Originaltitel: On the Line__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Romuald Boulanger__Darsteller: Mel Gibson, William Moseley, Kevin Dillon, John Robinson, Nadia Farès, Enrique Arce, Carole Weyers, Alia Seror-O’Neill, Paul Spera, Robbie Nock u.a. |
Eine rote Flüssigkeit tropft gen Boden. Bedrohliche Musik untermalt eine Kamerafahrt auf einen mit dem Rücken zur Kamera sitzenden Mann zu. Eine tiefe Stimme ertönt und kündet von bedrohlichen Vorgängen. Als die Kamera um den Mann herumgefahren ist, offenbart sich die Szenerie als belehrendes Puppenspiel, mit dem Elvis Cooney seiner Tochter eine kleine Standpauke hält. Die hat nämlich amtlich Cranberrysaft verschüttert.
Der Einstieg und die Art seiner Inszenierung machen sofort klar: In den nächsten 100 Minuten soll ordentlich mit den Erwartungen des Zuschauers gespielt werden. Und „On the Line“ macht dies zum einen ultraspannend und gleichzeitig sehr unterhaltsam.
Alles dreht sich um Elvis Cooney. Der ist ein zynischer Radiomoderator, dessen Anrufshow „On the Line“ vielleicht nicht mehr die besten Quoten einfährt, aber dennoch als langjährige Institution ihre treuen Fans hat. Abend für Abend gibt Elvis Lebenstipps, reißt dreckige Witze, denkt sich mal in sein Gegenüber hinein oder macht es dumm. Wie es ihm gerade in den Kram passt.
Doch eines Abends meldet sich da plötzlich ein Typ namens Gary. Und irgendetwas an dessen Art verunsichert Elvis. Nachdem Gary unvermutet auflegt, beauftragt Elvis seine Assistentin, Gary wieder ans Telefon zu holen. Als das gelingt, entspinnt sich ein Gespräch, bei dem Elvis schnell in die Defensive gerät. Sein Gesprächspartner scheint Sachen zu wissen, die er gar nicht wissen kann.
Da lässt Gary die Katze aus dem Sack: Er hat Elvis Familie als Geiseln genommen. Obendrein hat er im Gebäude des Radiosenders KLAT FM, für den Elvis arbeitet, große Mengen an Sprengstoff deponiert. Ist Elvis nicht bereit, in den nächsten Minuten die Verantwortung für den Selbstmord einer ehemaligen Assistentin zu übernehmen, werden zunächst seine Familie und später er selbst mit all seinen Kollegen sterben.
Wendungsreicher Thriller mit Mel Gibson
Schon die ersten Minuten machen klar, dass „On the Line“ neben seinen zahlreichen Twists vor allem die große Show von Mel Gibson („Panama“) ist. Der Mime entwirft in einem wunderbar knackigen Einstieg seinen zynischen, raubeinigen Elvis Cooney mit einer Verve, die den Zuschauer sofort in den Film hineinzieht. Wie dieser Elvis seine Mitarbeiter anblafft, seine Vorgesetzte despektierlich abwatscht und den neuen im Radioteam mal eben feuert und direkt danach wieder einstellt, das rockt.
Wie er dann im Umkehrschluss binnen Sekunden eine Beziehung zu seinen Anrufern aufbaut, diesen interessiert zuhört und zu wirklich jedem Thema etwas zu sagen hat, lässt auf ganz andere, sehr menschliche Seiten in dem Charakter schließen. Doch dem französischen Regisseur und Drehbuchautor Romuald Boulanger geht es freilich nicht um eine Charakterstudie. Und so lässt er Gary in Elvis Leben plumpsen.
Und der lässt die Spannungskurve im Film stande pede nach oben schnellen. Zum einen, weil er Elvis Familie in der Gewalt hat, zum anderen, weil er sehr unstet, ja psychopathisch in seinem Wesen wirkt. Was Elvis sofort erkennt. So versucht er sein Gegenüber aufzubrechen und an das Menschliche in ihm zu appellieren, allerdings mit wenig Erfolg. Wenig später steht er auf dem Dach des Radiogebäudes und soll von diesem herunterspringen.
Das ist der Zeitpunkt, an dem „On the Line“ offensichtlich die Idee des Einstieges aufnimmt und mehr und mehr mit den Erwartungen des Zuschauers zu spielen beginnt. Und das funktioniert prächtig. Es werden falsche Fährten gelegt, es werden scheinbar zu offensichtliche Hinweise auf die Identität des Psychopathen gestreut und auch Elvis darf sich immer und immer wieder ganz anders verhalten, als man es erwarten würde.
Das hält die Spannungskurve immer auf hohem Niveau und weil Boulanger schnell davon abgeht, Elvis in seinem Radiostudio gefangen zu halten, ist sein Film permanent in Bewegung. Das resultiert in einem wirklich hohen Tempo, das den insgesamt ohne große Actionmomente auskommenden Streifen dennoch sehr flott wirken lässt. Langeweile kommt so nie auf, erst recht kein Leerlauf.
Schwierig ist nur das mit mehreren Großtwists aufwartende Finale. Der wichtigste ist leider aus einem anderen twistreichen Thriller bekannt. Dessen Titel sei nicht genannt, um euch nicht die Lust auf „On the Line“ zu nehmen. Und wie im Original ist er auch hier sehr verblüffend und sorgt für einen saustarken What-the-Fuck-Moment. Leider fühlt er sich hier aber seltsam antiklimaktisch an und sorgte in meinem Fall für einen wahrlich heftigen Spannungsbump.
Einfach weil der Twist im Original in einer auswegloseren Situation gezündet wird und da den Zuschauer noch heftiger erwischt. Bei „On the Line“ hat man das Gefühl, dass beim Zünden des Twists der ultimative Kulminationspunkt noch nicht erreicht ist. Doch selbst dieser kleine Downer wird insofern ausgewetzt, dass „On the Line“ zu dem Zeitpunkt noch nicht auserzählt ist und sogar weitere Wendungen aufgrund des bisherigen Aufbaus noch immer Sinn machen.
Und weil man wegen Mel Gibsons grandioser Vorstellung freilich immer noch im Film drin ist. Der Mime liefert hier einfach nur klasse ab. Doch auch seine Co-Darsteller machen einen feinen Job. Vor allem William Moseley („The Courier“) macht als Team Newbie Dylan eine hervorragende Figur und arbeitet Mel Gibson, dem er im Filmverlauf nicht von der Seite weicht, sauber zu. Als weiteres bekannteres Gesicht ist zudem der aktuell erstaunlich fleißige Kevin Dillon („A Day to Die“) in einer sehr kleinen Nebenrolle zu erleben.
Mit seinem Kameramann Xavier Castro liefert Regisseur Boulanger einen durchgehend wertigen Look ab, der zudem das einzige Setting des Filmes, das Hochhaus des Radiosenders, immer interessant bebildert und nie eintönig werden lässt. Der Schauplatz überzeugt zudem sowohl als Bürogebäude als auch in den entsprechenden Räumlichkeiten als Radiostudio. Clement Perin untermalt das Geschehen mit seinen Klängen obendrein immer passig und auch angenehm spannungsfördernd.
„On the Line“ weiß blenden zu unterhalten
Ja, es gibt bei „On the Line“ immer auch mal kleinere Momente, da läuft der Film nicht ganz rund. Etwa wenn kleine Logikhopser (ist das Mikro von Elvis nun an oder aus, kann der Fieswicht mithören oder nicht?) aufploppen oder der Bösewicht irgendwie wie eine Luftpumpe rüberkommt und jegliche Bedrohlichkeit verliert, wenn man ihn das erste Mal richtig zu Gesicht bekommt.
Im Großen und Ganzen jedoch unterhält der wendungsreiche Thriller formidabel. Versteht es prächtig, Spannung aufzubauen und vehement an der Spannungsschraube zu drehen. Twistet der Film dann richtig los, wird „On the Line“ immer unterhaltsamer. Und Hauptdarsteller Mel Gibson wuchtet das ganze Unternehmen mit einer großartigen Performance absolut problemlos über die Ziellinie.
Die deutsche DVD / Blu-ray zum Film kommt am 16. Dezember 2022 von SQUARE ONE im Vertrieb von LEONINE. Die Datenträger sind mit einer FSK 16 Freigabe ungeschnitten. Ein ultrakurzes Making Of und eine noch kürzere Lobhudelei auf den Regisseur sind als Extras an Bord. Natürlich kann der Film auch gestreamt werden.
In diesem Sinne:
freeman
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Copyright aller Filmbilder/Label: SQUARE ONE / LEONINE__Freigabe: FSK 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja/Ja |