eine imaginäre Grenze zieht. Innen sehen wir Hauptdarstellerin Luana Velis auf dem Bett liegend mit einem Buch in der Hand. Sämtliche Motive sind ebenso körnig gehalten wie das Frontmotiv. Rechts liegt die Blu-ray in der Halterung, links ist ein entnehmbares 28-Seiten-Booklet eingeklammert. Dessen Front ziert das Hinter-den-Kulissen-Bild einer mit Plane abgedeckten Kamera, die ihre Linse auf den Betrachter richtet. Eröffnet wird das Booklet mit dem 6-seitigen Essay „Tritt ins Licht“ von Ariel Esteban Cayer. Der Autor wird am Ende seines Texts als in Hongkong lebender Kurator des Fantasia International Film Festivals in Montreal vorgestellt, der hauptsächlich als Experte für asiatisches Kino in Erscheinung tritt, sich darüber hinaus aber auch mit internationalem Kino jenseits der Genre-Kategorisierung befasst. LUZ bekommt er hauptsächlich anhand seiner formalen Merkmale zu greifen, die ihn Vergleiche zu David Lynch, Andrzej Żuławski, Rainer Werner Fassbinder, Lucio Fulci oder Francis Ford Coppola ziehen und darüber kapitulieren lassen, dass es letztlich eine nicht greifbare Synthese sei, den den Eurotrash und ein „phantasmagorisches Südamerika der katholischen Mädchenschulen“ miteinander vereine.
Weil „LUZ“ so schwer zu umschreiben ist, darf man sich im Anschluss selbst als Archäologe bewähren und einen Blick auf das Skelett des Films in Form einiger Original-Drehbuchseiten werfen, die auf den Seiten 12 bis 26 mitsamt Anmerkungen abgedruckt sind.
Soviel zur Umverpackung; stürzen wir uns also auf den Inhalt der Disc. Das Menü begrüßt uns mit den alienesken Synthesizer-Klängen des Soundtracks von Simon Waskow, den bewegten Bildhintergrund bildet der Nebel, der gegen Ende des Films aufzieht.
Bild und Ton
Beschäftigen wir uns zunächst mit dem Hauptfilm. Dessen Präsentation könnte so einige Stolperfallen für Rezensenten bieten; sofern diese gewisse Entscheidungen im audiovisuellen Design des Films nicht verstehen, könnten sie diverse Stilmerkmale als Bild- und Tonmängel fehlinterpretieren. Der auf 2,35:1 gedrehte 16mm-Film ist nämlich durchsetzt mit aufblitzenden Schmutzpartikeln und die Neonbeleuchtung muss durch ausgeprägtes Filmkorn dringen, wo das Licht teilweise wieder gebündelt und verschluckt wird. Diese vermeintlichen Defizite tragen entscheidend zur surrealen Stimmung des Films bei und machen ihn erst zu einem Augenschmaus für Cineasten. Mit dem Ton, einer Mischform aus überwiegend deutschen und spanischen Textzeilen, verhält es sich ähnlich: Aufgespielt in DTS-HD Master Audio 5.1, werden viele Dialoge von starkem Hall verschluckt und sind selbst für Muttersprachler an einigen Stellen schwer herauszuhören. Der dominante Soundtrack verschluckt die ohnehin spärlichen, zum Teil auch repetitiven Dialoge. „Mandy“ von der letztjährigen Koch-Veröffentlichung lässt schön grüßen. Wer das Analoge am Film liebt, wird jedenfalls eine Menge Freude mit dem Film haben, selbst wenn er inhaltlich nicht gefallen sollte.
Der Audiokommentar
Wer einen Begleitkommentar wünscht, darf auch die deutsch-spanische Tonspur abschalten und zum Audiokommentar von Regisseur/Autor Tilman Singer und Produktionsdesigner Dario Mendez Acosta wechseln. Während der Film im Hintergrund läuft, erinnern die Beiden sich an viele kleine Details, von der Menge der verfügbaren Jalousien im gemieteten Gebäude bis zu der Frage, wer da gerade unter dem Hauptdarsteller hockt, während diesem die Spezialeffekte aus dem Gesicht laufen. Der Zuhörer gewinnt somit ein gewisses Verständnis für die logistischen Abläufe und Herausforderungen, die so ein Filmdreh mit begrenzten Ressourcen mit sich führen kann und dass selbst vergleichsweise simple Effekte ein hohes Maß an Konzentration erfordern.
Etwas gewöhnungsbedürftig: Während der Film läuft, erlaubt das dynamische Menü keine Auswahl der Extras, sondern lediglich Audioauswahl, Kapitel und Fortführung des Films. Man muss dann per Vorlauftaste ins Hauptmenü zurück.
Dort findet man zum einen den Verweis auf das hauseigene Filmprogramm. In einem eigenen Menü sind Trailer zu den bereits erschienenen und noch erscheinenden Titeln „Baby Blood“, „Der Bunker“, „Entertainment“, „The Eyes of my Mother“, „The Friendly Beast“ und „The Wild Boys“ aufgeführt.
Das Making-Of
Das eigentliche Bonus-Menü ist dann mit Extras ausgestattet, deren Laufzeit deutlich über den Hauptfilm hinausgeht. Alleine das zwölfteilige Making-Of dauert insgesamt 74 Minuten. Hierbei handelt es sich um einen Zusammenschnitt aus Interviews mit acht Beteiligten: Regisseur und Drehbuchautor Tilman Singer, Soundtrack-Künstler Simon Waskow, Produktionsdesigner Dario Mendez Acosta, Bildgestalter Paul Faltz, Tongestalter Henning Hein und Jonas Lux sowie Schauspieler Julia Riedler, Jan Bluthardt und Luana Velis werden über ihre Erfahrungen zu allen Produktionsstadien befragt. Unterbrochen werden die Interviews gelegentlich von Behind-The-Scenes-Passagen, die ein Gefühl für die Probleme und Herausforderungen am Set vermitteln. Das Making Of kann entweder komplett am Stück oder in thematisch getrennten Einzelkapiteln abgespielt werden, darunter:
– „Anfänge“
– „Idee und Drehbuch“
– „Besetzung“
– „Umsetzung“
– „Setdesign“
– „Locations“
– „16mm Cinemascope“
– „Dreharbeiten“
– „Schnitt“
– „Musik“
– „Sounddesign“
– „Premiere“.
Klar, dass dieser gewaltige Brocken das Zentrum der Extras darstellt. Durstige finden gleich darunter einen anderthalbminütigen Werbespot für „Splish Cola“, der im verstörenden Lynch-Stil gedreht ist und damit einen Kontrast zur Werbe-Message erzeugt. Wenn man genau aufpasst, sieht man, dass der Spot auch auf dem Fernseher in der Bar-Sequenz gespielt wird.
Zwei Teaser zum Film sind auch dabei. Dass diese nur allzu kryptisch daherkommen, ist der Vorlage geschuldet; das weiß am Ende jeder, der den Film dann gesehen hat.
Zu den künstlerisch wertvollsten Extras mit dem höchsten Wiedersehwert gehören nicht zuletzt Kurzfilme, von denen das Label bekanntermaßen oft welche aufzutreiben weiß. Auch diesmal haben es die frühen Arbeiten des Regisseurs löblicherweise wieder auf die Scheibe geschafft.
The Events at Mr. Yamamoto’s Alpine Residence
Originaltitel: The Events at Mr. Yamamoto’s Alpine Residence__Herstellungsland: Deutschland / Italien__Erscheinungsjahr: 2014__Regie: Tilman Singer__Darsteller: Linda Hofmann, Jan Bluthardt, Shannon Malloy, Lena Varas-Arévalo |
Nicht weiter bestimmte Ereignisse geschehen weit oben in den Alpen in einem privaten Resort, das einem nicht weiter vorgestellten Mr. Yamamoto gehört. Der hat seinen Ferien-Wohnsitz offenbar vorübergehend einer Bekannten überlassen, von der man auch nichts weiter erfährt, als dass sie wohl dazu neigt, Squash gegen die Wand eines Schwimmbeckens zu spielen, wenn sie alleine in einem großen Haus ist. Was das Paket zu bedeuten hat, das plötzlich draußen auf der Schwelle liegt, weiß man auch nicht so genau.
Fürwahr, wenn man nach dem Genuss von Tilman Singers erstem Langspielfilm „Luz“ das Gefühl bekommen hat, dass er sich gerne Kontextualisierungen entzieht, dann ist das kein Trugschluss. Sein edel im Breitbildformat gedrehter, äußerst mysteriös angelegter erster Kurzfilm von 2014 fühlt sich erst so richtig wohl, wenn er so wenig Informationen wie möglich preisgeben muss. Erst in völliger Abgeschiedenheit lassen sich die Grenzen der Realität so richtig effektiv dehnen. Selbst die Sprache trägt zur Lokalisierung nicht viel bei; japanische Namen und englische Sprachfetzen werden durch einen deutschen Mixer gejagt und ergeben… Fehlanzeige.
„The Events at Mr. Yamamoto’s Residence“ ist ähnlich wie „Luz“ um einen großen Spezialeffekt herum aufgebaut. Ob Singer hier dem nimmersatten „Blob“ auf der Spur ist, ob er eine Parabel auf die Expansion des Universums erschaffen wollte oder ob er einfach nur weiße Ballons mag, bleibt im Dunkeln. Viel Raum zur Interpretation bleibt in knapp zehn Minuten ohnehin nicht, fest steht nur: Die harte Realität ist keine Barriere für den natürlichen Ausdehnungsraum des jungen Regisseurs. Er ist erst zufrieden, wenn er die Wand durchbrochen hat. Dies gelingt ihm schließlich in der Schlussszene mit seinem späteren „Luz“-Star Jan Bluthardt. Der hat nur eine Zeile zu sprechen, eine komische Pointe, die einen gewissen Humor in das rätselhaft-kühle Ambiente transportiert. Nichts als eine kleine Fingerübung für spätere Arbeiten ist hier zu entdecken, immerhin aber auch eine Grundierung für die Entflüchtigung von Zeit und Ort.
El Fin Del Mundo
Originaltitel: El Fin Del Mundo__Herstellungsland: Kolumbien / Deutschland__Erscheinungsjahr: 2016__Regie: Tilman Singer__Darsteller: Agnes Brekke, Andrés Castañeda, Juan Antonio Gomez Ramirez, Blas Alonso Castro Ariza, Emerson Azanza, Dario Mendez Acosta, Victor Pérez, Simón Fique, Pedro Alejandro Ramírez u.a. |
So etwas wie diesen 2016 in Kolumbien (Bogotá vermutlich) gedrehten 17-Minüter hätte man nach Tilman Singers erstem Kurzfilm sicher nicht erwartet, denn in Bezug auf seinen technischen Standard, seinen narrativen Ansatz und seine Breite in Sachen Produktionsdesign ist er das komplette Gegenteil des minimalistischen, edel in Szene gesetzten Vorgängers. Das flimmernde Vollbild mit natürlicher Lichtsetzung wäre unter normalen Umständen Zeichen handwerklicher Regression; würde man die Produktionsdaten nicht kennen, hielte man wohl jede Wette, dass Singers Karriere nicht etwa in „Mr. Yamamoto’s Alpine Residence“ begann, sondern mit dem „Ende der Welt“.
Andererseits ist der erweiterte Scope wiederum ein Indiz für den Fortschritt. „El Fin Del Mundo“ bebildert ein Gewusel aus Menschenmassen, die von beleuchteten Hochhäusern im Zwielicht des nahenden Abends überragt werden. Es wird völlig unerwartet die Ästhetik südamerikanischer Großstadtfilme über soziale Milieus imitiert; wer durch „Luz“ glaubte, dass der Regisseur nur an den übernatürlichen Geistern und Dämonen dieser Länder interessiert sei, wird in dieser Gangster-Ballade eines Besseren belehrt.
Die Charaktere rund um den Kriminellen Benjamin (Andrés Castaneda) und seine Verlobte Sofia (Agnes Brekke) bleiben allerdings blass und gesichtslos. Der an „True Romance“ oder „Wild at Heart“ angelegten Dramatik fehlt somit die Durchschlagskraft. Seine eigentliche Faszination bezieht der Film daraus, ein solcher Anachronismus zu sein, wie aus der großen Zeit des Heroic Bloodshed der frühen 90er. Das Vollbild erlangt somit wieder seine Bedeutung zurück.
Soundtrack und Limited Edition
Soundtrack-Freunde bekommen übrigens wie schon bei „The Friendly Beast“ die Gelegenheit, eine auf 300 Stück limitierte Edition zu erwerben, die nicht nur die Film-Disc im exklusiven Dual-Format an Bord hat (Blu-ray und DVD), sondern auch noch den kompletten Score von Simon Waskow auf einer Bonus-CD. Es sind acht Titel bei einer Gesamtlaufzeit von 47 Minuten enthalten. Natürlich beginnt die CD ebenso wie der Film mit dem prägnanten Klong-Geräusch, das ja durchaus ein wenig an den „Law & Order“-Jingle erinnert:
httpv://www.youtube.com/watch?v=gP3MuUTmXNk
Anschließend sinkt Waskow jedoch tiefer in den Wunderkoffer hinab und stößt auf jenseitige Traumlandschaften, die mal beruhigend, mal auch bedrohlich-monoton klingen. Im dritten Stück, das alleine fast 13 Minuten misst, gesellt sich eine mit viel Delay unterlegte, weiche Frauenstimme hinzu, die auch in der Bang Bang Bar in der dritten Staffel von „Twin Peaks“ gut aufgehoben wäre. Das Stück mausert sich dann zum Highlight mit einer gewagten Mischung aus 80er-Synthesizern, Tribal-Drums und langgezogenen Saxophon-Wellen. Mit dem fünften Titel verweilt man in den 80ern und bietet käsigen Dance-Pop mit treibenden Bassbeats und Schallexperimenten zum Abgang. Gut, dass Titel Nr. 6 nach dieser Glitter-Bombe wieder mit samtigen Tastenflächen ohne Rhythmusuntermalung alles abspült. Der siebte Titel bietet nur Gemurmel und Gesumme mit leichter elektronischer Rückkopplung im Hintergrund, den Abschluss macht dann schrilles Streicher-Gewimmer. Wenn man noch zehn Minuten abwartet, wird man mit einer dreckigen Punkrock-Nummer verabschiedet. In jedem Fall eine überaus lohnenswerte Abrundung des Films, der ja zu nicht unerheblichem Anteil von seinem Soundtrack lebt.
Sascha Ganser (Vince)
Bildergalerie von “Luz”
Sascha Ganser (Vince)
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