Originaltitel: The Story of Film: An Odyssey__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 2011__Regie: Mark Cousins__Erzähler: Juan Diego Botto |
15 Stunden. Annähernd 1000 Minuten Raum also, Ausschnitte aus Filmklassikern zu zeigen, Eindrücke von der Welt, die zur Entstehung von Filmen inspirierten, Interviews mit Filmemachern, die subjektive Einblicke in diese Prozesse liefern. Das klingt erst einmal nach einer Menge Holz, aber mit seiner Dokumentationsreihe “The Story of Film” beweist Mark Cousins, dass selbst dieser beachtliche Zeitrahmen nur ein Wimpernschlag ist, bedenkt man den kühnen Anspruch, die gesamte Filmgeschichte in einen Rahmen zu fassen.
Und Cousins scheitert vorhersehbar an diesem Anspruch. Dabei ist das Bemühen, einen allumfassenden Querschnitt von den Anfängen des späten 19. Jahrhunderts bis in die 2000er Jahre zu geben, deutlich spürbar. Es führt weit über Hollywoods Tore hinaus, gibt tiefe Einblicke in das afrikanische, australische, lateinamerikanische, asiatische Kino, für die man dankbar sein sollte, denn nicht selten sind es weitgehend unerforschte Gewässer, die hier betreten werden.
Während die Dokumentation ihre Brennweite immer weiter nach außen verlagert, spürt sie allerdings kaum, wie ihr Objekt im “Vertigo”-Stil immer tiefer im Fluchtpunkt versinkt. Cousins Weltkino, so facettenreich es sich im kulturellen Sinne auch geben mag, konzentriert sich beispielsweise fast vollständig auf den realistischen Film in all seinen Ausprägungen. Filme sind für ihn vor allem ein Spiegel, die gesellschaftlichen und politischen Zustände des Produktionslandes abbilden soll. Den phantastischen Film hingegen scheint er zwar zu registrieren, er misst ihm aber eine vergleichsweise geringe Bedeutung bei. Erst, als in den 70er Jahren der Blockbuster erfunden wurde, als “Jaws”, “Star Wars” und der “Exorzist” den Takt angeben, scheint es keine Alternative und keinen Weg vorbei zu geben am Genre-Kino für die Massen. Zuvor und danach findet es anerkennende Erwähnung, beinahe aber eher wie eine Fußnote; selbst wenn Pioniere wie George Méliès abgehandelt werden. Allenfalls dem Surrealismus als Grenzbereich wird durch die Nennung Buñuels und Lynchs ein gewisser Einfluss zugesprochen. Durchgehend Erwähnung finden dagegen Regisseure wie Scorsese, Mizoguchi, Gozu, Bergman, Pasolini oder von Trier, solche, die sich mit Menschen, mit deren Milieus und sozialen und gesellschaftlichen Strukturen beschäftigt haben; weniger mit den karikierenden Abstraktionen und blumigen Metaphern des Menschseins, die der beispielsweise der Horror-, und Science-Fiction-Film bietet.
Und selbst diese Lücke ist nur ein Teilaspekt dessen, was in den vollen 15 Stunden alles eben keine Erwähnung findet. Es ist stets von den “Meistern” die Rede, der Begriff “genial” kehrt regelmäßig zurück, die Virtuosität einzelner Szenen und Einstellungen wird stets aufs Neue mit kindlicher Begeisterung zelebriert. Was aber ist mit den Ausgestoßenen und Deformierten, jenen, die weniger die hohe Kunst bedienten und doch auf ihre Weise die Geschichte des Films prägten? Von Mario Bava bis Ed Wood fehlt ein komplettes Spektrum von Unikaten im Regiehandwerk, der Einfluss eines William Castle oder Roger Corman auf die Arbeitsweise im Film und das Erleben im Rahmen der Medien (Kino, TV, Video) bleiben unerwähnt.
Seine Stärken hat die Dokumentation in der Filmanalyse, die sehr in die Tiefe geht und doch durch die Unterstützung der gezeigten Bilder sehr verständlich bleibt. Wenig raffiniert mag der Aufbau klingen, jedem Jahrzehnt eine Episode (manchmal auch zwei, je nach subjektiv empfundener Relevanz) zu widmen, doch das wird mit spannenden Querverweisen elegant gelöst. Diese erinnern mitunter an Kubricks berühmten Match Cut aus “2001”: Wenn Cousins eine Szene aus einem Film der 20er Jahre vorstellt und einen Sprung 50 Jahre in die Zukunft macht, um dort die verblüffende Ähnlichkeit einer weiteren Szene zu demonstrieren, dann hat das mitunter schon einen Wow-Effekt. Bei der Einordnung der einzelnen Beiträge zur Filmgeschichte wiederum hadert die Argumentation mit einem fragwürdigen Relationsprinzip: Stets ist ein Regisseur noch wichtiger, noch einflussreicher, letztlich noch “genialer” als der vorherige. Diese Hierarchisierung kann im besten Fall enthusiastisch wirken, im ungünstigsten Fall hingegen prätentiös, zumal gerade bei den unbekannteren Werken die Subjektivität als einziger Maßstab verwendet wird, denn ein Popularitäts-Argument fehlt dem Kommentator in diesem Fall, um seinen Standpunkt zu untermauern. Zuletzt ist vor allem der Einbau von Metaphern nicht immer als gelungen zu bezeichnen; speziell die “Christbaumkugel” und der “Affe” verführen alleine der beharrlichen Wiederholung wegen auch mal dazu, dass man fragend die Augenbraue anhebt.
Aber was will man sich beschweren; am Ende ist es doch so, dass es im Bereich des Meta-Dokumentationsfilm (Film über Film) kaum Vergleichbares gibt, was Umfang, Detailliertheit und vor durchaus auch Fachkompetenz angeht. Insofern ist “The Story Of Film” schon die 15-stündige Reise wert, auch wenn man sich klar machen muss, dass es nur ein ausgewählter Bereich aus dem Spektrum des Regenbogens ist, der hier thematisiert wird.
„The Story of Film“ erschien bei uns im März 2013 über Arthaus als 5-DVD-Set im schicken Digipak. Extras befinden sich auf den Discs keine, abgesehen von thematisch zusammengestellten Trailern aus dem Arthaus-Programm. Anstatt eines Booklets befindet sich lediglich ein Werbeflyer in der Edition.
Schaut in den Trailer von “The Story of Film”
httpv://www.youtube.com/watch?v=PoUe2MwJFHY
Sascha Ganser (Vince)
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