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Sniper: The White Raven

Originaltitel: Sniper: The White Raven__Herstellungsland: Ukraine__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Marian Bushan__Darsteller: Aldoshyn Pavlo, Maryna Koshkina, Andrey Mostrenko, Roman Semysal, Oleg Drach, Roman Yasinovskiy, Oleg Shulga, Vadim Lyalko, Vadim Kutsenok u.a.
Sniper: The White Raven DVD Cover

“Sniper: The White Raven” basiert auf wahren Ereignissen.

Der Donbas. Gemeinsam leben die werdenden Eltern Mykola und Nastya hier ein hippieskes Außenseiterleben in einer in einen Hang gebauten Hütte. Sie versorgen sich mit selbst gewonnenem Strom. Das Geld für das Notwendigste verdient Mykola als Lehrer in einer nahegelegenen Stadt. Nastya verbringt ihre Zeit mit Naturstudien und Schnitzarbeiten. Ihrer beider Leben könnte schöner nicht sein.

Doch wir schreiben das Jahr 2014. Putin annektiert die Krim und seine Truppen wagen im Donbas immer wieder den Grenzübertritt, um für Ungemach in der Region zu sorgen. Dabei stehen irgendwann ein paar Russen vor Mykolas und Nastyas Hütte. Zunächst verprügeln sie die beiden Ukrainer nur, doch als sich Nastya zu vehement zu wehren gedenkt, fallen Schüsse.

Mykola bleibt allein zurück und fasst einen wichtigen Entschluss: Er will dabei helfen, die Russen aus seinem Land zu vertreiben. Er wird Teil einer paramilitärischen Gruppierung, die ihn als Freiwilligen ausbildet. Als das Militär nach Scharfschützen sucht, ergreift Mykola die Chance und meldet sich. Eine weitere Ausbildung folgt, die der ehemalige Pazifist mit Leichtigkeit besteht. Bald stehen die ersten Einsätze an. Mykola nimmt einen um den anderen an, immer in der Hoffnung, seine geliebte Nastya rächen zu können.

Schaut in den Film hinein

Dramatisch angehauchte Sniper-Action aus der Ukraine

„Sniper: The White Raven“ wurde von tatsächlichen Ereignissen in der Biografie des ukrainischen Scharfschützen Mykola Voronin inspiriert. Der überzeugte Pazifist verpflichtete sich zum Kampf gegen die in sein Vaterland eindringenden Russen und schrieb gemeinsam mit Regisseur Marian Bushan das Drehbuch zum Film. Das ukrainische Militär unterstützte die 2020 stattfindenden Dreharbeiten mit ordentlich Manpower. Zahlreiche dieser Soldaten und auch Darsteller aus dem Film kämpfen im Übrigen ganz aktuell an vorderster Front gegen die russischen Invasoren.

Diese Aktualität ist das größte Pfund, mit dem „Sniper: The White Raven“ zu wuchern versteht. Es fällt nur zu leicht, die hier gezeichneten, 2014 angesiedelten Ereignisse in die jetzige Zeit zu übertragen. Zu allgegenwärtig sind die täglichen Bilder von den Kämpfen in der Ukraine. Wobei – und das ist freilich der größte Unterschied – der Kriegsfilm eher das Bild eines Guerillakrieges zeichnet. Hier wird nicht mit großem Gerät gearbeitet. Viel mehr versuchen sowohl Russen als auch Ukrainer, mit gezielt gesetzten Nadelstichen den Gegner zu demoralisieren. Die Maßlosigkeit ist den Kampfhandlungen seit 2022 vorbehalten.

Mykola und Nastya in "Sniper: The White Raven"

Mykola und Nastya leben ein hippieskes Leben im Donbas.

Erzählerisch funktioniert der Film gut, greift aber auch auf einige Klischees zu viel zurück. Er zeichnet vor allem das Leben von Mykola und Nastya glaubwürdig. Gibt ihnen einen hippiesken Selbstversorgeranstrich und lässt sie vertraut miteinander agieren. Was in der Welt um sie herum passiert, erfahren sie nur durch Mykolas Job, wo die Fortschritte der Russen aufgrund der allgegenwärtigen Nachrichten immer wieder thematisiert werden.

Leider verfällt der Film nach diesem wirklich schön nahbaren Einstieg plötzlich in einen seltsam nüchternen Erzählduktus. Der Tod Nastyas wirkt seltsam beiläufig. Mykola darf gefühlt nie richtig um seine Frau trauern. Zu schnell will er plötzlich Rache. Er, der Pazifist. Vollkommen die Bindung zu ihm verliert man, wenn er seinen ersten Abschuss tätigt. Knallhart, ohne zu zaudern und zu zögern. Selbst im Nachgang beschäftigt ihn seine Tat nicht. Das befremdet.

Auch manche Zufälle irritieren. Etwa dass Mykola wiederholt den Killern seiner Frau über den Weg läuft. Für das Bachgefühl ist es wichtig, dass er Gelegenheit bekommt, sie zu richten. Dass er dafür aber gleich mehrere Gelegenheiten bekommt, verwundert. Auch die wiederholte Konfrontation mit einem Schüler, der ihn vor den kriegerischen Konflikten beschimpfte, verwundert. So klein kann die Welt doch gar nicht sein.

Mykola wird zum Scharfschützen in "Sniper: The White Raven"

Aus dem Pazifisten wird ein Kriegsheld.

Schade ist auch, dass Regie und Drehbuch keinen richtigen Spannungsbogen in die Ereignisse bekommen. Die dargebotenen Trainings verlaufen zu sehr nach Schema F und selbst die einzelnen Sniper-Missionen reißen nicht mit. Und zu Mykola, der mehr und mehr in Richtung Kampfmaschine geschoben wird, verliert man zusehends den Bezug. Auch weil dessen Motivation immer mehr verwischt.

Erst bei der finalen Actionszene kommt Spannung auf. Rund um ein beeindruckendes Industriegelände, das mit ein paar schönen Drohnenaufnahmen verortet wird, dürfen hier zahlreiche Scharfschützen zeigen, was sie drauf haben. Derweil bestreitet Mykola eine Art Intimduell mit einem Supersniper aus Russland. Ein Duell, das leider auch nicht richtig aufgebaut wird, obschon der russische Sniper schon früh im Film Mykolas Kameraden meuchelt. Also bloß keinen zweiten “Duell – Enemy at the Gates” erwarten!

Dennoch ist der Showdown sehr gelungen umgesetzt. Man bekommt eine Ahnung von Sniper-Taktiken und die zahlreichen Kopfschüsse atmen eine ordentliche Härte. Die finale Konfrontation zwischen Mykola und dem russischen Sniper ist ebenfalls nicht ohne. Vor dem Showdown sind die Actioneinlagen eher klein skaliert. Meist dreht sich alles um einen Abschuss. Da werden zwar auch mal mittels Kunstschusses Minen ausgelöst, die daraufhin diverse Russen zerfetzen, trotzdem bleiben große Konfrontationen aus. Es geht mehr um das In-Stellung-Gehen, das Tarnen, das Belauern – es geht um Authentizität. Ein Bemühen, das freilich vor allem auf Voronins Erfahrungen zurückzuführen ist.

Die Russen schicken ihre Sniper gegen Mykola

Die Russen schicken ihre Sniper gegen Mykola ins Feld.

Das ist alles höchst solide bebildert. Auch abseits der Action. Hier herrschen viele um Atmosphäre bemühte Bilder vor. Besonders gelungen sind Einstellungen von durch neblige Felder wandernden Scharfschützen. Oder die finalen Bilder um Mykola, der im Schnee auf der Lauer liegt. Die Tonspur hingegen bleibt in Sachen Score erstaunlich zurückhaltend was allerdings auch sehr zu der zunehmend aus den Film weichenden Emotionalität passt.

Was überrascht, ist, wie wenig Pathos und Patriotismus ihren Weg in den Streifen gefunden haben. Es ist sicher nicht abwegig, zu vermuten, dass ein ukrainischer Film, der im Jahr 2022 veröffentlicht wird, die Russen dämonisiert, wo er nur kann. Doch das tut „Sniper: The White Raven“ nicht. Dennoch gibt es freilich Patriotismus im Film, mal unterschwellig (die meisten Russen bleiben gesichtslos, es gibt keinen einzigen „guten“ Russen) und mal ganz offensiv (etwa wenn sich Mykola bei einem Abschuss doch zu einem „Und das ist für die Krim“ hinreißen lässt). Das ist klar einseitig, aber der große Patriotismushammer bleibt durchweg aus.

„Sniper: The White Raven“ setzt auf Authentizität

„Sniper: The White Raven“ zeichnet beinahe ein wenig zu nüchtern den Alltag von Snipern im Kriegseinsatz. Das geht mit der eigentlich sehr emotionalen Prämisse um den Tod eines geliebten Menschen und dem Wunsch nach Vergeltung nicht so ganz schlüssig zusammen. Allgemein wirkt der Wandel der Hauptfigur Mykola seltsam kalt. Dass er am Ende komplett vermummt in cooler Wargear die Gegner locker und lässig ausschaltet, hat mich dann doch sehr befremdet. Vom Hippie zum Actionhelden in 100 Minuten.

Irgendwie hatte ich infolgedessen das Gefühl, dass dem Film auf der Strecke zum Showdown ein wenig sein Herz verloren gegangen ist. Mich haben die Reaktionen Mykolas auf teils sehr traumatische Ereignisse nicht vollends abgeholt, weshalb der Kriegsfilm nicht richtig in meinem Bauch zünden wollte und auf mich nicht sonderlich spannend wirkte. Dennoch ist der mit Sinn für Atmosphäre inszenierte, bei den Sniper-Einlagen um Authentizität bemühte und gut gespielte Streifen mit beängstigendem Realitätsbezug alles andere als misslungen.

6 von 10

Die deutsche DVD / Blu-ray zum Film erscheint am 20. Januar 2023 von Busch Media. Der Film ist ungeschnitten ab 16 freigegeben und freilich könnt ihr den Film auch streamen.

In diesem Sinne:
freeman

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Copyright aller Filmbilder/Label: Busch Media Group__Freigabe: FSK 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja/Ja

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