Originaltitel: Good Joe Bell__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2020__Regie: Reinaldo Marcus Green__Darsteller: Mark Wahlberg, Reid Miller, Connie Britton, Maxwell Jenkins, Gary Sinise, Morgan Lily, Blaine Maye, Igby Rigney, Coral Chambers u.a. |
Als sich Jadin Bell seinem Vater Joe gegenüber als schwul outet, reagiert Joe Bell äußerst unangemessen. Ein im TV übertragenes Footballspiel, die zu bewirtenden Gäste des Fernsehabends und die technischen Einstellungen des für den Abend neu gekauften Fernsehers… alles ist wichtiger als die Befindlichkeiten von Jadin. Dies wird sich in der nächsten Zeit auch nicht grundlegend ändern.
Ein halbes Jahr später ist Joe mit seinem Sohn unterwegs. Bis New York will er mit ihm einmal quer durchs Land laufen und an allen Orten, wo man ihm zuhören will, gegen Mobbing und Diskriminierung von Minderheiten referieren. Denn Joe musste miterleben, was das mit seinem Sohn gemacht hat. Bei der Reise kommen sich die beiden wieder näher. Zumindest scheinbar.
„Joe Bell“ basiert, das machen vor dem Abspann präsentierte Fotografien unmissverständlich klar, auf einer wahren Geschichte. Einer in vielerlei Hinsicht tragischen Geschichte obendrein. Von dieser sollte man, soll „Joe Bell“ richtig „einschlagen“, im Vorfeld nicht zu viel wissen. Tiefergehende Recherchen zu „Joe Bell“ sollte man also besser auf nach den Film verschieben.
Schaut in das Drama mit Mark Wahlberg hinein
httpv://www.youtube.com/watch?v=tt-aHqjoenc
Dann erlebt man einen zunächst zweigleisig erzählten Film. Zum einen sehen wir Joe Bell und seinen Sohn auf ihrer langen Wanderschaft durch die USA. Wir sind dabei, wie Joe Bell mal ergreifend, mal ruppig und mal erschreckend direkt seine Queste erfüllt und den Menschen die Nachteile des Mobbings einbläut.
Diese Ansprachen nehmen im Film wenig Raum ein. Sie verdeutlichen, wie sehr sich Joe Bell engagiert und was er alles opfert, zeigen aber auch, dass Joe gefühlt ein großer Masterplan für sein Anliegen fehlt. Zumindest kommt er in diesem Erzählstrang seinem Sohn immer näher, hat wieder Spaß mit ihm und liefert sich mit ihm erstaunlich lockere Wortgefechte um teils schwierige Themen.
Erzählstrang zwei offenbart dann, wie es überhaupt zu dieser Wanderung kam. Wie Vater und Sohn sich entfremdeten, wie Joe seinen Jadin am liebsten verstecken würde. Das weiß zu Beginn alles noch nicht so sehr zu packen, auch weil es sich anfühlt, als kratze das Drehbuch nur an der Oberfläche. Als erlaube es gar keine tieferen Einblicke. Kurzum: Man hat irgendwie dieses seltsam falsche Gefühl, dass das Gezeigte gar nicht so schlimm wäre. Dieser eine, fatale Trugschluss, dem viele rund um das Thema Mobbing so gerne erliegen. Doch dann lässt „Joe Bell“ eine dramaturgische Bombe platzen, die den Film vollkommen auf den Kopf stellt. Die ihn verändert.
Es ist, als werde ein Hebel umgelegt. „Joe Bell“ wird nun immer bedrückender, schmerzhafter und emotionaler. Jetzt kann man gar nicht mehr denken, irgendetwas wäre gar nicht so schlimm. Wir erleben heftige Übergriffe durch andere Schüler auf den offen homosexuell lebenden Jadin. Sind dabei, wie der Junge, der die Kraft aufbringt, seine Peiniger zu benennen, zum eigentlichen Problem gemacht wird. Und wir müssen miterleben, wie Jadins Hilfeschreie vollkommen ungehört verhallen. Das ist ungeheuer intensiv und macht den Zuschauer wirklich wütend.
Gleichzeitig erleben wir nun mit, wie Joe Bell, der zu Beginn aus den “falschen Gründen” auf die Wanderung ging, sich verändert. Wollte er zunächst dem Leidensweg seines Sohnes für sich selbst einen Sinn geben, will er alsbald vielmehr begreifen, warum sein Sohn seinen Lebensweg so wählte, wie er es getan hat. Und vor allem will er endlich herausfinden, wie groß sein Anteil am Leid seines Sohnes ist.
Ich dachte bei Jadins Schwulsein nur an Joe Bell, nur an mich.
Spätestens diese Erkenntnis trifft mitten ins Herz. Auch aufgrund der wirklich starken Darsteller. Allen voran Mark Wahlberg („Lone Survivor“), dessen Figur eine starke Wandlung im Film durchmacht. Vom machismogeprägten Vater, der sich hinter „Ich hab dich lieb“-Worthülsen versteckt, die er im Grunde seines Herzens absolut ernst meint, die aber spätestens dann jedwede Bedeutung verlieren, wenn er seinen Sohn „aufgibt“, hin zum liebenden Vater, der erkennt, dass es nicht wichtig ist, was andere über ihn oder seine Familie denken. Wahlberg bringt diese Entwicklung absolut glaubwürdig und mit hochemotionalem Spiel rüber und trifft durchweg die richtigen Töne.
In dem von Wahlberg und Jake Gyllenhaal („Spider-Man: Far From Home“) produzierten Drama glänzen zudem Connie Britton („American Ultra“) als Jadins Mutter und Gary Sinise („Forrest Gump“) als Sheriff. Letztere ist nur eine kleine, für den Film aber ungemein wichtige Rolle. Eine echte „Entdeckung“ aber ist der Jungdarsteller Reid Miller („F.R.E.D.I.“), der in der schwierigen Rolle des Jadin Bell total aufgeht, eine irre Chemie mit Mark Wahlberg hat und das Leid seiner Figur beinahe körperlich spürbar macht.
In technischer Hinsicht kleidet Regisseur Reinaldo Marcus Green („Monsters and Men“) seinen Film in ungeheuer breite Bilder (das ungewöhnliche Format: 2,76:1). Diese transportieren kontrastreiche, aber sehr kalte, zur beklemmenden Atmosphäre des Filmes passende Farben und haben insgesamt erstaunlich wenig Sinn für Landschaften und Co. Und das, obwohl es sich bei „Joe Bell“ ja auch um ein Road Movie handelt.
Stattdessen nutzt der Regisseur seine Stilmittel etwa, um die Situation zwischen Vater und Sohn noch eindeutiger auszuformulieren. Wenn hier der eine auf der linken Seite des Highways läuft und der andere auf der rechten, wird aufgrund des breiten Bildformates nur noch deutlicher, dass diese beiden Charaktere gerade Welten trennen. Ein weiterer Pluspunkt ist die wirklich tolle, teils wunderschöne Filmmusik von Antonio Pinto, die immer wieder um tolle Singer-Songwriter-Musik erweitert wird.
„Joe Bell“ bewegt und macht wütend
Was am Ende bleibt, ist ein Film, der in Zeiten von #metoo, Black Lives Matter und dem Auseinanderdriften ganzer Gesellschaftsschichten in ein „Wir und die“ kaum wichtiger sein könnte. Der gegen Diskriminierung aufbegehrt und anprangert, dass Menschen für ihre Meinung, ihr Wesen, ihre Religion, ihre Ansichten, ihre Sexualität,… gemobbt, angefeindet und ausgegrenzt werden.
Leider, und da liegt für mich ein wenig die Crux des in seinen besten Momenten bewegenden, packenden und wütend machenden Filmes, arbeitet sich „Joe Bell“ zu sehr am Namensgeber des Filmes ab. Zeigt die Bekehrung „nur“ eines Mannes, wodurch gefühlt ein wenig das Hauptansinnen, die Anklage des Mobbings, in den Hintergrund gedrängt wird. Auch hat man häufiger das Gefühl, dass der mit 93 Minuten äußerst ökonomisch geschnittene Film ein wenig mehr Laufzeit gut hätte vertragen können, um so manche Motivationen von Vater und Sohn noch stärker zu verankern.
Das schwächt den Film, lässt seine Botschaft hier und da verwaschen erscheinen, kann aber nicht verbergen, dass man es mit einem Drama zu tun hat, das mit einem interessanten dramaturgischen Kniff aufwartet, bockstark gespielt ist und hoch emotional aufgeladen mehr als einmal mitten im Magen des Zuschauers detoniert.
Starke:
Die deutsche DVD / Blu-ray zum Film erscheint am 10. Dezember 2021 von Leonine, mit einer Freigabe ab 12 und leider ohne jedwede Extras zum Film. Gerade das Thema Mobbing und vor allem die wahre Geschichte hinter der Filmstory wären doch Themen genug gewesen für lohnende Informationen.
In diesem Sinne:
freeman
Was hältst du von dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright aller Filmbilder/Label: LEONINE__Freigabe: FSK 12__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja/Ja |