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Das unheimliche Erbe

Originaltitel: 13 Ghosts__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1960__Regie: William Castle__Darsteller: Charles Herbert, Jo Morrow, Martin Milner, Rosemary DeCamp, Donald Woods, Margaret Hamilton, John Van Dreelen, Jeanne Baker, John Burnside, William Castle, David Hoffman, Roy Jenson, William Kelley, Hubie Kerns, Darryl Scott McFadden, Jack Nestle, Zamba u.a.

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Cover

Das Cover der Inddicator-Blu-ray von “Das unheimliche Erbe” unter dem Originaltitel “13 Ghosts”.

Wenn die Strecke zwischen Projektion und Kinosessel wichtiger wird als der eigentliche projizierte Inhalt, dann hat wohl William Castle seine Finger im Spiel. Kino mal begriffen als spektrales Erleben, emanzipiert von der kastenförmigen Limitation des eigenen Mediums, so tasten sich unter seiner Regie Geisterfinger aus trägen Lichtpartikeln durch den abgedunkelten Raum vor, um ganz reale, physische Wirkung beim Betrachter auszulösen. Richtet sich daraufhin die Gänsehaut auf und beginnt das Rückgrat zu kribbeln, dann hat der Vorführer seinen Job erfüllt. Und für ihn ist das betrachtende Auge der Schlüssel zu seinem Ziel. Wenn er es nur entsprechend zu manipulieren weiß, erhält er Zugang zur Steuerzentrale für allerlei Körperreaktionen.

Das unheimliche Erbe

In den 50er Jahren setzte sich die anaglyphe 3D-Technologie im Kino durch, mit der filmische Objekte greifbarer gemacht werden sollten. Man ließ die Besucher durch Brillen mit je einem roten und einem grünen oder blauen Glas blicken, um glubschäugige Aliens und andere Kreaturen aus der Leinwand poppen zu lassen. Aber das war noch nicht genug der Illusion für einen Out-of-the-Box-Denker wie Castle; also erfand er für seinen neuesten Schocker kurzerhand „Illusion-O“. Spürbar inspiriert zwar von den 3D-Filmen seiner Zeit, folgten diese aber wohl für Castles Geschmack immer noch zu sehr den linearen Eigenschaften des Films. Und so trennte er für seinen neuesten Coup einfach die Rot-Blau-Schichten voneinander und überließ es dem Zuschauer, mit welcher Farbe er es halten wollte. Gehörte man zu den zarten Gemütern, wählte man die blaue Brille, mit deren Hilfe die Geister auf der Leinwand verschwinden sollten. War man jedoch tollkühn genug, den Anblick der grausigen Gesellen zu ertragen, griff man zur roten Brille, um einen ungehinderten Blick auf die blutige Zwischenwelt werfen zu können, die wie unsichtbare Tinte auf der uns sichtbaren Dimension eingeprägt war.

Rot und Blau also, wie die Pillen der Wahrheit und des Vergessens aus „Matrix“, ihren Ursprung nehmend in den kleinen blauen und roten Fenstern einer 3D-Brille, die nicht mehr länger nebeneinander angeordnet waren, sondern übereinander. Indem der Zuschauer zu einer Entscheidung zwischen zwei Optionen gezwungen wird, teilt sich die lineare Struktur des Films auf zwei Parallelpfade auf, und aus dem vermeintlich altmodischen Gruselstreifen wird ein interaktives, auf den Einzelnen abgestimmtes Event.

Mit „13 Ghosts“, hierzulande seit Kinostart vor allem als „Das unheimliche Erbe“ bekannt, opfert Castle praktisch alles diesem einen Gimmick. Wie so oft tritt er vor Beginn der eigentlichen Handlung höchstpersönlich als Host in Erscheinung und wird zum Architekten, der die Funktionsweise seiner selbst errichteten Matrix nicht einfach nur im Stil einer Betriebsanleitung erklärt, sondern sie auch noch beispielhaft demonstriert. Nur ein kleiner Regie-Hinweis des Mannes, der da wie ein kleiner Hitchcock vor seinem Schreibtisch posiert, und schon atmet er blaue Luft; ein weiteres Signal, und sie wird rot, bevor sie ebenso präzise getaktet wieder zum standardisierten Schwarzweiß wechselt. Dies wird kein vollwertiger Spielfilm werden, weiß man da bereits, dies wird eine Achterbahnfahrt, wie schon „Das Haus auf dem Geisterhügel“ eine war.

Das unheimliche Erbe

William Castles neueste Erfindung: Illusion-O!

Man wundert sich dann auch nicht unbedingt, wenn die eigentliche Story bei all dem Trubel um „Illusion-O“ auf der Strecke bleibt. Streng genommen geht es um einen mittellosen Mann mit Familie, der eine kleine Villa von seinem Onkel erbt, welcher ein exzentrisches Leben als Okkultisten gelebt hat. Noch während sich der Erbe im Büro des Notars die Schlüssel abholt (und die Lizenz zum Gruseln), hat man das inhaltliche Gerüst bereits im Geiste abgehakt. Von den Figuren hat man nichts als Klischees und Stereotype zu erwarten; von der merkwürdigen Haushälterin (Margaret Hamilton) bis zum Familienvater (Donald Woods) sind alle in den kleinen Routinen gefangen, die ihre Rollen mit sich bringen, wobei sich gerade Letzterer so eingeengt zu fühlen scheint, dass er bald mit comichaften Fratzen zu reagieren beginnt, die eines Castle nur angemessen erscheinen. Wer über die Grimassen hinaus noch mehr Spektakel verlangt, für den heißt es von nun an einfach warten, bis sich das Bild zum ersten Mal verfärbt.

Das unheimliche Erbe

Sobald sich dann schließlich rote Konturen auf blauem Farbfilter manifestieren und die Hausbewohner sich mit den schrecklichen Plagegeistern konfrontiert sehen, spielt „Das unheimliche Erbe“ ungehindert seine Vorzüge aus. Heutzutage gibt es selbstverständlich keinen Grund mehr, auf die „Ghost Remover“-Fassung zurückzugreifen, die zumindest noch ein paar Umrisse der Erscheinungen offenbart, die von der technischen Abteilung nicht aus dem Material retuschiert werden konnten. Alles spricht dafür, dass man den naiven Charme der Rotblau-Höhepunkte in vollen Zügen auskosten möchte. Anlässlich der recht umständlichen Kopiereffekte zieht sich die Handlung dann für Minuten zurück, sie scheint sogar im Fluss der Zeit stehen zu bleiben und gemeinsam mit dem Betrachter auf die Kreaturen zu starren.

Schnitt und Kamera sind darauf ausgerichtet, den Geistern eine Bühne zu bereiten; wer auf Blau setzt, wird manches Mal einen Bildkader erwischen, der einfach eine leere Wand abfilmt, bei der sich die Darsteller am Rand oder ganz offscreen befinden. Die Besucher sind durchaus einfallsreich maskiert und in Szene gesetzt; insbesondere ein (echter) Löwe samt kopflosem Dompteur hinterlässt nachhaltigen Eindruck, aber auch ein brennendes Skelett, ein irrer Axtschwinger samt schwebendem Kopf und eine weinende Frau setzen die Geisterbahntradition des Regisseurs wirksam fort. Von einer ausbalancierten Dramaturgie oder einer Kontextualisierung der Erscheinungen ist allerdings nicht viel zu spüren. Wenn man dem 2001er Remake einen solchen Vorwurf machen möchte, dann seiner Vorlage noch viel mehr. Dessen ungeachtet haben die Effekte in all ihrer durchschaubaren Pracht mit der Zeit eher noch an Charme gewonnen als verloren, so dass sie wohl der eigentliche Grund sind, mehr als sechzig Jahre später zu diesem Machwerk zurückzukehren.

Doch auch wenn Drehbuch und Figuren nur rudimentär entwickelt sind und die Effekte hauptsächlich von ihrem Jahrmarktscharakter leben, hat „Das unheimliche Erbe“ auch abseits der wenigen Netto-Minuten in Farbe etwas zu bieten. Dank der gleichermaßen prunkvollen wie heimeligen Kulisse sowie der Prämisse um die zwölf Geister im Haus (der dreizehnte ist zu Beginn noch hinter einem Fragezeichen versteckt) ergeben sich gewisse Parallelen ausgerechnet zu einem Genre, das in den ausgelaufenen 50er Jahren vergleichsweise selten auf sich aufmerksam machte, und wenn, dann vor allem durch die subversiven Arbeiten Hitchcocks: Murder Mystery. Eine lustvolle Spiegelung von dessen Motiven ist wahrnehmbar, wenn die Detektivarbeit mal nicht von einem gestandenen Detektiv wie Sherlock Holmes verrichtet wird, sondern von einem aufgeweckten Jungen (Charles Herbert) und sich die Mordopfer nicht erst im Laufe der Handlung ergeben, sondern bereits durch den Vorspann stöhnen wie hungerleidende Zombies auf Hirnentzug. Kein Wunder, dass sich Castle drei Jahre später mit dem Remake von „The Old Dark House“ ganz bewusst dem Genre widmen würde; üben durfte er schon hier.

Das unheimliche Erbe

Immer wenn ich blau bin, seh ich rot.

Ein wenig Suspense flammt vielleicht kurz bei den Spielereien mit dem Ouija-Brett auf, das die Dualität von „Illusion-O“ mit seinem „Yes“ / „No“ im Übrigen perfekt auf den Punkt bringt; ansonsten ist „Das unheimliche Erbe“ ein behelfsmäßiges Stückwerk von Gruselfilm, dessen Bestandteile lange nicht so geschmiert zusammenlaufen wie in William Castles letzten beiden Arbeiten, „Schrei, wenn der Tingler kommt“ und „Das Haus auf dem Geisterhügel“. Böse Zungen würden sagen: Der Meister muss auch noch extra erklären, wie man sein neuestes Werk zu schauen hat. Die Geister bleiben bei alldem reine Schießbudenfiguren, hübsch gestaltete, zugegeben, die jeweils nur für einige Netto-Sekunden zu sehen sind und darüber hinaus keine Präsenz aufbauen können. Und doch muss man den Streifen für seine heillose Naivität liebgewinnen. Es ist eben am Ende doch ein echter Castle aus seiner Hochphase kreativen Mummenschanzes.

Knappe
6 von 10

Schaut in den Trailer

Bis zum heutigen Tag ist „Das unheimliche Erbe“ in Deutschland nicht für das Heimkino erschienen. Nicht einmal im Zuge des 2001er-Remakes hatte es für einen DVD-Release gereicht, obwohl das ja immerhin zu Beginn des Goldenen DVD-Zeitalters erschienen war. Selbst der VHS-Markt, der ja immer noch so manchen Schatz birgt, der nie den Sprung auf ein digitales Medium geschafft hat, scheint in diesem Fall nichts herzugeben.

So muss man also bei Interesse erneut auf dem Import-Markt Ausschau halten. Dank des britischen Labels Powerhouse gibt es zum Glück inzwischen eine hochwertige Option, sofern man auf deutschen Ton nicht angewiesen ist. Ursprünglich 2018 veröffentlicht als Teil des Box Sets „William Castle at Columbia – Volume 1“, wurde „Das unheimliche Erbe“ unter dem Originaltitel „13 Ghosts“ parallel auch als einzelne Limited Edition verkauft und ist inzwischen zumindest noch als Standard Edition erhältlich. Die hervorragend ausgestattete Blu-ray bietet den Hauptfilm in gleich vier Fassungen: Der Illusion-O-Fassung mit eingefärbten Geistererscheinungen, der blauen Fassung ohne Geister, der roten Fassung mit Geistern und der durchgehenden Schwarzweißfassung, die ohne die Einführung des Regisseurs daherkommt und auch die Auftritte der Geister im altmodischen s/w präsentiert.

Das alles natürlich in bester Bildqualität und mit originalem Monoton, der auf Wunsch auch gegen einen Music-and-Effects-Track ausgetauscht werden kann. Mit an Bord sind diverse ältere und neuere Special Features, eine Einführung von Romanautor Stephen Laws zum Beispiel oder eine Betrachtung von Michael Schlesinger und Fred Olen Ray aus dem Jahr 2001. Highlight ist definitiv die preisgekrönte William-Castle-Doku „Spine Tingler! The William Castle Story“ in Spielfilmlänge, die sogar mit eigenem Making Of und Audiokommentar kommt. Nur die Box-Edition und die Limited Edition hat zusätzlich noch ein 40-seitiges Booklet mit einem neuen Essay, einer zeitgenössischen Kolumne, einem Auszug aus Castles Autobiographie, Filmkritiken und mehr an Bord. Das alles kommt im Scanavo Case mit Wendecover. Ob so eine schöne Veröffentlichung wohl auch irgendwann mal nach Deutschland kommt? Da sollte man sich vielleicht keinen Illusion-Os hingeben…

Sascha Ganser (Vince)

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Copyright aller Filmbilder/Label: 20th Century Studios__FSK Freigabe: ab 12__Geschnitten: Nein (Deutschland)__Blu Ray/DVD: Nein/Nein (voraussichtlich ab 2024)

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