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Black Widow

Originaltitel: Black Widow__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2021__Regie: Cate Shortland__Darsteller: Scarlett Johansson, Florence Pugh, Rachel Weisz, David Harbour, Ray Winstone, O-T Fagbenle, William Hurt, Olga Kurylenko, Ever Anderson, Violet McGraw, Michelle Lee, Julia Louise-Dreyfus u.a.
Scarlett Johanssons "Black Widow" hat endlich ihren Solofilm!

Scarlett Johanssons “Black Widow” hat endlich ihren Solofilm!

2010 feierte Scarlett Johansson in „Iron Man 2“ ihren furiosen Einstieg als Black Widow/Natasha Romanoff. Seitdem war sie in diversen Marvel/The Avengers-Filmen dabei und mutierte dadurch zu einer der Schauspielerinnen mit den höchsten Einspielergebnissen schlechthin. Leider musste Scarlett Johansson aber lange auf ihren Solofilm warten. Zuvor wurde sogar eine andere Frau im Marvel-Cinematic-Universe gefeatured. Das Ergebnis: Der belanglos egale „Captain Marvel“ (und selbst in dem war Scarlett dabei). Als nächste Frau sollte dann allerdings endlich „Black Widow“ zu ihrem Recht kommen.

Das Storytelling im Marvel-Filmuniversum will es, dass Natashas Solofilm nun irgendwo nach den Ereignissen von „The First Avenger: Civil War“ und vor dem epischen „Endgame“ angesiedelt ist. Keine sonderlich schlaue Entscheidung, denn wirklich zwingend oder gar wichtig will sich „Black Widow“ so niemals anfühlen. Aufgrund der bis dato getroffenen Entscheidungen im Marvel-Filmuniversum wird so nur noch offensichtlicher, wie deutlich zu spät der Film eigentlich kommt. Maximal kann man dem Film einige Bedeutung beimessen, weil er neue Figuren etabliert. Nur, wo waren die nochmal beim „Endgame“?

Und eine weitere Fehlentscheidung bremst den Film von Anfang an aus: Er ist kein typisches Natasha Romanoff Abenteuer. Anstatt die Möglichkeit zu nutzen, einen straighten Agententhriller mit weiblicher Note abzufeuern, bekommt man einen reichlich verquasten Mix aus Familiendrama und selten dämlicher, chemisch induzierter Gedankensteuerung gereicht, garniert mit einem superluschigen Langweilerbösewicht.

Worum geht’s? Die Geschwister Natasha und Yelena leben ein normales Leben in Ohio. Eines Tages kommt ihr Vater gestresst wirkend von der Arbeit. Sofort beginnen er und seine Mutter die wichtigsten Habseligkeiten der Familie zu packen. Man müsse verschwinden. Die abenteuerliche Reise führt nach Kuba, wo die Kinder von den Eltern getrennt werden und deutlich wird, dass die Familie in den USA als Schläfer-Zelle enttarnt wurde.

Einen Zeitsprung später erleben wir Yelena bei einem ihrer Einsätze. Wie die zu den Avengers übergelaufene Natasha ist auch sie eine Widow. Kontrolliert von dem fiesen Dreykov. Bei dem Einsatz kommt Yelena mit einer chemischen Substanz in Berührung, die die Kontrolle Dreykovs über ihr Handeln ausschaltet. „Wiedererwacht“ möchte Yelena nun alle anderen Widows aus der Gedankenkontrolle befreien. Dazu braucht sie Natashas Hilfe.

Gemeinsam wollen sie Dreykovs „Red Room“, seine Basis für Widows und seine sinisteren Experimente, zerstören. Doch dafür benötigen sie obendrein die helfenden Hände ihrer vorgeblichen Eltern. Erstaunlicherweise erweisen diese sich als sehr hilfsbereit und genießen die actionreiche Zeit mit ihren angeblichen Töchtern sehr.

Unsere Videokritik zur Comic-Verfilmung „Black Widow“ mit Scarlett Johansson

httpv://www.youtube.com/watch?v=hSA9nDpOIe0&t=1314s

Die Szenen der Familienzusammenführung sind die mithin besten Momente im Film. Die drei Leading-Ladys Rachel Weisz, Florence Pugh und Scarlett Johansson haben sichtlichen Spaß am Entwerfen ihrer dysfunktionalen Familie, die überhaupt keine ist, und pumpen damit einigen netten Humor in das Treiben. Auch David Harbour („Sleepless“) schlägt sich in diesen Szenen ordentlich, auch wenn die Anlage seiner Rolle als tapsig-doofer Brummbär zum Augenverdrehen klischiert ist. Im weiteren Verlauf wird diese Anlage auch immer mal wieder zu nervigen Momenten führen.

Egal, wie hier die Vergangenheit von Natasha Romanoff ad absurdum geführt wird, Begriffe wie Mutter, Vater und Schwester neu definiert werden, das hat schon etwas. Trotzdem wird man das Gefühl einfach nicht los, dass selbst bei diesen guten Szenen noch deutlich mehr drin war. Was dann rundweg für die gesamte Handlung des Filmes gilt. Vor allem der Bösewicht, seine Motive und sein Vorgehen sind schlicht und ergreifend absolut langweilig und zigfach besser gesehen. Weder geht von ihm noch von seinen zahlreichen Handlangerinnen auch nur ansatzweise so etwas wie Gefahr aus. Und er hat nicht einmal einen echten Masterplan für irgendwas! Gründe genug für eine dann doch recht flache Spannungskurve.

Familienzusammenführung im neuen Marvel-Film mit Rachel Weisz, Florence Pugh und Scarlett Johansson

Familienzusammenführung im neuen Marvel-Film mit Rachel Weisz, Florence Pugh und Scarlett Johansson

Dafür ist das Tempo von „Black Widow“ ordentlich hoch. In den ersten 40-50 Minuten etwa kommt der Film nie zur Ruhe und präsentiert zwei von insgesamt drei größer angelegten Actionszenen. In der ersten Actioneinlage bildet eine Verfolgungsjagd zwischen Motorrädern, einem BMW und einem gepanzerten Mannschaftstransportwagen den alles zermalmenden und zerstörenden Höhepunkt. In der zweiten actionreichen Sequenz im reizvollen, schneeweißen Setting versuchen Natasha und Yelena, den gemeinsamen Vater aus einer misslichen Lage zu befreien, was dank gewaltiger Lawinenabgänge ein paar fette Bilder generiert.

Leider wird bereits bei diesen ersten Spektakelszenen deutlich, dass Regisseurin Cate Shortland („Berlin Syndrom“) und ihre Second Unit kein rechtes Auge für Action haben. Immer wieder kommt beim Betrachter der Eindruck auf, dass die Szenen überhaupt nicht richtig atmen können und ihnen wirklich begeisternde Momente vollkommen abgehen. Vor allem Scarlett Johanssons Fights wirken total zerschnitten und viel zu schnell montiert.

Allesamt Probleme, die auch der groß angelegte und mit fetten Bildern aufwartende Showdown nicht so wirklich abgelegt bekommt. Die Action wird hier zwar ein wenig exzessiver ausgespielt, die zahlreichen präsentierten Schauplätze innerhalb des Finales und das Umherswitchen zwischen ihnen lassen aber wieder keinen rechten Fluss in den Einzelszenen aufkommen.

Rachel Weisz in Black Widow

Rachel Weisz gibt Natasha Romanoffs Mutter.

Apropos: Damit wären wir bei einem weiteren großen Problem: Natasha Romanoff funktioniert in der Action wie in einem x-beliebigen Avengers-Ensemble-Film: Sie hat ein paar nette Momente, aber zu viele andere Akteure ziehen die Aufmerksamkeit von ihr ab. Und hat sie sich mal eingegroovt, nerven dämliche Entscheidungen. Highlight: Gerade ist Natasha warm geworden und kickt gegnerische Widows angenehm physisch um, da verschießt sie urplötzlich irgendwelche Energieladungen aus irgendwelchen Handgelenkswaffen – und schwupps, ist das Physische wieder weg.

Aber all das sind Probleme, die nicht nur in den Actionszenen evident ist. Der gesamte Film wirkt nicht wirklich wie ein „Black Widow“-Film. Die Handlung wird auf viel zu viele Schultern verteilt. Kaum liegt der Fokus mal auf Natasha Romanoff, drängt irgendeine andere „Nebenfigur“ massiv in den Fokus. Irgendwie fühlt man sich so direkt um seinen „Black Widow“-Film betrogen. Und das, obwohl Scarlett Johansson („Ghost in the Shell“) toll spielt. Immer wieder ist da dieses megasüße Lächeln, das ihre Lippen umspielt und einen einfach nur „Hach“-verkündend im Kinosessel versinken lässt.

Scarlett Johansson spielt Natasha Romanoff in Black Widow

Natasha in Action!

Doch die starken Damen um sie herum tun es ihr eben zu gleich. Rachel Weisz („Die Mumie“) und Florence Pugh („The Commuter“) sind einfach hinreißend in ihren Rollen. Und dass beide Damen spielen können, muss ich hier sicherlich nicht noch irgendwie herausarbeiten. Mit Olga Kurylenko („Momentum“) kommt sogar eine weitere aparte Schönheit hinzu – die teils wenig glaubwürdig gedoubelt wird. Und alle ziehen sie Aufmerksamkeit von der Black Widow ab. Von Harbour ganz zu schweigen. Ihn hätte Frau Shortland definitiv ein wenig einbremsen müssen.

Dafür sorgt die Regisseurin für ein paar feine Bilder im gewohnten Marvel-Look, dem der Aufwand wieder aus jedem einzelnen Filmframe trieft. Die internationalen Schauplätze tragen ihren Anteil zur hochwertigen Optik des Filmes bei. Die finale Aufmachung des „Red Rooms“ ist im Marvel-Filmuniversum nichts Neues mehr, macht aber dennoch eine Menge Spaß. Schade ist nur, dass Lorne Balfes bestes Musikstück in den letzten drei Minuten des Abspannes ertönt und seine Musik ansonsten recht beliebig die Marvel-Themen abrippt. Eine echte Enttäuschung ist das 3D des Filmes. In ein oder zwei Szenen ragen mal Knarren in den Kinosaal hinein, ansonsten ist die Technik mal wieder einfach nur verschenkt.

Drei gute Gründe für „Black Widow“: Scarlett Johansson, Rachel Weisz und Florence Pugh

„Black Widow“ ist definitiv nicht der Film, den Scarlett Johansson und ihre erfolgreichste Filmfigur verdient haben. Obschon die Mimin den Film sogar selbst mit produzierte, wirkt es, als liefe die Comic-Verfilmung die meiste Zeit an ihr vorbei. Es gibt nicht einen wirklich memorablen Moment für ihre Filmfigur, wohingegen einem bei Scarletts Co-Stars direkt mehrere einfallen. Dazu kommt, dass die Story des Filmes so beliebig wie egal ist und massig Potential zum Fenster rausschmeißt.

Und selbst die Action, die dankenswerterweise nicht wie gewohnt die ganze Welt zerstören will, kickt irgendwie nicht so richtig. Wie der Film und seine Hauptfigur kommt diese nie so recht in Schwung. Woran allerdings auch der von Ray Winstone („The Crime“) lustlos interpretierte 0815-Bösewicht mit seinen insgesamt total luschigen Henchwomen einen großen Anteil hat. Und der viel zu kurze Fight zwischen Natasha und der rechten Hand des Fieswichtes deutet am Deutlichsten an, dass hier in den aufwändigen Szenen irgendwie nicht viel zusammengeht.

Trotzdem kann man „Black Widow“ durchaus einen ordentlichen Unterhaltungswert attestieren, der den insgesamt recht langen Streifen nie langweilig werden lässt. Dies ist eindeutig ein Verdienst der spielfreudigen Hauptdarstellerinnen, die man in dieser Konstellation gerne noch häufiger auf der großen Leinwand sehen würde. Muss ja kein Marvel-Film sein.

5 von 10

In diesem Sinne:
freeman


……


Da war mehr drin …

Black Widow

Mit “Black Widow” erhält die von Scarlett Johansson gespielte Titelheldin endlich einen Solofilm

Ihren ersten Leinwandauftritt hatte die Superheldin Black Widow bereits 2010 in „Iron Man 2“, war schon im ersten Teil von „The Avengers“ Teil des Superheldenteams und gehört zu den treuesten Mitstreiterinnen im MCU, doch lange musste sie auf einen Solofilm warten. Sie ist in der Beziehung noch nicht einmal die Debütantin, denn in „Captain Marvel“ war die gleichnamige Heldin schon anno 2019 Titelfigur und Zugpferd, ehe nun „Black Widow“ an den Start geht.

Das Solo-Abenteuer spielt nun nach den Ereignissen von „Captain America: Civil War“: Die Avengers sind offiziell aufgelöst, die Helden, die sich dem Sokovia-Act nicht unterwarfen, eingesperrt oder auf der Flucht. Bisher sind ist neben Captain America nur noch Natasha Romanoff (Scarlett Johansson) alias Black Widow auf freiem Fuße. Ihr auf der Spur ist Secretary Ross (William Hurt), doch die ehemalige Spionin ist zu clever für den Staatsmann und seine S.H.I.E.L.D.-Truppen. Ross ist auch die einzige weitere Figur aus dem bisher bekannten MCU, die eine Rolle erhält, ansonsten ist „Black Widow“ ein reines Standalone-Abenteuer, auch wenn einige Zusammenhänge erst durch Kenntnis der anderen Marvel-Filme so richtig klar werden. Und eine Hawkeye-Erwähnung in der Post-Credit-Sequenz deutet Stoff für einen weiteren Film an, in dem der Bogenschütze im Mittelpunkt stehen könnte.

Hier geht es aber um Black Widow, deren Vergangenheit zumindest etwas mit Fleisch gefüllt wird. So zeigt die 1995 spielende Anfangssequenz, wie sie, ihre Mutter Melina (Rachel Weisz), ihr Vater Alexei (David Harbour) und ihre Schwester Yelena wütenden S.H.I.E.L.D-Agenten entkommen müssen, die auf die Spur der in Ohio lebenden Schläfer gekommen sind. Ever Anderson als Darstellerin der jungen Natasha sieht nicht der jungen Scarlett Johansson sehr ähnlich. Einprägsam auch die Anfangscredits, nachdem die Flucht nach Kuba zwar geglückt ist, Natasha und Yelena allerdings betäubt werden, um nun zu Meuchelmörderinnen für die Organisation Red Room ausgebildet zu werden: Eine Montage zu einer Meditativ-Version von „Smells Like Teen Spirit“, deren sanfter Sound in krassem Gegensatz zu den Bildern von Gewalt und Menschenhandel steht, die sie untermalen.

In der Gegenwart ist Natasha von ihrer Schwester entfremdet, die gezwungenermaßen immer noch für den Red Room mordet, bis ein experimentelles Spray die Gedankenkontrolle des Vereins beendet. Sie schickt Natasha weitere Proben, die dadurch ins Visier der Killerorganisation gerät. Natasha sucht nach Yelena, um mit ihr zusammen die Sache ein für alle Mal zu beenden…

httpv://www.youtube.com/watch?v=FPMqq–LuRE

Innerhalb des MCU streifen die Filme immer wieder andere Genres: Es gibt dort Fantasy-Filme („Thor“) und Space Operas („Guardians of the Galaxy“) ebenso wie Heist Movies („Ant-Man“) und Steampunk-Kriegsfilme („Captain America“). „Black Widow“ ist Spionage-Action, ähnlich wie die „Captain America“-Sequels „The Winter Soldier“ und „Civil War“. Den großen Franchises des Genres wird Tribut gezollt: Actionszenen und Kampfchoreographie erinnern an die Bourne-Reihe, aus dem „Mission: Impossible“-Kosmos könnten die Gesichtsmasken und die Vehikeljagd durch Budapest stammen, während der Bösewicht über eine eigene Festung wie ein Bond-Schurke verfügt. Diesem Vorbild wird besondere Ehre erwiesen, wenn Natasha in einer Szene „Moonraker“ auf ihrem Laptop schaut und die Dialoge bereits mitsprechen kann.

Die Vergleiche mit den Großen des Genres legen dann leider auch die Schwächen des Films von Cate Shortland („Berlin Syndrome“) nach Drehbuch von Eric Pearson („Godzilla vs. Kong“) frei. Da ist zum einen Oberbösewicht Dreykov (Ray Winstone). Eigentlich ein herrlich fieser Schurke, für den seine Armee an Assassininnen nur Werkzeuge sind, die man gegebenenfalls einfach entsorgen kann. Mit Taskmaster hat er eine rechte Hand an seiner Seite, die gegnerische Bewegungen kopieren und auswendig lernen kann – eine Nahkampfwaffe par excellence. Doch was nützt die klassische Aufteilung in Oberschurke und kampfstarke rechte Hand, wenn der Obermotz enttäuschend wenig präsent ist und im Gegensatz zu den Bond-Villains noch nicht einmal einen besonderen Plan verfolgt? Er ist Chef der Killerinnen-Organisation, sein Bann muss gebrochen werden, aber er geht seinem bösen Tagewerk nach wie die ganze Zeit zuvor. Selbst der Drogenhändler in dem eher atypischen, bodenständigeren Bond-Abenteuer „Lizenz zum Töten“ plante gerade einen großen Deal, als ihm der gute 007 rachemäßig auf die Pfoten haute.

Die zweite große Schwäche des Films ist seine Geradlinigkeit. Black Widows Aufgabe besteht einzig und allein darin den Red Room zu finden, wofür sie nach und nach ihre Familienmitglieder einsammeln muss, die entweder von der Organisation gejagt werden (Yelena), in einem Knast einsitzen (Alexei) oder Forschung betreiben (Melina). Dass Dreykov nicht tot ist, wie Natasha vor Filmbeginn dachte, ist ultraschnell klar, große Überraschungen bleiben weitestgehend aus – auch eine Enthüllung bezüglich Taskmaster ist mehr ein Gimmick denn wirklich plotrelevant. So sorgen die einzelnen Stationen der Suche zwar für agentenfilmartiges Location-Hopping von Norwegen über Marokko und Budapest bis hin zur fliegenden Festung für den Showdown, aber im Gegensatz zu Bond, Bourne und Hunt erfährt Romanoff auf ihrer Reise kaum Neues oder Relevantes, da die Karten von Anfang auf dem Tisch liegen.

So liegen die Stärken von Shortlands Film eher in jenen Momenten, in denen das Publikum tiefer in die komplizierte Vergangenheit der schwarzen Witwe einsteigen kann. Ihre Familie aus der Auftaktszene war nur ein Konstrukt, keine biologischen Verwandten, nur ein drei Jahre andauernder Auftrag. Allerdings wird Entscheidendes mal wieder nur im Dialog erzählt oder kurz in Rückblenden angerissen, vor allem Romanoffs Seitenwechsel vom russischen Geheimdienst zu S.H.I.E.L.D. wird nicht eingängig geschildert. Doch „Black Widow“ zeigt die wiedervereinte Familie auf erfreulich mitfühlende Weise als Schicksalsgemeinschaft versehrter Menschen: Melina macht einfach weiter mit, weil sie nichts anderes kennt, Yelena erfährt nach Jahren der Fremdsteuerung erstmals Freiheit, kann diese allerdings nur mit Sauferei, Rebellion und Konfrontationskurs füllen. Und Alexei als Red Guardian, das russische Gegenstück zu Captain America, hängt gedanklich den Glory Days nach, versucht seine innere Unsicherheit durch Witzeleien und laute Machoattitüde zu überspielen. Dass die Gags in „Black Widow“ nie mit diesem ernsten Hintergrund kollidieren, sondern nur kleine Auflockerungen bleiben, muss man Shortland anrechnen, die das Familiendrama in einer eingängigen Abendessen-Szene verdichtet. Im Hintergrund stehen ernste, durchaus realweltliche Themen wie Menschenhandel und die Rekrutierung von Kindern, die man zu Tötungsmaschinen schleift, die aber nie zu offensiv angegangen werden, sodass sie in den Superheldenkosmos ebenso passen wie kleine In-Jokes über Black Widows Kampfposen.

Actionseitig gibt es vor allem Nahkämpfe, geprägt vom Bourne-Style mit der Mittendrin-statt-nur-dabei-Inszenierung, den effektiven Schlag-, Tritt- und Grifftechniken, der Nutzung von Alltagsgegenständen wie Vorhängen und Tellern. Garniert mit den Black-Widow-typischen Faible für Beinscheren und Würfen aus der entsprechenden Position. Die Choreographie der Fights durch James Young („Avengers: Endgame“) ist dynamisch, die Inszenierung zackig, auch eine Vehikeljagd inklusive Schießereien und Blechschäden durch Budapest, bei der Motorräder, Autos und ein Panzerfahrzeug mitmischen, ist sehenswert. Allerdings haut „Black Widow“ diese starken Actionszenen fast alle im ersten Drittel heraus. Die Gefängnisbefreiung ist okay, hat mit Hubschraubereinsatz, Raketenwerfer und großer CGI-Lawine weniger sympathische Bodenhaftung als die sonstigen Actionszenen. Und der Showdown spart dagegen etwas mit Krawall: Meist sind es nur kurze Scharmützel, bei denen vor allem der Fight zwischen der Titelheldin und einer Gruppe weiterer Widows herausragt. Das Finalduell Black Widow vs. Taskmaster ist dagegen enttäuschend kurz (da macht der erste Fight der beiden auf der Brücke mehr her), da hilft auch die nette Idee nicht, dass Teile des Kampfes quasi im freien Fall stattfinden.

Da ist es schade um das hervorragende Hauptdarstellerquartett, angefangen bei Scarlett Johansson („Hail, Caesar!“) als Titelheldin, die einerseits oft wie die erwachsenste Person im Raum erscheint, aber immer noch mit den Narben der Vergangenheit zu kämpfen hat. Florence Pugh („Fighting with My Family“) als trotziger Heißsporn bietet einen starken Widerpart, ebenso David Harbour („Tyler Rake: Extraction“) als prolliger Gernegroß mit Plauze und Herz. Da fällt Rachel Weisz („Die Gebrüder Weihnachtsmann“) leicht ab, was aber auch daran liegen mag, dass sie erst spät so wirklich im Film ankommt. Ein ähnliches Problem hat Ray Winstone („The Departed“), dessen Performance tadellos ist, der aber viel zu wenig Screentime erhält, um richtig präsent zu sein. Nette Akzente setzen O-T Fagbenle („The Handmaid’s Tale“) als Ausrüstungsbeschaffer und William Hurt („Der große Frust“) als Secretary Ross, während Olga Kurylenko („The November Man“) trotz prominenter Nennung in den Credits nur einen besseren Cameo mit zwei dialogfreien Szenen hinlegt.

„Black Widow“ ist eine okaye Sache, aber nach der langen Wartezeit und angesichts der interessanten Hauptfigur wäre ein Kracher auf Augenhöhe der „Captain America“-Sequels angebracht gewesen. Dafür ist der Schurke aber zu wenig präsent, es mangelt an einer zwingenden Bedrohung durch einen akuten Plan und Wendungen bei der Suche nach dem Oberbösewicht. Die Action ist sauber inszeniert, auch wenn die besten Szenen leider im ersten Drittel zu finden sind, der Mix aus ernsten Themen wie Menschenhandel, emotionaler Bindung der Figuren und auflockernden Gags funktioniert ebenfalls überraschend gut. Aber es gibt eben die genannten Schwächen, welche einen Aufstieg in die Riege der besten Marvel-Filme verhindern.

„Black Widow“ läuft seit 8. Juli in den deutschen Kinos und ist ungekürzt ab 12 Jahren freigegeben. Parallel dazu kann er auch gegen Aufpreis als Premium-Video-on-Demand bei Disney+ gestreamt werden, weshalb einige Kinos den Film boykottieren.

© Nils Bothmann (McClane)

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