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The 800

Originaltitel: Ba Bai__Herstellungsland: China__Erscheinungsjahr: 2020__Regie: Guan Hu__Darsteller: Zhang Yi, Wang Qianyuan, Jiang Wu, Huang Zhizhong, Jerry Li Chen, Vision Wei, Gianluca Zoppa, Hou Yong, Liu Xiaoqing, Yao Chen, Du Chun u.a.
The 800 DVD Cover deutsch

“The 800” ist der erfolgreichste Film des vermaledeiten Corona-Jahres 2020.

Im Juli 1937 fällt das japanische Kaiserreich in China ein und trifft auf eine vollkommen unvorbereitete und desolate Verteidigungsarmee. Dementsprechend gewaltig fallen die Raumgewinne der Japaner aus. Im August desselben Jahres greifen die Invasoren Shanghai an. Ein mehrmonatiger, verlustreicher Kampf entbrennt, bei dem die Chinesen zunehmend Gefahr laufen, von den zahlenmäßig überlegenen Japanern eingekreist zu werden. Fieberhaft suchen die Chinesen nach einem Ausweg für ihre verbliebenen Soldaten.

An die Soldaten der Division 88 ergeht darum der Befehl, das gewaltig dimensionierte Sihang Lagerhaus inmitten der Metropole zu halten und damit den Rückzug der chinesischen Truppen zu decken. Die Division, ein bunter Mix aus altgedienten Veteranen, Grünschnäbeln und zahllosen Deserteuren anderer Einheiten, bereitet sich in der Fabrik auf die Erfüllung ihrer Aufgabe vor. Wissend, dass sie alle sprichwörtlich auf einer gewaltigen Bombe sitzen. Thront doch ein gewaltiger Gastank in dem Fabrikgemäuer, der bei seiner Zerstörung Millionen Menschen das Leben kosten könnte.

Doch das Sihang Lagerhaus wurde von der chinesischen Führung auch aus öffentlichkeitswirksamen Gründen ausgewählt, grenzt es doch direkt an die britische Konzession in Shanghai. Infolgedessen entspinnen sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit die zunehmend brutaler werdenden Stellungskämpfe zwischen den Chinesen und den Japanern. Dies soll zum einen die restlichen Chinesen auf den bisher wenig erfolgreichen Kampf gegen die Eindringlinge einschwören und zum anderen die Alliierten der Chinesen auf deren verzweifelte Lage aufmerksam machen.

Schaut in den gewaltigen Blockbuster aus China hinein

httpv://www.youtube.com/watch?v=SbjwSxZQR2U

„The 800“ ist im Corona-Jahr 2020 gelungen, wovon andere Streifen nur träumen konnten: Er ist richtig am Boxoffice eingeschlagen. Über 470 Millionen Dollar hat er eingespielt, womit er der weltweit erfolgreichste Film des Jahres wurde. Zugleich war der Kriegsfilm eine Produktion der Superlative: Regisseur Guan Hu, der den Film über zehn Jahre hinweg vorbereitet hatte, drehte komplett mit IMAX-Kameras und durfte 80 Millionen Dollar verbraten, von denen ein Großteil in ein gewaltiges Set mit 68 nachgebauten Häusern floss.

Wer nun glaubt, dass es ein Film, der den Widerstandswillen der Chinesen derart aufwändig feiert, im eigenen Land leicht haben würde, der irrt. Mehrfach wurde der Film, der 2019 ursprünglich das Shanghai-Filmfestival zum 70. Jubiläum der Volksrepublik China eröffnen sollte, verschoben. Viele Mutmaßungen tendierten in Richtung Zensur. Diese bestätigten sich zumindest indirekt, als der Film 2020 dann doch noch in die Kinos kam, allerdings in einer deutlich gekürzten Version. Welche nun auch Deutschland erreicht hat.

Und jene Deutsche, die sich den Streifen zu Gemüte führen, werden ihm vor allem den betriebenen Aufwand in jeder Szene ansehen. Zahllose Statisten wuseln durch die Settings, die Ausstattung ist detailverliebt und stimmig und das eigens für den Dreh errichtete Set bebildert glaubwürdig einerseits die Zerstörungswut des Krieges und andererseits das flirrende Leben in der britischen Konzession. Dies sind ohnehin die interessantesten Momente von „The 800“. Einmal fantastisch ausgekostet, wenn die Kamera in einer Szene ganz langsam von dem knallig bunten Nachtleben der britischen Konzession in Shanghai auf die ansonsten stockfinsteren, nur von Feuern erleuchteten, zerstörten Reste der Metropole schwenkt. Himmel und Hölle liegen hier tatsächlich unmittelbar beieinander.

The 800 und sein aufwändiges Set

Tod und Chaos beherrschen die letzten Tage vor der Eroberung Shanghais.

Dazu sollte man wissen – es wird vom Film leider nicht weiter erklärt -, dass Shanghai mehrere solcher Konzessionen besaß. Die britische wurde nach dem ersten Opiumkrieg eingerichtet, eine französische folgte fünf Jahre später im Jahr 1847. Die Amerikaner legten 1863 und die Japaner 1895 nach. Konzessionen sind in diesem Sinne Stadtgebiete, die unter dem Recht der jeweiligen Nation standen. Wo Bürger der entsprechenden Nation Immobilien erwerben konnten, von hier Handel trieben und gewisse Vorrechte wie Freizügigkeit und Immunität genossen. Und um die die Japaner einen großen Bogen machten, um die Nationen nicht in ihren Krieg gegen China hineinzuziehen.

Wenn in „The 800“ die Bürger der britischen Enklave staunend am befestigten Ufer des Suzhou stehen und dem Kriegstreiben gegenüber zusehen, wenn ein Zeppelin mit internationalen Pressevertretern über dem Lagerhaus schwebt oder wenn die von der Schlacht erschöpften Soldaten zur moralischen Erbauung am Abend auf die Konzession am gegenüberliegenden Ufer blicken, wo Lichtermeere die Nacht erhellen und Menschen das Nachtleben genießen, als wäre gar nichts, hat der Film seine wahrlich faszinierendsten Momente.

Dass „The 800“ ansonsten auch faszinierend wäre, kann man meines Erachtens nicht behaupten. Dabei macht der Film zu Beginn eine Menge richtig. Bebildert die Bestie Krieg als Menschen zermahlende Maschinerie, die keine Helden gebiert, nur Blut, zerfetztes Fleisch und beendete Lebensträume. Die ersten Kampfhandlungen des Filmes überleben nur die, die zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort stehen. Das gibt „The 800“ viel Wucht. Die an moderne Kriegsfilme angelehnte, sehr dynamische Inszenierung transportiert eine dreckige Optik, perfekte Effekte, saubere Stuntarbeit und viele beklemmende Bilder. Dieser Krieg ist kein Abenteuer.

The 800 Surrealer Moment

Einer der surrealen Momente im Film: Ein Reiter stellt sich einer kriegerischen Übermacht.

„The 800“ bebildert einen Zeitraum von vier Tagen. Dabei sind die Ereignisse der ersten beiden Tage in genau diesem, sehr an Antikriegsfilme gemahnenden Duktus gehalten. Nicht einmal die Japaner werden wie gewohnt entmenschlicht und dämonisiert. Sie bleiben den gesamten Film über reichlich gesichtslos. Nur in einer Szene benutzen Japaner gefangene Chinesen als lebende Zielscheiben für ihre Bajonett-Übungen und in einer anderen kreuzigen sie chinesische Soldaten.

Doch spätestens bei der Bebilderung von Tag drei können weder Regie noch Drehbuch an sich halten und schwenken knallhart um. Zunächst schlägt sich „nur“ halbwegs glaubwürdiger Soldatenpathos Bahn, doch dann wird es richtig patriotisch. Im für den Zuschauer sinnlosen Kampf um eine Flagge werden Helden geboren und durch den Fleischwolf gedreht. In der Folge schlagen sich Durchhalteparolen Bahn, eine flammende Ansprache mit Gänsehaut-Musik ertönt, der Score wird allgemein heroischer und der Durchhaltewille der gesamten Nation wird beschworen.

Um über die Ballung an Pathos und Patriotismus hinwegsehen zu können, müsste man deutlich mehr in dem Film drin sein, als man es zu dem Zeitpunkt ist. Denn „The 800“ lässt einen kaum an seine Figuren heran. Lange wirkt es so, als sei es eher Zufall, dass die Kamera die Wege bestimmter Charaktere kreuzt. Viel erfährt man so nicht über sie. Und sobald einer mal etwas hinter seine Fassade blicken lässt, verreckt er kurz darauf im Dreck. Man könnte freilich vermuten, dass die kolportierte Zensur an der desolaten Charakterzeichnung Mitschuld trägt. Dass, ganz im Sinne des Sozialismus, auf ein Kollektiv anstatt auf einzelne Helden fokussiert werden sollte. Oder dass einige Helden des Filmes, für die diverse politische Kräfte des heutigen Chinas nicht wirklich viel Wohlwollen empfinden, zu gut wegkamen. Ohne die Originalfassung zu sehen, werden wir es wohl nie erfahren.

The 800 Soldaten wollen in britische Konzession

Die verbliebenen Soldaten rüsten sich für den finalen Kraftakt.

Wenn der Film dann in Richtung Showdown die verbliebenen, wichtiger anmutenden Charaktere versammelt, nur um sie hernach einfach komplett zu vergessen und ad acta zu legen, kommt man aus dem Staunen kaum noch heraus. Das ist auch insofern schade, dass die Schauspieler sich eigentlich redlich mühen. Bis auf einen Charakter overactet niemand. Was der Glaubwürdigkeit der Ausnahmesituation einen echten Boost verpasst.

Zumindest in technischer Hinsicht kann man sich über „The 800“ nicht beklagen. Jede Einstellung sitzt, jeder Effekt funktioniert, die Musik ist themenaffin und teils richtig schön. Die neben den Bildern um die Konzession abgefeuerten Bilder um ein Pferd in den Kriegswirren oder einen Krieger, der sich in einer Steppenlandschaft einer kriegerischen Übermacht stellt, sorgen für weitere surreale Momente, die nachwirken. Prinzipiell läuft sie also, die Überwältigungsmaschine. Von den bereits erwähnten Kriegsactionszenen ganz zu schweigen.

„The 800“ lässt seltsam kalt

Doch selbst eine ideal getaktete Überwältigungsmaschine aus perfekten Bildern, wuchtigen Sounds und gewaltigen, irre dynamischen Actionszenarios funktioniert nicht, wenn die Charaktere nicht verfangen und deren Ableben größtenteils teilnahmslos vom Zuschauer goutiert wird. Und genau hier scheitert „The 800“ gewaltig durch, weil er sich trotz 2,5 Stunden Laufzeit kaum für seine Charaktere interessiert. Infolgedessen wird dem Zuschauer ein Anker verwehrt, an dessen Seite er sich durch den teils auch zu langen Film wuchten könnte. Wie es besser geht, bewies unlängst der ebenfalls von Koch Media veröffentlichte “Battleship Island” aus Südkorea.

So sind es vor allem die surrealen Momente, die die Aufmerksamkeit neben der perfekten Action zu binden vermögen. Gerade die Bilder und Ereignisse um die britische Konzession dürften in unseren Breiten den wenigsten geläufig sein und dementsprechend für so manchen Aha-Moment sorgen. Ansonsten fehlt dem zunehmend patriotischer werdenden Kriegsfilm vor allem eines: Seele.

Knappe:

06 von 10

Ab dem 11. Februar 2021 kann „The 800“ bei den verschiedensten VoD-Portalen in Deutschland abgerufen werden. Eine physische Auswertung auf DVD und Blu-ray wird erst am 22. April 2021 erfolgen. Beide Scheiben sind trotz einiger Härten ab 16 freigegeben und werden Trailer, ein Musikvideo und fünf kurze Featurettes zum Film enthalten.

In diesem Sinne:
freeman

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