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Samaritan

Was wäre, wenn dein alternder Nachbar Superkräfte hätte? Dieser Frage geht „Samaritan“, in dem Javon ‘Wanna’ Walton den Verdacht hat, dass Müllmann Sylvester Stallone in Wahrheit der seit 25 Jahren verschollene Superheld Samaritan ist. Der Moloch könnte einen Helden gut gebrauchen, nachdem eine Gang nach der Macht greift und deren Anführer in die Fußstapfen des Superschurken Nemesis treten möchte.

Originaltitel: Samaritan__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Julius Avery__Darsteller: Sylvester Stallone, Javon ‘Wanna’ Walton, Pilou Asbæk, Dascha Polanco, Sophia Tatum, Martin Starr, Moises Arias, Jared Odrick, Michael Aaron Milligan, Henry G. Sanders, Nicholas Logan u.a.
Samaritan

In “Samaritan” spielt Sylvester Stallone unter der Regie vom Julius Avery einen gealterten Superhelden

Den großen Spektakeln um die allerbekanntesten Comicheroen werden immer wieder düstere, realistischere Superheldenstoffe, darunter „Kick-Ass“, „Super“ oder „Joker“, entgegengesetzt und auch „Samaritan“ zielt in diese Kerbe.

Ein animierter Vorspann und die Off-Stimme des 13-Jährigen Sam Cleary (Javon ‘Wanna‘ Walton) führen in die Mythologie des Films ein. In der fiktiven US-Stadt Granite City wurden zwei Brüder mit Superkräften geboren, von denen einer zum Helden Samaritan, der andere zum Schurken Nemesis wurde. 25 Jahre vor Einsetzen der Haupthandlung trafen beide zum Kampf in einem brennenden Kraftwerk aufeinander, nach dessen Explosion sah man sie nie wieder. Viele halten sie für tot, Enthusiasten wie Sam glauben, dass Samaritan noch lebt.

In Sams Viertel herrscht die Gang von Cyrus (Pilou Asbaek), für die Sam ein paar kleine Aufgaben erledigt, um etwas Geld für sich und seine alleinerziehende Mutter Tiffany (Dascha Polanco) dazu zu verdienen. Denn Granite City ist ein trostloser Moloch, neben dem selbst das Gotham City aus „Joker“ und „The Batman“ noch hollywoodesk stilisiert wirkt. In gritty Bildern fängt Regisseur Julius Avery eine Stadt ein, deren Bevölkerung nur aus Gangmitgliedern oder hart schuftenden Malochern zu bestehen scheint. Zu letzterer Gruppierung gehört auch Sams Nachbar mit dem verdächtig gewöhnlichen Namen Joe Smith (Sylvester Stallone), der als Müllmann arbeitet.

Als Sam eines Tages Stress mit ein paar Gangmitgliedern bekommt, ist Joe zur Stelle und haut ihn raus – mit übermenschlicher Kraft. Obwohl Joe es abstreitet, ist Sam überzeugt, dass er Samaritan ist. Den könnte die Stadt gut gebrauchen, denn Cyrus arbeitet an einem Plan, um Granite City der Anarchie preiszugeben, was der Gangleader für einen Akt der Befreiung hält…

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Mit „Samaritan“, den Sylvester Stallone auch produzierte, scheint der Star jenes Projekt aufzunehmen, das er rund 15 Jahre zuvor mit seinen ikonischen Altersrollen in „Rocky Balboa“ und „John Rambo“ aufnahm: Die Geschichte eines gealterten Kriegers, der ein letztes Mal in die Schlacht ziehen muss, gegen seinen eigenen Willen. Die Actionikone („Rambo“) spielt Joe als altersmüdes Superwesen, das bei seiner Arbeit als Müllmann Schrottgeräte aufsammelt und zu Hause in Handarbeit restauriert, als wolle er beweisen, dass diese Gegenstände ebenso wenig zum alten Eisen gehören wie er selbst. Gerade wenn man den begrenzt artikulierten Joe, der Sam in einer Szene beim Schattenboxen auf einem Dach studiert, so ansieht, dann drängen sich Vergleich zu Rocky Balboa auf, der im Laufe der Filme, bis hin zu „Creed“, immer mehr zum Mentor jüngerer Figuren wurde. „Samaritan“ wurde zwar von Julius Avery („Operation: Overlord“) inszeniert und Bragi F. Schut („Nemesis – Der Angriff“) geschrieben, passt aber nahtlos in Stallones Alterswerk.

Unterstützung bekommt der Star von einem weitestgehend unbekannten Cast, in dem der Däne Pilou Asbaek noch ein gewisses Standing hat, Rollen in Großproduktionen wie „Uncharted“, „Ghost in the Shell“ und „Game of Thrones“ sei Dank. Asbaek liefert eine famose Show als Schurke, der einerseits ein Mörder mit sadistischen Sprüchen ist, sich andrerseits als Freiheitskämpfer sieht und dessen Nemesis-Verehrung fast noch kindlicher ist als Sams Samaritan-Fandom. Das Nemesis-Logo trägt er sogar als Tattoo im Gesicht. Schade nur, dass der Film so wenig aus Asbaeks Schurkenfigur macht, ihr wenig Screentime gibt, keinen vernünftigen Masterplan außer stadtweite Anarchie durch Stromausfall. Die zweite Hauptrolle des Films neben Stallone ist natürlich Javon ‘Wanna‘ Walton („The Umbrella Academy“), der trotz der etwas naiven Samaritan-Begeisterung seiner Figur nicht groß nervt, sondern als Teenie überzeugt, der in seiner trostlosen Lage Hoffnung braucht. Judd-Apatow-Zögling und Komiker Martin Starr („Spider-Man: No Way Home“) hat eine leider komplett vernachlässigungsbare Rolle als Buchautor und Samaritan-Chronist, während das Casting einige markante Darsteller für Cyrus‘ Gang gefunden hat, die sich für größere Aufgaben empfehlen, darunter Sophia Tatum („Fast & Furious 9“) als Frau an Cyrus‘ Seite, Jared Odrick („Ballers“) als rechte Hand und Moises Arias („Jean-Claude Van Johnson“) als dreadlockbehangener Gernegroß.

Atmosphäre und Cast von „Samaritan“ stimmen also, in Sachen Dramaturgie und Plot schwächelt die Kiste dagegen. Denn in erster Linie werden hier bekannte Versatzstücke zusammengemischt: Der gute Junge, der aus Not und jugendlichem Leichtsinn auf die schiefe Bahn zu geraten droht, die Freundschaft zwischen Kind und seinem Mentor, der Kampf gegen Gut und Böse, der widerstrebende alte Krieger – in letzterem Punkt erinnert „Samaritan“ an eine weniger glamouröse, weniger komödiantische Version von „Hancock“. Da diese Aspekte alle relativ gleich gewichtet werden, fehlt dem Film auch wenig die Linie, zumal Sams Freund-Feind-Verhältnis zu Cyrus‘ Gang je nach Stimmungslage des Drehbuchs immer ein wenig wechselt. Interessant ist in erster Linie das zugrundeliegende Thema der Heldenverehrung: Für Sam ist Samaritan der Held (man beachte auch die Namensähnlichkeit), für Cyrus ist es Nemesis, doch beiden haben sich Bilder aufgebaut, die vielleicht nicht der Realität entsprechen. Dazu gibt es am Ende auch noch einen Twist, der allerdings durchaus erwartbar ist und die Geschichte nicht wirklich auf den Kopf stellt.

Passend zum Sujet und Ton des Films ist die Action nicht allzu groß skaliert. Tatsächlich gibt es vor dem Showdown nur einzelne Scharmützel, in denen Joe ein paar Fieswichte verhaut oder die Gang einen Wohnblock mit gezückten Waffen stürmt. Im Finale kommt dann das große Abräumen, das etwas darunter leidet, dass Joe ähnlich wie Superman und ähnlich übermächtige Helden mehr oder weniger unzerstörbar durch den Kugelhagel latschen kann und ihm nur wenige Dinge gefährlich werden können. Immerhin war für die Choreographie J.J. Perry, der kürzlich mit „Day Shift“ sein Regiedebüt gab, als Stunt Coordinator und Second-Unit-Regisseur verantwortlich, der für dynamisches Fratzengeballer sorgt und dabei das Manko von Joes Quasi-Unbesiegbarkeit teilweise wettmacht. Stallone kommt es zugute, da er keine unglaubwürdigen Verrenkungen hinlegen muss, sondern sich als unerschütterbare, gealterte Kampfmaschine durch die Gegnerreihen pflügen kann. Unschön ist allerdings die Tatsache, dass das flammende Inferno im Showdown offensichtlich aus dem Rechenknecht stammt – allgemein sind die zum Glück nur sporadisch eingesetzten CGI-Effekte eher Mittelklasse.

Der Star ist es auch, der das Niveau von „Samaritan“ anhebt, denn als gealterter Krieger in der vielleicht letzten Schlacht, der mit seinen eigenen Dämonen klarkommen muss, ist Stallone mal wieder eine Schau. Die Stimmung des Superhelden-Dramas passt auch, doch dramaturgisch läuft der Film nicht immer rund, zumal die wenige Action eher Bonus als Hauptattraktion ist. „Samaritan“ hat ein paar gute Gedanken zum Thema Heldenstatus und Heldenverehrung, die aber im Genre auch nicht unbedingt neu sind und dem Film daher auch keinen Sonderstatus bescheren.

„Samaritan“ sollte ursprünglich einen Kinostart erhalten, wurde jedoch an Amazon verkauft, wo seine Streaming-Premiere bei Amazon Prime feierte. Die FSK gab ihn ab 12 Jahren frei.

© Nils Bothmann (McClane)

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