Wieder eines dieser späten Sequels, doch „Matrix Resurrections“ thematisiert seinen Status als Popkulturprodukt explizit. Keanu Reeves gibt nicht nur den reinkanierten Neo, dessen Matrix-Alter-Ego ist zugleich Game-Designer der erfolgreichen „Matrix“-Spiele und glaubt nicht an seinen Auserwähltenstatus. Doch neue Rebellen wollen den Cyber-Heiland reaktivieren.
Originaltitel: The Matrix Resurrections__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2021__Regie: Lana Wachowski_Darsteller: Keanu Reeves, Carrie-Anne Moss, Jada Pinkett Smith, Yahya Abdul-Mateen II, Priyanka Chopra, Jessica Henwick, Neil Patrick Harris, Jonathan Groff, Lambert Wilson, Max Riemelt, Ellen Hollman, Christina Ricci, Daniel Bernhardt u.a. |
Späte Sequels zu seit längerem ruhenden Filmreihen sind gerade in, siehe etwa „Halloween“, „Candyman“ oder „Scream“. Auch Warner entstaubte mit „Matrix Resurrections“ eine eigentlich abgeschlossene Erfolgsfranchise, erneut mit einer der Wachowskis auf dem Regiestuhl.
Natürlich ist es verpönt, einfach nur einen neuen Film mit über zehn Jahren Abstand an Bestehendes heranzuklatschen, also kehrt die Originalbelegschaft nicht nur in Teilen zurück, sondern man thematisiert den Status als Nachzügler explizit. Kaum ein Beispiel geht dabei so in die Vollen wie dieser hier, der in seiner ersten Szene den kultigen „Matrix“-Auftakt noch einmal nachstellt, dieses Mal allerdings mit der jungen Bugs (Jessica Henwick) als Beobachterin. Doch es gibt Twists, wenn die aufkreuzenden Agenten irgendwann nicht mehr Trinity, sondern Bugs jagen, Agent Smith (Yahya Abdul-Mateen II) nicht mehr wie der ursprüngliche Agent Smith aussieht und sich mitten im Gefecht als Grübler erweist, der an der eigenen Programmierung. Kein Problem, steckt Bugs ihm, denn eigentlich ist er ja die Neuinkarnation von Morpheus und dies nur ein Teilmodul der Matrix, womit der Film schon früh alle Klarheiten beseitigt.
Und was ist mit Neo (Keanu Reeves), der eigentlich am Ende von „Matrix Revolutions“ den Märtyrertod starb? Der lebt inzwischen wieder, ist aber gealtert und als Thomas Anderson nicht nur erneut in der Matrix gefangen, sondern auch ein gefeierter Spieleentwickler, welcher dereinst – Meta-Kommentar ahoi – mit der Trilogie der „Matrix“-Games großen Erfolg hatte. Manchmal wird er von seltsamen Déjà-Vus heimgesucht, die ihn an seine Neo-Vergangenheit erinnern, aber mit Hilfe seines Psychiaters (Neil Patrick Harris) hat sich Anderson davon überzeugt, dass er sich all dies nur einbildet. Trinity (Carrie-Anne Moss) gibt es auch wieder, die heißt allerdings Tiffany und ist Neo angeblich nie begegnet.
Durch intensive Recherchen werden Bugs und ihre Leute auf den gut in der Matrix versteckten Neo aufmerksam. Allerdings ist der Heiland dieses Mal sehr unwillig, hält er seine Kompagnons in spe doch für Hirngespinste…
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Tatsächlich liegt da schon der erste Hund begraben, denn so wirklich kann „Matrix Resurrections“ nicht begründen, wofür die Rebellen ihren Neo eigentlich brauchen. Der brüchige Friede mit den Maschinen hält, eine groß angelegte Rettungsaktion weiterer menschlicher Gefangener ist nicht geplant oder auf eventuelle weitere Sequels vertagt. Immerhin beweist „Matrix Resurrections“ Phantasie beim Ausgestalten der Welt außerhalb der Matrix: Nach den Ereignissen von „Matrix Revolutions“ bekriegten sich die Maschinen teilweise gegenseitig, außerdem gibt es inzwischen Maschinen und Programme, die sich mit den Menschen verbrüdert haben. Das bricht das klassische Wir-gegen-die-Schema auf, hat aber am Ende wenig Bewandtnis für die Handlung. Dass der neue Morpheus gewissermaßen von Neo in Erinnerung an den alten programmiert wurde, kitzelt mal kurz am Meta-Mindfuck-Nerv, ist jedoch nicht elementar wichtig.
So wendet sich „Matrix Resurrections“ an Kenner der Originalfilme, hat aber im Hinterkopf, dass der durchschnittliche Zuschauer nicht einmal pro Jahr die ursprüngliche Trilogie durchglotzt, weshalb es reichlich Erklärbärdialoge und unzählige Einspieler aus den alten Filmen gibt, damit man nicht den Faden verliert. Und in der ersten der zweieinhalb Stunden Laufzeit werden die Meta-Jokes abgefeuert: Das Studio Warner verlangt von Anderson und seinem Team ein Sequel zur „Matrix“-Game-Trilogie auf Biegen und Brechen, Christina Ricci („Lizzie Borden – Kills!“) leistet sich einen 30-Sekunden-Gastauftritt als Marketing-Schickse, die den Entwicklern noch die Marktforschungsergebnisse in die Hand drückt, die besagen, dass die meisten Fans die Frische und die Originalität der ersten drei Teile mochten. Allerdings vergisst Lana Wachowski („Jupiter Ascending“) bei so viel Meta-Witzeleien doch glatt zu erzählen, dass ihr Leinwand-Alter-Ego nach Ende der „Matrix“-Trilogie nur noch Flops bei Kritik und Publikum landete. So viel Selbstironie war dann doch nicht drin. Im Entwicklerteam wird dann auch fleißig über die popkulturelle Bedeutung und den Reiz der „Matrix“-Reihe diskutiert – dieses Sequel liefert quasi den Audiokommentar der Filmemacher und Filmewissenschaftler schon im Film mit.
Allerdings läuft sich das Konzept der Selbstthematisierung nach dem zehnten Gag schnell tot, zumal es bei aller vermeintlichen Cleverness wenig aussagt. „Matrix Resurrections“ gibt halt zu, dass ein Studio die Dollars in die Augen hat und die Originalschöpfern als Erfüllungsgehilfin mitmacht, weil sonst jemand anders ihre Kreation übertragen bekäme – was dem Film bei aller Ehrlichkeit auch nicht mehr Seele verleiht. Und selbst ein „Transformers 4“ leistete sich einen Joke darüber, dass Hollywood angeblich nichts mehr einfällt als Reboots, Sequels und Effektspektakel. So ist „Matrix Resurrections“ dann am Ende doch nur halb so schlau wie er tut, zumal die Meta-Ebene nicht wie ein cleveres Konzept, sondern eher wie ein Präventivschlag wirkt: Einfach schon mal jeden Witz machen und jeden Kritikpunkt aufzeigen, dann hat man den Kritikern hoffentlich den Wind aus den Segeln genommen. Funktioniert aber nicht.
Zumal manche Versuche von Selbstironie eher in Klamauk ausarten. Etwa der peinliche Auftritt des Merowingers (Lambert Wilson) als verarmter Heckenpenner. Oder der erste Extraktionsversuch von Neo durch die Rebellen, der so aussieht, als habe man einen ernsten Actionfilm drehen wollen, am Ende sei aber eine Parodie wie „Last Action Hero“ herausgekommen. Ansonsten baut man fleißig Retcons ein, um das eigene Werk anzupassen, etwa indem man Trinity vom Love Interest zur gleichwertigen Partnerin hochstuft. Andere Kontinuitäten erscheinen halbherzig: Eine neue Inkarnation von Agent Smith (nicht der spätere Morpheus aus der Anfangssequenz) verfolgt zwar erneut eigene Ziele und spielt dabei Menschen und Maschinen gegeneinander aus, kommt aber nie so wirklich im Film an.
Vor allem aber wirkt es anmaßend, wenn sich die Hintergrundgeschichte nach all dem Gewese um den reinkarnierten Amnesie-Neo und die Meta-Matrix als doch vergleichsweise simpel erweist. Zwar in sich durchaus stimmig, aber die ganze bedeutungsschwangere Aufgeblasenheit nicht wert. Das Ende des Films orientiert sich dann an „Matrix“: Wieder gibt es einen Etappensieg, den man als Gamechanger deuten kann, der aber auch nur die Basis für weitere Fortsetzungen darstellen kann. Gründe sich diese anzusehen kann der Film jedoch nicht liefern. So bleibt Bugs die neue Figur mit etwas Profil, die Namen ihrer Crew vergisst man schon direkt nach deren Einführung. Trinitys und Morpheus Mitrebellen im ersten „Matrix“ waren auch keine tiefschürfenden Charaktere, aber doch so klar gezeichnet, dass sie im Gedächtnis blieben.
Noch schlimmer ist allerdings, dass der Film einen optischen Rückschritt darstellt und gegen das über 20 Jahre alte Original visuell abstinkt. Nirgendwo kommt dies mehr zum Tragen als in den Actionszenen. Es gibt die „Matrix“-typischen Überschläge und das Von-der-Wand-Abfedern bei den Fights und Shootouts, jedoch wirkt alles pflichtschuldig hingeschludert, ohne den Wow-Effekt – und seltsamerweise ohne nennenswerte Bullettime, obwohl der Film selbst noch über die Bedeutung dieses Features philosophiert. Ganz besonders übel ist ausgerechnet der Showdown, in dem Neo nicht mehr hinlangen muss, sondern mit seinen Erlöserkräften die Gegner einfach durch die Luft schleudert, Schutzschilde erzeugt und Raketen ablenkt. Er wirkt wie die langweiligste, unverwundbare Superheldenvariante – und das in Zeiten, in denen ein Film wie „Man of Steel“ versucht selbst einem Superman wieder mehr Körperlichkeit einzuimpfen. So ist bleibt dann eine starke Actionsequenz, die zwar phasenweise unübersichtlich ist, aber Neo und seine Crew mit Martial-Arts-Fähigkeiten gegen Smith und dessen Schergen antreten lässt.
Keanu Reeves ist im „John Wick“-Look unterwegs, leistet die meiste Zeit über okaye Arbeit, ist in einzelnen Szenen (gerade in der Anfangsphase des Films) so hölzern und unbeholfen wie es ihm böse Zungen gerne vorwerfen. Carrie-Anne Moss („Frankenstein – Das Experiment“) bleibt trotz der groß herausposaunten Bedeutung von Trinity über weite Strecken eine Randfigur, spielt aber ziemlich gut, während Jessica Henwick („Love and Monsters“) mit Herz und Seele dabei ist. Yahya Abdul-Mateen II („Wir“) spielt bisweilen gewöhnungsbedürftig, Jada Pinkett Smith („Collateral“) wird unter Tonnen von Make-Up verborgen. Jonathan Groff („American Sniper“) macht einen guten Job als eiskalter Manipulator, Neil Patrick Harris („Starship Troopers“) ebenso und Kurzauftritte von Originaldarstellern wie Lambert Wilson („Benedetta“) oder Daniel Bernhardt („Red Notice“) sind zwar nicht sonderlich motiviert eingebaut, stellen aber Bezüge zur alten Trilogie hier. Außerdem in kleinen Rollen dabei: Max Riemelt („Sense8“) und Martial-Arts-Profi Tiger Chen („Triple Threat“).
Man kann man „Matrix Resurrections“ sicher anrechnen, dass er zumindest eine selbstreflexivere Herangehensweise als manche seiner Sequel-Brüder im Geiste versucht, aber es bleibt dem Versuch. Der Meta-Ansatz wirkt wie ein Feigenblatt, ist in seinen schlechtesten Momenten eitel und bevormundend, die Story ist in all ihrer bemühten Bedeutsamkeit enttäuschend simpel und auch die Action über weite Strecken fahrig inszeniert. „Matrix Resurrections“ hat seine Momente, sei es bei den anfangs gelungenen (aber schnell schal werdenden) Gags über den Status als Popkulturprodukt und in einer recht starken Kampfszene, aber insgesamt bleibt es ein Film, den sich die Beteiligten hätten schenken können.
Warner hat „Matrix Resurrections“ am 23. Dezember 2021 in die deutschen Kinos gebracht, ungekürzt ab 16 Jahren freigegeben. Ein DVD- und Blu-Ray-Release ist für Mitte 2022 geplant.
© Nils Bothmann (McClane)
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Copyright aller Filmbilder/Label: Warner__FSK Freigabe: ab 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, seit 23.12.21 in den deutschen Kinos |