Der Norweger Kristoffer Borgli erzählt in seinem „Dream Scenario“ eine Parabel auf kurzfristigen (Internet-)Ruhm. Nicolas Cage gibt in dieser Komödie den Uni-Dozenten Paul Matthews, der durch ein unerklärliches Phänomen in den Träumen unzähliger anderer Menschen auftaucht. Er will die Bekanntheit zu seinem Vorteil nutzen, erlebt bald aber eine böse Überraschung.
Originaltitel: Dream Scenario__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2023__Regie: Kristoffer Borgli__Darsteller: Nicolas Cage, Julianne Nicholson, Michael Cera, Tim Meadows, Dylan Gelula, Dylan Baker, David Klein, Liz Adjei, Sofia Banzhaf, Maev Beaty, Kate Berlant, Lily Bird, Paula Boudreau, Krista Bridges, Ben Caldwell, Jessica Clement u.a. |
Schon in „Sick of Myself“ hatte sich der Norweger Kristoffer Borgli mit Aufmerksamkeit, Ruhm und deren gefährlicher Verlockung beschäftigt, in seinem US-Debüt „Dream Scenario“ kann er diese Themen aufgreifen und mit einem Schuss Phantastik anreichern.
Paul Matthews (Nicolas Cage) ist ein wenig aufregender Typ. Mit seinem zauseligen Bart, seiner Halbglatze und seiner Kassengestell-Brille sieht er nach nicht viel aus, er ist Biologieprofessor mit Festanstellung, hat mit seiner Frau Janet (Julianne Nicholson) zwei Töchter. Paul redet gern von einem Buch über Schwarmintelligenz bei Ameisen, das er veröffentlichen möchte. Das Vorhaben hat allerdings den Schönheitsfehler, dass er das Ding erst noch schreiben muss. Er ist kein Unsympath, kein Sympathieträger. Ein Mensch, der mit seinem Leben eigentlich zufrieden sein kann, aber der andauernd der Meinung ist, dass ihm mehr zusteht, vor allem mehr Aufmerksamkeit.
Genau die bekommt er auch, als sich ein seltsames Phänomen ergibt: Paul taucht in den Träumen anderer Menschen auf. Als teilnahmsloser Tourist, der auch durch die größten Horrorszenarien wie unbeteiligt hindurchspaziert. Damit wird der biedere Dozent zu einer kleinen Sensation und später noch zu einer größeren, als er ein Interview im Fernsehen gibt und damit seine Identität enthüllt. Janet fragt den Gatten zwar noch, ob er das für eine gute Idee hält, aber natürlich will Borgli, der auch das Drehbuch schrieb, die Mechanismen des unerwarteten, aber auch unkontrollierbaren Ruhms zeigen, denn Paul ist ja für keine echte Eigenleistung bekannt geworden, sondern für ein Phänomen, das er weder so richtig erklären noch irgendwie kontrollieren kann.
Paul will den Ruhm für einen Buchvertrag nutzen, während Agenturchef Trent (Michael Cera) eher an Werbeverträge für seinen neuen weltbekannten Klienten denkt. Der wiederum ist insgeheim etwas frustriert, dass er bei den Traumauftritten immer so passiv ist. Tatsächlich ändert sich das bald, aber nicht in dem Sinne, in dem Paul sich das vorgestellt hat…
Schaut euch den Trailer zu „Dream Scenario“ an
„Dream Scenario“ lässt das Publikum eine ambivalente Haltung gegenüber der Hauptfigur und deren Schicksal spüren. Denn Paul ist sicherlich kein strahlender Held. Er ist ein Typ, der seiner Frau erzählt, dass er beim Treffen mit einer Ex-Freundin noch nicht einmal lächeln werde, der Verflossenen in der nächsten Szene dann mit einem fetten Grinsen im Gesicht gegenübersitzt. Einer, der zwar pro forma protestiert, dass er verheiratet sei, wenn sich eine junge Dame an ihn ran macht, aber das eigentlich genießt. Einer, der nur dann Verantwortung übernehmen will, wenn es um positive Dinge geht – selbst wenn diese nicht sein Verdienst sind. Damit sorgt er nicht nur für diverse Fremdschampassagen, er ist teilweise auch an dem schuld, was ihm im weiteren Verlauf des Films passiert. Doch gleichzeitig stellt sich die Frage, ob Paul das, was ihm geschieht, zumindest in dem Maße verdient hat. Die übernatürlichen Kräfte, die er nicht kontrollieren kann, stellen sich genauso gegen ihn wie die Dynamiken der Massenmedien und der Wunsch nach einfachen Lösungen, nach klar benennbaren Schuldigen.
Paul ist zudem nicht von Unschuldslämmern umgeben. Da ist die frühere Kollegin, die seine Arbeit teilweise plagiiert, obwohl sie das Gegenteil behauptet – gleichzeitig hat Paul den von ihm erfundenen Terminus 30 Jahre lang nirgendwo publiziert. Da ist der alte Bekannte Richard (Dylan Baker), der Paul erst zu einer seiner berühmten Dinnerpartys einlädt, als dieser zum Stadtgespräch geworden ist – gleichzeitig wünscht sich Paul diese Einladung peinlicherweise wie einen Ritterschlag. Borgli zeigt die Gefahren der sprichwörtlichen 15 Minuten Ruhm im Zeitalter von Internet und sozialen Medien auf, hier noch vorangetrieben durch Pauls Minderwertigkeitskomplexe und seinen Wunsch nach Aufmerksamkeit. Er ist so wie viele andere, die zu kurzem Medienruhm kommen, in seinem Falle sogar ohne Eigenleistung, die aber der Wankelmütigkeit des Publikums ausgesetzt sind. Borgli streift dabei Themen wie Themen wie Mob-Mentalität, Influencer-Dünkel und Cancel Culture, wirft diese Stichworte aber eher in den Raum, als dass er irgendetwas Tiefergehendes dazu zu sagen hätte, zumal sein Film sich jedwede Positionierung verkneift, sondern eher zeigt als aussagt.
Man könnte natürlich erwarten, dass der Regisseur und Drehbuchautor seinen Star angesichts der Prämisse vollkommen freidrehen lässt, doch dem ist nicht so. Nicolas Cage („Family Man“) spielt Paul als einen selbstgerechten Jammerlappen, als eher stillen Typen, aber erreicht gerade durch diese Darbietung viel. Sein Hang zur großen Geste kommt nur in wenigen Szenen zum Tragen, selbst in den Traumszenarien ist er eher zurückgenommen, aber genau dadurch spielt Cage seine Rolle glänzend auf den Punkt. Michael Cera („Youth in Revolt“) taucht in nur wenigen Szenen als Chef einer Werbeagentur auf, setzt dort aber starke Akzente, während Julianne Nicholson („Sturm des Jahrhunderts“) ihre Rolle auf gelungene Weise ähnlich ambivalent legt die Cage seinen Part: Janet fungiert oft als Stimme der Vernunft, ist aber auch nicht abgeneigt die Prominenz ihres Mannes zum beruflichen Vorteil auszunutzen. Tim Meadows („Jack und Jill“) als verständnisvoller Chef kann punkten, ebenso wie Dylan Gelula („Unbreakable Kimmy Schmidt“), welche eine wahrlich unangenehm-peinliche Verführungsszene absolvieren darf.
Doch nicht nur Cage ist zurückgenommen, auch die Traumszenarien sind verhältnismäßig bodenständig. Eine einstürzende Cafeteria, Alligatoren auf dem Fußboden, schwebende Personen – Borgli hat zwar durchaus wilde Ideen, die aber eher nüchtern umsetzt. In späteren Momenten wird das Ganze auch mal unheimlich und gewalttätig, mit Anleihen beim Horrorfilm. Doch nicht beim kreativ killenden Slasher- und Splatterfilm, sondern eher bei jenen unterkühlten Serienmörder-Horrorthrillern, in den mitleidslos ohne viel Federlesen getötet wird. Zu den Produzenten von „Dream Scenario“ gehört Ari Aster, der nicht nur die Horrorfilme „Hereditary“ und „Midsommar“ schuf, sondern mit „Beau is Afraid“ zuletzt auch einen Film drehte, der durchaus Seelenverwandtschaft mit „Dream Scenario“ besitzt.
Nun hat „Dream Scenario“ freilich das Problem, dass Borgli dieses (Traum-)Szenario zwar aufbaut, aber nicht sauber zu einem Ende zu führen weiß. So gibt es im letzten Drittel einen harten Bruch, einen Zeitsprung von einem Jahr und schließlich eine ausgreifende Phase, die eigentlich nur als langer Epilog fungiert. Dieser führt zwar die Geschichte Pauls zu einem semibefriedigenden Ende, wirkt aber doch etwas verlegen – als sei Borgli am Ende einfach nichts Besseres eingefallen. Ein kurzer Seitenhieb auf die Tech-Start-Up-Industrie, die das Eindringen in Träume nun als neue Werbeform perfektioniert, führt zwar Ideen des vorigen Films weiter, hängt aber ein wenig in der Luft, zumal der ganze Kniff aus dem Nichts kommt.
Als Komödie ist „Dream Scenario“ ganz amüsant, gerade wenn Paul für seine Allüren und sein Geltungsbedürfnis die Quittung bekommt oder sein mangelndes Verständnis für Zwischentöne ihn in Bedrängnis bringt. Wenn die Agenturfritzen Paul beispielsweise zum neuen Sprite-Werbegesicht machen wollen, was schließlich ihr Geschäft ist, der aber nur an einen Vertrag für sein wenig öffentlichkeitswirksames Ameisenbuch denkt, dann ist das gleichermaßen komisch wie schmerzhaft. Doch Borgli ist seiner Hauptfigur gegenüber nicht sadistisch eingestellt, denn oft verschuldet Paul die peinlichen Situationen, in die er gerät selbst, was einerseits Lachen, andrerseits aber auch Fremdscham beim Publikum generiert.
„Dream Scenario“ ist ähnlich wie „Massive Talent“ oder „Renfield“ teil der jüngeren Nicolas-Cage-Renaissance – der Schauspieler ist nach Jahren des Spotts wieder zum geschätzten, gern gesehenen Darsteller geworden, der auch in dieser dankbaren Rolle glänzt. Seine Darstellung des biederen Spießers, der mit seinem Ruhm nicht umgehen kann, ist der Hauptgrund sich Kristoffer Borglis schräge Komödie anzusehen, die mit ihrer nüchternen Bebilderung überzeugt, inhaltlich allerdings im letzten Drittel den Faden verliert.
DCM Film Distribution bringt „Dream Scenario” am 21. März 2024 in die deutschen Kinos; außerdem ist er kurz davor auf den Fantasy Filmfest White Nights in mehreren deutschen Städten zu sehen. Von der FSK wurde der Film bisher noch nicht geprüft.
© Nils Bothmann (McClane)
Was hältst du von dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright aller Filmbilder/Label: DCM Film Distribution__FSK Freigabe: ungeprüft__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, ab 21.3.2024 in den deutschen Kinos |