Originaltitel: Gojira-1.0__Herstellungsland: Japan__Erscheinungsjahr: 2023__Regie: Takashi Yamazaki__Darsteller: Minami Hamabe, Sakura Andô, Ryûnosuke Kamiki, Yûki Yamada, Munetaka Aoki, Kuranosuke Sasaki, Michael Arias, Hidetaka Yoshioka, Yûya Endô, Kisuke Iida, Gôshû, Ryô Ônishi, Miô Tanaka, Kenji Mizuhashi, Kunihiro Suda, Shôhei Abe, Yuki Takao u.a. |
Während Legendary Pictures sich in den letzten Jahren auf dem US-Markt austobte, als müsse in kürzester Zeit ein gutes halbes Jahrhundert voller Suitmation-Krawall made in Japan nachgeholt werden, wartete die Toho geduldig das Ende der geltenden Vertragsrechte ab. Um jetzt, wie sich herausstellt, mit einem einzigen, präzisen, hochkonzentrierten Atomstrahl zurückzuschlagen und den in Fantasy-Gefilde hinein wuchernden Hollywood-Ansatz mit einem Mal ein wenig albern dastehen zu lassen.
Wo sich der bis dato letzte japanische Franchise-Beitrag „Shin Godzilla“ (2016) an einem frischen Ansatz versuchte, das Landeskulturgut im Zentrum Tokios in Szene zu setzen, da macht „Godzilla Minus One“ erst einmal die Rolle rückwärts. Wir sind zurück im Jahr 1945, das man als Geburtsstunde Godzillas bezeichen könnte. Zwar entstand Ishirō Hondas „Godzilla“ erst im Jahr 1954, doch der Einschlag der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki im August 1945 gilt als Ursprung des Monsters. Man könnte „Little Boy“ und „Fat Man“, so die militärischen Codenamen der Bomben, gewissermaßen als seine Eltern bezeichnen.
Vor dem Hintergrund eines Weltkriegs, der im Begriff ist, mit dem Sonnenuntergang zu enden, begleiten wir diesmal den Kamikaze-Flieger Kōichi (Ryonosuke Kamiki), der auf einer kleinen Insel erstmals auf das noch junge Godzilla-Exemplar trifft und miterleben muss, wie es seine gesamte Einheit tötet. Weil Kōichi aus feuerbereiter Position zögerte, macht er sich Vorwürfe, den Tod seiner Kameraden verschuldet zu haben. Zwei Jahre nach Ende des Kriegs lebt der ehemalige Kampfpilot desillusioniert in einer Baracke in den Trümmern vor den Toren Tokios und wird immer noch von wiederkehrenden Alpträumen verfolgt. Als sich ungefragt die Überlebenskünstlerin Noriko (Minami Hanabe) mit ihrem Adoptivkind bei ihm einnistet, ist das nur eine erste kleine Wendung in seinem trostlosen neuen Leben. Denn Godzilla, der bis dahin nur noch in Kōichis Erinnerung an eine schreckliche Nacht existierte, ist in Fleisch und Blut zurück und droht Tokio vor aller Augen zu zerstören…
Godzilla gegen Mechagodzilla, Godzilla gegen King Ghidorah, Godzilla gegen alles und jeden… jahrzehntelang ging es nur darum, den Koloss in spektakulären Wrestling-Matches gegen immer wieder neue Widersacher antreten zu lassen, die seine Kragenweite hatten. Gegenüber den Subtexten um atomare Ängste, gesellschaftspolitischen Kontext und eine zerfallende Weltordnung aus Hondas Original trat im Laufe der Jahre eine kollektive Vergessenheit ein. Je mehr Godzilla selbst zum Kultobjekt geriet, desto eher wurden die Sinne taub für das, was er ursprünglich verkörperte, trat er doch mehr und mehr nur noch für sich selbst ein. Hollywood hatte ohnehin schon seit Roland Emmerich („Godzilla“, 1998) ein Problem damit, über den Mythos „Gojira“ hinwegzusehen, erklärte das ehrfürchtige Gemurmel zu Stein erstarrter Würmer das Monstrum doch zu einer Gottgestalt, bevor es überhaupt den Fuß auf amerikanischen Boden setzen konnte. Gareth Edwards mühte sich mit der 2014er-Verfilmung zwar noch einmal, die Schatten der Atombombe lebendig werden zu lassen, doch letztlich nahm die Entwicklung auch unter Legendary ähnliche Züge wie im Heimatland: Mehr Monster bedeuteten mehr Gerumpel, das wiederum in Rekordzeit zu einer Verklärung des „Königs der Monster“ führte. Ein durchaus legitimes Bekenntnis zu den zahllosen actionreichen Fortsetzungen der Showa-, Heisei- und Millennium-Phasen, die längst zum Kern der Reihe geraten waren, jedoch vornehmlich aus Fan-Service bestanden.
Ein loser Neustart, befreit von den Verpflichtungen gegenüber der Chronologie eines „Cinematic Universe“, kommt da gerade recht, und obwohl „Shin Godzilla“ schon vielversprechende Ansätze zeigte, ist man fast froh darum, dass Toho erneut Tabula Rasa macht; erst recht, wenn der neue Ansatz so zielstrebig und entschlossen durchgezogen wird. „Godzilla Minus One“ ist der womöglich beste Godzilla-Beitrag diesseits des Jahrtausends, weil er nicht nur auf, sondern auch neben dem Schlachtfeld mit physischem und emotionalem Impact überzeugt.
Entscheidenden Anteil daran hat Takashi Yamazaki, der nicht nur auf dem Regiestuhl Platz nimmt, sondern sich in den Jahren vor Drehbeginn reichlich Zeit nahm, sein Drehbuch mit Feinschliff zu versehen. „Having a point of view, a strong point of view, that’s the most important thing in filmmaking“, sagte der aus dem Journalismus stammende britische Regisseur Paul Greengrass einmal; eine Philosophie, der auch Yamazaki zu folgen scheint, zeichnet sich sein Ansatz doch vor allem dadurch aus, innerhalb des WWII-Settings eine spannende Perspektive finden zu wollen, um nach beendetem Krieg eine zweite Welle der Zerstörung möglichst effektiv einzufangen.
Schon der Prolog auf der Insel verrät einige von Yamazakis Einflüssen, zu denen ganz sicher auch ein Steven Spielberg gehören dürfte. Der wohl nicht zufällig zunächst in T-Rex-Größe attackierende Godzilla des Jahres 1945 kündigt sich durch aufgeschwemmte Tiefseefische ähnlich subtil an wie der T-Rex aus „Jurassic Park“, als er ein Wasserglas beben ließ. Die Soldaten, die dem Horror des Schlachtfelds eigentlich bereits entkommen waren, ergeben sich dem Anblick des Unmöglichen mit derselben Verblüffung gegenüber der Unberechenbarkeit der Natur, die auch die Opfer von Spielbergs Dinosauriern empfunden haben müssen, als sie ihren Todbringern völlig ausgeliefert im Regen gegenüberstanden. Bereits hier nehmen wir ganz und gar die Perspektive Kōichis ein, die Yamazaki geschickt verpackt wie einen surrealen Traum; denn am Ende gibt es außer ihm (und dem Zuschauer) keine Überlebenden, die berichten könnten, was in diesem ersten fatalen Zusammentreffen geschehen war. Godzilla bleibt trotz seines frühen Auftritts zunächst reiner Mythos, das Kopfgespinst eines Mannes mit posttraumatischer Belastungsstörung.
„Godzilla Minus One“, der angeblich nur ein Zehntel der Kosten von „Godzilla vs. Kong“ verbraucht haben soll, gerät aber trotz des bildgewaltigen Einstiegs nicht etwa zum Spezialeffekt-Dauerfeuer, sondern dosiert seine Zutaten sehr bewusst. Was aus der Not des geringen Budgets geboren scheint, wird höchst effektiv in eine packende Dramaturgie umgewandelt. Über den präzisen Schnitt und die gelungene Schwerpunktsetzung bei den Dialogen und ihrem Gleichgewicht gegenüber den Effektszenen wird vom Kleinen ins Große hinein trotz der begrenzten Mittel ein unheimlicher Sog geschaffen, wie man ihn aus manchem Film von Christopher Nolan kennt; insbesondere an „Dunkirk“ oder „Oppenheimer“ muss man aufgrund thematischer Ähnlichkeiten natürlich denken. Der Soundtrack von Naoki Satô unterstützt diesen Aufbau, indem er dissonante, schwere Streicher und hypnotisierende Ambient-Einlagen nach Hans-Zimmer-Art maßvoll mit Momenten der Stille mischt, um in Höhepunkten das allseits bekannte Godzilla-Theme pompös in Szene setzen zu können. De facto sind im gesamten Film keine richtigen Kriegsszenen zu sehen, weil der Krieg eben vorbei ist. Die Amerikaner und ihre Maschinerie werden lediglich in Nebensätzen erwähnt, aber nie im Einsatz gezeigt. Stattdessen breitet sich das Nachbeben wie ein gigantischer Schatten aus, der dem Titelmonster wieder zu seiner ursprünglichen Bestimmung als dunkle Metapher verhilft.
Im Zuge dieses Aufbaus ist zum Glück reichlich Zeit vorgesehen, um die Figuren und den Zeitabschnitt, in dem sie leben, mit Substanz zu versehen. Wer noch die menschlichen Karikaturen aus den letzten Hollywood-Abenteuern gewohnt ist, wird sich verwundert die Augen reiben, wie vielschichtig man einen Godzilla-Film erzählen kann. Zwischen Ryonosuke Kamiki und Minabi Hamabe entwickelt sich eine im Ansatz womöglich stereotype, in der Ausführung aber bindungsstarke Beziehung, die weniger auf das Konzept der losgelösten Romantik setzt, sondern vielmehr auf die Notwendigkeit sozialer Interaktion im Angesicht einer feindseligen Welt. Die Crew eines Minensuchbootes, auf das Kōichi geschickt wird, erweitert den Darstellerkern um einen soliden Freundeskreis und erlaubt interessante Dynamiken zwischen den Figuren, die wiederum an die Truppe aus Spielbergs „Der Soldat James Ryan“ erinnern.
Die durchaus faszinierende Psychologie, die sich hinter dem Denken eines Kamikaze-Fliegers verbirgt, muss dabei nicht direkt vor der Kamera ausdiskutiert werden, um sie dennoch zwischen den Zeilen zu vertiefen. Das geschieht in zahlreichen Unterhaltungen über Bestimmung, Freundschaft und Alltägliches. Platz für Humor wird trotz der ernsten Untertöne jederzeit freigeräumt. Kurzum: Es ist keine störende Unterbrechung, wenn Yamazaki seine Kreatur zwischenzeitlich verschwinden lässt und sich auf das menschliche Miteinander konzentriert, wie es bei „Godzilla vs. Kong“ oder „Godzilla II: King of the Monsters“ eine war. Im Gegenteil, es ist fast so schön, unter ihnen zu weilen, wie in einem Sozialdrama der Marke „Shoplifters“, das genau auf solche Momente spezialisiert ist.
Und dennoch freut man sich natürlich auf jede Minute, die Godzilla im Bild zu sehen ist. Dass den Effektkünstlern deutlich weniger Geld zur Verfügung gestanden hat als den US-Kollegen, sieht man oft erst auf den zweiten Blick, einfach weil mit den begrenzten Mitteln unheimlich effektiv und kreativ gearbeitet wird. Die Suitmation hatte ja bereits in „Shin Godzilla“ ausgedient, so konzentriert sich Yamazaki also auf die Inszenierung dessen, was mit Kostümen nicht zu bewerkstelligen ist. Da Godzilla einen Großteil seiner Anwesenheit im Wasser schwimmend verbringt, ist Spielberg wohl noch ein drittes Mal zu erwähnen, diesmal mit Bezug auf „Der Weiße Hai“. Wenn die Rückenschuppen aus dem Wasser ragen und die Schnauze des Hünen wie ein neugieriger Hund dem Minenkutter nachjagt, entstehen einprägsame Bilder, die von der Erwartung auf Bevorstehendes leben. Sie erzeugen praktisch gleichzeitig zwei sich widersprechende Emotionen beim Betrachter: Den Nervenkitzel einer unmittelbaren Gefahr und den Stillstand des Staunens, wie man ihn etwa beim Beobachten eines Wals aus sicherer Position empfinden würde. Zwar stellt die Choreografie der Wasserverfolgung das logische Konstrukt manchmal auf die Probe, man ist aber dazu bereit, angesichts des effizienten Handwerks auch mal ein Auge mehr zuzudrücken als gewöhnlich.
Als Godzilla später schließlich in der Großstadt wütet, steht die Hommage an eine Ikone des Films im Vordergrund. Das Design, das im Groben viele Eigenschaften mit der neueren amerikanischen Version teilt, negiert schließlich doch alles Naturalistische. Während Hollywood dazu neigt, Filmmonster stets mit einem Hang zum Realismus zu animieren, als wären sie reale Kreaturen, egal wie heillos absurd der filmische Rahmen um sie herum geraten ist, gerät Godzilla hier für Momente wieder zu einer Statue, die so synchron mit den Beinen stampft und Ärmchen wedelt wie ein mit dem Schlüssel aufgezogenes Spielzeug, nur dass die Illusion des Greifbaren dank fortgeschrittener Computeranimationstechnik inzwischen äußerst überzeugend gelingt. Asphaltplatten geben dem Gewicht des Eindringlings mit spürbarem Knacken nach, Druckwellen lösen wahrhaftige Stürme zwischen den Hochhäusern auf. Hinzu kommen wunderbare Reminiszenzen an das Original, als beispielsweise ein Zug von den Schienen gepflückt und in der Luft herumgewirbelt wird. Wenn Godzilla einmal loslegt, gibt es im Grunde nichts, was man gegenüber den teuren US-Adaptionen vermissen würde. Im Gegenteil, man sitzt noch gebannter vor der Leinwand, weil man endlich wieder sieht, wofür Godzilla steht.
Die wenig überraschende Auflösung variiert letztlich auch nur Hondas Original, und die harmonischen Schlussakkorde passen vielleicht nicht ganz zu der düsteren, konsequenten Ausrichtung. Dessen ungeachtet ist „Godzilla Minus One“ aber der beste Beitrag zur fast 70 Jahre alten Reihe seit sehr langer Zeit. Eine vorzügliche Cinematografie, das stimmungsvolle Produktionsdesign, der perfekt auf den Schnitt ausgerichtete Soundtrack und die für das Budget erstaunlich guten Spezialeffekte sind nur der Lack an der Oberfläche. Das Herzstück des Films ist sein Ensemble an stark ausgearbeiteten Figuren, das sich durch eine faszinierende Nachkriegswelt bewegt, in die noch längst nicht der Sonnenschein zurückgekehrt ist. Godzilla selbst wird dadurch endlich wieder zu einer kraftvollen Metapher, die mehr bedeutet als einfach nur bildgewaltiges Popcorn-Spektakel.
(knappe)
Informationen zur Veröffentlichung
Schaut in den Trailer von “Godzilla Minus One”
„Godzilla Minus One“ startete am 1. Dezember mit einem limitierten Fenster in einigen deutschen Kinos. Wer den Film auf der großen Leinwand sehen will, muss sich also beeilen. Wer zu spät kommt, für den wird voraussichtlich im neuen Jahr Abhilfe geschaffen werden. Über eine mögliche Veröffentlichung auf UHD, Blu-ray, DVD oder Video on Demand ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nichts Näheres bekannt.
Sascha Ganser (Vince)
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