Sidney Lumets „Hundstage“ basiert auf einem wahren Fall, erzählt die Geschichte eines Banküberfalls, der schief läuft, weniger als Thriller und mehr als Gesellschaftsdrama und Mediensatire. Al Pacino und John Cazale geben die überforderten Kleinganoven, die zu Geiselnehmern werden und nur heil aus der Sache herauskommen wollen, Charles Durning, James Broderick und Lance Henriksen treten als Gesetzeshüter auf.
Originaltitel: Dog Day Afternoon__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1975__Regie: Sidney Lumet_Darsteller: Al Pacino, John Cazale, Charles Durning, Chris Sarandon, Sully Boyar, Penelope Allen, James Broderick, Lance Henriksen, Carol Kane, Beulah Garrick, Sandra Kazan, Marcia Jean Kurtz, Robert Costanzo u.a. |
Ob das Leben wirklich die besten Geschichten schreibt, darüber kann man sicher streiten. Sidney Lumets „Hundstage“ basiert auf dem realen Vorfall eines schief gelaufenen Banküberfalls und gewann damit immerhin den Oscar für das beste Drehbuch mit einem Script aus der Feder von Frank Pierson („Zurück aus der Hölle“).
„Hundstage“ gehört zu der beachtlichen Reihe von New-York-Filmen, die Lumet („The Verdict“) im Laufe seiner Karriere inszenierte. Die Stadt ist eine Art heimliche Hauptdarstellerin und das Flair der Ostküstenmetropole an einem heißen Seventies-Sommertag bringt Lumet von Anfang an intensiv rüber. An einem solchen Nachmittag will das Räubertrio aus Sonny Wortzik (Al Pacino), Salvatore ‘Sal‘ Naturile (John Cazale) und Stevie (Gary Springer) die First Brooklyn Savings Bank um ordentlich Knete erleichtern. Doch schon zu Beginn läuft etwas schief, als Stevie nach dem Zücken der Knarren kalte Füße bekommt und lieber die Kurve kratzt.
Im Gegensatz zu vielen anderen Amateur-Gangstern im Film ist Sonny bestens vorbereitet und verfügt über das nötige Insiderwissen in der Bank: Er weiß, wo die versteckten Alarme sind, wer die wichtigen Schlüssel hat und welches Geld präpariert ist. Dennoch geht es mit Pleiten, Pech und Pannen weiter: Die Bank hat entgegen Sonnys Informationen kaum Knete im Safe, beim Verbrennen wichtiger Unterlagen macht man beinahe auf sich aufmerksam und aus dem Überfall, der nur 10 Minuten dauern sollte, wird eine längerfristige Angelegenheit, in deren Verlauf die Polizei auf den Bankraub aufmerksam wird und das Gebäude umstellt.
Sal, der ebenso schweigsam wie brandgefährlich ist, betont, dass er nicht wieder in den Knast will, Sonny möchte aber gerne lebend aus der Sache herauskommen. Also beginnt er Verhandlungen mit der Polizei und später dem FBI, bei denen er die Bankangestellten als Geiseln und damit als Verhandlungsmasse nutzt. Nur einen Plan, was er genau fordern soll, hat der Kleinganove nicht…
Schaut euch den Trailer zu „Hundstage“ an
Das Szenario mag nach einem Hochspannungsthriller klingen, aber das ist „Hundstage“ nicht. Viel mehr Wert legt Lumet auf seinen Protagonisten. Ein Veteran, der keinen Job findet, der im Privaten mehr als nur eine Lüge lebt – kurzum: Ein Loser, der keiner mehr sein will. Sonny ist jemand, der versucht im Falschen alles richtig zu machen. Die Beute bei dem Raub ist nicht für ihn selber bestimmt, sondern für eine (vermeintlich) gute Tat, es soll niemand zu schaden können, der Coup ist an sich gut geplant, ehe lauter Kleinigkeiten ihn zum Entgleisen bringen. Eine falsche Info hier, eine unüberlegte Handlung da, und schon geht alles zum Teufel. Gleichzeitig lässt der Film offen, warum die Polizei so früh Wind von dem Raub bekommt und die Bank rechtzeitig umstellen kann. Auch das kann bloß ein für Sonny unglücklicher Zufall sein.
Gleichzeitig prägen Fehlentscheidungen, Zufälle und Launen des Schicksals den Film immer wieder. Der verantwortliche Beamte, Sergeant Eugene Moretti (Charles Durning), versaut sich die Chance auf einen unbemerkten Zugriff, weil er einen auf dicke Hose machen will und die Räuber in der Bank anruft. Sonny denkt sich seinen Plan B in dem Moment aus, in dem er ihn ausführt, kann aber beispielsweise die Polizei aus dem Konzept und die Öffentlichkeit auf seine Seite bringen, indem er „Attica! Attica!“ in die Fernsehkameras ruft, um an jenen realen Gefängnisaufstand zu erinnern, dessen brutale Niederschlagung durch die Polizei eine große Anzahl von Toten nach sich zog. Gleichzeitig muss das Publikum mitansehen, wie Sonny sich in falsche Vorstellungen über sein Privatleben verrennt, nur um in dieser Extremsituation mit der harten Wahrheit konfrontiert zu werden – und das auch noch vor den Augen der Öffentlichkeit. Denn Sonnys Privatleben wird zum Stadtgespräch.
Dabei zeigt sich, dass „Hundstage“ eine Art Mediensatire ist. Je nach Darstellung und Laune des Publikums kann Sonny als sympathischer Underdog oder gemeiner Verbrecher gesehen werden, als edler Rebell oder als übler Sittenstrolch. Die Sensation bringt den Medien Quote, gleichzeitig geben sie dem Publikum nur das, was es will, zumal die Interpretation eh bei den Leuten auf der Straße liegt. In diesem Falle wortwörtlich: Neben der Polizei belagert auch eine Armada von Schaulustigen das Gebäude, welches teilweise die Cops, teilweise Sonny und Sal bejubelt. Dabei kann es zu gefährlichen Überreaktionen kommen, etwa als sich der Ehemann einer Geisel auf Sonny stürzt, als dieser gerade vor der Bank mit der Polizei verhandelt und damit beinahe die nächste Eskalationsstufe lostritt. Lumet zeigt New York als Moloch während einer Hitzewelle, in dem alle Beteiligten kurz vor dem nächsten Ausraster stehen.
Besonders gefährlich erscheint dabei Sal. Einfach gestrickt und ein bisschen doof, hält er doch Wyoming für ein Land außerhalb der USA, aber eher zu Gewalt bereit als Sonny und wesentlich angespannter. Denn Sal macht von Anfang an klar: Er geht nicht ins Gefängnis zurück, er geht lieber drauf. So zieht der Film seine Spannung vor allem daraus, dass Sonny sowohl seinen Komplizen als auch die Behörden in Schach halten muss, während er an einer Lösung arbeitet. Gleichzeitig müssen die Geiseln betreut werden, selbst am Rande beteiligte Personen wollen ihre 15 Minuten Ruhm aus dem live übertragenen Banküberfall schlagen und zu allem Überfluss ruft auch noch ein misogyner Verrückter in der Bank an, der Sonny dazu bewegen will den vornehmlich weiblichen Geiseln etwas anzutun.
Das alles inszeniert Lumet mit meist unterschwelligem, aber stets beißendem Humor. Die Montage führt das Publikum geschickt in die Irre, wenn Sonny danach verlangt seine Frau zu sehen, die Nervenzusammen- und Wutausbrüche des hilflosen Protagonisten haben immer auch etwas Komisches, genau wie die Räuber-Geisel-Dynamik, die sich im Laufe des Films entwickelt. Trotzdem verkennt „Hundstage“ nie den Ernst der Lage, der auch seinem Antihelden schmerzlich bewusst ist: Sonny macht in der Bank schon mal sein Testament, da er – ähnlich wie das Publikum – vermutet, dass seine Chancen fast gleich null sind. Und doch hat er mit seinen Forderungen und seinem improvisierten Vorgehen immer wieder Erfolg, weshalb ein gutes Ende zwar höchst unwahrscheinlich, aber doch irgendwie möglich erscheint.
Nebenbei greift „Hundstage“ viele Themen auf, die für das liberale Klima der 1970er stehen, die von Woodstock und der Hippie-Bewegung geprägt waren. Soziale Ungleichheit, das Leben von Stütze, Konformismus, Zwang durch elterliche Erwartungen, Homo- und Transsexualität sowie der Umgang mit Veteranen werden hier verhandelt, nicht totgeschwiegen oder bestenfalls in codierter Form erwähnt. Sonny ist der (unfreiwillige) Held der Unterdrückten und Unangepassten, der eigentlich nur er selbst sein möchte, aber damit gegen gesellschaftliche Normen rebelliert. Gleichzeitig erscheinen die Polizeieinheiten, die ihre Waffen auf ihn richten, als Symbol für den Pushback der Nixon-Administration: Die Gewalttat in Attica schwebt ebenso im Hintergrund des Ganzen wie das Kent-State-Massaker, bei dem Mitglieder der Nationalgarde Studenten erschossen, die gegen den Vietnamkrieg protestierten.
Bei all diesen Subtexten tritt allerdings der Mainplot etwas in den Hintergrund. Die Geiseln gewöhnen sich doch überraschend schnell an ihre Geiselnehmer (zumindest an Sonny) und umgekehrt. Manchmal fokussiert sich der Film auch etwas zu sehr auf Sonny, lässt Sal als kaum mehr als eine Gefahrenquelle erscheinen. Auch die Polizisten und FBI-Agenten gewinnen kaum an Profil, was man immerhin als Schachzug des Scripts ansehen kann: Man weiß nie, ob sie wirklich auf Sonnys Forderungen eingehen und/oder alles zu einem guten Ende bringen wollen oder ob sie den überforderten Newbie-Gauner in Sicherheit wiegen und übertölpeln wollen. Auch ein paar Längen schleichen sich im weiteren Verlauf ein, denn in der zweiten Hälfte kann Lumet die fiebrige Atmosphäre des brüllend heißen Sommertags nicht mehr ganz so stark vermitteln wie zu Beginn des Films.
Tadellos sind dagegen die Darstellerleistungen des Films. Allen voran natürlich Al Pacino („Jack & Jill“) als Kleinganove am Rande des Nervenzusammenbruchs, der fieberhaft improvisiert, während sein bisheriges Leben um ihn herum auseinanderfällt. Stark ist auch John Cazale („Der Pate“), der seinen Sal auch ohne viele Dialogzeilen eindringlich als wandelndes Pulverfass verkörpert. Unter den Darstellern der Geiseln ragen Sully Boyar („Best Seller“) als väterlicher Filialchef und Penelope Allen („It Ain’t Easy“) als resolute Angestellte heraus. Eine wichtige Nebenrolle hat Chris Sarandon („Safe – Todsicher“), während die Seite der Behörden mit charismatischen Charakterfressen aufwartet: Charles Durning („Short Run“) als bärbeißiger Cop, James Broderick („Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123“) als kalkulierender FBI-Agent und Lance Henriksen („Falling“) als dessen Partner. Für Henriksen war es nicht nur eine seiner ersten größeren Rollen, sondern auch die erste von drei Kooperationen mit Lumet – es folgten „Network“ und „Prince of the City“.
„Hundstage“ ist weniger ein Thriller und mehr ein Gesellschaftsdrama im Gewand eines Kriminalfilms. Nicht ohne Längen und bisweilen vielleicht etwas zu sehr auf seinen Protagonisten konzentriert, aber vielschichtig und mit unterschwelligem, satirischem Humor gesegnet, mit dichter New-York-Atmosphäre und einigen Denkanstößen, außerdem stark gespielt, gerade von Al Pacino. Ein ebenso reifes wie progressives Gesellschaftsporträt, das auch heute noch aktuell erscheint.
Starke:
Warner hat „Hundstage“ in Deutschland auf DVD und Blu-Ray veröffentlicht. Nach einer Runterstufung ist der Film ungekürzt ab 12 Jahren freigegeben, früher war er ab 16. Das Bonusmaterial bietet einen Audiokommentar des Regisseur, ein knapp einstündiges Making Of und eine Featurette zu Lumet.
© Nils Bothmann (McClane)
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