Mit „Tod auf dem Nil“ löst Kenneth Branagh seinen zweiten Fall als Hercule Poirot, erneut unter eigener Regie. Dieses Mal ist der Meisterdetektiv Gast auf einer Upper-Class-Hochzeit während einer Ägyptenreise, auf der ein Mord geschieht. Erneut gibt es eine Ensemble bekannter Namen und Gesichter als Opfer und Verdächtige, dieses Mal unter anderem Gal Gadot, Armie Hammer, Russell Brand, Annette Benning und Sophie Okonedo.
Originaltitel: Death on the Nile__Herstellungsland: USA/Großbritannien__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Kenneth Branagh__Darsteller: Kenneth Branagh, Gal Gadot, Armie Hammer, Sophie Okonedo, Rose Leslie, Tom Bateman, Emma Mackey, Annette Bening, Letitia Wright, Russell Brand, Jennifer Saunders, Dawn French, Ali Fazal, Adam Garcia, Nikkita Chadha u.a. |
Nachdem „Mord im Orient-Express“ als unerwarteter Sleeper-Hit fast das Siebenfache seines 55-Millionen-Dollar-Budgets einspielte, gab man Regisseur und Hauptdarsteller Kenneth Branagh für das Sequel „Tod auf dem Nil“ dann 90 Millionen Dollar an die Hand. Dummerweise sorgten produktions- und pandemietechnische Umstände für rund zwei Jahre Verspätung und einen wenig beachteten Start. Dass am Ende immer noch 137 Millionen Dollar Einspiel drin waren, kann unter diesen Umständen fast als Erfolg gelten.
Natürlich steht Hercule Poirot weiterhin im Mittelpunkt, dem ein erster Prolog mehr Backstory gibt: Während des Ersten Weltkriegs erweist er sich bereits als Mastermind, als er einen präzisen Angriff plant, mit dem seine Truppe eine deutsche Stellung ausheben kann und beim vermeintlichen Himmelfahrtskommando fast keine Verluste erleidet. Man erfährt auch den Grund für seinen exzentrischen Schnurrbart und wer seine große Liebe Katherine (Susannah Fielding) war – eine Krankenschwester, die ihn nach einer Verwundung gesund pflegte. So enthüllt Branagh mehr über den von ihm gespielten Protagonisten, eröffnet weitere Facetten, aber hält noch genug offen, damit die Figur auch für weitere Sequels interessant bleibt.
Mit der Kontinuität zum Vorgänger ist es nicht ganz so weit her. Wurde Poirot am Ende von „Mord im Orient-Express“ direkt für einen Fall nach Ägypten abberufen, so kommt er hier wesentlich später dort an, wo er seinen alten Freund Bouc (Tom Bateman) wiedertrifft, als sich der Detektiv vorgeblich im Urlaub befindet. Bouc lädt ihn zur Hochzeit der reichen Erbin Linnet Ridgeway (Gal Gadot) und ihres Verlobten Simon Doyle (Armie Hammer) ein, die er besucht. Linnet und Simon kennt man bereits aus einer weiteren Prologszene, die drei Monate zuvor in London spielte. Damals war Simon noch mit Jacqueline de Belfort (Emma Mackey) verbandelt, einer alten Freundin Linnets, was natürlich schon den Boden für Zwietracht sät.
Tatsächlich taucht Jacqueline als ungeladener Gast auf der Feier auf, die den üblichen Kreis weiterer Gäste (und damit potentieller Verdächtiger) mit sich bringt. Teil der Feierlichkeiten ist eine Nil-Schifffahrt, während derer der titelgebende Mord geschieht, den Poirot nun aufklären will…
Schaut euch den Trailer zu „Tod auf dem Nil“ an
Obwohl das Opfer auch hier erst zur Halbzeitmarke tot auf dem Nil bzw. auf dem Schiff auf dem Nil aufgefunden wird (so wie im Roman), so ist im Gegensatz zu „Mord im Orient-Express“ wesentlich klarer, wen es denn nun treffen wird. Denn alle Plotstränge laufen beim Hochzeitspaar und dort vor allem bei Linnet zusammen, sodass ein anderes Mordopfer in der Handlungslogik gar keinen Sinn machen würde. Insofern macht es nicht nur plot-, sondern auch marketingtechnisch Sinn, dass Poirot erstmal viel Zeit mit den möglichen zukünftigen Mördern verbringt und man die Figuren besser kennenlernt, während Gal Gadot („Heart of Stone“) als vielleicht angesagtester Gaststar noch einige Screentime bekommt. Die spielt Linette als frivole Erbin, die manchmal gar nicht sehen mag, was sie mit ihren Aktionen anrichtet – für sie ist die Hochzeit mit Simon der Sieg der wahren Liebe, für Jacqueline eine weitere in einer ganzen Reihe von Kränkungen durch Linette.
In Sachen Starensemble kann „Tod auf dem Nil“ nicht mit dem Aufgebot des Vorgängers mithalten. Ein weiterer großer Name ist Annette Benning („Captain Marvel“) als Boucs Mutter Euphemia, während mit Armie Hammer („Codename U.N.C.L.E.“) als Gatte in spe, einem ungewohnt geschniegelten und gescheitelten Russell Brand („Army of One – Ein Mann auf göttlicher Mission“) als Linettes Ex, Rose Leslie („The Last Witch Hunter“) als Dienstmädchen sowie Letitia Wright („Black Panther: Wakanda Forever“) und Sophie Okonedo („Hellboy – Call of Darkness“) als Nichte-Tante-Duo bzw. Blues-Star und deren Managerin Stars und Newcomer aus der zweiten Reihe am Start sind. Andere, darunter Emma Mackey („Barbie“) als leicht psychopathische Ex-Geliebte, Ali Fazal („Kandahar“) als Vermögensverwalter und Jennifer Saunders („Eat the Rich“) als zur Kommunistin gewordene Adelige, haben weniger Zugkraft, ihre Rollen verkörpern jedoch alle Beteiligten stark. Stark ist auch wieder Kenneth Branagh („Tenet“) als Hercule Poirot, dessen Bartwuchs weiterhin imposant, wenn auch nicht ganz so extravagant wie im Vorgänger ist. Als exzentrischer Detektiv mit einer Vorliebe für Ordnung und Balance scheint der Shakespeare-Fan sich eine neue Paraderolle zu erarbeiten, an der er sichtlich Spaß hat.
Tatsächlich machen Branagh und Drehbuchautor Michael Green („Jungle Cruise“) erzählerisch einige Sachen besser als im Vorgänger. So sind der Protagonist und seine Eigenheiten weitaus weniger präsent als in „Mord im Orient-Express“ und drohen nicht mehr den eigentlichen Fall an die Seite zu drängen. Dennoch gibt es wichtige Infos über den Detektiv, etwa dass seine große Liebe Katherine verstorben ist. So darf er sich auch etwas emotionaler geben, gerade im Schlussakt, der für Poirot eine harte Prüfung bereithält. Das Thema Liebe ist ein Leitfaden, der nicht nur diverse Figuren des Films umtreibt, der nicht ohne Grund während einer Hochzeitsfeier spielt, sondern auch durch Poirot betont wird. Zudem sind die berühmten kleinen grauen Zellen des Schnüfflers mehr gefragt, während auf kleinere Actioneinlagen wie im Vorgänger verzichtet wird.
An „Tod auf dem Nil“ zeigt sich zudem, dass „Mord im Orient-Express“ mit seiner sehr speziellen Auflösung und seinem besonders komplizierten Figurengeflecht alles andere als ein optimaler Franchise-Starter war. „Tod auf dem Nil“ ist letzten Endes der verständlichere Film, in dem die Figuren wesentlich mehr Raum zum Atmen haben, in dem mögliche Mordmotive wesentlich besser etabliert werden. An der Romanvorlage wurden ein paar Änderungen vorgenommen, indem man einige Figuren zusammenlegte oder etwas abänderte. Die Auflösung ist freilich identisch mit dem Roman und überzeugt auch hier als cleverer Clou, ohne das Publikum zum Narren zu halten. Ähnlich wie Poirot hat man alle nötigen Infos zur Hand, doch die meisten Leute dürften sie nicht so geschickt zusammensetzen können wie Agatha Christies Meisterdetektiv.
Freilich ist an „Tod auf dem Nil“ auch nicht alles Gold, was glänzt. Einige Nebenfiguren und deren Mordmotive sind so schwach, dass diese gar nicht erst als Täter in Frage kommen. Noch dazu bleibt es nicht bei einem Mordopfer, wodurch der Verdächtigenkreis schnell kleiner wird. Und nicht zuletzt kann man schon erahnen, wer wohl für Tod auf dem Nil verantwortlich ist, auch wenn man vielleicht nicht alle Details zum Warum und zur Mordmethode errät. Doch die Figurenzeichnung ist etwas zu eindeutig, um das Publikum in mancher Hinsicht auf eine falsche Fährte zu locken, was schade ist. Da etablierte „Mord im Orient-Express“ für eigentlich jede Figur ein plausibles Motiv, ließ diesen halt nur keine Zeit zum Atmen.
Wie schon der direkte Vorgänger kann auch „Tod auf dem Nil“ auf eine opulente, wenn auch größtenteils aus dem Rechenknecht stammende Kulisse bauen. Neben dem Flussdampfer gibt es einen Pyramidenbesuch und die Hochzeitsfeier zu sehen, außerdem die von Kameramann Haris Zamberloukos („Meg 2: Die Tiefe“) aufregend gefilmten Prologszenen im Ersten Weltkrieg (in schwarz-weißer Anmutung) und beim Ball in London (mit entfesselter Kamera). Das durch CGI erschaffene Ägypten sieht teilweise etwas künstlich aus, doch merklich überzeugender als die PC-Kulissen in „Mord im Orient-Express“ – das erhöhte Budget merkt man auf der Leinwand. Wenn Krokodile nach Vögeln schnappen oder ein Fisch ein versenktes Objekt angreift, findet „Tod auf dem Nil“ auch ein paar hübsche visuelle Metaphern für die Haupthandlung: Unter der vermeintlichen ruhigen (Wasser-)Oberfläche lauern Aggression, Missgunst und Tod.
Tatsächlich verbessert „Tod auf dem Nil“ einige Dinge gegenüber dem Vorgänger „Mord im Orient-Express“: Dadurch, dass Poirot nicht so überpräsent ist, bekommen der Fall und die Verdächtigen mehr Luft zum Atmen, die Auflösung und die möglichen Mordmotive sind verständlicher, die CGI-Kulisse sieht etwas besser aus. Schade nur, dass „Tod auf dem Nil“ es weniger gut versteht das Publikum an der Nase herumzuführen und viele falsche Fährten nicht zünden wollen. Eine nette Sache, das Potential für einen echten Poirot-Knaller bieten Branaghs Adaptionen auch – er muss ihn aber noch finden.
20th Century Studios/Walt Disney hat „Tod auf dem Nil“ in Deutschland auf Blu-Ray und DVD veröffentlicht, ungekürzt ab 12 Jahren freigegeben. Die DVD verfügt über keinerlei Bonusmaterial, die Blu-Ray über entfallene Szenen, Featurettes und den Trailer zum Hauptfilm. Auf der Streamingplattform Disney+ wird das Bonusmaterial ebenfalls zur Verfügung gestellt.
© Nils Bothmann (McClane)
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