Originaltitel: Spiderhead__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Joseph Kosinski__Darsteller: Chris Hemsworth, Miles Teller, Jurnee Smollett, Tess Haubrich, BeBe Bettencourt, Mark Paguio, Sam Delich, Joey Vieira, Daniel Reader, Ron Smyck, Stephen Tongun, Nathan Jones u.a. |
Der Proband hinter dem Fenster lacht über die mäßig komischen Pointen der Witze, die der Versuchsleiter ins Mikrofon spricht. Die Witze werden nur noch mäßiger, das Lachen aber zugleich hysterischer. Da stimmt doch was nicht. In genau diesem Moment, als Reaktion und Auslöser nicht mehr zusammenpassen, sollte sich eigentlich so etwas wie Gänsehaut oder Nervenkitzel beim Zuschauer einstellen. Doch es geschieht… nichts.
Anstatt die beunruhigende filmische Wirkung zu nutzen, wenn die vom Schauspieler vorgetragenen Emotionen nicht in den Kontext der Szene passen, entscheidet sich dieser Thriller über illegale Experimente mit chemischen Drogen lieber dazu, die eigene Medizin zu kosten. Kosinski schwimmt einfach in der stetig zwischen Schmerz, Angst, Begierde und Belustigung mäandernden Stimmung mit und lässt seinen Film, was immer er auch unter dem Strich darstellen soll, alle paar Minuten das Genre wechseln: Ist es nun wirklich ein SciFi-Thriller oder nicht doch eher ein Horrorfilm, ein Drama oder eine Komödie?
Einen deutlichen Standpunkt, eine eigene Position oder eine handfeste Vision entwickelt „Spiderhead“ jedenfalls nicht, wenn er die Experimente hauptsächlich aus der Kontrollzentrale heraus erzählt, dabei aber die jeweilige Stimmung der Versuchskaninchen annimmt wie ein Chamäleon in Armeehosen. Natürlich, wenn man einen Chris Hemsworth als zwielichtigen Unternehmer im Sneaker-Sakko-Dreitagebart-Fliegerbrille-Pomadenfrisur-Ensemble besetzt, lässt man ihn nicht einfach nur grimmig hinter dem Pult stehen, sondern auch ein wenig herumtanzen. Der Mann kann sich zum Affen machen und selbst auf die Schippe nehmen, das hat er als „Thor“ ebenso bewiesen wie in irgendwelchen skurrilen Kurzauftritten (im Grunde war er es, der mit einem schrulligen Autoverkäufer-Cameo das jüngste Vehikel seiner Gattin Elsa Pataky im Alleingang vor dem Totaldesaster rettete, den ähnlich wankelmütigen Actionfilm „Interceptor“).
Nur besetzt man eben normalerweise keinen Chris Hemsworth, wo man eigentlich jemanden wie Jake Gyllenhaal bräuchte, einen, dem man es auf Anhieb zutraut, dass er irgendwann seine Maske ablegt und dahinter ein wahnsinniger Psycho zum Vorschein kommt. Wenn Hemsworth hingegen einen Wutausbruch bekommt und danach gleich wieder in den passiv-aggressiven Diddelidu-Ton wechselt, muss man doch eher an einen Ned Flanders denken.
Ähnlich inkonsequent wie der Antagonist zeigt sich dann auch das Drehbuch. Grundsätzlich jongliert es mit ziemlich brisanter Ware, die richtig angepackt durchaus das Potenzial hätte, in einer Kosinski-Filmografie zwischen Kalibern wie „Top Gun: Maverick“ und „Tron:Legacy“ als kleine, aber feine Fingerübung voll ins Schwarze zu treffen. Wenn aber schon stumpfe Faustschläge oder rein zufällige Schlüssel-fallen-aus-der-Tasche-Momente nötig sind, um den flügellahmen Plot wieder auf Touren zu bringen, dann braucht der Finger schon noch etwas mehr Übung.
Natürlich eskalieren die Ereignisse in dem sterilen Betonbunker irgendwann auf unangenehme Weise, sonst wäre es die Drehbuchseiten ja nicht wert, die Geschichte zu erzählen; doch wie das geschieht, ist an Zahnlosigkeit kaum zu überbieten. Da wird zum Beispiel in einer Szene, in der zwei Probanden als Reaktion auf eine Droge vor ungebremstem Verlangen übereinander herfallen, tatsächlich Sex mit Kleidung praktiziert (und zwar nicht aus Scham der Probanden vor den Versuchsleitern, sondern aus Scham von Netflix vor seinen Zuschauern). Dafür aber gibt es einen wiederkehrenden Subplot (oder Running Gag? Man weiß es nicht so genau…) um die Putzkraft, die eine Person jagt, die ihre Scheiße aus Spaß an der Freude an die Wand schmiert…
Darüber hinaus schreit alles an dieser Produktion nach Corona-Lockdown. Ein Darsteller-Quartett schultert den Löwenanteil, drei oder vier Nebendarsteller füllen die Lücken und beim Rest handelt es sich um Statisten in einer Quarantäne-Zone. Dass ein einziger Chris Hemsworth samt Assistent ausreicht, um den Laden zu schmeißen, ist schwer vorstellbar. Die Regie als solche ist dabei grundsolide, sein Handwerk hat Kosinski nicht von heute auf morgen verlernt, aber gleichzeitig ist „Spiderhead“ visuell dennoch recht unspektakulär; David Cronenberg hatte als 26-Jähriger in seinem Kurzfilm „Stereo“ (1969) eine ähnliche Location wesentlich experimentierfreudiger abgelichtet. Dazu kommt noch mindestens eine fragwürdige CGI-Sequenz, als eine Person bei einem Autocrash wie eine Ragdoll-Puppe durch die Vorderscheibe geschleudert wird.
Eigentlich funktioniert in diesem unfertig und improvisiert wirkenden Genre-Gemisch nur Miles Teller, der seine Hauptrolle mit der gleichen Lebendigkeit ausfüllt, die er in fast jedem seiner Filme bisher unter Beweis gestellt hat. Unterstützt wird er allenfalls noch von Jurnee Smollett, die zumindest ein wenig Wärme und Menschlichkeit in den brutalistischen Wohnwürfel am Strandparadies bringt. Alles andere ist lediglich ein hysterischer Emotionscocktail, der einen massiven Kater verursacht. Immerhin, wohl nie in der Geschichte des Films trug die große Gefahr einen putzigeren Namen, der nur witziger wird, je öfter man ihn wiederholt: Darkenfloxx.
Informationen zur Veröffentlichung von “Der Spinnenkopf”
“Der Spinnenkopf” ist seit dem 17. Juni 2022 exklusiv über die Streaming-Plattform Netflix abrufbar.
Sascha Ganser (Vince)
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