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Hinter den Augen die Dämmerung

Originaltitel: Hinter den Augen die Dämmerung__Herstellungsland: Deutschland__Erscheinungsjahr: 2019__Regie: Kevin Kopacka__Darsteller: Jeff Wilbusch, Anna Platen, Frederik von Lüttichau, Luisa Taraz, Christopher Ramm, Robert Nickisch, Elena Gomez Alvarez, Bill Becker, Max Cramer u.a.

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Poster

Das Poster von “Hinter den Augen die Dämmerung”

Schätzungen besagen, dass alleine in Deutschland rund 25.000 Schlösser und Burgen stehen. Für den europäischen Kontinent sind die historischen Bauwerke nicht einfach nur kulturelles Erbe, sondern im höchsten Maße identitätsstiftend. Um so unverständlicher erscheint es, dass abgesehen von einigen Historien- und Kostümfilmen allenfalls der europäische Sleaze, Trash und vielleicht noch der B-Horror der 60er und 70er Jahre seine Kulissen ausgiebig zu schätzen wusste. Vor diesem Hintergrund muss sich insbesondere der moderne deutsche Film fragen lassen, warum seine Oberfläche kaum aus etwas anderem zu bestehen scheint als aus Gegenwartskomödien, Sozialdramen und Antikriegsfilmen, wenn sich doch gleich vor seiner Haustür die prachtvolle Landschaft für ein ganzes potenzielles Universum eskapistischer Kinoträume ausbreitet.

Das niedere Genrekino einer 50 Jahre zurückliegenden Vergangenheit ist allerdings ein dankbares Vorbild, das auch ohne finanzielle Unterstützung durch das deutsche Filmfördersystem heute noch recht effektiv reproduziert werden kann – gesetzt den Fall, man trägt es bereits im Blut und ist fest entschlossen, seine altmodischen Vorzüge gegen fortschreitende Technik durchzusetzen. Jetzt, da „Hinter den Augen die Dämmerung“ eingetreten ist, kann man ziemlich sicher davon ausgehen, dass Regie-Debütant Kevin Kopacka jede Menge altes Nischenkino im Blut hat. Seine Strategie als Filmemacher entspricht nämlich in vielerlei Hinsicht derjenigen eines Jean Rollin, Jess Franco oder Mario Bava. Er bringt lediglich Kamera, Beleuchtung und Darsteller ans Set und gibt den Startschuss. Dann schaut er, was sich vor Ort ergibt. Die Kulisse, in diesem Fall das Herrenhaus Vogelsang in Mecklenburg-Vorpommern, erledigt den Rest.

Das erste Drittel besteht gewissermaßen aus einer Abfolge von Stillleben zu unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Kopacka legt die Abschnitte zu Nacht, bei Morgengrauen, am Tage und zur Abenddämmerung wie Dominosteine im Kreis an und lässt sie in einer fortlaufenden Ellipse aufeinander niederfallen, so dass ein unendlicher Zyklus entsteht, in dem Zeit kaum mehr eine Rolle spielt. Im Mittelpunkt steht dabei lediglich ein einsames Paar, das sein frisch geerbtes Schloss begutachtet, um die Renovierungskosten für einen möglichen Verkauf einzuschätzen. Die Schlichtheit der Prämisse, die im Gegensatz zum Schauplatz völlig schnörkellos daherkommt, unterstreicht noch den Surrealismus der Szenerie, der in vielen Momenten an Luis Buñuel erinnert – wenn etwa kein offensichtlicher Grund vorliegt, nicht die im Keller verlorenen Autoschlüssel aufzusammeln und in ein Hotel zu fahren, um der unheimlichen Atmosphäre des Gebäudes zu entgehen.

Vanitassymbole aus der Schauerromantik, zum Beispiel Totenschädel (fast wie in Robert Sigls „Laurin“), Spinnen, Spiegel im Mondlicht oder Maden auf den Speiseresten des Esstischs, drängen sich in Close-Ups zwischen die unwirklichen Weitwinkelaufnahmen, die das Gebäude verzerrt und verschlungen wirken lassen. Obwohl gerade die Lichtsetzung in einigen Einstellungen ein wenig zu gewollt die Farbenspiele eines Bava oder Argento zu imitieren versucht, gelingen hier und da eindringliche Kompositionen, die ganz aus dem Zusammenspiel von Kamerawinkel, Motivwahl und Lichteinfall entstehen. Wenn sich Margot (Luisa Taraz) und Dieter (Frederik von Lüttichau) vor zwei Fenstern gegenüberstehen, die den Schein der untergehenden Sonne wie durch die Pupillen von riesigen Augen auf das Paar schütten, dann manifestiert sich zum ersten Mal der Filmtitel im Bild, der im weiteren Verlauf aber noch deutlich an Körperlichkeit gewinnt.

Die Illusion von klassischem Gothic Horror ist dabei selbst in der recht stimmungsvollen Anfangsphase nicht immer ganz sattelfest. In mancher Bildmanipulation ist die Künstlichkeit der eingefügten Schmutzpartikel zu leicht zu durchschauen, das Korn wirkt gelegentlich zu aufdringlich, mancher Scheinwerfer zu steril. Wenn sich das fehlende Budget irgendwo schmerzlich bemerkbar macht, dann nicht in der Abwesenheit größerer Spezialeffekte, sondern im fehlenden Equipment, um die besonderen Kompositionen der offensichtlichen Vorbilder adäquat rekonstruieren zu können, auch wenn die Überlegungen hinter den Arrangements fast immer in die richtige Richtung gehen.

Schaut in den Trailer

An das – im Kontext der genutzten Motive – zunächst einmal befremdlich wirkende Timbre der deutschsprachigen Zeilen gewöhnt man sich mit der Zeit, allerdings wirken die Dialoge in Ausdruck und Inhalt mitunter äußerst steif. Die Ausgangskonstellation samt des gemächlichen Auseinanderdriftens des Paars, das im Subtext der Gespräche deutlich wird, ähnelt stark dem Geschehen im Overlook Hotel aus Stanley Kubricks „Shining“, zumal Frederik von Lüttichau im ersten, rot ausgeleuchteten Höhepunkt des Films Jack Nicholsons legendärem Grinsen beizukommen versucht. Psychologisch bleibt der gesamte Ablauf aber vergleichsweise unausgereift und wirkt wie ein Rohschnitt… was er allerdings darf, da die eigentlichen Vorbilder auf einem anderen Level operieren als ein Stanley Kubrick.

Was im Zuge dessen zu einer hübsch ausgeleuchteten Scharade zu geraten droht, nimmt dann aber einen völlig unvorhergesehenen Twist, der durch ein gialloesk aus der Dunkelheit starrendes Augenpaar eingeleitet wird. Der geradlinige Gruselfilm im Kerzenschein mit Geistererscheinungen und Rollin’schen Reißzähnen zieht in einem Ruck plötzlich den roten Samtvorhang zurück und faltet seinen Geltungsrahmen zu einem selbstreferenziellen Spiel aus, als der Regisseur und Drehbuchautor die intertextuelle Ebene seines Materials dazu nutzt, um mit sich selbst zu kommunizieren und sein Werk dadurch zu erschaffen, dass er bereits während der Entstehung auf seine finale Form verweist. Im deutschen Kino hat man das vor kurzem auf ähnliche Weise in der Krimi-Komödie „Schneeflöckchen“ gesehen, nur dort eben mit deutlich mehr Appeal für das Massenpublikum. Der Weg, den Kopacka geht, dürfte ein vergleichsweise einsamer sein. Denn der Verweis auf das Medium fällt in „Hinter den Augen die Dämmerung“ hochgradig sperrig, irritierend und letztlich so verkopft aus, dass er spätestens mit dem Twist nach einem Drittel der Laufzeit seine Chance bei einem Massenpublikum verwirkt hat, das wahrscheinlich schon mit den Referenzen auf alte Vampirfilme nicht so viel anfangen konnte.

Doch selbst die Genre-Connaisseure, die sich zuvor an den geschmackvollen Verweisen auf Rollin & Co. delektieren konnten, werden nun vor den Kopf gestoßen. Zumal Kopacka sich aber wohl kaum über die volle Laufzeit mit seinen beiden einzigen Hauptdarstellern hätte im Kreis drehen können, kommt der Twist im Grunde zur richtigen Zeit und man bleibt gespannt, was sich aus der neuen Ausgangslage ergeben mag.

Kopacka experimentiert nun mit den unterschiedlichen Metaebenen seines Films, er etabliert neben dem ursprünglichen Hauptdarstellerpärchen noch ein zweites und lässt Fiktion immer wieder mit Realität kollabieren, indem er das Augenpaar aus der Dunkelheit als Dimensionsportal nutzt. Dies geschieht leider nicht ganz ohne einen gewissen Kontrollverlust, denn die folgenden Geschehnisse werden von Feiern und später auch Orgien dominiert, in deren Verlauf der rote Faden langsam verloren geht und der Filmschnitt seine Form an das Chaos verliert. Erst spät erinnert sich der Autor wieder an den ursprünglichen Gedanken, der ihn überhaupt in das Schloss verschlagen hat, und beendet seinen Gedankenstrom sortiert mit rosa über die natürliche Idylle ausgebreiteten Schlagworten und einem sanften Epilog, der das Erlebte der vergangenen Nacht sortiert, wie es normalerweise die Aufgabe eines Traums für die Erlebnisse des Tages ist.

„Hinter den Augen die Dämmerung“ wirkt oft noch ein wenig unkonzentriert und gehetzt, was für ein Spielfilmdebüt, das unter Zeitdruck einer anstehenden Renovierung des angemieteten Drehortes auch noch binnen drei Wochen im Kasten sein musste, irgendwo verständlich ist. Zugleich wirkt es aber ambitionierter als ein Großteil des populären deutschen Kinos der letzten Jahre. Dazu gehört definitiv auch der äußerst geschmackvoll ausgewählte Soundtrack, der das Abseitige in der Stimmung unterstreicht. Der Mut zur Andersartigkeit mag diesen Film mit all seinen audiovisuellen Besonderheiten zum Dasein im Schatten der Nacht verdammen, empfiehlt ihn zugleich aber für ein offenes Publikum, dem das Stromlinienförmige der deutschen Filmindustrie schon lange ein Dorn im Auge ist.

Knappe
06 von 10

Informationen zur Veröffentlichung von “Hinter den Augen die Dämmerung”

„Hinter den Augen die Dämmerung“ feierte im August 2021 auf dem Londoner FrightFest seine Weltpremiere und war anschließend auf dem englischsprachigen Markt für kurze Zeit im Kino zu sehen. Für den deutschen Markt erwarb Tiberius die Rechte. Auf den hiesigen Streaming-Portalen wurde der Film Ende 2022 angeboten. Seit Anfang 2023 kann man ihn auch auf DVD und Blu-ray erwerben, sowohl im Keep Case als auch im limitierten Mediabook. Zum Umfang der Extras gehört unter anderem ein englischsprachiger Audiokommentar mit Kevin Kopacka und Lilly Villányi, ein Making Of, eine Deleted Scene und diverse Interviews.

Bildergalerie

Hinter den Augen die Dämmerung

Jean Rollin lässt schön grüßen.

Hinter den Augen die Dämmerung

Bei Tageslicht sieht doch gleich wieder alles anders aus.

Hinter den Augen die Dämmerung

Würde doch bloß jeder Filmdreh hinter den Kulissen so harmonisch ablaufen…

Hinter den Augen die Dämmerung

Kennt man so auch von der alljährlichen Weihnachtsfeier.

Hinter den Augen die Dämmerung

Autoscheinwerfer helfen nicht nur im Straßen- sondern auch im Sexualverkehr.

Hinter den Augen die Dämmerung

Hinter den Fenstern die Dämmerung.

Hinter den Augen die Dämmerung

Eine hauchfeine Note Psychosektenhorror ist auch in der Mischung drin.

Hinter den Augen die Dämmerung

Was könnte schöner sein, als nachts unter freiem Himmel zu liegen und die Wolken zu streicheln.

Sascha Ganser (Vince)

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