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The Grandmaster

Originaltitel: Jat Doi Zung Si__Herstellungsland: China, Hongkong, USA__Erscheinungsjahr: 2013__Regie: Wong Kar-Wai__Darsteller: Tony Leung Chiu-Wai, Zhang Ziyi, Chang Chen, Song Hye-kyo, Bruce Leung Siu-Lung, Julian Cheung, Zhao Benshan, Wang Qingxiang u.a.
The Grandmaster

Zhang ZiYi und Tony Leung in Wong Kar-Wais “The Grandmaster”

Foshan, 1936. Ip Man lebt mit seiner kleinen, ihn liebenden Familie ein zufriedenes, finanziell abgesichertes Leben in einer der Kampfsporthochburgen Chinas. Hier hat er Zeit, sich mit den Kampfsportarten zu beschäftigen und vor allem das vor seinem Wirken beinahe unbekannte Wing Chun zu lehren. Da wird ihm ein Duell angetragen. Er wird gebeten, gegen einen alten Meister aus dem Süden des Landes anzutreten. Der Kampf soll der letzte große Auftritt des alten Meisters werden und je nach Ausgang entweder die Überlegenheit der südchinesischen Kampfsportarten zelebrieren oder aber den Staffelstab an eine jüngere Generation weitergeben. Ip Man stellt sich der Herausforderung und gewinnt sie mit Leichtigkeit. Damit zieht er sich den Unmut der Tochter des alten Meisters zu. Gong Er heißt die junge Dame und fordert ihrerseits Genugtuung für den verlorenen Kampf ihres Vaters. Bei dem darauffolgenden Kampf begegnen sich zwei Gegner auf Augenhöhe, die sofort eine große gegenseitige Faszination aufeinander ausüben. Eventuell schwingt gar eine gewisse Verliebtheit mit. Doch die beiden werden sich erst Jahre später in Hongkong wieder begegnen, wenn Gong Er aufgrund eines Rachefeldzuges gegen den Mörder ihres Vaters ihr weltliches Leben weitgehend aufgegeben hat und Ip Man ein Leben fernab seiner Familie lebt…

httpv://www.youtube.com/watch?v=ea1NgTYiVYs

Dass Arthouse Liebling Wong Kar-Wai („Ashes of Time“, ebenfalls mit Tony Leung in der Hauptrolle) mit „The Grandmaster” keine Kampfsportbombe abliefern würde, war im Vorfeld vermutlich jedem klar. Dass sich „Ip Man“ und „The Grandmaster“, die beiden großen Filme über das Leben von Bruce Lee Lehrmeister Ip Man, aber so grundsätzlich unterscheiden würden, hätte ich dann doch nicht gedacht.

The Grandmaster

Tony Leung als Ip Man in “The Grandmaster”

Nehmen wir nur das Thema Kampfsport. Wilson Yip legte den Fokus seiner Inszenierung bei den Kampfsportszenen auf spektakuläre Schauwerte, rasend schnelle Choreografien und das Kampfsportvermögen seines Hauptdarstellers Donnie Yen. Das Ergebnis waren spektakuläre Handkantenduelle, die noch heute ihresgleichen suchen. Und was macht Wong Kar-Wai? Er lässt seine Charaktere mehr über Kampfsport sprechen, als sie Martial Arts zelebrieren zu lassen. Und sobald er seinen Top Choreografen Yuen Woo-Ping („Matrix“) von der Leine lässt, scheinen ihn Nebensächlichkeiten mehr zu interessieren als der eigentliche Kampf. Da wird auf Regentropfen und Schneeflocken fokussiert, Bewegungsabläufe werden durch Zeitlupen unendlich zerdehnt und aufgrund gewagter Kameraperspektiven wirken die Kämpfe in „The Grandmaster“ wie kraftvolle, gewalttätige Ballette, formvollendete Tänze. Das Ergebnis ist eher eine Meditation zum Thema Kampfsport. Wobei natürlich nicht verschwiegen werden soll, dass Edelmime Tony Leung eine unvermutet irre gute Figur als Kampfsportler macht und die Fights abseits ihrer Schönheit ordentlich druckvoll sind und leider etwas unübersichtlich inszeniert wurden. Zur Mitte des Filmes spielen sie dann keinerlei echte Rolle mehr. Einzig Gong Er darf zum Ende hin noch einmal ordentlich hinlangen und vor dem längsten Zug der Filmgeschichte (wer hat sich noch einmal über die Landebahn in „Fast & Furious 6“ beschwert?) einen großartigen Fight abliefern.

The Grandmaster

Zhang ZiYi als ebenso schöne wie starke Gong Er

Und mit Gong Er sind wir beim zweiten großen Unterscheidungspunkt zwischen „Ip Man“ und „The Grandmaster“. Die Story! Das beginnt schon bei kleineren Punkten aus der Biografie „Ip Mans“. Wo er in Wilson Yips Film seine ganze Familie mit nach Hongkong nimmt, muss er sie hier aus einem unerfindlichen Grund in China zurücklassen. Mehr noch, sie wird empfindlich ausgedünnt von den japanischen Besatzern. Wo Wilson Yip einen echten Grund zur Flucht liefert (man erinnere sich an den großartigen Fight gegen den japanischen Kampfsportmeister), da zeigt Wong Kar-Wai seinen Ip Man nur bei einem Gespräch zum Thema Kollaboration, die Ip Man verweigert (Tatsächlich verließ Ip Man das Land erst NACH dem chinesischen Bürgerkrieg, der NACH dem Rückzug der Japaner stattfand!). Kurzum: Wong Kar-Wai geht die große Geste vollkommen ab. Die Folge: Wo Wilson Yip mit simpler, aber höchst effektiver Simplifizierung und Schwarz-Weiß Zeichnung den Zuschauer förmlich in seinen Film hineinsog, bleibt selbiger bei Wong Kar-Wais Streifen eben genau das – ein eher unbeteiligter Zuschauer. Wong Kar-Wais Ip Man wirkt, als sei er einfach nur weit weg und seine Motivation wird nie klar. Die sprunghafte Erzählweise des Filmes verstärkt diesen Eindruck nur. Gegen Ende wird „The Grandmaster“ fast schon fragmentarisch und man hat das Gefühl, mehr Texttafeln als Filmbilder zu sehen. Außerdem degradiert der Regisseur Ip Man ab Minute 60 zur Nebenfigur im eigenen Film. Gong Er drängt dafür mit Macht in den Vordergrund. Sogar Zufallsbekanntschaften von Gong Er, die ihr Leben folgenlos streifen, sind Wong Kar-Wai plötzlich wichtiger als sein eigentlicher Held. Vor allem dessen Leben in Hongkong scheint Wong Kar-Wai überhaupt nicht zu interessieren. Die Folge: Trotz teilweise starker Inszenierungen (Etwa wenn Ip Man seine Tochter verliert und Wong Kar-Wai für Minuten jeden noch so kleinen Laut von der Tonspur tilgt und den Zuschauer damit so nah wie irgendmöglich an den trauernden Ip Man heranrückt.) wirkt „The Grandmaster“ unfassbar nüchtern und hält einen permanent auf Abstand. Auch einen Spannungsbogen vermisst man irgendwann schmerzlich.

Dafür punktet „The Grandmaster“ auf vielen anderen Gebieten. Zum einen lässt einen die entschleunigte, zusätzlich mit einer irren Menge an Zeitlupen gestreckte Erzählweise tief in die gelungene Ausstattung, die schönen Kostüme und die tollen Setpieces eintauchen. Der tolle Score reißt einen unweigerlich in die damalige Zeit und treibt die Fightszenen genial an. Und die Bilder … ja, die Bilder. Auch ohne Stammkameramann Christopher Doyle zaubert Wong Kar-Wai mit seinem Kameramann Philippe Le Sourd unfassbar schöne Bilder auf die Leinwand. Sei es bei den Fights, in den Straßen Foshans, in Hongkong, ganz egal. Le Sourd findet immer die richtigen Einstellungen und Perspektiven. Und letztendlich ist „The Grandmaster“ auch ganz großes Schauspielkino. Zhang ZiYi („Tiger and Dragon“) überzeugt als Gong Er in der für sie typischen Rolle der zunächst ungestümen, trotzköpfigen, jungen Dame, die aufgrund ihrer Erfahrungen zur weltmännischen, echten Frau reift. Tony Leung („Hard Boiled“) liefert als Ip Man eine großartige Performance der kleinen Gesten und souveränen Momente ab. Leung muss nicht viel machen, um die Stimmungslage seiner Figur überzeugend zu transportieren. Gleichzeitig wird aber auch ersichtlich, wie stark Donnie Yen in „Ip Man“ spielte, denn es fiele mir jetzt persönlich schwer, zu sagen, wen ich als besseren Darsteller der Figur empfinde. Was mich aber wirklich verblüffte, waren die Kampfsportfähigkeiten von Tony Leung, der hier wohl einige Extrastunden an Training gefahren haben dürfte.

The Grandmaster

Ein echtes Highlight des Filmes: Ip Man fightet im strömenden Regen (Matrix-Fan?) gegen eine ganze Gruppe von Übelwichten!

Letztlich ist es wieder einmal schwer, ein abschließendes Urteil zu „The Grandmaster“ zu fällen, denn leider hat uns von dem Film, trotz Namen wie Zhang ZiYi, Tony Leung und Wong Kar-Wai, mal wieder nur eine gestraffte Version des Originalfilmes erreicht. Vielleicht werden in der eigentlichen Fassung des Filmes Nebenfiguren schlüssiger in den Film integriert, vielleicht wirken manche Motive stärker, vielleicht funktioniert das Involvement besser. Ich kann es mangels Kenntnis des Originals leider nicht sagen. Ich kann mich nur an der Kinofassung entlang hangeln und die hat meines Erachtens einige echte Problemchen. „The Grandmaster“ ist einfach zu nüchtern erzählt, um mitzureißen oder Spannung aufzubauen. Auch setzt Wong Kar-Wai spürbar Wissen voraus, das man außerhalb Chinas wohl kaum haben wird. Die fragmentarische Erzählweise und die teils in der Luft hängenden Episoden aus dem Leben Ip Mans unterstreichen diesen Eindruck nur. Seltsam ist auch, dass Ip Man zur Hälfte des Filmes genauso aus dem Film verschwindet, wie der aktiv bebilderte, großartig choreographierte, etwas wacklig inszenierte Kampfsport. Ebenfalls verwunderlich ist, wie Wong Kar-Wai in der zeitlichen Struktur springt. Erzählt er zu Beginn noch chronologisch, springt er gegen Ende munter in der Zeit hin und her. Was gar nicht so leicht zu erkennen ist, da Wong Kar-Wais Figuren über einen Betrachtungszeitraum von gut 30 Jahren optisch NICHT altern! Und wenn der Film im Abspann noch einen teaserartigen Zusammenschnitt weiterer Fightszenen präsentiert, um dann „Ip Man“ auch noch die vierte Wand zum Zuschauer durchbrechen zu lassen, wird es vollkommen abstrus. Das Ergebnis ist ein durchaus anstrengendes, optisch ungemein rauschhaftes, erzählerisch reizvoll entschleunigtes Filmerlebnis, das von Seiten des Zuschauers aber wirklich ein gewisses Entgegenkommen voraussetzt.

„The Grandmaster“ läuft seit dem 27. Juni 2013 in der ab 12 Jahren freigegeben, nicht weiter gekürzten, internationalen Fassung in den deutschen Kinos.

In diesem Sinne:
freeman

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