Originaltitel: The Mummy__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1932__Regie: Karl Freund__Darsteller: Boris Karloff, Zita Johann, David Manners, Arthur Byron, Edward Van Sloan, Bramwell Fletcher, Noble Johnson, Kathryn Byron, Leonard Mudie, James Crane, Leyland Hodgson, Eddie Kane u.a. |
Eigentlich ist es ein Gemeinplatz, dass die Mumie als Filmmonster ziellos herumtorkeln, stöhnen und tollkühne Abenteurer anekeln muss, die sich in einem Labyrinth altägyptischer Herkunft verirrt haben. Sie ist in der Vorstellungskraft vieler ein Vorläufer des gemeinen Zombies, denn sie schlurft, modert und verfügt über keinerlei Persönlichkeit. Die hat sich nämlich im alten Ägypten verabschiedet, als der einstige Bewohner der fleischlichen Hülle sich noch in ebendieser befand, bis er in ebenso grässlichen wie faszinierenden Prozeduren der damaligen Kultur hinausgedrängt wurde – mumifiziert und lebendig begraben. Bräuche, die heute so fremd erscheinen wie sie Anziehungskraft ausüben. Manchmal ist Geschichte eben kein angestaubtes Lehrfach für Langweiler, sondern ein echtes Abenteuer. Das jedenfalls hat uns ja schon Steven Spielberg bewiesen.
Eine interessante Erkenntnis, dass der Archetyp des Mumienfilms selbst gar nicht in seine eigene Schublade passt. Der 1932er Film des deutschen Cinematographie-Virtuosen, Karl Freund, ist nur in wenigen Szenen ein Gruselfilm im ureigenen Sinne; vielmehr ist es eine Abhandlung über die Unvergänglichkeit der Liebe gleichermaßen wie über die Tragik, die ihr innewohnt. Freund inszeniert auf brillante Weise eine Ode an die Romantik, zollt seinen Ursprüngen bei Friedrich Murnau Tribut und verarbeitet damit einen Stoff, der universeller, mystischer und übergreifender erscheint als diejenige der beiden Universal-Urmonster Dracula und Frankenstein zusammen.
Wer sich daraus nun einen mit Spannung und Thrill angereicherten Gruselfilm erhofft, wird mit Sicherheit trotz des stimmungsvollen Einstiegs enttäuscht werden und sollte sich lieber sogleich an die Folgejahrzehnte halten, in denen sich mechanische Horrorfilme wie Sand in einer Uhr anhäuften, um die menschliche Angst vor dem Verfall und der Isolation anzusprechen – im besten Fall als schwungvoll inszeniertes Vanitasballett, im schlimmsten Fall als affektierter, billiger Horrorschund, zumeist jedoch unterwürfig gegenüber den Vorgaben des gemeinen Genrefilms.
Karl Freund bewegt sich bei seinem US-Debüt keinesfalls auf der Innenseite derart abgesteckter Zäune. Allerdings greift er auf den “Frankenstein”-Star Boris Karloff zurück, der mit seiner Paraderolle ein Jahr zuvor eindrucksvoll bewiesen hatte, dass er auch unter einer Maske richtig spielen kann – eine Kunst, für die Karloffs großer Konkurrent Bela Lugosi damals keinerlei Verständnis aufbringen konnte. Die Rolle des Imhotep musste in ihrer derzeitigen Konzeption wie geschaffen für Karloff wirken, war er doch schließlich geübt darin, unter einer Maske zu agieren, hatte darüber hinaus die perfekte äußere Erscheinung für eine regenerierte Mumie, konnte ihr aber auch Persönlichkeit verleihen, ein Charakteristikum also, das man nicht notwendigerweise mit einer Mumie verbinden würde.
Und als die Idealerscheinung, die Karloff auf dem Papier vorgibt zu sein, entpuppt er sich dann tatsächlich auch. Imhotep bezieht seine Persönlichkeit in erster Linie nicht etwa durch die geschickt konstruierten Rückblenden ins alte Ägypten, sondern durch Karloffs überragende Ausstrahlung. Die Maske, obgleich sie angeblich in vollen acht Stunden aufgetragen wurde, ist im Vergleich zu “Frankenstein” als minimalistisch zu bezeichnen, so dass Karloffs Gesichtszüge stärker zur Geltung kommen und durch die abstoßende Faltenzeichnung und damit verknüpfte Schatteneffekte in der Ausleuchtung höchstens dämonisiert werden. Mit dieser optischen Hilfestellung garantiert Karloff die hypnotisierende Präsenz der Hauptfigur, die das Geschehen spielend an sich reißt. Viel mehr noch als durch seine Mimik überzeugt Karloff allerdings durch seine aufrechte, steife Körperhaltung in einem Gewand, das ihn noch hagerer und länger aussehen lässt als er ohnehin ist. So erscheint der Protagonist immer auf das Wesentliche konzentriert, scheint immer die Vorherrschaft über das Geschehen zu bewahren.
Die meiste Zeit sehen wir jedoch keine Imhotep-Mumie, sondern einen aristokratischen Herrn, der sich selbst Ardath Bey nennt… sicherlich mit Spuren der Vergänglichkeit versehen und in den vielen Nahaufnahmen besonders unangenehm anzuschauen, aber überaus menschlich wirkend, von seiner Erscheinung her irgendwo sogar an “Dracula” erinnernd, der sich ja schließlich auch als Graf in menschlicher Gestalt gegenüber seinem späteren Sargnagel Van Helsing vorstellte. Auch die Fernbeziehung zu Helen Grosvenor (Zita Johann), der Reinkarnation von Imhoteps ehemals Geliebter Anckesen-Amon, nimmt ähnliche Züge an wie bei “Dracula”. Soweit bewegt sich also auch “Die Mumie” innerhalb der Universal-Prämisse, die Monster als von der Umwelt gezeichnete Kreaturen darzustellen, die im Inneren auch nur Menschen mit allen Bedürfnissen eines solchen sind. Ein animalischer, monströser Aspekt ist, wenn überhaupt, nur tief zurückgezogen in den Augenhöhlen zu finden. Möchte man ihre wahre Natur in voller Pracht entfesselt sehen, sollte man sich an die ausschlachtenden B-Fortsetzungen der 40er Jahre halten.
Als wahrhaftiger Gruselfilm zeigt sich Freunds Werk deshalb allenfalls im Prolog, der durch einen Jump Cut von der Haupthandlung großzügig abgetrennt wird. Dort spielt Karloff wirklich ein totes Wesen, das durch Magie zum Leben erweckt wurde, ohne menschliche Züge erkennen zu lassen. Beginnend bei der aufwändigen 180-Grad-Kamerafahrt aus den Opening Credits hin zum Filmtitel, zeigt der Regisseur seine ganze Erfahrung in Sachen Kamerahandhabung, wird sich mit Kameramann Charles J. Stumar wahrscheinlich auch ausgiebig beraten haben, denn die modernen Fahrten, die Karl Freund bei seiner Kameraarbeit an “Dracula” noch zugunsten statischer Gemälde-Impressionen vernachlässigte, sind hier wieder vorzufinden. Wohlüberlegte Bildkompositionen werden erstellt, durch rasante Veränderung der Position neue wichtige Dinge in den Fokus gesetzt. Aus heutiger Sicht wirkt die Regie der “Mumie” deswegen viel flotter und zeitgemäßer, als dies bei anderen Produkten der Zeit, gerade eben “Dracula”, der Fall gewesen ist.
Die Atmosphäre ist in diesen Momenten vollkommen dicht, die Auferstehung der Mumie ein Musterbeispiel eleganter Inszenierung. Der Forscher wird aus nachvollziehbaren Gründen mit der Mumie in einem Raum alleine gelassen, liest den befreienden Spruch vor – Schnitt – die Mumie in der Halbnahen öffnet langsam ihre Augen – Schwenk zurück auf den Forscher, der vollkommen in das Pergament versunken ist… Suspense in Reinform, dann in der unteren Linken des Bildes plötzlich eine Hand auf dem Schreibtisch. Der Forscher dreht sich um, schreit aus ganzer Kehle, weicht zurück und fängt irre an zu lachen, auf ein Objekt schielend, das sich im Off befindet. Die Kamera folgt dem Blick des Forschers und erwischt gerade noch ein paar Bandagen, die durch die Ausgangstür gezogen werden. Die Mumie ist fort und kehrt erst Jahre später als Ardath Bey zurück, während der Forscher inzwischen durch die groteske Begegnung in den Wahnsinn getrieben wurde. Das ist soweit alles, was wir als Zuschauer wissen müssen, und so erfolgt der angesprochene Jump Cut, um Jahre verstreichen zu lassen, die sich das Special Effects-lastige Remake von Stephen Sommers aneignete, um mit effekttechnischem Aufwand die Rückverwandlung der Mumie zu inszenieren, welche im Original unter den Tisch fällt.
Die folgende Weichenstellung für die spätere Auflösung ist leider nicht immer durchgehend interessant aufgezogen. Längen in gewissen Dialogszenen lassen sich nicht vermeiden, denn viele Szenen wirken in ihrer Anordnung schlicht redundant. Das Originaldrehbuch hatte teilweise auch eine vollkommen andere Form, hier und da wurden Szenen gestrichen, manchmal auch wieder an anderen Stellen eingefügt, so dass der Film dramaturgisch im ausgeweiteten Mittelteil zu keinem Zeitpunkt die Klasse von “Frankenstein” erreicht. Das mag daran liegen, dass Imhotep wegen der ausgelassenen Zeitspanne fast unmittelbar nach der Einführung auf die Wiedergeburt seiner Anckesen-Amon trifft und die Handlung im weiteren Verlauf für Imhotep daraus besteht, wichtige Pergamente aus dem Museum zu stehlen, Helen Grosvenor in seine Arme zu treiben, sie zu hypnotisieren, ihr einen Blick auf ihr früheres Leben zu gewähren und zugleich die beiden Zweifler (u.a. Edward Van Sloan) abzuwehren. Die Abfolge der Szenen bleibt bisweilen austauschbar, was daran liegt, dass im Mittelteil einfach keine stringente Handlung vorhanden ist, die sich von einem Ergebnis zum nächsten stürzt.
Womit Karl Freund diese inhaltlichen Mängel kompensiert, ist die Art und Weise, wie er das Medium Film für sich verwendet. Das Cross-Cutting zur Verdeutlichung der Beziehung zwischen Imhotep und Helen Grosvenor ist als hervorragend zu bezeichnen, ganz zu schweigen von der Kamerafahrt und den anschließenden visuellen Effekten bei der Vision, die Imhotep seiner wiedergeborenen Anckesen-Amon schenkt. Auch der Score sollte nicht außen vor gelassen werden, bedient er sich doch der interessanten Technik, in bedeutenden Momenten des Films eben genau keine Musik einzuspielen, sondern die Stille als Score für sich zu verwenden – mit einem überaus gelungenen Ergebnis. Wann immer die Musik aussetzt, schlägt die Spannungskurve nach oben aus.
Am Ende steht ein Klassiker, der bei Erscheinen noch mit schlechten Kritiken zu kämpfen hatte und das wohl nicht nur, weil Hauptdarstellerin Zita Johann gegen den eigenen Regisseur wetterte und behauptete, er habe keine Ahnung von dem, was er tue. Inzwischen hat sich der Stoff als zeitlos herausgestellt und die technische Umsetzung des Films als ausgezeichnet. Störend fällt auf, dass der Mittelteil seinen roten Faden oftmals außer Acht lässt. Etwas mehr Stringenz hätte in dieser Phase nicht geschadet. Ansonsten ist „Die Mumie“ ein sehenswertes Gruseldrama mit einem starken Karloff, das man mit den entsprechenden Erwartungen angehen sollte, um es entsprechend würdigen zu können.
Schaut in den Sarkophag und bestaunt “Die Mumie”
httpv://www.youtube.com/watch?v=QwdH941YzAQ
Wie die meisten Universal-Horrorklassiker der 30er Jahre wurde auch “Die Mumie” einem größeren Publikum im Jahr 2004 durch die “Monster Legacy Collection” zugänglich gemacht. Zuvor gab es bereits diverse TV-Ausstrahlungen und auch eine Videokassette, doch die DVD verhalf den alten Schinken aus vergangenen Tagen zu neuem Glanz, zumal die DVD neben dem Hauptfilm bereits einige interessante Extrs aufwies, darunter ein Audiokommentar mit Filmhistoriker Paul M. Jensen sowie die von Universal für den Heimvideomarkt produzierte 30-Minuten-Dokumentation “Geliebte Mumie”, die vom 2019 verstorbenen Filmhistoriker Rudy Behlmer moderiert wird. Später folgten noch unzählige weitere DVD-Auswertungen sowie auf Blu-ray, einzeln oder in der Box, im einfachen Amaray-Case oder im Mini-Sarg für die Vitrine. Wer sich mit der Geschichte des Horrorfilms vertraut machen möchte, dürfte jedenfalls keinerlei Probleme in der Verfügbarkeit vorfinden.
Sascha Ganser (Vince)
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