Originaltitel: Becky__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2020__Regie: Jonathan Milott, Cary Murnion__Darsteller: Lulu Wilson, Kevin James, Joel McHale, Robert Maillet, Amanda Brugel, Isaiah Rockcliffe, Ryan McDonald, James McDougall, Leslie Adlam, Justin Holiday u.a. |
Becky ist wütend. Das Schicksal hat ihr ihre Mutter genommen. Nach langem, hartem Kampf gegen den Krebs. Die 13-Jährige igelt sich ein. Was es ihr nicht leichter macht. In der Schule etwa macht es sie zum Opfer von Bullys. Doch es soll noch schlimmer kommen. Eines Tags holt ihr Vater sie zu einer Auszeit in der Ferienhütte der Familie ab. Vater-Tochter-Zeit. Doch vor Ort muss Becky bemerken, dass ihr Vater seine neue Liebschaft und deren Sohn ebenfalls eingeladen hat.
Mehr noch: Beckys Vater will die Auszeit nutzen, um ihr schonend beizubringen, dass eine neuerliche Hochzeit bevorstünde. Ob dieses Verrates an ihrer Mutter ist Becky noch wütender. Doch das Mädchen hat kaum Zeit, sich von ihren Gefühlen übermannen zu lassen. Denn plötzlich stehen vier geflohene Sträflinge in der Ferienhütte. Sie suchen etwas. Und sie wollen den gesuchten Gegenstand mit aller Macht.
Dabei begehen sie einen frappierenden Fehler, der die emotional angeschlagene Becky nur noch mehr anstachelt. Sie beschließt, den Verbrechern das Feld nicht kampflos zu überlassen.
Home-Invasion-Thriller mit Kevin James
Wenn Becky den ersten der vier Angreifer tötet, schreitet sie zwar zu allem entschlossen zur Tat, selbige wirkt aber lange affektiv. Viele Handgriffe wirken zufällig, die Attacken der Situation geschuldet. Doch mitten in dem Angriff scheint es in Becky einen Schalter umzulegen. Die süße 13-Jährige mit der Fuchsmütze und den blauen Kulleraugen entwickelt Lust am Töten. Man sieht es an der Vehemenz, mit der sie das Leben ihres Angreifers beendet. Und man sieht es in ihrem Blick.
Klar, liest man die Inhaltsangabe des Filmes, denkt man an „Stirb Langsam“ trifft auf „Kevin allein zu Haus“. Vielmehr scheint jedoch der B-Film „Aggression Scale“ durch. Dieser wohnte der Soziopathen-Werdung eines jugendlichen Helden bei, der seine Familie gegen eine Handvoll Gangster zu verteidigen suchte und dabei in der Wahl seiner Mittel jedes Maß aus den Augen verlor. Genauso funktioniert „Becky“. Denn schon der zweite Kill zeugt von einer gänsehauterregenden Kaltblütigkeit, die in einem wahrhaft splatternden Finale endet.
Eine Soziopathin als Heldin – „Becky“ wirkt ordentlich gegen den Strich gebürstet. Was insofern verwundert, dass „King of Queens“-Star Kevin James („Der Zoowärter“) an diesem Film beteiligt ist und man in seinem Oeuvre dann doch eher umsonst nach derart subversiven Stoffen sucht. Doch auch James wird in Becky amtlich gegen den Strich gebürstet. Aus dem tölpelhaften Kuschelbär wird hier ein lange Zeit beängstigend ruhiger Neonazi mit Hakenkreuz auf dem Hinterkopf, Hipster-Bart und SS-Runen auf der Glatze.
Ursprünglich sollte Simon Pegg die Rolle des Sausacks übernehmen und Kevin James Beckys Vater geben. Doch Pegg war letztlich verhindert und James wechselte die Seiten. Ein echter Glücksfall, denn der Imagewechsel steht James hervorragend. Seinen kontrollsüchtigen Dominick umgibt eine stete Aura der Bedrohung, die nur selten ausformuliert wird, aber immer über dem Film schwebt.
Und während seine Figur zunehmend die Kontrolle verliert, gewinnt die zunächst überforderte Becky sie immer mehr hinzu. Die Folge ist eine ungewöhnliche Härte, bei der Außenborder, Rasenmäher, Buntstifte und Lineale aderlassende Wirkungen zeitigen dürfen. Die handgemachten Effekte überzeugen und dürfen hier und da auch mal dem Zuschauer wehtun. Auch sonst überzeugt die technische Umsetzung von „Becky“.
Wo die beiden Regisseure Jonathan Milott und Cary Murnion bei ihrem Vorgänger „Bushwick“ noch mit starken Plansequenzen punkteten, ist es diesmal eine vor allem zu Beginn gereichte, großartige Montage, die Beckys Alltag mit dem der Strafgefangenen parallel montiert und da schon übergangslos andeutet, dass Becky und ihre Gegner mehr verbinden könnte. Großartig auch, wenn ein über große Entfernung hinweg stattfindendes Gespräch zwischen Becky und Dominick dank der Montage zunehmend distanzloser wird. Ein weiterer großer Pluspunkt ist der geniale Score zum Film, der die Bilder teils mehr voranpeitscht als die Story.
Denn, und das bekommt man recht früh zu spüren, im Pacing von „Becky“ stimmt etwas nicht. Immer wieder schleichen sich Momente ein, die sich seltsam ziehen, die unrund wirken. Die sogar manche Figuren total überflüssig wirken lassen. So ist die Gegenwart der Verlobten von Beckys Vater für den Film total egal. „Becky“ nutzt die Dame und ihren Sohn für keinerlei Spannungsmomente, weiß nichts mit ihnen anzufangen und verplempert dennoch erstaunlich viel Zeit mit ihnen. Sogar Joel McHale („Erlöse uns von dem Bösen“) als Beckys Vater bleibt reichlich eigenschaftslos.
Auch die Gefährten von Kevin James Sausack kommen bis auf den unvermutet großartig aufspielenden Robert Maillet („Monster Brawl“) komplett zu kurz. Man kann sich überhaupt kein Bild von ihnen machen. Schade auch, dass sich der Story-Vortrieb um den gesuchten Gegenstand als kompletter MacGuffin entpuppt, dessen Sinn in keinster Weise aufgeklärt wird. Das lässt die Motivlage der Lumpen freilich immer sehr nebulös erscheinen.
Man kann mit „Becky“ seinen Spaß haben…
Die größte Sensation an „Becky“ ist – egal wie sehr man Kevin James auch gegen den Strich gebürstet hat – die famos aufspielende Lulu Wilson („Ouija 2“) als Becky. Obschon ihre Figur einem moralisch immer fremder wird, verliert man nie den Bezug zu dem kulleräugigen Mädchen und wünscht ihm, dass es den Lumpen ordentlich einen Scheitel ziehen möge. Dementsprechend funktioniert auch die Dramaturgie hinter dem Film und „Becky“ pumpt ordentlich Spannung.
Ab und an hat man aber leider auch das Gefühl, dass der technisch perfekt umgesetzte Film sich ein wenig zu sehr darauf ausruht, nicht den typischen Hollywood-Klischees zu entsprechen. Denn sowohl die Story als auch die Charaktere abseits von Dominick und Becky könnten und müssten eigentlich besser ausgearbeitet sein. Auch die spürbaren Tempoprobleme hätten definitiv ausgeräumt gehört. Wer es allerdings mal giftiger mag, der wird an diesem neuerlichen Exemplar der Gattung „Wie wird wohl die Kindheit eines Serienkillers aussehen?“ gut unterhalten werden.
Der Film erschien von Splendid Film auf DVD und Blu-ray und ist mit einer FSK 18 Freigabe ungeschnitten. Streamen kann man den Film auch.
In diesem Sinne:
freeman
Was meint ihr zu dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright aller Filmbilder/Label: Slendid Film__Freigabe: FSK 18__Geschnitten: Nein__Blu-ray/DVD:Ja/Ja |