In der Indie-Dramedy „Dummy“ hat Adrien Brody als Sonderling mit Ende 20 genug von seinem langweiligen Leben und schmeißt den Bürojob hin, um eine Karriere als Bauchredner zu starten. Die spleenige Familie ist eher ein Hindernis, moralische Unterstützung gibt es von Best Buddy Milla Jovovich, die auch bei der Eroberung von Love Interest Vera Farmiga helfen will.
Originaltitel: Dummy__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2002__Regie: Greg Piritkin__Darsteller: Adrien Brody, Milla Jovovich, Illeana Douglas, Vera Farmiga, Jessica Walter, Ron Leibman, Jared Harris, Mirabella Pisani, Helen Hanft, Richmond Hoxie, Adam LeFevre, Poppi Kramer, Alan Demovsky u.a. |
Twentysomethings auf der Suche nach Sinn im Leben, ein beliebtes Sujet vor allem im Independent-Bereich. Waren es in den 1990ern jedoch in Filmen wie „Clerks“ und „Singles“ vor allem desillusionierte Vertreter der Generation X, so wurden die Figuren in den 2000ern mit Werken wie „Garden State“ und „Dummy“ zunehmend versehrter.
So gehört auch Steven Schoichet (Adrien Brody) zu den Protagonisten, die Ende 20 sind und der baldigen Highschool-Reunion eher nicht so begeistert entgegensehen. Steven wohnt daheim, hasst seinen langweiligen Bürojob und hat das Gefühl nichts in seinem Leben erreicht zu haben. So weit, so bekannt. Doch Steven hat eine reichlich spleenige Familie. Vater Lou (Ron Leibman) bastelt den ganzen Tag nur an Modellschiffchen herum und lässt dabei gern Pornos im Hintergrund laufen. Mutter Fern (Jessica Walter) ist für Dauerversorgung der Familie mit Essen zuständig (ein Nein wird nicht akzeptiert) und besteht darauf, dass Tochter Heidi (Illeana Douglas) depressiv ist. Die wiederum widerspricht (völlig zu Recht) und ist noch mit das normalste Familienmitglied, leidet aber darunter, dass ihr Geschäft als Hochzeitsplanerin schlecht läuft und ihr Ex-Freund Michael (Jared Harris) ihr noch immer nachstellt.
Dass Steven aus dieser Situation ausbrechen möchte, ist klar. Jedoch will ausgerechnet Steven, der stille, verhuschte, in sich gekehrte Schüchterling, eine Karriere als Bauchredner starten. Moralische Unterstützung gibt es von seiner Schulfreundin Fangora ’Fanny‘ Gurkel (Milla Jovovich), die mit ihrer lauten, expressiven Art das Gegenstück zum ihm bildet, als erfolglose Sängerin einer erfolglosen Punkband, die immer noch daheim bei der kontrollsüchtigen Hypochonder-Mutti wohnt, aber auch reichlich Gemeinsamkeiten zu Steven hat. Nett ist auch die Frau vom Arbeitsamt, Lorena Fanchetti (Vera Farmiga), die Steven seine Ambitionen nicht gleich ausredet, sondern zur Kenntnis nimmt wie jede andere berufliche Neuorientierung.
Steven kauft sich eine Bauchrednerpuppe, einen Dummy, den er ganz unkreativ auch nur Dummy nennt. Doch je mehr er damit umgeht, desto besser wird er nicht nur darin, desto mehr kommt er auch aus seinem Schneckenhaus und will sogar Lorena um ein Date bitten…
Schaut euch den Trailer zu „Dummy“ an
Es ist eine Routine der Bauchrednerdarbietungen, dass der Redner als seriöse Instanz dasteht, während die Puppe all die krassen Dinge sagen darf. Weil sie anstößig, abseitig oder verboten sind – oder weil es Wahrheiten sind, die niemand gern offen aussprechen möchte. Letzteres ist bei Steven der Fall, gleichzeitig Performance und Selbsttherapie. Über die Puppe als Medium kommt er aus seinem Schneckenhaus, entwickelt mehr Mut und traut sich immer mal wieder seiner Umwelt die Meinung zu geigen. Natürlich besteht der obligatorische Lern- und Abnabelungsprozess des Films darin, dass Steven erkennt, dass er all diese Dinge irgendwann auch ohne die Puppe tun muss, dass er „erwachsen“ werden muss. Am Ende kommt es dann auch so, wobei „Dummy“ dann auch noch gleich Erlösungen und Durchbrüche für drei bis vier Nebenfiguren einbaut, womit man sieht, dass die Happy-End-Kitsch-Fraktion im Independentkino genauso bedient werden kann wie im Mainstream.
Aus den frechen Kommentaren der Puppe zieht „Dummy“ dann auch einen gelungenen Teil seiner Komik. Für weitere Gags sorgen die Spleens der Nebenfiguren, die jedoch wesentlich weniger gut funktionieren, da sich die Running Gags irgendwann totlaufen. Nach dem vierten aufgezwungenen Sandwich ist der Übermutter-Komplex von Glucke Fern einfach auserzählt. Witziger ist es da beispielsweise, wenn sich Fanny in jiddische Klezmer-Musik einarbeitet, damit sie und ihre Band überhaupt man einen Gig auf einer von Heidi organisierten Hochzeit bekommen – spielen sie halt Klezmer-Musik mit Punk-Einflüssen. Wie so viele Nebenfiguren bleibt Fanny aber eher Comic Relief: Sie flucht wie ein Seemann, schenkt Steven grundsätzlich nur geklaute Sachen und stiftet ihren Kumpel zu gut gemeinten, aber letztendlich katastrophalen Aktionen an.
So bleibt Steven das Herz des Films, der eine Dramedy ist. Neben seinem Aufblühen ist es dabei vor allem seine aufkeimende Beziehung zu Lorena, die Herzen gewinnt. Ein gewisses Maß an Suspension of Disbelief gehört freilich dazu, wenn man glauben möchte, dass sich die alleinerziehende Mutter auf diesen Kind-Mann einlässt. Allerdings gelingt es „Dummy“ Steven so sympathisch und gutherzig zu zeichnen, dass er nicht nur Lorena, sondern auch das Publikum für sich einzunehmen weiß. Auch das ist natürlich gewissermaßen Klischee, dass auch die Sonderlinge bei allen Reifeprozessen in erster Linie sie selbst sein müssen, um Liebe und Anerkennung zu finden, aber Regisseur und Drehbuchautor Greg Pritikin kann das recht überzeugend verkaufen.
Dass dies gelingt, liegt natürlich auch an der Besetzung, die zu diesem Zeitpunkt größtenteils aus wenig beschriebenen Blättern bestand. Den meisten Star-Appeal brachte tatsächlich Milla Jovovich („Monster Hunter“) mit, die als quirliges Punkgirl ihre Indie-Credibility beweisen will, manchmal vielleicht etwas dick aufträgt, aber doch einen guten Job macht. Adrien Brody („Ghosted“), dessen Durchbruch im gleichen Jahr mit „Der Pianist“ kommen sollte, kann den Film auf seinen Schultern tragen und schafft die Balance, dass Steven zwar als Sonderling, aber nicht lächerlich oder erbärmlich rüberkommt. Mit Vera Farmiga („Godzilla II“), damals auch noch unbekannt, hat er eine starke Spielpartnerin, die Lorena als einfühlsame, aber auch entschlossene alleinerziehende Mutter verkörpert. Illeana Douglas („Action“), Jessica Walter („Arrested Development“), Ron Leibman („Der Senkrechtstarter“) und Jared Harris („The Man from U.N.C.L.E.“) machen gute Arbeit als witzige, wenn auch etwas eindimensionale Nebenfiguren, die daher nicht die höchsten Ansprüche stellen.
„Dummy“ beschreitet mit seiner Geschichte vom Sonderling, deren reifen muss und Liebe findet, keine allzu neuen Pfade, wirkt mit dem forcierten Konsens-Ende etwas bemüht und verlässt sich manchmal zu sehr auf seine Running Gags, bringt das Altbewährte aber ganz charmant rüber. Gerade die Besetzung reißt viel raus, der titelgebende Dummy ist sowohl als Witze-Lieferant als auch als Entwicklungskatalysator des Protagonisten ein netter Touch. Nichts Weltbewegendes, aber schon okay.
Knappe:
„Dummy“ ist hierzulande bei I-On New Media/Warner auf DVD erschienen, ungekürzt ab 6 Jahren freigegeben. Das Bonusmaterial besteht aus fünf entfallenen Szenen.
© Nils Bothmann (McClane)
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