„Tales from the Dead“ – schon der Titel klingt nach der kultigen Horror-Anthologie-TV-Serie „Tales from the Crypt“. Und diese Anspielung dürfte bei der Kurzgeschichtensammlung aus dem Hause Savage Types gewollt sein. Denn die acht Retro-Horrorgeschichten huldigen den 1980ern, vor allem deren Horrorfilmen. Schon zu erkennen an der Rahmenhandlung, in welcher der Journalist Wes Carpenter (diesen Mix-Namen kennen wir ja auch aus „Scream“) seltsame Vorfälle um einen Friedhof untersucht und dabei auf den eigenwilligen Totengräber Mr. Cravenberg trifft. Der hat nicht nur diverse Fundstücke in seinem Besitz, sondern auch acht abgedrehte wie furchterregende Geschichten dazu in petto.
Es fängt an mit „Spazzer Bitch“ von Baukowksi. Eine gelungene Story über die Tochter eines arroganten Südstaaten-Großkotzes, die in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wird, dort allerdings eine horrible Transformation erlebt. Der Plot von der (übernatürlichen) Rache der Gequälten und den hilflosen Opfern, die Jahrzehnte später in ein altes Gemäuer latschen, gewinnt keine Blumentöpfe, ist aber schon amüsant geschrieben, gerade wenn der Autor das Ganze in Einzelpassagen durch die Perspektive Vaters filtert, der einerseits komplett bigott, rassistisch und homophob ist, sich andrerseits aber für einen total gerechten Supertypen hält.
Es folgt „Papaya, Göttin des Avocado-Dschungels“ von John Aysa. Eine Hommage vor allem den italienischen Exploitationfilm, weshalb der Titel neben dem US-B-Picture „Kannibalinnen im Avocado-Dschungel des Todes“ vor allem Joe D’Amatos „Papaya – Die Liebesgöttin der Cannibalen“ zitiert. Die Handlung kann man sich beinahe denken: Ein italienisches Filmteam fällt bei Dreharbeiten im Urwald in die Hände eines kannibalistischen Eingeborenenstamms und wird verhackstückt. Die Namen spielen natürlich nicht nur auf die üblichen Verdächtigen wie Dario Argento, Lucio Fulci und Bruno Mattei an, auch der italienische Produzent Dino De Laurentiis und Erotikstar Laura Gemser gehören zu den Referenzen der Story. Die leider eine ziemlich öde Aneinanderreihung von Sex-, Folter- und Mordszenen ist, die irgendwann sogar den Autor selbst anzuöden scheint, wenn man sich anschaut, die beiläufig im späteren Verlauf manche Hauptfigur dahingemetzelt wird. Und das Gebotene ist noch nicht einmal sprachlich besonders gut. Da wird an einer Stelle der Stuhlgang hochtrabend als „defäkieren“ bezeichnet, wenige Sätze darauf von den Geschlechtsteilen der Eingeborenen als „Pisslatten“ geschrieben, wodurch der Wechsel in den Sprachregistern wahlweise befremdlich oder unfreiwillig komisch ist. Es mag ein persönliches Ding sein (ich kenne bisher nur seine Beiträge zu „Souled Out“ und „Tales from the Dead“), Aysa hat ja seine Fans, aber ich werde mit seinem Proll-Horror einfach nicht warm.
Die dritte Story ist „Steel Shock“ von Shane Mulligan. Ein Supersoldatenexperiment landet versehentlich in der Bronx und killt sich dort durch die Gegend, begeht aber den mächtig großen Fehler den besten Kumpel von Vietnamveteran Hawke zu töten. Wenn der menschliche Elitekrieger auf den teilweise stählernen Elitekrieger trifft, dann hat man vor allem „Terminator“ vor Augen, aber auch „Universal Soldier“ dürfte neben „The Warriors“ (Gangwesen in der Bronx) Pate gestanden haben. Es finden sich leichte „Assault on Precinct 13“-Anklänge, wenn Hawke erst eine Gang des Mordes verdächtigt, aber später mit diesen um sein Leben kämpft. „Steel Shock“ ist knackiger Action-Horror, rasant geschrieben und einfallsreich in der Konfrontation von Maschinenkiller und Gegenspielern. Zwar kommen die Gang-Nebenfiguren vielleicht etwas zu kurz, aber „Steel Shock“ ist auf den Einzelkämpferhelden fokussiert – und ein paar gut geschriebene Parts, die den Blickwinkel des schurkischen Experiments beschreiben, lockern das Ganze auf.
Weiter geht es mit „Wooper Looper“ von Jamie Eckhart. Eine Horde Teenager fährt zu einer Hütte am See, doch dummerweise lebt in den Gewässern etwas, das schon für einige Vermisste in der Gegend gesorgt hat. Mit Anklängen bei Werken wie „Der Horror-Alligator“, „Die Todesinsel“ und vor allem „Das Grauen aus der Tiefe“ kommt dieser flotte Teenhorror daher, dessen größtes Grauen allerdings wohl die Vermieterin der Hütte ist, mit deren Beschreibung Eckhart diverse Ekelgrenzen einreißt. Die jugendlichen Protagonisten sind gut umrissen, das Ganze hat Tempo und spaßig ist vor allem, dass es die eine oder andere Überraschung in der Hinsicht gibt, wer wann den Löffel abgibt, denn da bricht „Wooper Looper“ mit bewährten Mustern.
Geschichte Nummer fünf ist „Final Freak“ von Marcel Hill. Wieder Teenager, dieses Mal in einem verlassenen Haus, das – wie sollte es anders sein – nicht alle lebend verlassen. Die Story setzt sich vor allem durch die ungewöhnliche Schurkenwahl vom Rest ab, ist sonst okayer Horror, der aber von ein paar zusätzlichen Seiten mehr profitiert hätte, um die Figuren noch weiter auszuformen oder das Grauen etwas ausführlicher darzustellen.
Als sechstes ist „Hongkong Hellseeker II – Die Höllenblüte geht auf“ von Dennis Mombauer dran. Eine Wundertüte an Ideen, wenn drei Parteien in Hongkong nach besagter Pflanze jagen. Affenartige Dämonen, ein Serienkiller nach Jason-Vorhees-Bauart und ein Mad Scientist mit Kreaturen im Gepäck pflügen sich die Metropole – und damit sind Polizei und Triaden noch gar nicht erwähnt, die auch mitmischen. Das Ganze lehnt sich an bunte US-Verwurstungen chinesischer Kultur wie „Big Trouble in Little China“ an, neben dem Titel gibt es auch inhaltliche Anspielungen auf die „Hellraiser“-Reihe und dann sind da noch diverse Eighties-Musikzitate – vor allem Michael Jacksons „Thriller“, aber auch Europe und Slayer werden erwähnt. „Hongkong Hellseeker II“ legt ein unheimliches Tempo und einen großen Ideenreichtum an den Tag, der für drei Storys reichen würde. Das ist vielleicht auch der einzige Kritikpunkt: Aus dem Ganzen hätte man vielleicht noch besser einen Roman oder zumindest eine Novelle gemacht, denn als Leser will man gern mehr über die abgedrehten Figuren und die geschaffene Welt erfahren.
Die vorletzte Geschichte ist „Familiar Faces“ von Thomas Williams, die noch mehr als alle anderen Storys in dem Buch den Werken John Carpenters huldigt, wenn dessen Filme durch Namen wie Sutter Cane Street referenziert werden. Inhaltlich geht Williams allerdings eigene Wege, wenn er eine Horde von Killern an Halloween loslässt, welche die Gesichter ihrer Opfer als Masken tragen und nicht ganz von dieser Welt zu sein scheinen. Eine starke Heldin, gut designte Schurken und fiese Twists zeichnen diese temporeiche Horrorstory aus, auch wenn das Finale – vor der obligatorischen Schlusspointe – vielleicht etwas konventionell ist, aber das macht wenig aus.
Den Abschluss bildet „Santo Mostro“ von Jean Rises. Auch hier hört man John Carpenter ein wenig trapsen, wenn ein Bus mit einer Ladung Gefangener in der Wüste verunglückt und Cops wie Sträflinge eine Notgemeinschaft nach „Assault on Precinct 13“-Art bilden müssen, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen: Nach der ersten Angriffswelle sind die Cops in der Unterzahl. Vor allem aber verneigt sich der Autor vor Dario Argento, denn Schlüsselszenen wie der Leichenpool aus „Phenomena“, die Maden an der Decke aus „Suspiria“ und die Mordmethode aus „Aura – Trauma“ werden hier zitiert. Aber „Santo Mostro“ ist nicht nur reine Zitatlektüre, sondern auch Horrorstoff mir markigen Charakteren und gut designten Kreaturen, die Erinnerungen an Lovecraft (oder an den Lovecraft-via-Italohorror-Zitat-Reißer „The Void“) aufkommen lassen.
So bleibt eine fast durchweg gelungene Anthologie, die sich freudig durch die Bücher, die Comics, die Musik und vor allem die Filme der 1980er zitiert und auch gerne mal obskure Insider-Jokes versteckt (etwa auf Larry Cohens „The Stuff“ in der Rahmenhandlung). Viele kreative Ideen (und sei es nur die Rekombination bekannter Motive) finden sich in den Geschichten, sprachlich ist das Meiste auf einem sehr guten Niveau – spaßiger Pulp mit Tempo und Schmackes.
Details zu „Tales from the Dead“
Tales from the Dead
Baukowski, John Aysa, Shane Mulligan, Jamie Eckhart, Marcel Hill, Dennis Mombauer, Thomas Williams & Jean Rises
Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: Savage Types (23. November 2019)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3981962185
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© Nils Bothmann (McClane)