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Infinity Pool

Originaltitel: Infinity Pool__Herstellungsland: Frankreich / Kanada / Ungarn__Erscheinungsjahr: 2023__Regie: Brandon Cronenberg__Darsteller: Alexander Skarsgård, Mia Goth, Cleopatra Coleman, Jalil Lespert, Amanda Brugel, Thomas Kretschmann, John Ralston, Caroline Boulton, Jeff Ricketts, Roderick Hill, Alexandra Tóth, Amar Bukvic, Anita Major u.a.

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Poster

Das Poster von “Infinity Pool”

Verbirgt sich hinter der Maske von Captain Obvious etwa am Ende der aufstrebende kanadische Nachwuchsregisseur Brandon Cronenberg? Wäre man zynisch, könnte man spekulieren, er habe nach all den Kopfgeburten einfach mal wieder Ferien von sich selbst nötig gehabt, weshalb sich sein neues Werk, tadaaa, um ein Ferienresort dreht. Womöglich ist er auf die Idee mit dem Urlaubshorrorfilm sogar während eines Urlaubs gekommen. Vielleicht wollte er ursprünglich an der frischen Luft neue Inspiration finden, schlug seine Zeit nach reiflicher Überlegung dann aber doch lieber im Hotelzimmer mit einem Serien-Binge bei Netflix tot und ließ sich dabei von der Muse küssen.

Solche Gedanken kommen einem jedenfalls in den Sinn, wenn man sich den Protagonisten von „Infinity Pool“ anschaut. Es ist zwangsläufig davon auszugehen, dass James Foster (Alexander Skarsgård) als Alter Ego Cronenbergs konzipiert ist. Ein Romanautor voller Selbstzweifel, der vor einigen Jahren sein Debütwerk veröffentlichte, seitdem jedoch unter einer Schreibblockade leidet. Die Blockade ausgerechnet in einem abgeriegelten Touristenparadies lösen zu wollen, das mit dem Land und der darin herrschenden Kultur nicht das Geringste zu tun hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, derer sich der Autor vollkommen bewusst ist. Diese Ironie erklärt er nun zum Zentrum seines kreativen Denkens. Das Bewusstsein von grundlegend widersprüchlichem Verhalten, das entgegen der eigenen Intuition an den Tag gelegt wird, etabliert den dissonanten Grundton dieses Films, derweil Fosters Geist mit dem reißenden Geräusch eines Klettverschlusses im Laufe der Handlung von seinem Fleisch abgezogen wird.

Der randlose „Infinity Pool“, der dem Urlauber durch seine offene, geometrisch fast unmöglich anmutende Konstruktion das Gefühl von Unendlichkeit vorgaukelt, verdient sich die Nennung im Titel, indem er sich schnell als zentrale Metapher des Films in den Vordergrund drängt. Im weiteren Sinne befasst sich Cronenberg diesmal mit dem (per definitionem) zeitlich begrenzten Konzept des Urlaubs, das er als Gelegenheit für einen Rollenwechsel begreift, und zwar im Sinne einer Befreiung von den gesellschaftlichen Verpflichtungen als Bürger, die außerhalb der Urlaubszeit gelten. Es geht um den Besucher aus der Ferne, der vor Ort in eine temporäre Hülle schlüpft, die es ihm erlaubt, für einen gewissen Zeitraum alles zu tun, was er möchte.

Es geht auch um die Definition von Freiheit in einer Realität, die dadurch geprägt ist, dass man Normen befolgen muss, um nicht mit Sanktionen belegt zu werden. Die Motive seines Vorgängers „Possessor“ rund um Körpertausch und Bewusstseinstransfer lässt Cronenberg also nicht fallen, sondern er denkt sie grundlegend neu. Er befreit sie von der komplexen Architektur, die damals noch zu einer schwermütigen Genese von SciFi-Horror und Agententhriller führte, und überführt sie schnörkellos zurück in geradlinige In-Your-Face-Horrorkost, trotz der vielen What-the-Fuck-Zwiebelschichten und trotz einiger heftiger Exploitation-Anteile, die im pseudo-intellektuellen Kontext des Films einerseits avantgardistisch wirken, aber zugleich auch plakativ.

Infinity Pool

Bereit für einen kleinen Ausritt?

Man könnte also diesmal enttäuscht sein von der Tatsache, dass die genetische Kopie des großen David Cronenberg längst nicht mehr nur ihr eigenes Original kopiert. Natürlich spielt auch das Werk des Vaters wieder eine Rolle; mehr als all dessen Spielfilme vielleicht sogar der einminütige Kurzfilm „The Death of David Cronenberg“, in dem sich die gealterte Regielegende direkt mit ihrem eigenen Tod auseinandersetzt. Es ist allerdings geradezu empörend, wie widerstandslos „Infinity Pool“ auch Quervergleiche mit gewöhnlichen Genre-Vertretern der jüngeren Zeit zulässt. „Hostel“ zum Beispiel, der amerikanische Ängste vor unerschlossenen Gebieten auf mittel- und osteuropäische Regionen projizierte; genau wie nun Brandon Cronenberg, der in Kroatien und Ungarn drehte, um seinem fiktiven Handlungsort ein Gesicht zu geben.

Oder „Wir“, bei dem eine Familie wie aus heiterem Himmel mit ihren eigenen Klonen konfrontiert wurde. „Old“, der ein vergleichbares Setting zu bieten hat. Oder „The Purge“, der für eine Nacht alle geltenden amerikanischen Gesetze und Strafen außer Kraft setzte, inklusive jenen für Mord. Man könnte sogar sagen, Cronenberg schließe sich einer laufenden Trendwelle von thematisch ähnlich gelagerten Filmen an, in denen die Schönen und Privilegierten ihre hässliche Fratze innerhalb der Grenzen eines abgeriegelten Mikrokosmos zeigen; siehe auch „The Menu“, „Glass Onion“ oder „Triangle of Sadness“. Und erwartet man von einem Cronenberg wirklich ein weiteres Trendprodukt?

Vielleicht, dieses eine Mal wenigstens. Denn es geht ja gerade um Reproduktion. Auch Reproduktion von filmischen Themen. Anders als bei den genannten Vergleichsobjekten hat man bei „Infinity Pool“ allerdings nicht das Gefühl, alles drehe sich nur darum, zu zeigen, wie raffiniert die präsentierte Story-Idee konstruiert ist. Viel zu wenig Zeit nimmt sich der Regisseur, um die absurden Regeln seines Films überhaupt zu erklären, als dass man ihm eine Verliebtheit in die eigene Grundidee unterstellen würde. Er scheint gar nicht so recht an den technischen Möglichkeiten des Klonens interessiert zu sein, geschweige denn daran, was es über eine Gesellschaft aussagt, wenn sie die Technologie in einer pervertierten Art und Weise einsetzt wie hier geschildert.

Eigentlich reicht es ihm, zu dem Moment zu gelangen, wo er den nackten Alexander Skarsgård in eine geflieste Kammer voller Schleim schicken kann, um ihn einzutauchen, sozusagen zu taufen, zu duplizieren und den fleischlichen Überschuss nach allen Regeln der Kunst zu sezieren. Auf die hastig abgefrühstückte Möglichkeit des Klonens, im technischen wie legislativen Sinne, reagiert der Zuschauer gemeinsam mit dem verängstigten Touristen in Untersuchungshaft geschockt, als er in einem beiläufigen Halbsatz mit dem eigenen Tod durch Hinrichtung und fast noch beiläufiger mit einer völlig absurden Möglichkeit zur Abwendung der Hinrichtung konfrontiert wird. Die innere Kohärenz des Aufhängers ist zweitrangig. An der Stelle muss nur das erste Schockmoment bedient werden und dann geht es nur noch um die folgende Eskalation, die sich durch die zunehmende Entfremdung vom Ursprung des eigenen Körpers ergibt.

Infinity Pool

Auf zum Schönheitschirurgen!

Indem Cronenberg so fragmentarisch inszeniert, als wenn er Informationen auslassen würde, fast als wenn die essenziellen Dialogzeilen und die teuren Money Shots im Schnitt unter den Tisch gefallen wären, entwirft er einen Kosmos, der sich durch reinsten Nihilismus definiert. Als würde man in David Lynchs „Blue Velvet“ unter den Kunstrasen schauen und dort nicht etwa Fäulnis entdecken, sondern einfach bloß ein leeres Vakuum. Oder als würde man einen Blick hinter die luftleeren Räume der Polygone einer 3D-Grafik erhaschen und verstehen, dass Materie nicht existiert. Das Resort in „Infinity Pool“ wirkt wie eine computeranimierte Scheinwelt; die Masken der Einheimischen, die an mythologische Götter gleichermaßen erinnern wie an die zerfließenden Gesichter aus „Possessor“, dienen ebenso wie der Wildwuchs außerhalb der Hochsicherheitszäune nach „Jurassic Park“-Art als Erinnerung an die rohen Kräfte, die an der harmonischen Oberfläche zerren und sie zum Einsturz bringen wollen; ein Effekt, den der Regisseur mit allen Mitteln zu erzwingen versucht.

Dies pflegt er erneut mit drastischen Mitteln zu tun. Fragmente pornografischer Darstellungen mischen sich in psychedelische Bildmontagen und rekonstruieren eine orgiastische Abkehr von rationalem Denken, hin zu Gier und Exzess; selbiges gilt für Momente enthemmter Gewalt, wenn Messer ohne Unterlass in Leiber fahren und Fäuste Köpfe zu Brei schlagen, bis sich Blutsuppe auf den Boden ergießt und Knochensplitter mit offen liegenden Augäpfeln zu einem unappetitlichen Stew vermengen. Schockierend sind aber nicht diese grafischen Schattenbilder, sondern die dahinter liegenden Implikationen. Man sieht, wie Menschen zu Zombies, Sklaven und Kampfhunden entartet werden, man sieht auch einmal mehr, wie Gruppendynamik dazu führt, dass das intelligente Individuum sich zu einem dummen Herdentier zurückentwickelt. Gänsehaut erzeugen dabei vor allem die permanenten Blicke in den Spiegel bei der Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, wenn sich etwa ein kleines Lächeln im Mundwinkel formt, während das Spiegelbild gerade mit aufgeschnittener Kehle nach Luft ringt.

Infinity Pool

Einen Infinity Pool hatte sich James Foster (Alexander Skarsgård) aber irgendwie anders vorgestellt.

Skarsgård spielt den zur Handlungsunfähigkeit verdammten Protagonisten genau auf den Punkt; seine Augen schreien das Entsetzen aus den Höhlen, aber seine Silhouette bleibt dabei völlig regungslos. Mehr als das muss er nicht tun, weil sein Regisseur nur an diesem Kontrast zwischen Ausdruck und Haltung interessiert ist und nicht weiter in die Figur eindringen möchte. Bar jeder Kategorisierung spielt sich dagegen Mia Goth als Gabi mit jeder Minute mehr in einen Rausch. Zwar ist ihre Figur eher ärgerlich geschrieben, wie eine Public-Domain-Schablone wirkt sie, beliebig zu verwenden für einen Film, in dem ein armer Tor sich von einer Femme Fatale in die Welt der Verderbnis verleiten lässt. Gewissermaßen ist sie das Eingangstor für die Schwachpunkte im Drehbuch, die den Film in seinen wenigen nüchternen Momenten immer mal wieder ins Banale gleiten lassen. Allerdings macht sie das gerade in der exzessiven zweiten Hälfte mit ihrer furiosen Performance mehr als wett, als sie eine Satire menschlicher Wesenszüge präsentiert, geprägt von dem Nebeneinander aus Gleichgültigkeit und Irrsinn, der sich durch schrilles Gekeife und debile Babysprache äußert.

Ebenso wie Cleopatra Coleman, die als James’ Ehefrau Em den Anker der Vernunft spielt, verkörpert Goth letztlich einen Teil der Persönlichkeit der Hauptfigur, so dass man schließlich das Gefühl hat, nur eine Person spielen zu sehen, die in unterschiedlichen Formen mit sich selbst ringt. Die meisten anderen Darsteller, inklusive Jalil Jespert als Gabis Mann Alban, verkommen eher zu dekorativen Skulpturen, die nur im Rausch der Ekstase in Bewegung geraten, wobei Thomas Kretschmann noch einen bemerkenswert pragmatischen Auftritt als Polizeikommissar zu verbuchen hat. Und Kristóf Kovács avanciert in seinen zwei kurzen, wortlosen Auftritten zu einem der gruseligsten Kinderdarsteller, die seit längerer Zeit in einem Horrorfilm zu sehen waren.

Infinity Pool

Über die Tagesausflüge im Urlaub entscheidet Gabi Bauer (Mia Goth). Zur Not auch mit Überzeugungshilfe.

Sämtliche aufrührende Momente, die unter anderem auch von den Darstellern mitgetragen werden, befeuern allerdings nur die Instabilität dieses Films, der auf äußerst wackligen Beinen steht. Wirklich sicher wirkt hier eigentlich nur die erneut vorzügliche Kameraführung von Karim Hussain. „Infinity Pool“ ist nach „Possessor“ nicht der erwartete nächste Schritt zur Souveränität in Brandon Cronenbergs Gesamtwerk; im Gegenteil, wir sehen einen Regisseur, der an diesem Schaffen zweifelt, noch bevor es zur vollen Blüte gelangt ist. Angesichts der passiven Hauptfigur, die eindeutig auf ihren Erschaffer verweist, könnte man von einem verunsicherten Visionär sprechen, der sich zu hoch hinaus auf die Leiter gewagt hat und mit Schwindelgefühlen kämpft.

Also klettert er wieder ein paar Stufen herunter, wo er mit bewährten Horrorfilm-Konzepten konkurrieren kann, anstatt eigene Maßstäbe zu setzen: Home Invasion, Menschenjagd, Klone, Klassen-Satire. Gelangen diese konkreten Einflüsse beizeiten zu stark in den Vordergrund, verspürt man eine gewisse Enttäuschung; man braucht eben keinen Cronenberg, um bestimmte Subgenres um ihrer selbst am Leben zu erhalten. Es gibt aber Momente, da blitzt sie auf, die Rezeptur nach Art des Hauses; in einem Moment schwimmt man noch einem gewöhnlichen Swimming Pool, doch schon im nächsten findet man sich einsam und verloren in einem endlosen Meer wieder.

07 von 10

Informationen zur Veröffentlichung von “Infinity Pool”

Schaut in den Trailer

„Infinity Pool“ feierte seine Weltpremiere beim 39. Sundance Filmfestival im Januar 2023. Etwa einen Monat später folgte die deutsche Premiere bei den Filmfestspielen Berlin. Ab 20. April 2023 läuft der SciFi-Horrorthriller offiziell in ausgewählten Kinos an – ungeschnitten in der Unrated-Version, wie Universal erklärte. Für eine Auswertung auf Blu-ray und DVD wurde bislang noch kein Termin festgelegt. Kurz vor dem deutschen Kinostart erschien allerdings bereits in den USA eine Blu-ray.

Sascha Ganser (Vince)

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Copyright aller Filmbilder/Label: Universal__Freigabe: FSK18__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein / Nein (TBA – ab 2023)

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