Originaltitel: Mission: Impossible – Dead Reckoning Part One__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2023__Regie: Christopher McQuarrie__Darsteller: Tom Cruise, Hayley Atwell, Ving Rhames, Rebecca Ferguson, Pom Klementieff, Vanessa Kirby, Shea Whigham, Cary Elwes, Simon Pegg, Indira Varma, Esai Morales, Henry Czerny, Rob Delaney, Charles Parnell, Mark Gatiss, Mariela Garriga, Yennis Cheung u.a. |
Lauf, Ethan, lauf! Die Kilometeranzeige ist längst im Begriff zu explodieren, aber das Momentum… das Momentum! Gott, wer weiß, ob du jemals wieder diese Höhe erreichst, wenn du einmal abbremst. Bloß keine unnötigen Schlenker nach links und rechts, einfach im erprobten Handkantenstil weiter die Rampe hoch. Gerade jetzt, wo sich der Konkurrent eine längere Verschnaufpause gönnt, musst du genau entgegengesetzt handeln. Der Auftrag lautet: Kontinuität.
Während James Bond mal wieder am Ende einer Ära angelangt ist, scheint die in ihren Anfangstagen noch so wankelmütige „Mission: Impossible“-Franchise endgültig ihre Spur gefunden zu haben und denkt gar nicht mehr daran, auch nur eine Schraube neu anzusetzen. Tom Cruise war ohnehin schon immer der Anker für die Kinoreihe, obwohl ihr Hi-Tech-Spionage-Maskenball jederzeit einen bequemen Austausch des teuren und inzwischen dann doch irgendwie alternden Superstars ermöglicht hätte. Nun aber in die dritte Runde mit Regisseur Christopher McQuarrie zu gehen, das Ganze „Teil eins“ eines brandneuen Double Features zu nennen und dann auch noch in Aussicht zu stellen, dass mit dem 2024 erscheinenden „Teil zwei“ das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht sein wird, ist schon eine Ansage. Nach fast drei Jahrzehnten mit dem gleichen Hauptdarsteller, wohlgemerkt.
Und, wie Vanessa Kirby in einem der vielen Knotenpunkte des neuen Abenteuers mit gekräuselter Nase so schön amüsiert feststellt: The Plot Thickens. In seiner Funktion als Drehbuchautor greift McQuarrie mehr denn je auf die Vergangenheit zurück, um die größenwahnsinnige, gleichwohl bei allem Gaga-Faktor nicht völlig realitätsferne Bedrohung von „Mission Impossible: Dead Reckoning Teil eins“ nicht aus dem Nichts kommen zu lassen. Sie ergibt sich letztlich aus der Larger-Than-Life-Technologie der vergangenen Jahre, aus all den Gadgets, die von Hunt und seinen Gegnern so exzessiv eingesetzt wurden, dass man mitunter nicht mehr sagen konnte, ob eine Person, oder gar eine Situation, wirklich die war, die sie vorgab zu sein. All das bündelt sich nun in einer megalomanischen Konstruktion des Bösen, gefasst in eine abstrahierte, für den menschlichen Verstand greifbare Form, die etwas ansonsten schwer Greifbares verkörpert.
Diese Form ähnelt nicht von ungefähr der Atombombe auf dem Poster von Christopher Nolans neuem Film „Oppenheimer“, der ebenfalls in diesem Juli in den Kinos startet. Eine massive Metallkugel, vernetzt mit Drähten und Kabeln, die letztlich nur eine Hülle für die globale Bedrohung ist, die im Inneren lauert, ohne mit bloßem Auge sichtbar zu sein. McQuarrie bezeichnet seine Variable X ominös als „Die Entität“. Sie hat das Potenzial, eine Atombombe 2.0 zu sein, denn sie ist eine omnipotente KI, die sich verselbstständigt hat und in den falschen Händen das Ende von allem bedeuten könnte.
Cruise, der sich mit seinen Stunts in „Top Gun Maverick“ noch in eine konservierte Vergangenheit katapultierte, nutzt die Fortbewegungsmittel seiner Wahl nun also wieder, um sich blindlings in das aktuelle Zeitgeschehen zu werfen. Schließlich ist die exponentielle Kurve, mit der sich die Entwicklung künstlicher Intelligenz zuletzt entwickelte, derzeit in aller Munde, was einerseits das eskapistische Bedürfnis des Publikums erklärt, sich in die Nostalgie zu flüchten, andererseits aber eine Faszination für die sich rasant verändernde Zukunft nicht ausschließt. So flexibel Cruise bei der Ausrichtung seiner Katapulte ist, um beide Ausrichtungen zu bedienen, so zuverlässig ist in allen Fällen das Spektakel, das er seinem Publikum ein ums andere Mal verspricht: Denn ja, natürlich ist auch diesmal wieder eine Parade verblüffender Kinomomente zu erwarten, wie man sie in dieser Konsequenz außerhalb der Großproduktionen des vielleicht letzten wahren Actionhelden Hollywoods nicht mehr allzu häufig erlebt.
Was das angeht, bleibt „Dead Reckoning Teil eins“ im Gegensatz zu seiner hochaktuellen Thematik erzkonservativ, denn auch in Hollywood kennt man die Formel „never change a running system“. Der strukturelle Aufbau stammt aus dem Baukasten für Agenten-Action: Man weise seine Location Scouts an, die schönsten Set Pieces zu finden, die Natur und Architektur zu bieten haben, lasse sein Stuntteam dort die spektakulärsten Stunts konzipieren, die je in dieser Größenordnung auf eine Leinwand projiziert wurden und bitte den Autor darum, möglichst plausible Entschuldigungen dafür zu finden, damit diese Actionmomente nicht nur um ihrer selbst willen geschehen.
Der MacGuffin, der diesmal die Form eines handlichen kleinen Kreuzschlüssels annimmt, dient als Fuchs bei der Fuchsjagd und sorgt für das „Moving Target“ auf der Navigationskarte. Das ist alles keineswegs so neu wie die dahinter liegende Technologie, im Gegenteil, es ist über Jahrzehnte eingefahrene Bond-Tradition. Diese Aspekte sind nun offensichtlicher als noch bei „Fallout“, der sich tiefer ins Epizentrum der Verwirrspiele begab und mehr falsche Fährten legte, die für den Betrachter seltener als solche zu erkennen waren. Gemäß der globalen Thematik ist der narrative Blickwinkel inzwischen aber höher angesetzt, so dass mehr Übersicht gewahrt bleibt und der Plot mitsamt seiner schlichten Aneinanderreihung von Zwischenstationen einfacher zu durchschauen ist.
Natürlich führt das auch dazu, dass sich „Dead Reckoning Teil eins“ im Vergleich mit seinem direkten Vorgänger etwas mehr nach kalkulierter Expansion einer Wertanlage anfühlt als nach einem in sich geschlossenen Action-Kunstwerk, das gefühlt vor allem von der Lust auf Rekorde angetrieben wurde.. wobei natürlich das offene Ende im „Dune“-Stil auch nicht gerade behilflich ist. Wenn man so will, war die Kinoreihe niemals näher an der TV-Serien-Vorlage dran als dieser Tage, was im Vorspann durch die recht prominent gesetzte Kennzeichnung auch entsprechend hervorgehoben wird. Wer sich von diesen Aspekten allzu sehr einnehmen lässt, wird womöglich enttäuscht das Kino verlassen, zumal der individuelle Charme der ersten vier Einsätze von McQuarries technokratischer, bisweilen auch steriler Handschrift längst verdrängt wurde.
Warum aber sollte man sich auf das „Was“ versteifen, wenn das „Wie“ doch so viel mehr Spaß macht. In gewisser Weise hängt man sogar den hochrangigen Direktoren in der Krisensitzung an den Lippen, wenn sie realisieren, wie sich das Weltgeschehen langsam ihrem Einfluss entzieht (herrlich verdutzt: Cary Elwes), zumal sich die Zaubertricks der Spionage-Einheiten mit grünem Nebel bis in ihre schicken Büros ausbreiten. Tatsächlich geraten selbst solche vermeintlich trockenen Dialogpassagen einigermaßen spannend, weil hier nicht einfach nur absurde Supervillain-Fantasien erörtert werden, sondern der Bezug zur Realität in nicht allzu weiter Ferne liegt.
Aber, gestehen wir es uns ein, einen „Mission: Impossible“ schaut man sich heute wie damals vor allem wegen des lebenden Spezialeffekts in der Hauptrolle an. Ob der Vorversprechen seiner letzten beiden Filme stehen hohe Erwartungen im Raum, die zum Teil sicher auch aus einer Sehnsucht nach handgemachtem Kino resultieren, die von der Dominanz weitgehend computergenerierter Effekte im Blockbuster-Sektor in ungeahnte Höhen getrieben wurde. Die Zeit läuft gegen Cruise, aber der Geist ist offenbar immer noch willig genug, um all die HALO-Sprünge, Helikopter- und Motorrad-Eskapaden noch einmal zu toppen.
Und während die Wiederholung im Bereich der Computeranimation sukzessive zur Ermüdung führt, weiß sie in den Extremen realer Stuntarbeit immer wieder aufs Neue zu beeindrucken, weil jeder Stunt neu geplant, aufgebaut und ausgeführt werden muss. Und „Dead Reckoning Teil eins“ lebt, obwohl er einem erprobten Schema folgt, genau von dieser greifbaren Illusion von Echtheit. Manchmal ist es regelrecht so, als würde sich die natürliche Landschaft zu Ehren von Ethan Hunt zu einem Abenteuerspielplatz verformen: Wenn er mit seinem Motorrad in den österreichischen Bergen (eigentlich: Norwegen) steht und hinter seinem Rücken auf einmal eine Klippe ins Bild ragt, die geformt ist wie eine Sprungschanze, hat das nach Ankerpunkten suchende Skript wieder ein neues Zwischenziel lokalisiert. Treppen in Rom, Clubs in Venedig, Flughafendächer in Abu Dhabi… die Welt ist ein großer Spielplatz für den Spezialagenten, bei dem sich Unmögliches aus der Wahrscheinlichkeit berechnet, in einem bestimmten Zeitfenster von Punkt A zu Punkt B zu gelangen.
Auffällig ist, dass viele der bunt wechselnden Schauplätze in ähnlicher Form bereits in anderen Blockbuster-Franchises der letzten Jahre genutzt wurden. Manches Mal fühlt man sich bei der Mischung aus Wüsten, mediterranen Stadtpanoramen, Clubs und Naturgebieten an die jüngsten Sequels etwa aus „John Wick“, „Jurassic World“ oder „Fast and the Furious“ erinnert, nicht zuletzt natürlich an die letzten „Mission: Impossible“-Teile. Und McQuarrie scheint sie alle auf ihrem eigenen Gebiet schlagen zu wollen. Wenn etwa ein schwarzer Humvee durch die engen Gassen Roms walzt und ganze Parkreihen von Autos und Rollern plattmacht, würde sich ein Vin Diesel wohl an der Ehre gepackt fühlen. Nur wäre er garantiert nicht zu dem Ausmaß an Selbstironie in der Lage, das sich in der daraus entwickelnden Verfolgungsjagd ergibt, die in einem extravaganten Ballett mit David und Goliath als Tanzpartnern mündet. Dabei ist sie von einer vortrefflichen Komik beseelt, selbst wenn die Idee als solche nicht mehr ganz taufrisch ist.
Die Sprengung einer Brücke hatte im Vorfeld wiederum heiße Diskussionen entfacht, so dass am Ende eine andere Brücke dran glauben musste; die Explosion ist dennoch eindrucksvoll anzuschauen, erst recht aber der anschließende Parcours durch die im Absturz befindlichen Abteile, die sich in der Vertikalen in eine Kette tödlicher Fallen verwandeln. Auch hier hallt zuvorderst eine bestimmte Sequenz aus einem älteren Film („Vergessene Welt: Jurassic Park“) nach, aber das „Höher, Weiter“-Prinzip sorgt erneut zuverlässig für eine Steigerung des Adrenalinpegels, wenn fröhlich das Frittenfett brutzelt und sich Funken am austretenden Gas entzünden, während unten der taumelnde Abgrund wartet. Und wo Tom Cruise schließlich höchstpersönlich über selbigem abspringt, ob nun mit dem Motorrad oder mit dem Gleitschirm, sind die Alleinstellungsmerkmale der Reihe erreicht, die man in dieser Form eben nur bei „M:I“ oder alternativ höchstens noch in irgendwelchen obskuren Thai-Actionkrachern mit geringeren Sicherheitsstandards bekommt. Kurzum, die Innovation liegt nicht in der Neuerfindung, sondern im Erhalt des Status Quo und im Versuch von dessen Steigerung, was für sich genommen spektakulär genug ist.
Während Drehbuch und Stunts eher stringent der einfachen Formel eines 100-Meter-Sprints folgen, wird bei der Besetzung auch ein wenig Karussell gefahren. Hayley Atwell steigt in der Rolle einer Diebin (ideal, um den Schlüssel-MacGuffin immer wieder verschwinden und auftauchen zu lassen) quer ein und hat anfangs Schwierigkeiten, sich organisch in das etablierte Team einzugliedern – irgendwo verständlich, wo sie noch die ungemein charismatische Rebecca Ferguson vor der Nase hat, die keinen Deut von ihrer Anziehungskraft verloren hat. Spätestens die Autoverfolgungsjagd in Handschellen dient aber als Eisbrecher und von hier an zündet auch die Chemie zwischen ihr und Cruise etwas mehr. Vanessa Kirby überzeugt gewissermaßen in einer Doppelrolle als biestige White Widow und deren eigenes Duplikat, wohingegen Esai Morales als Antagonist leider ein wenig ausdruckslos bleibt. Hier hätte man vielleicht lieber den ursprünglich angedachten Nicholas Hoult gesehen. Pom Klementieff spielt als blondierter Kampfzwerg herrlich frech auf, ihre Rolle folgt allerdings allzu offensichtlich Schablonen, die in anderen Filmen bereits erfolgreich ausgetestet wurden. Und Cruise ist eben Cruise.
Angesichts der künstlichen Intelligenz, die als Bedrohung operiert, ist es aber vor allem die Menschlichkeit von Ving Rhames und Simon Pegg, die im Support Cast am besten funktioniert, besser vielleicht auch als je zuvor. Wenn Pegg im Österreich-Abschnitt einen Nervenzusammenbruch bekommt und Cruise kurz vor dem vielleicht gefährlichsten Stunt seiner Karriere über Funk mitteilt, dass er mächtig unter Druck steht, ist das nicht einfach nur ein äußerst humorvoller, sondern auch ein warmer Moment, den man nachfühlen kann; denn es sind nicht immer nur die Helden im Rampenlicht, denen die Muffe geht, sondern auch die Operatoren im Hintergrund. Und wenn man mal die Nerven verliert, ist ja immer noch Rhames da, den keine noch so fatale Situation aus der Ruhe zu bringen scheint.
Von einer erneuten Steigerung gegenüber dem fast perfekten Vorgänger „Fallout“ zu sprechen, wäre vermessen. Zu wenig Überraschungen birgt die inzwischen routinierte Regie von Christopher McQuarrie, zu steif hakt das Drehbuch die Eckpunkte eines State-of-Art-Agententhrillers ab, zu sehr fehlt dem immerhin fast drei Stunden langen ersten Teil eines zweiteiligen Story Arcs die Struktur, um rundum zufriedenzustellen. Was Tom Cruise und sein Stuntteam abliefern, ist allerdings immer noch phänomenal und auf diesem Niveau sicherlich einzigartig. „Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins“ giert bei aller Berechenbarkeit eben doch nach wie vor spürbar nach Rekorden und presst den Zuschauer durch seine schiere Konsequenz unweigerlich in den Kinosessel. Die Story, die Bond’schen Over-the-Top-Wahn mit der technischen Realität verknüpft, tut ihr Übriges, dass man mit einem mulmigen Gefühl wie von einer guten Themen-Achterbahn den Sitz verlässt… und sich auf eine weitere Runde im kommenden Jahr freut.
Schaut in “Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins” hinein
“Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins” läuft ab dem 13. Juli 2023 in den deutschen Kinos. Veröffentlichungsdaten für das Heimkino sind derzeit noch nicht bekannt.
Sascha Ganser (Vince)
Was hältst du von dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright aller Filmbilder/Label: Paramount Pictures__Freigabe: FSK12__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein (vorraussichtlich Ende 2023) |