Originaltitel: Deadly Class__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2018-2019__Regie: Lee Toland Krieger, Ami Canaan Mann, Paco Cabezas u.a.__Creators: Rick Remender, Miles Orion Feldsott__Darsteller: Benjamin Wadsworth, Benedict Wong, Lana Condor, María Gabriela de Faría, Luke Tennie, Liam James, Michel Duval, Taylor Hickson, Jack Gillett, Siobhan Williams, Sean Depner, Tom Stevens, Olivia Cheng, David Zayas, Brian Posehn, Henry Rollins u.a. |
Die Russo-Brüder und Comic-Adaptionen, das schien zu passen. Ihre „Captain America“-Filme „The Winter Soldier“ und „Civil War“ sowie ihre „Avengers“-Filme „Infinity War“ und „Endgame“ zählen zu den beliebtesten und finanziell erfolgreichsten MCU-Beiträgen, der von ihnen produzierte und teilweise geschriebene „Tyler Rake: Extraction“ war eine Weile der meistgesehene Netflix-Film. Jedoch war die von ihnen produzierte Serie „Deadly Class“ dagegen glücklos.
Mit Rick Remender war der Vorlagenautor als Creator beteiligt, der sich diese Aufgabe mit Miles Orion Feldsott teilte. „Deadly Class“ spielt in Amerika gegen Ende der Reagan-Ära. Marcus Lopez Arguello (Benjamin Wadsworth) hat keine Eltern mehr und lebt auf der Straße, seitdem das Waisenhaus, in dem er zuvor lebte, mit Mann und Maus niederbrannte. Da man ihm das Feuer und die Toten zuschreibt, wird er für die Privatschule King’s Dominion rekrutiert: In dem Internat werden Profikiller von morgen ausgebildet, darunter vor allem die Sprösslinge großer Verbrechersyndikate, etwa Yakuza-Tochter Saya (Lana Condor) oder Kartell-Sohn Chico (Michel Duval). Geleitet wird die Akademie von Meister Lin (Benedict Wong), der ein Herz für Außenseiter wie Marcus hat. Mangels Perspektive nimmt der junge Mann das Angebot an, auch wenn er zwischen den reichen Sprösslingen großer Verbrecherfamilien ganz klar am untersten Ende der Nahrungskette steht. Allerdings hat der Waise nicht alles zu seiner Vergangenheit erzählt, was zu Problemen führt, als diese zu ihm aufholt. Zumal er das Gefüge in King’s Dominion mit seiner aneckenden Art eh schon durcheinanderbringt…
„Deadly Class“ ist eine aufwendig produzierte Serie irgendwo zwischen Meuchelmörder-in-der-Ausbildung-Action á la „Nikita“, derb-düsterem Comic-Weltbild á la „Kick-Ass“ und Young-Adult-Internatsgeschichte in der Tradition von „Harry Potter“. Die Qualitäten sieht man der Serie durchweg an, die sich optisch vor Kinofilmen nicht verstecken muss, weshalb das Ganze auch atmosphärisch schnell in seinen Bann zieht. Das liegt auch daran, dass die Creator und die Episodenregisseure, darunter Ami Canaan Mann („Texas Killing Fields“) und Lee Toland Krieger („Für immer Adaline“), es verstehen das Amerika der späten 1980er aufleben zu lassen, diese Popkulturreferenzen allerdings eher unterschwellig einzuweben: An der Schule gibt es Punks, Popper und Hip-Hop-Fans, aber auf The Cure können sich alle einigen, Viktor (Sean Depner) ist irritiert von diesem Film, in dem der Held halb Mensch, halb Roboter ist, und in der Freizeit wird am NES gedaddelt. Selbst die Nerddiskussionen zwischen Marcus und Willie (Luke Tennie) über Comics wirken nicht zu aufgesetzt.
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Was ebenso für die Serie einnimmt, ist das tatsächlich an Harry Potter und Co. gemahnende Schulserien-Flair: Es gibt wechselnde Allianzen, Freundschaften und Liebeleien, es gibt ein Kastensystem mit verschiedenen Fraktionen, sodass die Serie tatsächlich viel durch ihre Charaktere erzählt. Zwei Mädchen verlieben sich in denselben Jungen oder zwei Jungen in dasselbe Mädchen, was Freundschaften belasten und zu Herzschmerz führen kann, der populäre Junge schämt sich für seine Freundschaft zu dem Außenseiter usw. Nur hier eben durch das Anti-„Harry Potter“-Element der tödlichen Künste kontrastiert und verstärkt: Bei Rivalitäten in der Clique stellt man sich nicht nur bloß oder spielt dem Gegner Streiche, sondern lässt gestandene Profikiller zwecks Erledigung des Rivalen in die Schule oder nimmt das Ganze gleich selbst in die Hand – obwohl die Internatsregeln das Töten anderer Schüler eigentlich verbieten.
So zieht „Deadly Class“ weiteren Reiz aus dem Kontrast zwischen dem bekannten Schulserien-Inhalten und dem Profimörderspin: Ein stets gefesselter Serienkiller gehört ebenso zum Lehrpersonal wie eine herrische Nahkampfausbilderin und ein deutscher Giftmischer, bei Tests in der Schule kann man draufgehen und die Schüler sind eigentlich stets bewaffnet. Zu den Prüfungen kann auch mal ein Mord gehören, um den eigenen Killerinstinkt unter Beweis zu stellen, und wütende Eltern drohen nicht nur mit Anrufen bei den Vorgesetzen, sondern eher mit Mord und Totschlag.
Dabei ist „Deadly Class“ auch entsprechend derbe und düster. Es gibt Gewaltspitzen, bei denen Köpfe weggeschossen oder Gedärme herausgerupft werden, es gibt reichlich durchgedrehte Nebenfiguren, allen voran Marcus‘ früheren Mitbewohner Chester Wilson (Tom Stevens) alias Fuckface. Der hat nicht nur eine sodomistische Ader, ungeheuren Geltungsdrang und keinen Respekt vor menschlichem Leben, sondern scharrt auch im Charles-Manson-Style eine Quasi-Familie williger Mordbuben und -mädels um sich. Nicht, dass die sonstige Welt in „Deadly Class“ besser wäre: Die Verbrechersyndikate und auch die Betreiber von King’s Dominion kanalisieren ihre niederen Instinkte bloß besser und zielgerichteter als der instinktgetriebene Fuckface-Killer, auch das Lehrpersonal spioniert einander hinterher oder setzt Schüler als Spitzel ein. Und der Blick auf die Reagan-Ära ist ein anderer als jener von vielen anderen Filmen und Serien, die vor allem die Popkultur jener Jahre freudig zelebrieren (obwohl „Deadly Class“ dies zu einem gewissen Grad auch tut): Marcus ist ein Produkt der Sozialkürzungen des Republikaners, verlor sein Heim und seine Familie direkt oder indirekt durch Sparmaßnahmen der Reagan-Administration. Das alles erzählt die Serie mit bitterem, schwarzem Humor, der die dargebotene Niedertracht wieder ausgleicht. Eine ähnliche Funktion haben die Beziehungen der Jugendlichen, die für ein menschliches Element in einer sonst weitestgehend unmenschlichen Dog-Eat-Dog-World sorgen.
Dass die Figuren funktionieren, liegt auch an den engagierten Jungdarstellern. Benjamin Wadsworth („Your Honor“) punktet als komplexer, vielschichtiger Fokalisierungspunkt, durch dessen Augen das Publikum in die Parallelwelt der Syndikate und Assassinen eingeführt wird. Lana Condor („Alita: Battle Angel“), María Gabriela de Faria („Crossing Point“), Luke Tennie („Shock and Awe“) und Liam James („Horsemen“) als weitere Mitschüler-Hauptfiguren sind ebenso stark, während Tom Stevens („12 Rounds 2“) einen wahrhaft hassenswerten Schurken abgibt. Weitere Akzente als Schüler mit kleineren Parts setzen Taylor Hickson („Ghostland“) als Goth-Girl, Jack Gillett („Legends of Tomorrow“) als Nihilisten-Punk, Siobhan Williams („Forsaken“) als White-Power-Bitch und Sean Depner („Love Hard“) als simpel gestrickter KGB-Sprössling. Daneben absolviert Benedict Wong („Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“) seine Mentorenrolle routiniert, aber nicht herausstechend, sodass die Highlights in den Erwachsenenrollen eher bei den kleinen Parts zu finden sind: Henry Rollins („Bad Boys II“) als Giftkundelehrer, David Zayas („The Expendables“) als aggressiver Kartell-Daddy und Brian Posehn („Big Bang Theory“) als Metalfan, der in dieser Serie viel leiden muss, stechen heraus.
Der gallige Humor, die Intrigenspiele und die Emotionen der Charaktere stehen zwar im Vordergrund, aber einige Actionszenen hat „Deadly Class“ auch zu bieten. Gelegentlich kommen dabei Schießprügel zum Einsatz, meist geht es jedoch eher in den Nahkampf, entweder mit bloßen Händen oder mit Waffen wie Samuraischwerten oder klingenbewehrten Fächern. Die Choreographie betont das Artizielle, Comichafte der Serie, wenn man waghalsige Sprungkicks vollführt oder einer Klinge mit einem Salto ausweicht, stark choreographiert und inszeniert kommt die Action jedoch stets daher. Dass „Deadly Class“ in einem Comic-Alternativ-Amerika spielt, wird in einer Folge betont, in einige Figuren nach Las Vegas fahren, sich dabei Acid einschmeißen und das Ganze (ebenso wie der Zuschauer) als Trip der Farben und Formen erleben, bei dem im Zweifelsfall Ice-T durch den Spielautomaten mit einem spricht. Andere Folgen sind von anderen Genreeinflüssen geprägt, gerade Fuckface und seine Sippe tragen starke Assoziationen zum Backwood-Horror, während der Showdown ihnen und einigen King’s-Dominion-Schülern an den Stadt-Land-Konflikt in Werken wie „Beim Sterben ist jeder der Erste“ und „Die letzten Amerikaner“.
Die Mischung funktioniert trotz kleiner Hänger und gelegentlicher Redundanzen ziemlich gut, aber „Deadly Class“ hat einen ziemlichen Downer zu bieten: Es gibt kein richtiges Ende. Zum Verhängnis wurde der Serie ihre hohe Qualität, denn der Sender SyFy wollte die entsprechenden Produktionskosten angesichts der Einschaltquote nicht tragen. So bringt die einzige Season, die von „Deadly Class“ produziert wurde, zwar einen Haupthandlungsstrang zu Ende, lässt aber viele andere offen, endet mit gleich mehreren Cliffhangern, was bestimmte Figurenschicksale angeht. Das wäre schon bei der Wartezeit auf eine zweite Season Folter, so ist es ein ziemlicher Schlag ins Kontor, auch wenn man natürlich zu den Comics greifen kann, wenn man wissen möchte, wie es weitergeht.
Aber abseits des Makels, dass die Serie nicht abgeschlossen ist, ist „Deadly Class“ eine ziemlich unterhaltsame Angelegenheit: Interessante, teilweise sehr freakige Figuren bieten das Internats- und Schulfeeling von „Harry Potter“ und Co., gleichzeitig gibt es ein Level an Action, Düsternis, Tabubrüchen und Gewalt, das reichlich Anti-Harry-Potter ist. Schade, dass dem Ganzen nur zehn Folgen vergönnt waren.
Auf ein haptisches Medium hat es die von Sony Pictures Television und Universal Cable Productions produzierte Serie hierzulande nicht geschafft, auch die FSK hat sie nicht geprüft. Bei Streamingportalen wie Amazon Prime, Netflix oder Joyn war oder ist sie aber zu sehen, teilweise als Teil der Flatrate, teilweise als kostenpflichtiges Video on Demand.
© Nils Bothmann (McClane)
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