Originaltitel: Deadstream__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Joseph Winter, Vanessa Winter__Darsteller: Joseph Winter, Melanie Stone, Jason K. Wixom, Pat Barnett, Marty Collins, Perla Lacayo, Cylia Austin-Lacayo, Hayden Gariety, Ariel Lee, Jaxon Harker, Jeremy Warner, Brenden Bytheway, Doug May, Ruby York, Gabriel Casdorph, Brad Warwood, Tiffany Bori u.a. |
New York, 1989. Ein brodelnder Fluss aus rosa Schleim unter New Yorks Straßen. Das konnte man wirklich mal mit Fug und Recht einen „Deadstream“ nennen. Ektoplasma und Wissenschaftlerhumor, einmal gestrudelt, geschüttelt und gerührt. Grusel und Komödie verschmolzen im Strom zu einer Melange, zwei Genres, ein Dreamteam, aufgekocht zu einem untrennbaren Gemisch. Das kriegst du nie wieder aus den Overalls. Er schleimte mich voll, wahrhaftig.
Eine Hütte im Wald, 2022. Inzwischen läuft der Stream nicht durch die Kanalisation, sondern übers Internet. Für die Moleküle ist es unter diesen Voraussetzungen nicht mehr so einfach, sich zu verbinden. Wie soll das auch gehen, wenn das Medium aus seiner Unsichtbarkeit tritt und sich wie ein fette, reflektierende Glasscheibe zwischen Inhalt und Wahrnehmung schiebt, auf der auch noch permanent Kommentare von der Gefolgschaft eingeblendet werden? Aus „Deadstream“ wird „dead | stream“. Hier das Reich der Toten, das Jahrzehnte in Frieden ruhte, da der Typ, der auf einmal mit Kameras am Körper aufkreuzt, so wie früher die Ein-Mann-Kapelle mit ihren Instrumenten auf dem städtischen Marktplatz, nur dass es diesmal keine Musik gibt, sondern allerfeinsten Blödsinn, geplappert ohne Punkt und Komma. Das fühlt sich ungefähr so organisch an wie ein It-Girl, das man auf den Bau geschickt hat.
Entsprechend skeptisch begegnet man Alleinunterhalter Shawn (of the Deadstream) zunächst, der die Ignoranz seiner Generation gegenüber allem Altmodischen wie eine Dunstwolke hinter sich herzieht. Ein eher unsympathisch wirkender Zeitgenosse, weil er respektlos durch die heiligen Hallen des Horrors trampelt, nur der Selbstinszenierung wegen. Click right here and subscribe.
Aber: Da ist was im Busch. Die Anspielungen auf unsere liebsten Horrorklassiker häufen sich, und wenn sie auch unbemerkt an Joseph Winter als Hauptdarsteller vorbeigehen, Joseph Winter als Regisseur und Drehbuchautor weiß ganz genau, worauf er sich da bezieht. Einer der jüngeren Klassiker, „Blair Witch Project“, liefert das Baugerüst. Logisch, wo wir uns doch in seinem Subgenre der verlorenen und wiedergefundenen Videobänder befinden. Death Manor, das klingt opulent wie eine barocke Villa aus einem klassischen Geisterfilm, es ist aber eigentlich nur ein kleines Einfamilienhäuschen im Wald mit Parterre und Obergeschoss. Genau wie das Knusperhäuschen aus dem Blair-Witch-Finale. Aber taugt das wirklich als Set für einen ganzen Film?
Wie so oft kommt es nicht auf das Werkzeug an, sondern auf denjenigen, der es schwingt. Unser Protagonist stiehlt sich unter dem Druck, Content liefern zu müssen, in die Baracke und organisiert eine Besichtigungstour wie ein Makler, der sein Objekt selbst zum ersten Mal zu sehen bekommt. Seine Follower, zu denen auch wir gehören, bekommen auf Anhieb ein gutes räumliches Gefühl für die Kulisse, als wäre parallel die Google-Maps-App aktiviert. Tür zu und Schlüssel weg. Point Of No Return. Die Treppe hoch und wieder runter. Einmal im Uhrzeigersinn durch die Wohnbereiche und wieder hoch. Durch das offene Fenster, eine Runde im Garten drehen und wieder rein. Anders als von „Blair Witch Project“, „Katakomben“, „Grave Encounters“ und vielen anderen vorgelebt, arbeitet „Deadstream“ kaum mit dem beklemmenden Gefühl, sich langsam in einem Irrgarten zu verlaufen. Es ist eher wie bei „The Deep House“, einem weiteren Influencer-Found-Footage-Streifen der jüngeren Zeit. Die Strategie liegt darin, einen aus dem Alltag sehr vertrauten Grundriss in einen Lost-Place-Kontext zu versetzen. Man wird daran erinnert, dass die eigene Geborgenheit des Moments an einem lebhaften Ort zur Vergänglichkeit verurteilt ist. Der Horror nährt sich nicht aus dem Unerklärlichen, sondern aus dem Verfall des Behüteten.
Horror? In Verbindung mit Comedy bedeutet das oft nicht mehr als reine Genre-Kategorisierung, aber hier darf man den Begriff durchaus wieder als Maßeinheit für die Herzfrequenz hernehmen, was durchaus ungewöhnlich und daher äußerst erfrischend ist. So albern Shawn als Charakter sein mag, mit seinen affektierten Mädchenschreien, seiner In-die-Nase-Kameraführung (ein weiterer Verweis auf die Blair’sche Hexenjagd, natürlich) und seinem von Tape abgespielten Fahrstuhl-Grusel-Ambient-Mixtape, das gleichzeitig als Filmsoundtrack dient, der per An- und Austaste bedient werden kann… „Deadstream“ ist tatsächlich auf einer gewissen Ebene, ja, gruselig. Das hat nicht ausschließlich mit der heruntergekommenen Schauerkulisse voller Krempel und Wandkrakeleien zu tun, die mit hektischer Flashlight-Beleuchtung aus dem Tiefschlaf geweckt wird wie eine Fledermaushöhle, in der man einen Scheinwerfer aufstellt. Während andere Found-Footage-Filme fast immer auf eine ganze Gruppe von Figuren setzen (wenn schon nicht, um immer ein paar Leute vor der Linse zu haben, dann zumindest, um die Gruppe per Drehbuch langsam dezimieren zu können), setzt dieser hier radikal auf Einzelkämpfermodus. Eine Millionen-Gefolgschaft ist zwar live dabei, kann aber im Ernstfall nicht eingreifen. Keine Mami, nach der man schreien kann, wenn es zu gruselig wird, nur der tapfere kleine Junge und die Geister, die er rief. Das macht schon was mit einem. Man will nicht Shawn sein, wie einer seiner Follower anmerkt. Dass dessen dumme Sprüche und die seiner Fans es trotz sichtbarer Bemühungen nicht schaffen, die Horror-Atmosphäre aus den Gemäuern zu vertreiben, ist wirklich bemerkenswert. Selbst als unerwarteter Besuch aus der Menschenwelt auftaucht (Melanie Stone in der einzigen größeren Nebenrolle des Films), verschafft das nur kurzfristig Erleichterung, „Deadstream“ mag an der Oberfläche eine Komödie sein, doch sie ist es nur, weil das Pfeifen im Walde sich an einer lustigen Melodie versucht. Der Wald bleibt düster, egal wie laut das Pfeifen erschallt.
Und das bringt wohl irgendwie die Deadites aus Sam Raimis Waldhüttenkollerklassiker „Evil Dead“ auf den Plan. Der wird nicht umsonst ausgiebig auf dem Artwork zitiert, denn die Geister, mit denen Shawn es zu tun bekommt, besitzen ein sehr ähnliches Humorverständnis. Es wird gekichert, es wird geknautscht, es wird mit den Augen gerollt und als Angriffsflächen werden teils recht merkwürdige Körperregionen ausgemacht. Glasige Augen, weißes Make-Up und gebleckte Zähne, die wie kleine gelbe Segelschiffe auf einem Skorbutmeer treiben, aufgedunsene Vollkörperprothesen, platzende Schleimknödel und Gollum, der seinen Ring im Gestrüpp sucht, wo andere ihre Zündkerzen reinwerfen. Das Monsterdesign ist billig, schrullig und schrill, pendelt auf der Klinge zwischen infantil und bedrohlich, ohne dass man je weiß, auf welche Seite es kippen wird. Selbst wenn die Kreaturen auf einmal im Bild sind, verfliegt der Horror nicht wie bei einem handelsüblichen Jump Scare, sondern er hält sich wie ein Furz in einem Sessel, und man muss schon ordentlich lüften, um ihn aus dem Zimmer zu bekommen.
Anstatt die ohnehin schon vollgeschmierten Wände mit konkreten Filmzitaten vollzukleistern, wie es für postmoderne Horrorfilme üblich wäre, arbeiten sich Joseph Winter und seine Frau Vanessa lieber durch unzählige Genrekonventionen. Gruseliger Junge sitzt mit Rücken zum Betrachter in einem Raum? Ein kleines Bündel kauert unter dem weißen Laken? Geisterattacke aus dem Wandschrank? Alles schon dagewesen, aber gerade deswegen findet das Duo auf dem Regiestuhl immer wieder unerwartete, oftmals wahrlich unheimliche Wege, solche Situationen aufzulösen.
Die Internetverbindung auf dem mitgebrachten Tablet und Laptop bleibt bei all dem Treiben unerwartet stabil, und so läuft der Meta-Kommentar, wann immer ein Statement gemacht werden muss, an der rechten Bildschirmseite als Livestream mit. Die Winters verarbeiten darin sicherlich auch ein wenig ihre Ängste als Filmemacher, wenn sie Shawns Aktivitäten gerade in der ersten halben Stunde von gelangweilten Usern kommentieren lassen, die ihr Interesse zu verlieren drohen. In diesen Momenten kommt auch ein wenig der Geist selbstreferenzieller Indie-Filme wie „One Cut of the Dead“ durch, obwohl dessen doppelte und dreifache Böden zu keiner Zeit geöffnet werden. Selbst die rund ums Haus aufgebauten Überwachungskameras werden nur punktuell für Suspense-Spielereien genutzt, etwa bei einer ersten Geistererscheinung im Flur oder bei einer auf Zeitdruck ausgerichteten Parallelmontage im Auto, die zwischen einem hilfreichen User-Video und einer Außenaufnahme pendelt, auf der man sieht, wie sich ein Zombie langsam wieder aufrappelt.
„Deadstream“ ist sicher nicht der Film, der das momentan auf Standby geschaltete Found-Footage-Genre in eine neue Dimension befördert, aber es gelingt ihm durchaus, frischen Wind in die staubigen Gemäuer zu blasen – und zwar mit viel weniger Aufwand als Alexandre Bustillo und Julien Maury, die für „The Deep House“ gleich ein Haus am Grunde eines Sees besuchen mussten, ohne dass das Ergebnis auch nur halb so effektiv ausgefallen wäre. Shawn ist zwar ein gewöhnungsbedürftiger Tourguide auf diesem Trip, auch macht das limitierte Set zunächst nicht den Eindruck, als könne es der Laufzeit eines ganzen Films standhalten. Dem Ehepaar Winter gelingt aber eine erstaunlich gut funktionierende Mischung aus Influencer-Satire und Geisterhorror, ohne den Grusel unter dem Blödsinn leiden zu lassen. Zwischendurch wird auch den großen Namen Tribut gezollt, die vermutlich die filmische Sozialisation der Macher mitgeprägt haben und die Mittel moderner Kommunikationstechnologie werden zumindest ansatzweise in Anspruch genommen. Hätte man sich frühzeitig aus dem Stream ausgeklinkt, hätte man definitiv was verpasst.
Informationen zur Veröffentlichung
„Deadstream“ erschien im August 2023 über Plaion Pictures auf Blu-ray und DVD, auf Wunsch auch mit beiden Medien kombiniert im Mediabook inklusive 20-seitigem Booklet mit einem Text von Peter Osteried. In Sachen Extras ist eine Menge zu holen; selbst ohne den enthaltenen Audiokommentar mit den Machern kommt man dank gelöschter bzw. erweiterter Szenen, Making Ofs, Patzern, Testaufnahmen, Trailern und weiteren Features auf mehr als 100 Minuten Laufzeit. Wer auf Disc und Extras verzichten kann, wird natürlich auch bei den gängigen Streaming-Anbietern fündig.
Sascha Ganser (Vince)
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