Originaltitel: Man of Violence__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 1970__Regie: Pete Walker__Darsteller: Michael Latimer, Luan Peters, Derek Aylward, Maurice Kaufmann, Derek Francis, Kenneth Hendel, George Belbin, Syd Conabere, Erika Raffael, Virginia Wetherell, John Keston, Jessica Spencer, Mark Allington, Sheila Babbage, Patrick Jordan, Steve Emerson, Peter Thornton u.a. |
Vorbei die unbeschwerten Zeiten, als man sich im Augenblick des Moments um nichts weiter als die eigene Libido kümmern musste. Das galt 1970 für die ausklingende Ära der Swinging Sixties ebenso wie für Pete Walker persönlich, der just zu dieser Zeit Ansprüche zu entwickeln begann, sich mit düsteren Stoffen von seiner beruflichen Frühphase als Stand-Up-Comedian und Erotik-Kurzfilm-Regisseur abzunabeln. Nicht länger sollte die Gegenwart mit ihren Clubs, ihrer Fotografie und ihrem Lebensgefühl federführend sein, nicht länger der Puls des Zeitgeschehens betont werden. Vielmehr ging es ab sofort darum, Unsicherheit zu stiften und düstere Vorahnungen zu erzeugen, um auf eine unbekannte Zukunft zu verweisen.
Das erklärt auf jeden Fall Walkers spätere Orientierung hin zum gesellschaftskritischen Terror- und Thriller-Kino, dient aber auch bereits als Schlüssel zum Verständnis für seinen frühen Gangster-Krimi „Männer der Gewalt“, der vielleicht ersten Arbeit Walkers, die gewisse Ambitionen eines Autoren andeutet, der nicht unterhalten, sondern erzählen will.
Der englische Originaltitel „Man of Violence“ spricht vom „Mann“ in Singularform, und es ist tatsächlich eine einzelne Hauptfigur, die durch den Film leitet. Gefühlt trägt sie aber tausend Gesichter, was dem Plural aus dem deutschen Titel letztlich fast noch mehr Legitimität verschafft; denn das Netz der Kriminalität mit all seinen Mitspielern, die darüber hinaus auch noch unterschiedliche oder zumindest zwielichtige Identitäten annehmen, ist praktisch unüberschaubar. Wir haben es gewissermaßen mit einer konfusen Variante von Kurosawas „Yojimbo – Der Leibwächter“ zu tun, der es in Sachen Aufbau und Inszenierung völlig an strategischem Denkvermögen, ergo an Übersicht mangelt. Die von Michael Latimer intransparent gespielte Hauptfigur ist offensichtlich ein Produkt ihrer Umwelt, die nicht etwa wie in einem Michael-Caine-Thriller nach einem klar definierten Regelwerk aufgebaut ist, das mit ein wenig Einarbeitung von Außenstehenden erschlossen werden kann, sondern höchstens mit verschachtelten Schlüsselszenen aus solchen Filmen angereichert ist, die sich halb im Ernst, halb als Karikatur zu einem neuen Gebilde zusammenschließen.
Alleine Kenneth Hendel, der mit irrem Blick und zwei Tuben Haargel zwecks Verhinderung der Verselbstständigung seines Schummelscheitels so manchem Übeltäter aus alten Kung-Fu-Streifen Konkurrenz macht, oder Derek Francis, der in einer Sitcom-esken Szene auf vortreffliche Weise zum Pantoffelhelden erklärt wird, lassen das Ensemble stellenweise in eine Guy-Ritchie-Farce abdriften, fast so, als würden die Gauner an der komplizierten Praxis der eigentlich doch so einfachen Gaunereien rund um Gold und Gier verzweifeln.
Inmitten all der Verwirrung platziert Walker dann ganz nonchalant auch noch gewagte Tabubrüche, indem etwa eine Kirche zum Schauplatz von Geldübergabe und Attentat auserkoren wird, oder indem Homosexualität mehr als nur in Andeutungen vorkommt und ganz direkt mit der viril auftretenden Hauptfigur verknüpft werden – in einer Zeit wohlgemerkt, da ihre Illegalität in England gerade erst aufgehoben war und europaweit in vielen Ländern immer noch Bestand hatte. „Männer der Gewalt“ verweist durch solche Einschübe mit dem vordergründigen Ziel, zu schocken, ebenso auf Walkers wichtigste Werke seiner kommenden Hochphase, so wie „The Big Switch“ mit dem Einbau neuer Genre-Elemente vorher auf „Männer der Gewalt“ verwies: Als dezent unbeholfene, dabei keineswegs uninteressante Stilübung für die größeren Taten der Zukunft.
Je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr sollten sich eigentlich die Zusammenhänge erschließen, doch das Gegenteil ist der Fall. Ein Fass nach dem anderen wird aufgemacht und nicht alle davon werden auch wirklich geleert, stattdessen bricht man lieber gleich noch ein neues an. Man würde gerne behaupten, dass der smart auftretende Protagonist alles im Griff hat, man sehnt sich regelrecht nach der Sicherheit zu wissen, dass er mehr weiß als man selbst, allzu sicher kann man sich da aber nie sein. Walkers Fokus pendelt viel zu sehr zwischen den Parteien, er versäumt es, Latimer die Zügel in die Hand zu legen.
Dafür kommt das Gangster-Kino Einstellung für Einstellung zu Ehren, imitiert zu werden; mit schmutzigen Geschäften in schummrigen Restaurants, Schießereien auf dem Friedhof und mörderischen Besuchen in der Werkstatt. Luan Peters tappst bei alldem auch noch im rosa Minikleid als zusätzliche Irritation durch die Prärie, oder liegt auch mal im Handtuch auf dem Bett, wenn es das Skript erfordert. Die wechselnden Schauplätze und Blickfänge sollen Masse schaffen und eine Anmutung von Epik geben, vermitteln letztlich aber das Gefühl, man blättere unkonzentriert durch einen Almanach der letzten 50 Jahre Gangsterfilm, in dem immerhin ein paar gelungene Illustrationen abgebildet sind.
Für den Schlussakt gönnte sich das Filmteam sogar noch eine Reise nach Tunesien, um vor afrikanischer Originalkulisse auf das Ende hinzuarbeiten und zu den Dimensionen der ganz großen Agententhriller aufzuschließen, indem der lokale Mief der Londoner Peripherie mit der Kerosinspur des abhebenden Fliegers zurückgelassen wird. Eine satte halbe Stunde vor dem Ende wandert Latimer bereits mit hochgekrempeltem Hemd und in khakifarbenen Hosen durch die Gassen von Tunis und klopft an Türen. Das ist symptomatisch für den mit 108 Minuten deutlich zu langen Film, bei dem man aber auch gar nicht so recht wüsste, wo man überhaupt die Schere ansetzen sollte; denn ein Skelett, auf das man zuschneiden könnte, ist unter dem Berg an Verschwörungen und Doppelspielen ja gar nicht vorhanden.
Die stilistischen Mittel, dem Film eine Form zu verpassen, können ebenfalls wenig ausrichten. Der kunstvoll geschnittene Vorspann mit bunten Credit-Boxen über der Nahaufnahme eines sich hebenden und senkenden weiblichen Bauchnabels weiß den Betrachter noch an den Bildschirm zu fesseln, er ist aber nach den ersten Verstrickungen und Verwirrungen auch wieder schnell vergessen. Eine Konstante ist allenfalls noch der Soundtrack, der sich aber wiederum viel zu repetitiv verhält und nicht als spezielles Thema in Erscheinung tritt, sondern als Lückenfüller, wann immer die Stille verdrängt werden soll.
Im Grunde fängt sich „Männer der Gewalt“ erst wieder in den letzten Minuten, als er ein bemerkenswertes Bewusstsein für sich selbst entwickelt. Das ist zweifellos eine der großen Stärken des Regisseurs, der auch in Interviews stets dazu in der Lage ist, sein eigenes Handwerk aus dem Stegreif besser zu beschreiben als so mancher Kritiker. Gewissermaßen taugt der ambivalente Ausgang der Geschichte auch als Eintrittspforte in die rauen 70er, die sich schnell von jedweder Art von Schwarzweißmalerei lossagten und zeigten, dass Filme alles zeigen können, was die Realität hergibt.
Informationen zur Veröffentlichung von “Männer der Gewalt”
Pete Walker Collection #6
Mr. Walker, was haben Sie noch zu bieten? Viel Unveröffentlichtes ist ja nicht mehr übrig in der recht überschaubaren Filmografie des britischen Regisseurs, der zwar mit seinen 84 Jahren noch unter uns weilt, allerdings seit 40 Jahren („Das Haus der langen Schatten“) inaktiv ist. Inzwischen steht schon die sechste Ausgabe der „Pete Walker Collection“ von Wicked Vision im Verkaufsregal; nochmal so viele werden es wohl nicht mehr, das gibt Walkers Lebenswerk nicht mehr her.
Das soll aber kein Hinderungsgrund sein, die restlichen Katalogtitel einfach im Doppelpack rauszuhauen. Mit „Zeuge des Wahnsinns“ inklusive Bonusfilm „School for Sex“ (Pete Walker Collection No. 5) wurde diese Praxis erstmals eingeführt, bei „Männer der Gewalt“ wird sie mit dem einzeln wohl schwer vermittelbaren Walker-Frühwerk „The Big Switch“ im Bonusmaterial weitergeführt. Erneut gibt es also zweimal Walker zum Preis von einem.
Die Artworks
Hauptfilm ist und bleibt aber ganz klar „Männer der Gewalt“, was die drei verfügbaren Cover-Motive auch entsprechend hervorheben. Besprochen wird an dieser Stelle Cover B, das laut Booklet von Gilles Vranckx stammt und die vielleicht stimmigste Gesamtkomposition von Farbe, Form und Raumaufteilung bietet. Der in die Diagonale verlaufende Titel mit seinem Radar- bzw. Zielfernrohr-Muster lässt gleich an alte Agentenfilme denken, während das knallige Orange in drei Abstufungen das Herkunftsjahr verrät und dabei wunderbar mit dem beigefarbenen Hintergrund harmoniert. Das gilt auch für das in Schwarzweiß gehaltene Portrait von Michael Latimer, das gleichermaßen detailverliebt wie rau wirkt – was wiederum perfekt zu Nebendarstellerin Luan Peters passt, die im Hintergrund nur als Schraffur abgebildet ist. Hier sieht man mal wieder, wie wichtig ein gutes Gespür für das Auffüllen von Raum ist. Zwei Charaktere nur, ein Filmtitel, und doch im Ergebnis eine mehr als satte Komposition. Da kann so mancher Cover-Gestalter, der wahllos Filmszenen in den Mixer wirft und die Soße dann auf die Leinwand klatscht, viel von lernen…
Timo Wuerz, der für Cover C verantwortlich zeichnet, ist normalerweise auch einer von denen, die es können. Motivisch fährt er exakt die gleiche Linie wie sein Kollege: Latimer als Portrait in groß, etwas kleiner Peters (in diesem Fall im Vordergrund), dann noch eine ganz kleine Szene dazu. Allerdings fehlt ein wenig die Dynamik, die sich beim Vranckx-Motiv durch das Zusammenspiel der Farbkomponenten und die unterschiedlichen Detailgrade der Zeichnungen ergeben. Wuerz entschied sich für eine seltsame Blau-Rot-Streifenkombination, die so wirkt, als wolle ein Maler eine blaue Tapete mit roter Farbe überstreichen. Entsprechend bieder präsentiert sich das fertige Motiv, obwohl die Portraits als solche gar nicht so viel schlechter gelungen sind als bei Vranckx.
Cover A scheint wohl ein Originalmotiv zu sein, denn es ist das einzige, für das kein Künstler im Booklet genannt wird. Das Layout nutzt eine gewisse Werbeposter-Ästhetik für sich, indem es neben dem Titel einige Darstellernamen und die Tagline verwendet („Irgendwo in London sind 30 Millionen Dollar versteckt. In der Unterwelt ist der Teufel los!“) und das Motiv, nämlich den Hauptdarsteller in kniender Position und drei Damen hinter ihm, komplett auf die linke Seite verfrachtet. Insgesamt wird vielleicht eine Spur zu viel Weiß verwendet, es komplementiert sich aber sehr schön mit dem klaren Lila in dem Kasten im oberen linken Bereich und den Textanteilen. Eine Option wäre vielleicht noch gewesen, den unteren Rand des Mediabooks auch noch in lila Farbe zu tauchen und dafür dann vielleicht den Filmtitel weiß zu machen, aber wer weiß, vielleicht gäbe es dann ja Copyright-Debatten mit einem großen Milchschokolade-Hersteller…
Das Booklet
Alle drei Mediabooks sind auf jeweils 333 Stück limitiert, was bedeutet, dass 999 Käufer die Möglichkeit haben, das 24-seitige Booklet zu lesen, das gleich zwei Texte zu bieten hat, und zwar einen von Christoph N. Kellerbach und einen von David Renske. Ersterer arbeitet sich im wohlbekannten Stil von einer Biografie der frühen Jahre Walkers hin zu einer Vorstellung von „The Big Switch“. Seine Kernthese liegt darin, dass es bei diesem frühen Versuch eines vollwertigen Spielfilms darum ging, das Geschichtenerzählen aus Ausdrucksform zu entdecken, nachdem die frühen Erotik-Shorties lediglich etwas fürs Auge boten. Da Walker sich aus kommerziellen Gründen von der Nacktheit als Zutat seiner Filme jedoch noch nicht trennen konnte, wird „The Big Switch“ als Hybridwerk betrachtet, was ihm in der Retrospektive letztlich auch seinen Wert gebe. Renske wiederum befasst sich mit dem Hauptfilm „Männer der Gewalt“. Dabei spart er sich zum Glück sie Biografie, die Kellerbach ja schon geliefert hatte, und fokussiert sich komplett auf den Betrachtungsgegenstand, den er auf unterschiedliche Einflüsse abklopft, von denen einige Nennungen überraschend, aber einleuchtend sind; etwa die potenzielle Inspiration der Kray-Brüder auf die Entscheidung, eine Bisexualität der Hauptfigur anzudeuten. Darüber hinaus wird der Grad an Realismus im Film abgeklopft, was tatsächlich ein spannendes Thema ist, weil „Männer der Gewalt“ gleichermaßen comichaft wirkt wie er andererseits das Kolorit von Zeit und Ort sehr realistisch einfängt. Mehrere Szenenbilder verteilen sich zwischen den Textpassagen, leider mit einem etwas zu starken Fokus auf diverse Nuditäten, was dem realen Fokus der Filme, die eher Krimis als Erotikfilme sind, nicht ganz entspricht. Production Stills oder Behind-the-Scenes-Fotos wären noch einmal schöner gewesen, standen aber wohl nicht zur Verfügung.
Bild und Ton
Weil „Männer der Gewalr“ zu den rohen ersten Regiewerken Pete Walkers zählt, würde man intuitiv auf dazu passende Charaktereigenschaften beim Bild schließen, also beispielsweise blasse Farben, Unschärfen und jede Menge Grit. Mit entsprechendem Erstaunen blickt man also auf den perfekt aufpolierten Hochglanz, in dem sich Walkers Gangster-Welt da auf einmal ausbreitet. Das heißt keineswegs, dass man das Gefühl hätte, hier einen Hochglanz-Blockbuster oder auch nur ein Edel-B-Picture zu sehen. Alleine schon das fürs Fernsehen ausgelegte 1,33:1-Format spricht da ganz andere Bände, auch das genutzte Color Grading verrät den Ursprung und lässt England so trübe schimmern, wie es die Klischees eben hergeben. Die bei Nacht spielenden Passagen überzeugen bei den Kontrasten nicht, Details gehen unter und allgemein sieht es so aus, als seien die Szenen bei Tage gedreht und in der Postproduktion verdunkelt worden. Umgekehrt setzen die in Afrika gedrehten Abschnitte gegen Ende des Films spannende Kontraste mit ihren freundlichen Sand- und Cyan-Tönen. So oder so, die Bildschärfe übertrifft die Erwartungen.
Schaut in den Trailer von “Männer der Gewalt
Was den Sound angeht, wird vom Label darauf hingewiesen, dass beim englischen O-Ton Korrekturen in Sachen Synchronizität vorgenommen wurden, seien doch die Tonspuren bei früheren Veröffentlichungen asynchron gewesen, was nun für diese Edition korrigiert wurde. Wie groß der Unterschied ausfällt, kann an dieser Stelle mangels Vergleichsmöglichkeit nicht beurteilt werden, beim vorliegenden Originalton konnten auf Anhieb aber keine Asynchronitäten festgestellt werden. Der DTS-Ton liegt in 2.0 vor, basiert aber auf einer Monoquelle und erfüllt ohne Störfaktoren seinen Zweck. Selbiges kann man über die deutsche Synchronisation sagen, deren Stimmen wesentlich präziser klingen als im Original, was natürlicherweise auf den Studio-Charakter hinweist. Es sind durchaus ein paar bekannte Sprecher zu hören, etwa Norbert Gastell (u.a. Homer Simpson) auf Derek Aylward oder Elmar Wepper (u.a. Mel Gibson) auf Hauptdarsteller Michael Latimer. Das veredelt den Film natürlich aus deutscher Sicht noch einmal ein wenig. Untertitel können wie fast immer in Deutsch und Englisch hinzugeschaltet werden.
Der Audiokommentar
Wer den Film bereits kennt, kann auch auf einen neuen Audiokommentar mit Dr. Gerd Naumann, Matthias Künnecke und Christopher Klaese zurückgreifen, die als Trio schon sehr viele Filme für Wicked Vision kommentiert haben, darunter auch die Walker-Streifen „Zeuge des Wahnsinns“, „The Flesh & Blood Show“ und in einer etwas anderen Zusammensetzung (ohne Klaese, aber mit Rolf Giesen) auch „Haus der Todsünden“. Die Rollen sind bei dem eingespielten Team schnell gefunden, Naumann gibt den Kommentator und Künnecke / Klaese treten bald in einen Dialog, der eher von Einschüben Naumanns unterbrochen wird als dass sich mal eine Pause einschleicht. Die Herren geben sich alle Mühe, Walker nicht als primitiven Exploitation-Filmer zu zeichnen, sondern als ein Kind der Zeit, das auf seine Art das britische Independent-Kino mitgeprägt hat – ob bewusst oder unbewusst, wird mit Absicht offen gelassen.
Video-Extras sind mal wieder einige im Gepäck. Eines davon sticht aber natürlich heraus wie die brennende Lunte einer Bombe in einem Bällebad: Der Bonusfilm.
The Big Switch
Originaltitel: The Big Switch__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 1968__Regie: Pete Walker__Darsteller: Sebastian Breaks, Virginia Wetherell, Jack Allen, Derek Aylward, Erika Raffael, Douglas Blackwell, Julie Shaw, Jane Howard, Roy Sone, Nicholas Hawtrey, Brian Weske, Gilly Grant, Desmond Cullum-Jones, Lena Ellis, Steve Emerson, Dan Jackson, Derek Martin u.a. |
Filmfragmente hatte Pete Walker genug angehäuft, als er sich gegen Ende der 60er Jahre langsam dem Spielfilmformat zuwandte. In den Dutzenden von Nudies, die er bis dahin gedreht hatte, stellte er profane Alltagssituationen oder auch Tagträume dar, die stets damit endeten, dass sich seine Darstellerinnen ihrer Kleidung entledigten. Fotografie spielte dabei als Leitthema nicht selten eine Rolle. Walker empfahl sich deswegen zwar nicht gleich als ein zweiter Michelangelo Antonioni, deutete aber schon früh ein gewisses Interesse an Mode und britischer Pop Art an, beziehungsweise daran, diese zu demontieren, so wie er es auf dem Höhepunkt seiner Karriere bisweilen zu tun pflegte.
„The Big Switch“, im Deutschen wenig zimperlich in „Die Sexparty“ umbenannt, ist Walkers erste Regiearbeit, die man rein der Laufzeit nach als einen vollwertigen Spielfilm bezeichnen kann. Anders als der kurz zuvor entstandene 45-Minüter „Der Porno-Graf von Schweden“ und der gleich im Anschluss gedrehte „School for Sex“ versteht er sich nicht als frivole Komödie, sondern als harter Unterwelt-Krimi – ein erster Fingerzeig auf sein kommendes Genre-Werk „Männer der Gewalt“. Weil die Striptease-Elemente wohl als unabkömmlich galten, um die Erwartungen des Zielpublikums zu erfüllen, werden sie kompromisslos in den eher düsteren Handlungsrahmen gezwängt – und entpuppen sich wenig verwunderlich als veritable Fremdkörper, wenn nicht gar als Ballast für die notdürftige Story, die zu diesem frühen Zeitpunkt noch von Walker selbst verfasst wurde.
So gerät also ein Playboy namens John Carter (Sebastian Breaks), der doch eigentlich nur eine Frau in einer Disco abschleppen wollte, in einen Strudel der Kriminalität, bei dem er es nicht nur mit üblen Gangstern zu tun bekommt, sondern auch mit reichlich nacktem Fleisch, das sich ihm regelrecht um den Hals wirft. Warum, wieso, weshalb… wen kümmert’s, denn eigentlich geht es um die Parodie auf das Gangster-Genre durch ihre Demontage: Ohne Expertise, ohne Skript und ohne Plan einmal quer durch die Klischees. Das ist der eigentliche Plan, wenn man so will.
Walker nutzt dazu immer wieder Ideen aus seinen frühen Kurzfilmen, um Situationen zu etablieren und dadurch seine eigene Gangsterwelt im britischen Hinterland zu erschaffen. So gibt es Beispielsweise eine Strip-Poker-Sequenz wie in „Black Jack“ (1965) oder diverse Shootings wie etwa in „Top Models Of The Year“ (1959) oder „Please Do Not Touch“ (1965). Auffällig ist aber, dass sich aus diesen Sequenzen zu keiner Zeit ein natürlicher Fluss ergibt. Die Regieführung zeigt sich eher ratlos, wenn es darum geht, aus diesen Exkursen wieder in die Haupthandlung überzuleiten, wo es um Fingerabdrücke auf Tatwaffen geht, um Folter, Erpressung und Verschwörung.
Die völlig unkonzentrierte Regie schlägt sich wenig überraschend auch auf die Leistungen der Darsteller nieder, die nicht nur beim Posieren und Räkeln unbeteiligt wirken und eher widerwillig Anweisungen zu befolgen scheinen. Vielleicht wäre mehr Mühe aber ohnehin vergebens gewesen, da Talent eben eine Grundvoraussetzung für ein besseres Endresultat wäre. Hinzu kommen diverse technische Fehler etwa bei den Anschlüssen zwischen den Einstellungen oder im Szenenbild.
Dass sich aus diesem halbgaren Stückwerk letztlich dennoch ein halbwegs ohne Längen auskommendes Krimi-Abenteuer entwickelt, liegt sicherlich auch an den teils durchaus mit Bedacht ausgewählten Sets, die aus heutiger Sicht einen schönen Retro-Blick auf den britischen Chic der 60er Jahre erlauben. Eine Verfolgungsjagd mit einem Aston Martin lässt sogar kurz gewisse Bond-Vibes aufkommen und eine Jahrmarkts-Geisterbahn sorgt für eine reizvolle Final-Kulisse, wenn ihr Potenzial auch leider nicht ganz genutzt wird. Man verpasst aber nicht gerade ein Jahrhundert-Event, wenn man die Einladung zur „Sexparty“ auslässt und sich dafür lieber auf die wesentlich interessanteren Arbeiten Pete Walkers konzentriert, die aus dieser mit Kompromissen belasteten frühen Spielerei mit den Grundlagen filmischen Erzählens viel gelernt haben.
“The Big Switch”: Britische Fassung und internationale Fassung
Wäre „The Big Switch“ nicht als Bonusmaterial deklariert, könnte man im Grunde auch guten Gewissens von einem „Pete Walker Double Feature“ sprechen, denn zumindest was die Präsentation angeht, sind beim Bonusfilm gegenüber dem Hauptfilm kaum Abstriche zu machen.
Das fängt bereits damit an, dass „The Big Switch“ gleich in zwei Fassungen enthalten ist, und zwar der britischen Fassung mit einer Laufzeit von ca. 68 Minuten sowie der internationalen Fassung, die noch einmal knapp 9 Minuten mehr auf dem Tacho hat. Letztere bietet in erster Linie etwas mehr Nacktheit. Dabei sind nur selten komplett neue Szenen ausschlaggebend für den Laufzeitunterschied, vielmehr handelt es sich meist um Erweiterungen von Szenen, die bereits in der britischen Version enthalten sind, in der dann aber auch mal die Unterwäsche an bleibt. Durchaus kommen dabei auch mal alternative Takes zur Anwendung (zB. bei der Pokerszene), so dass das hinzugefügte Material nicht unbedingt so wirkt, als sei es wahllos herangeklatscht worden, wie es öfter mal der Fall ist, wenn ein Film nachträglich mit zusätzlichen Nacktszenen angereichert wird.
“The Big Switch”: Bild und Ton
Wie schon bei „Männer der Gewalt“ überzeugt das Bild auch hier mit überdurchschnittlicher Schärfe und Bildreinheit. Derartige Brillanz würde man bei einem britischen Low-Budget-Streifen aus den 60ern eigentlich nicht erwarten. Einzelne Passagen können auch mal etwas unschärfer wirken, insbesondere Outdoor (z.B. die Szenen vor der Geisterbahn), in dunkleren Einstellungen kommt der Kontrast nicht immer mit, aber unter dem Strich übertrifft der HD-Transfer alle Erwartungen. Das Format ist auch hier wieder 1,33:1.
Parallelen zu „Männer der Gewalt“ gibt es aber nicht nur beim Bild, sondern auch beim Ton. Auch hier soll die englische Originalspur wieder „in die Spur gebracht“ worden sein, indem die Asynchronität früherer Veröffentlichungen behoben wurde, nur dass es diesmal wegen einer fehlenden Musik-und-Effekttonspur zumindest in einer Szene nicht möglich war. Prinzipiell entspricht der DTS-Zweikanal-Monoton ansonsten ziemlich exakt den Eigenschaften der Tonspur des Hauptfilms. Wem die gedämpften Dialoge mit britischem Slang zu nuschelig vorkommen, der schaltet auch hier wieder wahlweise deutsche oder englische Untertitel ein. Oder gleich eine der beiden deutschen Synchronisationen, die ebenfalls mit an Bord sind. Eine davon wurde damals für den Kinostart erstellt, die andere für den VHS-Release. Qualitative Unterschiede lassen sich nicht viele machen, in beiden Fassungen findet man ein paar vertraute Stimmen wieder. Auch die Mängel beider Spuren sind ähnlich: So sind zwar die Dialoge jeweils klar und präzise, aber wenn keine Musik im Hintergrund läuft, vernimmt man ein leichtes Grundrauschen. Am Ende entscheidet wohl die Geschmacksfrage über die Auswahl oder auch die Grundsatzfrage „Kino-Original oder Heimkino-Version“.
“The Big Switch”: Die Extras
Sogar ein paar eigene Extras hat der Bonusfilm mitgebracht: Dazu gehört der originale Kinotrailer (3 Min.), der ähnlich verhackstückt wirkt wie der Film selbst, der fast identische deutsche Kinotrailer (3 Min.), allerdings in grieseliger Grindhouse-Qualität und mit einem sensationslüsternen Anheizer als Erzähler, sowie der eingedeutschte Kinovorspann (1,5 Min.).
Weitere Extras
„The Big Switch“ ist inklusive der genannten Extras exklusiv auf der Blu-ray zu finden. Es gibt aber noch ein paar weitere Extras, die auch auf der beiliegenden DVD zu sehen sind. Darunter fällt etwa die Featurette „The Man of Action“, basierend auf einem Interview, das Kino Lorber 2015 mit Pete Walker führte. Der Regisseur bezieht sich darin ganz speziell auf die beiden in der Edition enthaltenen Filme und ordnet sie in das damals in England herrschende wirtschaftliche und politische Klima ein. Dass er nicht mehr allzu viele Erinnerungen an die Dreharbeiten zu teilen weiß, scheint weniger auf Erinnerungslücken zu beruhen als vielmehr auf einem Desinteresse, sich mit belanglosen Anekdoten abzugeben. Das Gespräch zeigt ihn einmal mehr als unheimlich reflektierten Menschen, der seine eigene Relevanz und die des Filmgeschäfts ganz genau zu bewerten weiß und daraus eine sehr nüchterne, bewundernswert realistische Perspektive gewinnt. Mit nur wenigen Details zur eigentlichen Entstehung der Filme bekommt man dadurch dennoch einen gute Vorstellung von dem Klima, in dem diese Filme entstanden.
Weiterhin an Bord ist eine 16-minütige Super-8-Fassung von „Männer der Gewalt“ mit einigen ausgewählten Szenen, die zu einem gerafften Gesamterlebnis der ohnehin bereits schwer nachvollziehbaren Story führen sollen, die man nun noch schwerer durchschaut, zumal kein Ton an Bord ist. Dafür hat es der kunstvolle Vorspann, der Werkstattmord, ein Teil des Afrika-Abschnitts und das Ende hineingeschafft. Das Bild ist dabei schwarzweiß, recht unscharf und mit vielen Schmutzpartikeln versehen.
Dann wäre da noch die „alternative Titelkarte“, eine 5-sekündige Einblendung des Filmtitels auf einem gemalten Hintergrund, bei dem der Alternativtitel „Moon“ vom eigentlichen Titel „Man of Violence“ überblendet wird. Der Originaltrailer (3 Min.) liegt mit restauriertem Bild vor und ist wesentlich narrativer geschnitten als derjenige zu „The Big Switch“; man könnte glatt glauben, man habe es mit einem raffinierten Gaunerstück zu tun. Als Abschluss gibt es noch eine zweiminütige, musikuntermalte Bildergalerie, in der man diverse Stills und Poster zu beiden Filmen geboten bekommt, inklusive aller Mediabook-Motive. Damit ist das Paket abgerundet und wir freuen uns schon jetzt auf die „Pete Walker Collection No. 7“, die bereits auf der Rückseite des Deckblatts angekündigt wird. Diesmal im Programm: Der Thriller „Die Screaming Marianne“.
Sascha Ganser (Vince)
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