Originaltitel: Ach du Scheiße!__Herstellungsland: Deutschland__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Lukas Rinker__Darsteller: Thomas Niehaus, Olga von Luckwald, Gedeon Burkhard, Friederike Kempter, Rodney Charles, Björn Meyer, Uke Bosse, Micaela Schäfer u.a. |
Als Architekt Frank (Thomas Niehaus) aus seiner Ohnmacht erwacht, bietet sich ihm ein Bild des Grauens: Hilflos liegt er auf dem Boden eines umgestürzten Dixi-Klos. Sein rechter Oberarm ist durchbohrt von einer Metallstange, der Ausgang ist versperrt. Während er versucht, sich zu erinnern, wie er in diese Situation geraten konnte, erklingt aus der Ferne die Stimme von Bürgermeister Horst (Gedeon Burkhard), der auf dem örtlichen Volksfest per Megafon eine Sprengung ankündigt. Frank hat nur 80 Minuten Zeit, sich aus dem Sprengradius zu entfernen. Doch ein Entkommen scheint vollkommen unmöglich…
Filme über Menschen, die auf engem Raum eingesperrt sind und sich aus ihrer misslichen Lage befreien müssen, um zu überleben, werden international in steter Regelmäßigkeit auf den Markt geworfen. Die Amerikaner, derzeit dank „Fall“ zur Abwechslung mal in luftigen Höhen unterwegs, sind in dieser Disziplin vermutlich amtierender Weltmeister. Aber auch an Nationen wie Frankreich („Méandre“, 2020), Spanien („El Hoyo“, 2019) oder gerade auch an filmischen Entwicklungsländern wie Thailand („The Pool“, 2018) lässt sich beobachten, wie effektiv man mit Sackgassen-Rätseln und möglichst originellen Auflösungen experimentieren kann.
Für die jeweils dahinter stehende Filmindustrie können solche Konzeptfilme eine wertvolle Funktion einnehmen. Man kann sie gewissermaßen als Selbstreinigungsprozess verstehen, als Aufräumaktionen für festgefahrene Filmmechanismen, durch die am Ende die Weiterentwicklung gefördert wird. Mit solchen Filmen werden im Idealfall bei den Machern und beim Publikum gleichermaßen Kompetenzen geschult, die anschließend auch bei größeren Filmen mit breiteren Handlungsbögen angewendet werden können und sie vielleicht auch in neue Richtungen stoßen.
Ein deutsches Beispiel für diese Sorte Film anzubringen, ist leider nicht ganz so einfach. Wozu auch Einraumfilme, wenn man schon Keinohrhasen hat? Dank Lukas Rinker gibt es aber nun endlich eine Antwort auf die Frage nach einem deutschen Pendant zu „Buried“ & Co. Man antwortet einfach „Ach du Scheiße!“. Und das Beste: Der ist auch noch richtig gut geworden.
Dass es ausgerechnet ein Dixi-Klo ist, das mit seinem Quadratmeter an Stellfläche als Handlungszentrum dient, ist kein Zufall, sondern Ergebnis des Bemühens, die universelle Thriller-Formel mit einer markanten nationalen Duftmarke zu versehen. Das Baugewerbe, beziehungsweise das Handwerk im Allgemeinen, hat im deutschen Film ja schließlich eine langjährige Tradition. Davon zeugen unzählige Dokumentationen und Spielfilme, zumindest bis in die Neunziger hinein, bevor sich der deutsche Film im digitalen Zeitalter verstärkt neuen Feldern zuwandte. Vorher durfte aber Brösels „Werner“ im hohen Norden seinen Meister auf die Palme bringen und das Bauarbeiter-Trio aus Peter Thorwarths Ruhrpott-Farce „Was nicht passt, wird passend gemacht“ Schindluder auf der Baustelle treiben. Der Deutsche als Erschaffer von Lebensrealität kraft seiner eigenen Hände ist in der heimischen Filmindustrie zweifelsohne historisch zur Reife gewachsen, zumeist im Spannungsfeld zwischen Gauner-Farce und Komödie.
So umgeht Rinker den möglichen Vorwurf, sich bei erfolgreichen Konzepten aus dem Ausland anzubiedern, denn über „Ach du Scheiße!“ kann man alles sagen, nur nicht, dass er ein unverhohlenes Rip-off eines Hits aus dem Ausland wäre. Denn niemand, wirklich niemand hat eine höhere Wahrscheinlichkeit und ein größeres Anrecht darauf, in einem Dixi stecken zu bleiben als der Deutsche.
Nun mag die Formel von außen betrachtet ziemlich simpel erscheinen. Man nehme einfach einen Darsteller, der so hart im Nehmen ist wie ein Dschungelcamp-Gewinner, verbarrikadiere ihn mit einem (möglichst schmalen) Kameramann für ein paar Stunden auf einem Baustellenklo und lasse ihn erst wieder herauskommen, wenn das Ding in der Schüssel ist. Beinahe möchte man sagen: Hätt’ ich ja auch drauf kommen können. Nur, erstens: Biste aber nicht! Und zweitens: So einfach, wie es aussieht, ist es gar nicht.
Anstatt ziellos mit der Steadicam ins Nasenloch des Hauptdarstellers zu filmen, ist nämlich schon in den ersten Minuten der Kameraarbeit von Knut Adass eine Art roter Faden zu spüren, an dem man ablesen kann, dass die Zeit bis zur Sprengung nicht einfach hektisch improvisiert werden wird, sondern man den Countdown dazu nutzen will, mit Voraussicht den großen Masterplan in die Tat umzusetzen. Der arg begrenzte Spielraum des Kameraobjektivs wird durch raffinierte Perspektiven so erweitert, dass praktisch die Denkweise des nach Lösungen suchenden Protagonisten sichtbar wird… wenn sich zum Beispiel die beengenden Grenzen des Plastikgefängnisses auf einmal erweitern und neue Räume eröffnen. Da geht es dann per Minikamera auch mal tief in die Eingeweide der Toilette, wo plötzlich das Handy-Display im Schlamm aufleuchtet, und die Körperlänge von Thomas Niehaus wird praktisch zum Maßband, mit dem jeder Zentimeter der Kabine kartografiert und auf mögliche Schwachstellen abgesucht wird. Erwartungsgemäß werden zwischendurch auch mal Rückblenden eingebaut, was einerseits einen temporären Ausweg aus der klaustrophobischen Situation bietet, andererseits aber auch notwendig ist, um die stückweise rückkehrende Erinnerung der Hauptfigur nach dem Blackout zu dokumentieren und das Puzzle langsam zusammenzusetzen.
Typisch deutsch ist es, die prinzipiell beklemmende Situation mit reichlich schwarzem Humor zu verpacken. Nichts anderes wäre auch angemessen, wenn man bedenkt, wo wir uns da gerade aufhalten. Besonders in der Kategorie Humor spielt Rinker seine Stärken voll aus. Die Panik des Eingesperrten konterkariert er nonchalant mit der Unaufgeregtheit bayerischer Lebensart. Wenn die verzweifelten Ausbruchsversuche mal wieder auf bittere Art fehlschlagen und der Bürgermeister mehrere hundert Meter weiter eine ironische Bemerkung ins Mikrofon absondert, die man auch als zynischen Off-Kommentar zum Geschehen im Bild lesen könnte, beweist der Film sein Gespür für herrlich fiese Pointen, die wunderbar mit den lokalen Eigenarten harmonieren. Und auf dem Dixi werden nicht minder fiese Pseudo-Dialoge gezündet, denn mit jedem Rückschlag kommt Frank dem Wahnsinn näher und das Smiley-Gesicht auf dem Toilettendeckel wird zum bösen Zwilling von „Wilson“ aus „Castaway“, der fortwährend auf dem Unglücksvogel herumhackt.
Passend zu dieser derben Gangart wird es im Laufe der Eskalation dann auch ziemlich blutig, und zwar bisweilen so sehr, dass man sich in einem Comicheft wähnt, das die Lust an der karikaturistischen Übertreibung zum Grundprinzip erklärt hat. Der Arm, der von Minute 1 an bereits von einer Metallstange durchbohrt an die Außenwand getackert ist, durchläuft im Rahmen der Toilettensitzung eine recht unerfreuliche Entwicklung, die schließlich in einer völlig grotesken Einlage gipfelt, die fast wie das Kinderspiel „Heißer Draht“ funktioniert. Die Effektkünstler liefern alleine bei der Bearbeitung des Arms schon solches Over-the-Top-Material ab, dass man in mancher Einstellung die Funsplatter-Großmeister um Raimi und Jackson vor dem inneren Auge kleine Tänze aufführen sieht, zumal später auch noch ein explodierender Körper mit Fake-Kopf und manch üble Schussverletzung hinzu kommt. Aber selbst hier bleiben die wahren Einflüsse letztlich innerhalb der Landesgrenzen, denn was die Kombination aus Kulisse, Humorverständnis und Gore-Effekten angeht, ist es in erster Linie ein zum Kult avancierter deutscher Kurzfilm aus DVD-Hochzeiten, der hier die Marschrichtung vorgibt: „Staplerfahrer Klaus – Der erste Arbeitstag“. Der scheint mit seinem trockenen Erzählton im Stil einer Betriebsanleitung jedenfalls mächtig auf Rinker abgefärbt zu haben.
Thomas Niehaus hat derweil die comichaften Tendenzen des Films genau erkannt und füllt seine Hauptrolle passend dazu mit überschäumender Hysterie, ohne die feinen Nuancen in den ruhigen Momenten ganz außer Acht zu lassen. Olga von Luckwald liefert in einer eher traumartig angelegten, weil überwiegend durch Halluzinationen und Flashbacks in Erscheinung tretenden Rolle ein ebenso umfassendes wie natürliches Gesamtbild von begehrenswerter Weiblichkeit. Und Rodney Charles schafft es, in einer kurzen Gastrolle so etwas wie das gute Herz des Films zu werden. Die wahre Schau ist aber Gedeon Burkhard als herrlich schmieriges Subjekt, das mit einer ansteckenden Selbstverständlichkeit seine psychopathischen Tendenzen auslebt und unsere Behörden in Grün mal wieder wie die letzten Dorftrottel dastehen lässt – ganz wie in den Werner-Comics eben. Da passt dann irgendwie sogar der einleitende Striptease von Micaela Schäfer ins Bild, der zwar unliebsame Erinnerungen an „Zweiohrküken“ weckt, welcher fast identisch eröffnet wurde, aber irgendwie muss man sich ja von Altlasten lösen, wenn man zu neuen Ufern aufbrechen will…
Unter dem Strich ist „Ach du Scheiße!“ jedenfalls ein überaus respektabler Versuch, ein international erfolgreiches filmisches Konzept mit nationalen Eigenarten neu zu denken. Das Ergebnis ist ein Hybrid, der durch seine Derbheiten und frischen Denkansätze sowohl im In- als auch im Ausland prinzipiell gute Chancen haben dürfte, beachtet zu werden. Die meisten seiner Schwächen, manche dramaturgische Länge durch das permanente Gespringe zwischen Rückblende und Gegenwart zum Beispiel, liegen in der verwendeten Formel selbst verborgen und betreffen auch andere Filme der gleichen Art. Mit den Spielregeln wissen Lukas Rinker und sein Team über weite Strecken aber äußerst raffiniert umzugehen.
Informationen zur Veröffentlichung von “Ach du Scheiße!”
„Ach du Scheiße!“ startete im Oktober 2022 in den deutschen Kinos. Seit dem 1. April ist die ungewöhnliche Mischung aus Komödie und Thriller beim Streaming-Anbieter Netflix im Programm zu finden. Nur drei Wochen später (am 21.04.2023) erschien auch eine Blu-ray von OneGate, die neben dem Hauptfilm auch ein Making-Of zu bieten hat. Ungewöhnlich: Diesmal scheint es so zu sein, dass man lieber auf die DVD als auf die Blu-ray verzichtet hat. Außerhalb von Netflix kann man den Streifen auch auf verschiedenen VoD-Plattformen streamen.
Sascha Ganser (Vince)
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