Originaltitel: Mad God__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2021__Regie: Phil Tippett__Darsteller: Alex Cox, Niketa Roman, Satish Ratakonda, Harper Taylor, Brynn Tailor u.a. |

Das Poster von „Mad God“
Eeek! Eeeeek!
Wimmern der Verzweiflung. Dann Geräusche zerreißenden Gewebes und zerberstender Knochen. Wieder. Und wieder. Und wieder. In einer unerbittlichen Zuverlässigkeit.
„Mad God“ ist nahezu ein Stummfilm, aber das letzte existenzielle Kreischen zuckender Würmer im Angesicht des Todes erfüllt dennoch permanent seinen Raum. Zeitgleich erteilt die brabbelnde Babystimme eines regierenden Monstrums völlig ungerührt Befehle über große Monitore, die überall in der Umgebung aufgestellt sind. Abgesehen von diesen einsamen Phonemen, die sich so schnell wieder in der Einöde verflüchtigen, wie sie als Leuchtkäfer in der Dunkelheit aufkeimten, sind es die repetitiven Abläufe der industriell geprägten Landschaft, die das Ambiente formen. Noch tiefer, unterhalb der mechanischen Konstruktionen, pulsieren die organischen Eingeweide, nach deren Vorbild die Industrie über ihnen modelliert ist.
Geschlagene drei Jahrzehnte brauchte Visual-Effects-Legende Phil Tippett, um sein dystopisches Stop-Motion-Epos zu vollenden. Es waren ausgerechnet die Dinosaurier, die Anfang der 90er mit lautem Gebrüll jeglichen Fortschritt an dem handgemachten Bild-für-Bild-Framework niederrissen – jene Kreaturen, die ja selbst vor Millionen von Jahren mutmaßlich mit einem Paukenschlag von der Erde gefegt wurden. Als der T-Rex mit der Geschmeidigkeit und Eleganz computergenerierter Illusion die Zäune des „Jurassic Park“ durchbrach, war das der Asteroid für Phil Tippetts Stop-Motion-Kreaturen.

Ein kleiner Schritt für den Mann mit der Gasmaske, ein großer Schritt für die da oben.
Die Vorherrschaft der CGI-Animation ist bis heute ungebrochen, doch im Schatten ihrer Dominanz krabbelt erneut die Sehnsucht nach althergebrachten Lebensformen aus dem Urschlamm hervor, und ein neuer Zyklus beginnt. Tippett hatte inzwischen wieder genug Motivation gesammelt, um die Arbeit an seinem alten Projekt wieder aufzunehmen, das während der drei Jahrzehnte dauernden Eiszeit gegenüber allen Trends und Entwicklungen konserviert blieb. Ironischerweise ist genau diese Abfolge von Leben, Zerstörung und Neubeginn auch Thema seines Werks, denn „Mad God“ erzählt vom ewigen Kreislauf des Lebens, das zugrunde geht und durch sterbliche Überreste wieder neues Leben gebiert. Erzählt wird dieser Kreislauf jedoch keineswegs aus einer romantisierenden, sondern vielmehr aus einer zynischen, man könnte fast sagen verständnislosen Perspektive. Sie scheint das Design des Lebens selbst zu verabscheuen und bezeichnet es folgerichtig per Titel als das Werk eines Wahnsinnigen. Was der Regisseur da Bild für Bild zusammenbaut, ist nichts anderes als die Version einer ganz bestimmten Form der Hölle, derjenigen der ewigen Reproduktion und des fehlenden Sinns.
Nicht nur sein Protagonist, ein gesichtsloser Assassine mit schwerem Mantel und Gasmaske, sondern wir, die Zuschauer, gleich mit ihm, werden auf die denkbar abenteuerlichste Weise in den infernalischen Mikrokosmos eingeführt – über eine Taucherglocke. Während vorsintflutliche Kanonen den ohnehin bereits brennenden Himmel zu Hector Berlioz‘ „Grande Messe des Morts“ mit einem Feuerwerk ausstatten, das wie eine Zelebration menschlicher Zerstörungskraft wirkt, fährt die Glocke per Stahlseil ungerührt weiter nach unten und legt Etage um Etage neue Einblicke frei. Tippett zollt hier einerseits alten Abenteuerfilmen Tribut (solche, in denen Wissenschaftler dank ihrer Erfindungen Zugang zu bislang nie gekannten Orten erhalten), er kleidet diese Eindrücke aber in die schrecklichen Kulissen eines Kriegsfilms. Nein, „Mad God“ zu sehen ist keineswegs eine schöne, erst recht keine erfüllende Erfahrung, wie man sie vielleicht erwartet, wenn man auf die befriedigend haptischen Eigenschaften der dahinter liegenden Animationstechnik hofft. Vielmehr erzeugen die Bilder, so spektakulär und einzigartig sie in ihrer traditionellen Machart auch erscheinen mögen, ein umfassendes Gefühl der Beklemmung.

Ein kleiner Funken Licht in großer Düsternis.
Das hat damit zu tun, dass hinter all den kleinen Abläufen, die Tippett konstruiert, am Ende immer Tod und Schrecken lauern. Permanent wird man Zeuge, wie eine Schöpfung ohne jedes Mitleid von einer anderen Schöpfung getötet wird, wobei zumeist die Ordnung der umliegenden Welt das Schwert führt. Gelegentlich sind es nicht einmal Angreifer, die den Tod bringen, sondern emotionslose Transportblöcke, die wie Güterzüge ihre Bahnen ziehen und dabei auch mal ihre Wege mit den unglückseligen Strichmännchen kreuzen, die bei Kontakt auf der Stelle in der Luft pulverisiert werden, als hätte es sie nie gegeben. Manchmal zertritt sogar der Protagonist kleine Lebewesen, die unter seinem Stiefel leidvoll zerplatzen. Das tut er nicht etwa absichtlich, sondern mit einer Unaufmerksamkeit, wie sie auch die Soldaten in Kriegsfilmen wie „Komm und Sieh“ gegenüber ihrer Umwelt an den Tag legten. Obwohl die Bewohner dieses gottlosen Ortes kaum über emotionale Ausdrucksformen verfügen, sie mit ihren Zerrformen menschlicher Anatomie quasi die Antithese zu den Gestalten eines Computeranimationsfilms aus dem Hause Pixar oder Dreamworks sind, erzeugen sie beim Betrachter unsägliches Mitleid. Diskurse um Tierversuche oder die Fleischindustrie keimen als Schatten in diesen Szenen auf, wenn entsetzte Kuhaugen, sofern überhaupt welche vorhanden, sich auf die Kamera richten und Hilfe suchen, während ihren Mündern, falls sie welche haben, Schreie entfahren, die an Schimpansen oder Schlachtvieh erinnern. Im Grunde geschieht hier genau das, was auch die wohl bekannteste Stop-Motion-Figur aller Zeiten, Coopers und Schoedsacks King Kong, zu weit mehr als der Summe seiner Einzelaufnahmen werden ließ. Ein Stück geformter Lehm verwandelt sich vor der Kamera in eine fühlende, einzigartige Kreatur, die sich dagegen auflehnt, bloß die Ressource aus dem Ersatzteillager des Weltenkonstrukteurs zu sein, die ihr als Rolle zugeschrieben wird.
Je tiefer der Protagonist in der Glocke absinkt mit dem klaren Plan vor Augen, eine Bombe in den Innereien des Sündenpfuhls zu zünden, desto klarer wird auch die Vision, die sich nun ganz auf die Rohstoffe der Erde konzentriert. Große Wassertanks stellen das Leben als Kuriosität aus, Elektrizität blitzt in einem hypnotisierenden Spiel aus flackerndem Licht auf, es tritt als Schöpfer von Leben mit Referenzen zu „Frankenstein“ gleichermaßen auf wie als Todbringer, der gleich reihenweise Riesen auf dem elektrischen Stuhl niederstreckt. Die Prometheus-Sage von der Entstehung des Menschen schwelt immer als düstere Ahnung im Nebel, sie scheint die Bauwerke in dieser Endzeit entstehen und im gleichen Zug rosten zu lassen. Der Soundtrack besteht nach dem eröffnenden klassischen Stück hauptsächlich aus den schwer vibrierenden Anschlägen von Gitarrensaiten und Pianotasten, deren Hall nicht nur eine perfekte Symbiose mit den Bildern eingeht, sondern wahrlich Mark und Bein des Zuhörers durchströmt.

Prägt euch die Farben gut ein, denn so bunt wird’s sonst in diesem Film nicht mehr.
Der einfach gehaltene vertikale Aufbau erleidet dann zur Mitte hin einen gewollten Bruch und die Erzählung wird abstrakter. Mögliche Einflüsse durch Terry Gilliams meisterhafte Dystopien „Brazil“ und „12 Monkeys“ schlagen spätestens jetzt durch. Das Ticken einer Uhr nistet sich im Sounddesign ein, die Chronologie der Zeitlinie spielt ab sofort eine gewichtige Rolle im weiteren Ablauf. In einer Szene wird sogar das Medium Kino mitsamt seiner Zuschauerschaft direkt im Bild reflektiert, als die Sitzreihen eines Kinosaals eingeblendet werden, ähnlich wie im „Mystery Science Theater 3000“ – nur dass hier keine B-Movies beklatscht werden, sondern die Entkleidung eines Patienten vor einer grausamen Operation. Zu diesem Zeitpunkt hat Tippett Unmengen an möglichen Einflüssen und Referenzen aus Film und Kultur, Philosophie und Mythologie, Krieg und Religion gesammelt, die sich in einer enormen Vielfalt von Animationssequenzen niederschlagen, bei denen man Gefahr läuft einige mit jedem Wimpernschlag zu übersehen, was eine Zweitsichtung schon alleine aus diesem Grund lohnenswert erscheinen lässt. Zugleich wird auf diese Weise ein breites Interpretationsfeld eröffnet, kann doch praktisch jede Einstellung symbolisch für einen bestimmten Aspekt des Lebens gesehen werden. Dennoch bleibt die Handlung auch nach dem Bruch in der Mitte wieder ihrem linearen, einfachen Erzählbogen treu, damit der Kreis sauber geschlossen werden kann.
Die Versprechen in Sachen Artdesign und Handwerk, die nach 30 Jahren Produktionszeit natürlich unermesslich ausfallen, werden über weite Strecken mühelos erfüllt. Mit einfachsten Zutaten, Knäueln aus Haaren und talgiger Knetmasse etwa, drahtige Spinnenkörper, klobige Tumore, Abszesse und Genitalien auf zwei Beinen oder geisterhaft schwebende Alchemisten, erweckt Tippett bizarre Kreaturen zum Leben, die ähnlich wie H.R. Gigers „Alien“ endlos fern von allem bekannten Leben zu sein scheinen und doch auf erschreckende Weise an alles Menschliche gemahnen. Vor allem ihre Einbettung ist es aber, die in diesem Film fasziniert, dieses turmhohe, sich über unzählige Ebenen erstreckende Konstrukt, in dem sie vegetieren. Es steht offensichtlich als Modell für eine vom Menschen geschaffene Realität. Apropos real: Dass speziell in der zweiten Hälfte auch Echtzeit-Realaufnahmen mit richtigen Darstellern in die Stop-Motion-Mixtur gegossen werden, bricht leider ein wenig die Illusion, zumal diese Sequenzen auf keiner Ebene die verstörend irrealen Qualitäten verströmen, die den fantasiereichen Kunstfiguren zu eigen ist.

Tja… Ärzte, die Götter in Weiß.
Mancher Betrachter wird „Mad God“ schon aufgrund seiner enorm pessimistischen Grundstimmung und -Aussage ablehnen, bevor es überhaupt zum Lob für die zweifellos vorhandene Brillanz in der technischen Umsetzung kommt. Phil Tippett entschied sich für die Gestaltung einer Dystopie und setzte diesen Plan kompromisslos um. Die Motive dieses SciFi-Horrorfilms sind so alt wie die Götter, denen er Wahnsinn vorwirft, sie können mehr als dreißig Jahre nach Entstehung der Keimzelle nicht mehr überraschen. Wohl aber können sie einem immer noch heftig den Magen umdrehen. Soviel ist nun bewiesen.
Informationen zur Veröffentlichung von „Mad God“
„Mad God“ feierte am 5. August 2021 auf dem Locarno Film Festival seine Premiere. Die Verwertungsrechte gingen schließlich an Shudder, die ab Juni 2022 einen limitierten Kino-Release organisierten und den Film schließlich in ihr Streaming-Programm aufnahmen. Deutsche Kunden schauten und schauen immer noch in die Röhre, denn der Streaming-Service verweist lediglich auf den Shudder-Kanal von Amazon, der den Film allerdings nicht im Programm hat.
Seit Ende 2022 ist allerdings im englischsprachigen Ausland (sowohl in den USA als auch in Großbritannien) eine DVD und eine Blu-ray zum Film von Shudder / Acorn Media im Umlauf. Diese Rezension basiert auf der britischen Blu-ray, die abgesehen vom Hauptfilm in sehr guter Bild- und Tonqualität zwei Audiokommentare zu bieten hat (einer mit Cast & Crew, der andere mit Phil Tippett und Guillermo del Toro), ferner ein Interview mit dem Regisseur, eine Featurette zu den Einflüssen im Film, zwei Making Ofs und Behind-the-Scenes-Material. Ohne die Kommentare kommt man hier auf eine satte Stunde Bonus. Die Tonspur (DTS-HD Master Audio 5.1) ist eher eine Instrumentalspur, da die wenigen gesprochenen Sätze lediglich aus Babysprache und Schreien bestehen. Englische Untertitel für Hörgeschädigte gibt es dennoch, um beispielsweise das Einsetzen von Musik zu signalisieren.
Zumal die Disc zu einem recht akzeptablen Kurs zu bekommen ist, lohnt sie sich durchaus auch für deutsche Käufer. Wer dennoch lieber auf eine deutsche Disc wartet, könnte Glück haben: Offenbar hat sich Plaion Pictures bereits die Rechte für den deutschen Markt gesichert…
Sascha Ganser (Vince)
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