Originaltitel: Sawney: Flesh of Man__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 2012__Regie: Ricky Wood__Darsteller: David Hayman, Samuel Feeney, Gavin Mitchell, William Houston, Shian Denovan, Lizzie Brown, Eilidh Nairn, Ross Maxwell, Will Sutton, Jean-Paul Jesstiece, Ian Sexon, Samuel Ward u.a. |
Jede Nation, so sagt man, hat ihre Monster. Was Schottland betrifft, stammen sie zumeist aus alten Mythen und bestehen aus schattenhaften Silhouetten. Geister, Giganten und andere übernatürliche Präsenzen, die an Berghängen, in Seen und Wäldern Schutz suchen, sind durch alte Schriftstücke oder vermeintliche Augenzeugenberichte dokumentiert. Allen voran steht natürlich das sagenumwobene Ungeheuer von Loch Ness, das Generationen von Touristen zum Narren hielt und längst zum Maskottchen geronnen ist, in dessen Schatten alle anderen schottischen Ungeheuer verblassen.
Für Serienkiller und andere Monster menschlichen Ursprungs sind dann auch eher die Engländer und hier speziell die Londoner berühmt. Jack hebt freundlich seinen Zylinder zum Gruß und fordert seine bis heute aktiven Nachahmer dazu, es ihm gleichzutun. Man munkelt, dass es auch die Engländer waren, die den schottischen Kannibalen Alexander „Sawney“ Bean erfanden. Mit ihm sollte den ungeliebten nordischen Nachbarn eine barbarische Natur unterstellt werden… und Bücher wollte man mit ihm verkaufen. Sawney, so sagt die Legende, habe im 15. Jahrhundert mit seiner 48-köpfigen Sippe über 1000 Menschen getötet und verspeist. Anscheinend war die Legendenbildung über die Inselgrenzen hinaus erfolgreich, denn Wes Craven erfuhr von ihrer Existenz in einer New Yorker Bibliothek, als er Mitte der 70er Jahre auf der Suche nach einem Stoff für seinen neuen Film war. Es sollte die Geburtsstunde von „The Hills Have Eyes“ werden, dessen britische Wurzeln vielen Cineasten womöglich gar nicht bewusst sind. Neben dieser wohl bekanntesten Adaption der Sawney-Legende haben sich natürlich auch britische Produktionen damit beschäftigt: So etwa „Tunnel der lebenden Leichen“ (1972) mit Donald Pleasence oder eben zuletzt „Sawney – Flesh of Man“ von 2012.
Der beginnt dann auch gleich bedeutungsschwanger mit kriechenden Nebelschwaden und einer herb-männlichen Erzählerstimme, als wolle man uns auf ein martialisches Epos der Marke „Highlander“ oder „Braveheart“ vorbereiten. Die eingeblendete Texttafel, die uns über die Grundzüge der Legende aufklärt, hat einen schweren Job zu erledigen, denn sie muss eine Brücke vom 15. Jahrhundert in die Gegenwart schlagen. Schließlich soll hier kein aufwändiger Historienfilm entstehen, der die Geschichte des originalen Alexander Bean erzählt, sondern eine zeitgenössische Schlachtplatte mit den Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urenkeln.
Man bedenke schließlich: Wir befinden uns noch Anfang der 10er Jahre. Die Torture-Porn-Welle rollt immer noch voran, auch wenn sie die Küste bereits kommen sieht. Ihre Vertreter verorteten das sehr reale Grauen in den entlegensten Winkeln der zivilisierten Welt, fern von allem Übernatürlichen – ob es die Charaktere dabei nun in fensterlose Todesfallen verschlug wie bei „Saw“ (2004), in osteuropäische Studentenunterkünfte wie bei „Hostel“ (2005) oder in den brasilianischen Dschungel wie bei „Turistas“ (2006). Seither ist viel geschehen. Inzwischen haben Regisseure wie James Wan und Mike Flanagan die Gänsehaut wieder salonfähig und die Magensäure-Achterbahn der 00er Jahre überflüssig gemacht. Der Genre-Fan ist im Grunde immer noch dabei, das Fleisch zu verdauen, das ihm vor zehn bis zwanzig Jahren in den Magen gestopft wurde. Als „Sawney“ gedreht wurde, hatte er es sogar noch bis zum oberen Rand im Hals stecken. Wer da wirklich noch etwas Besonderes bieten wollte, musste schon mehr im Köcher haben als ein Maximum an Blut und Innereien.
Die große Besonderheit ist bei „Sawney“ schnell ausgemacht: Es ist natürlich nicht seine Brutalität, sondern die wundervolle Kulisse. In der Anlage handelt es sich eigentlich um eine typische Trittbrettfahrerproduktion, die noch ein paar letzte Krümel von der Folterplatte abstauben will, während die Gelegenheit genutzt wird, noch ein wenig für das eigene Land und seine aufregende Geschichte die Werbetrommel zu rühren. Da erwartet man keine große inhaltliche Kunst, geschweige denn schöne Bilder. Was dieser Film allerdings an eindrucksvollen Aufnahmen liefert, übersteigt alles, was man sich von ihm in visueller Hinsicht erhofft. Die offenen, ungemein detailreichen, kristallklaren und in sattgrünen Farben abgelichteten Highlands ergeben einen willkommenen Kontrast zu der labyrinthischen Höhlenbehausung der Kannibalen irgendwo im Herzen dieses wunderschönen Fleckens Erde, was letztlich auf eine Blutsverwandtschaft mit australischem Outback-Horror der Marke „Wolf Creek“ (2006) schließen lässt. Anstatt auf völlige Desorientierung mit häufigen Close-Ups und beengenden Hintergründen zu setzen wie etwa der letzte große Backwood-Slasher „Wrong Turn“ (2003), nutzt Ricky Wood imposante Panorama-Portraits der umliegenden Natur, um Kontraste zu schaffen zur animalischen Unterkunft der Unzivilisierten – ähnlich wie „The Descent“ (2005), der zuerst viel aus der Vogelperspektive zeigte, um schließlich in einem unterirdischen Tunnelsystem die Klaustrophobie herauszufordern. Selbst die Treffpunkte, an denen sich die beiden Hauptfiguren beraten, laden trotz der drastischen Thematik zum Staunen und Verweilen ein. Anders als „Hostel“ oder „Turistas“ darf man „Sawney“ deswegen durchaus als Urlaubsbroschüre anstatt als Warnung verstehen, zumal die zugrundeliegende Geschichte trotz der Modernisierung wie ein Mythos wirkt, den man heute nicht mehr ernst nehmen muss.
Schaut in den Trailer
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Dazu passt auch die Darstellung der Sippe, die in vielerlei Hinsicht dem Phantastischen zugeneigt ist, ohne es freilich komplett auszuspielen. Das gilt insbesondere für die Kannibalenmutter, die nach dem Prinzip der unsichtbaren Bedrohung einen kompletten Film lang unter Verschluss gehalten wird. Sie macht sich lediglich durch Grunz- und Fresslaute bemerkbar, die auch zu einem Ork aus Tolkiens Fantasiewelten gehören könnten. Geschickter als fast alle jüngeren Big-Budget-Hollywood-Produktionen stellt sich dieser kleine Horrorstreifen an, als es darum geht, die Bestie zu entfesseln – denn selbst aus ihrem Kerker befreit sieht man immer nur gerade genug von ihr, um eine undefinierbare Bedrohung wahrzunehmen, die noch nicht analysiert werden konnte. Einem ähnlichen Konzept folgen die vielen kleinen Gehilfen, die mit Kapuze im Hintergrund agieren. Gegebenenfalls hat man es damit übertrieben, einige von ihnen mit Parcoursläufern zu besetzten, die lieber eine Rolle machen, anstatt wie ein ganz normaler Degenerierter von A nach B zu hüpfen – ein seltsamer Fetisch der späten 00er und frühen 10er Jahre, der sich auch in anderen Filmen beobachten lässt. Dafür haben wir noch David Hayman (Jack Ryan: Shadow Recruit), der in Tradition von Jim Siedow aus „Texas Chainsaw Massacre 2“ als Familienoberhaupt die Fäden zieht und seine Maske des Zivilisierten immer wieder exklusiv für den Zuschauer fallen lässt. Das ist nicht besonders innovativ, aber doch immer wieder aufs Neue wirkungsvoll, zumindest wenn ein fähiger Schauspieler am Zug ist.
Demgegenüber bleibt Samuel Feeney als neugieriger Ermittler relativ blass. Abgesehen von seiner mäßigen schauspielerischen Leistung liegt das auch daran, dass man versucht, ihm ein Trinkerproblem anzudichten, indem man in jede seiner Szenen einen griffbereiten Drink platziert, ohne jedoch die dahinter brodelnden Abgründe effektiv auszuleuchten. Er hat aber ein starkes Pendant an seiner Seite: Gavin Mitchell mausert sich nämlich im Laufe des Films vom unauffälligen Nebencharakter zum schauspielerischen Highlight und droht selbst Hayman fast die Show zu stehlen.
Wer auf Splatter und Gore aus ist, wird ebenfalls gut bedient. Eklig ist nicht nur das permanente Gewühle in Eingeweiden, sondern auch die Angewohnheit des Oberkannibalen, seine noch lebenden Opfer vorab schon mal abzuschmecken. Schön, dass man mit Blick auf die Mythologie auch auf einige Details geachtet hat, etwa die Schüssel, in denen die Wertgegenstände der Getöteten wie bei einer Wertstoffsammlung vom Fleisch getrennt werden – darauf anspielend, dass es ursprünglich die Wertsachen waren, wegen derer die Bean-Familie getötet hat und das Verspeisen des Fleisches später aus der wirtschaftlichen Not geboren hinzukam. Nicht so schön ist der partielle Einsatz von CGI, der zumindest bei einem abgeschlagenen Kopf negativ auffällt. Was leider auch nicht zur Geltung kommt, ist ein richtiges Terror-Gefühl, denn die Perspektive der Opfer wird kaum eingenommen und wenn man es doch versucht, dann werden sie nicht genug charakterisiert, damit man mit ihnen mitfühlt.
„Sawney“ überzeugt also vor allem durch seine für einen Horrorfilm besondere Kulisse in und um Aberdeen, die nicht etwa nur für Überblendungen genutzt wird, sondern auch für Handlungselemente. Einfache Dialogszenen wirken dadurch interessanter, eine Verfolgungsjagd bekommt dadurch sogar etwas Rituell-Erhabenes. Dass Ricky Wood im Vorfeld viel Erfahrung mit dem Editing gemacht hat, sieht man dem fertigen Ergebnis ebenso an. In Bezug auf den Genre-Kern bleibt allerdings vieles in den Standards verhaftet, und obwohl ein gesundes Maß an Härte geboten wird, kommt es durch die mythologische Ästhetik und Figurenzeichnung teilweise wieder zu einer Egalisierung, so dass man nie so ganz weiß, ob man es nun mit einem brutalen Schocker zu tun hat oder nur mit einem grimmigen Märchen. So oder so; den Spaß am Schottland-Urlaub kann „Sawney“ nicht verderben.
Informationen zur Veröffentlichung von “Sawney – Flesh of Man”
Rawside Edition #9
Es ist keine Blu-ray-Premiere, die Rawside mit seiner neunten Veröffentlichung auf den Markt wirft. Schon 2013 erschien „Sawney“ über Ascot Elite ungekürzt auf Blu-ray und DVD. Für Verwirrung könnte sorgen, dass die Blu-ray keine längere Laufzeit aufwies als die DVD, wie es mit den 24 Bildern pro Sekunde gegenüber der DVD mit 25 Bildern eigentlich zu erwarten wäre. Kürzungen waren jedoch nicht der Grund, vielmehr wurde die PAL-Beschleunigung offensichtlich auch auf die Blu-ray angewandt.
Das Bild
Auf der neuen Disc hingegen ist alles so wie erwartet: Die Laufzeit bemisst sich auf 90:06 Minuten und ist damit trotz identischen Inhalts 3:33 Min. länger als die Blu-ray von 2013. Das in 1080p vorliegende Bild verfügt über eine hervorragende Qualität. Der Speicherplatz der Single-Layer-Scheibe reicht locker aus, um die schottischen Highlands optisch brillieren zu lassen. Vor allem die vielen Panoramaeinstellungen, in denen sich ein einzelner Mensch als kleiner schwarzer Punkt den Weg durch die hügelige Natur bahnt, sind beeindruckend. Aber auch in der Stadt glänzt jeder Pflasterstein. Den digitalen Blaustich muss man mögen, eventuell macht der Schwarzwert einige Höhlenabschnitte auch eher zu einem dunklen Grau, aber unter dem Strich verfügt der Film optisch über eine cineastische Qualität, die man ihm aufgrund der Thematik und der Produktionsdimensionen nicht zugestanden hätte.
Der Ton
In Sachen Ton hält man sich besser an die Originalspur. Nicht, dass etwas an der Abmischung der deutschen Fassung auszusetzen wäre, aber die Synchronsprecher gehören dann doch eher zur zweiten oder dritten Garde und trüben den halbwegs professionellen Eindruck, der vom Bildmaterial ausgeht. Übertrieben unverständlicher schottischer Dialekt ist nicht zu erwarten, außerdem gibt es im Gegensatz zur Erstauflage diesmal optionale deutsche Untertitel zum Hauptfilm.
Der Audiokommentar
In Sachen Bonus wurde das komplette Material der Ascot-Elite-Disc übernommen und um ein paar kleinere Extra-Schmankerl erweitert. Zur bekannten Ausstattung gehört unter anderem der englische Audiokommentar mit Regisseur Ricky Wood und Ian Rattray. Letzterer gehört zu den Veranstaltern des „Arrow Video Frightfest“, einem Filmfestival, das einmal jährlich in London stattfindet. Offenbar bestand bereits während der noch laufenden Dreharbeiten ein reger Austausch zwischen den Beiden. Im Kommentar, der anders als der Hauptfilm leider nicht untertitelt ist, wird intensiv auf die Entstehungszeit eingegangen. Den Darstellern wird ein besonderes Augenmerk zuteil, auch die anderen Aspekte des Filmens werden ausreichend berücksichtigt und der Bezug zur jeweiligen Szene bleibt oft bestehen. Eine insgesamt eher nüchterne, aber informative Unterhaltung. Ein interessantes Gimmick und hilfreich bei der Zuordnung der Stimmen: Der eine ertönt über die linke Box, der andere über die rechte.
Die Extras
Ebenfalls schon bekannt sind die siebenminütigen Outtakes, unter denen wahrscheinlich Gavin Mitchells Imitation eines Affen besonders herausragt, sowie knapp 11 Minuten an gelöschten Szenen. Darin wird vor allem die Beziehung zwischen Hamish und Wendy etwas stärker beleuchtet. Bei einigen Szenen handelt es sich auch eher um Erweiterungen bzw. alternative Schnittfassungen.
Neu hinzugekommen ist ein kurzes Interview mit David Hayman (3 Min.), der offenbar kostümiert an einem Set zu einem anderen Film oder einer Serie mit historischem Hintergrund zu verschiedenen Aspekten von „Sawney“ Rede und Antwort gibt. Weiterhin findet man nun einen „Phone-Spot“. Dahinter verbirgt sich die Szene, in der Sawney das klingelnde Telefon eines Opfers zerhackt, was von den Frightfest-Veranstaltern mit einer „Turn off your bloody phone“-Hinweistafel als Pointe für unartige Zuschauer genutzt wird.
Der Trailer in Englisch und Deutsch sowie eine Bildergalerie mit Konzeptfotos und Setaufnahmen machen den Deckel drauf.
Die Verpackung
Wer kein Blu-ray-Laufwerk sein Eigen nennt oder Sawney für den Laptop mit auf Reisen nehmen will, der findet auch noch eine inhaltsgleiche DVD im Set. Als Verpackung dient wie üblich ein Hochglanzmediabook aus der bewährten Manufaktur. Käufer dürfen wieder zwischen drei Motiven wählen, die auf jeweils 222 Stück limitiert sind, wobei keines von ihnen so richtig die außergewöhnliche Location in Betracht zieht – vielmehr richten sich alle Motive an die typische Gorehound-Klientel. Insbesondere das zur Besprechung vorliegende Cover C mit seinem schwarzen Hintergrund und dem blutenden, geknebelten und gefesselten Opfer auf der Seite liegend ist fast schon ein Affront, wenn man an die wunderbare schottische Landschaft denkt, die man ebenso hätte abdrucken können… das orangefarbene Cover A geht gleich in die Vollen und verwendet ein Tatortfoto als Motiv, das Assoziationen zum klassischen Kannibalenfilm der 70er Jahre zieht (würde der Kopf doch nicht so sehr nach Latexmaske aussehen…). Cover B ist da vielleicht noch am geschmackvollsten, weil es spannende Belichtungskontraste verwendet; das eigentliche Motiv, eine Waldlichtung, ist aber nicht gerade repräsentativ und lässt wieder eher an einen typischen Wald-Slasher denken.
Das Booklet
Wenn man nach Genuss von Film und Extras schließlich noch mehr über Alexander „Sawney“ Bean wissen will, muss man sich gar nicht unbedingt in die nächste Bibliothek begeben – ein Blick ins Booklet tut’s auch. Christoph N. Kellerbach erzählt die Geschichte des Kannibalen äußerst bildhaft nach und bricht dadurch für wenige Seiten mit der klassischen Form eines Booklet-Texts, was zu einer willkommenen Abwechslung führt. Schließlich ordnet er die Legende nüchtern ein und leitet dann über zur Geschichte des Kannibalenfilms, der trotz Hannibal Lecter und der Torture-Porn-Popularität der 00er Jahre immer noch eine gewisse Tabuisierung erfährt. Nach 16 (von insgesamt 24) Seiten beginnt dann die Analyse der Entstehungsbedingungen des Hauptfilms und ein kurzer Kritikteil, der richtigerweise feststellt: Die seither vergangene Zeit hat „Sawney“ gutgetan.
Bildergalerie
Sascha Ganser (Vince)
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