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Mosul

Als Drehbuchautor und Regiedebütant erzählt Matthew Michael Carnahan in „Mosul“ den Kampf gegen den IS um die titelgebende Stadt als Actionthriller mit Realitätsanspruch. Ein junger Polizist schließt sich einer Spezialeinheit an, die IS-Terroristen bekämpft und eine Mission in der kriegsgebeutelten Stadt zu erfüllen hat.

Originaltitel: Mosul__Herstellungsland: USA/Vereinigte Arabische Emirate__Erscheinungsjahr: 2019__Regie: Matthew Michael Carnahan__Darsteller: Suhail Dabbach, Adam Bessa, Waleed Elgadi, Ben Affan, Mohimen Mahbuba, Thaer Al-Shayei u.a.
Mosul

“Mosul” von Matthew Michael Carnahan ist Action mit Realismusanspruch

Matthew Michael Carnahan, Bruder von Joe Carnahan, hatte bereits Erfahrung als Drehbuchautor von Hollywoodware wie „World War Z“ und „Deepwater Horizon“ gesammelt, als er sein Regiedebüt „Mosul“ inszenieren durfte, als erstes Werk der Produktionsfirma AGBO der Russo-Brüder, für die er anschließend noch das Script zu „21 Bridges“ verfasste.

„Mosul“ besitzt jedoch einen Ausnahmestatus, kommt er doch ohne US-Darsteller aus und wurde auf Arabisch mit entsprechenden Schauspielern gedreht. Als Basis diente der Artikel „The Desperate Battle to Destroy ISIS“ aus dem New Yorker, als Einführung in den Film dienen ein paar Texttafeln zu Beginn, die grundlegende Infos liefern. Handlungsort ist die titelgebende Stadt, die 2014 vom Islamischen Staat, auch bekannt ISIS oder Daesh, eingenommen und 2017 schließlich zurückerobert wurde. Carnahans Film spielt in der Phase der Rückeroberung und dreht sich um das Nineveh SWAT Team – eine Einheit aus Polizisten, die Menschen an den IS verloren haben und dementsprechend erbittert kämpfen. „Mosul“ betont, dass die Mitglieder der Einheit mehr IS-Kämpfer als andere Einheiten getötet haben und im Gegenzug bei einer Gefangennahme nie die Chance zum Überlaufen bekamen, sondern von den IS-Schlächtern grundsätzlich getötet wurden.

Nach diesen Rahmenerläuterungen geht „Mosul“ direkt in die Froschperspektive, zu dem jungen kurdischen Polizisten Kawa (Adam Bessa), der mit einem Kollegen und seinem schwerverletzten Onkel in einem Ladenlokal festsitzt, das von IS-Kämpfern attackiert wird, nachdem zwei von deren Kameraden wegen Drogenhandel von der Polizei hops genommen wurden. All das muss das Publikum sich erst im Laufe der Szene zusammenpuzzeln, wenn Kugeln fliegen und Menschen schreien, ehe urplötzlich Ruhe einkehrt: Das Nineveh SWAT Team taucht auf und macht kurzen Prozess mit den IS-Schergen.

Für Kawas Onkel kommt jedoch jede Hilfe zu spät, weshalb Team-Captain Jasem (Suhail Dabbach) Kawa einen Platz im Team anbietet, erfüllt er damit doch die traurige Aufnahmebedingung. Der junge Mann schließt sich der Einheit an, die eine Mission in der umkämpften Stadt erfüllen will…

Schaut euch den Trailer zu „Mosul“ an

Die Prämisse der ultraharten Spezialeinheit im Feindesland mag an Werken wie „Navy Seals“ oder „Delta Force“ erinnern, doch „Mosul“ setzt dem Ganzen einen realitätsorientierten Ansatz entgegen. Die Einheit wird immer weiter dezimiert, verliert Fahrzeuge und Männer an die Feinde, sodass ein Erfolg der Mission nie von Anfang an feststeht. Da das Publikum das Geschehen durch die Augen von Frischling Kawa erlebt, weiß es über weite Strecken noch nicht einmal, worin die Mission überhaupt besteht. Teamkameraden reagieren abweisend auf den Neuling, stellen seine Nachfragen unter Spionageverdacht, während dieser so nach und nach die Vorgehensweise der Einheit kennenlernt. Getöteten IS-Terroristen wird das Geld abgenommen, das aber nicht nur als Lohn für die Mitglieder, sondern auch als Bestechungsgeld für Wachposten, da die Einheit außerhalb offizieller Strukturen agiert und teilweise sogar gesucht wird. Man ist mittendrin in der Mischung aus Ausnahmezustand und den Versuchen von Ordnung, wenn die Einheit einerseits in sich geschlossen, hierarchisch und nach Plan angeht, die Situation in Mosul andrerseits durch Kämpfe, Fluchtbewegungen und Chaos geprägt ist.

So gibt sich Carnahan nie dem reinen Actiongeschehen hin, trotz bekannter Topoi, darunter der harte Hund als Anführer und der Neuling als Identifikationsfigur, der zum Ende des Films in seine neue Rolle hineingewachsen ist. Aus dem Polizisten, der an Recht und Ordnung glaubt, der IS-Kämpfer verhaften und vor Gericht stellen will, wird hier im Zeitraffer jemand, der genauso abgeklärt wie seine Kollegen vorgeht. Was sicherlich auch den Gräueltaten liegt, mit denen er konfrontiert wird, auch wenn der Film sie nur dezent bebildert, was eine Stärke des Films ist. Carnahan stellt als Regisseur und Drehbuchautor die unfassbaren Taten des IS nicht exploitativ aus, weiß sie aber effektiv genug darzustellen: Ein Enthauptungsvideo wird anfänglich gezeigt, doch im Moment der Tat sieht man die geschockten Gesichter der Zuschauer. Zwei kleine Jungs in Kinder-Shirts mit Dinosaurier- und Hubschrauber-Motiven ziehen den Leichnam ihrer Mutter auf einem Karren durch die Stadt. Als IS-Heckenschützen flüchtende Zivilisten ins Visier nehmen, sieht man Ende der Sequenz eine weinende Mutter, ein totes Kind und ein im Staub liegendes Kuscheltier. Krieg ist hier kein charakterbildendes Abenteuer, sondern eine schlimme Sache, in der man nur bestmögliche Teilerfolge erreichen kann. Einen der beiden Jungen kann die Einheit mitnehmen und zu seiner Sicherheit einer anderen, mit Geld bestochenen Familie mitgeben; der andere weigert sich, bleibt beim Leichnam der Mutter und sieht einem ungewissen Schicksal in der umkämpften Stadt entgegen.

Die Darsteller sind quasi unbekannt und fast schon sekundär, da eigentlich nur Adam Bessa („Tyler Rake: Extraction 2“) als Stellvertreterfigur des Publikums und Suhail Dabbach („Code Name: Geronimo“) als knallharter Anführer wirklich Raum bekommen. Aber selbst ihre Figuren bleiben eher Chiffren, über die man kaum mehr als grundlegende Infos erfährt, ähnlich wie über den Rest des Teams. Für große Erklärungen ist kein Raum, zumal es jeden jederzeit erwischen kann. Denn der Tod lauert an jeder Ecke und auch erfahrene Figuren können in einem Moment der Unachtsamkeit einen schweren Fehler begehen. „Mosul“ ist nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich verdichtet und spielt innerhalb weniger Stunden. Es geht um das Mittendrin-Gefühl, weshalb auch die Dramaturgie nicht immer klassisch funktioniert: Das Finale ist kein großer Knalleffekt, sondern kleiner und intimer, bringt eigentlich nur für eine Figur Katharsis, ist aber auch für die anderen nicht unwichtig. Ein kleiner Erfolg gibt Hoffnung in einem mühsamen, beschwerlichen Kampf, der viele Leben kostet.

Die Action fällt angesichts des Budgets, aber auch angesichts der Stoßrichtung anders aus als in artverwandten Produktionen wie „Black Hawk Down“, „13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi“ oder „Lone Survivor“. Es gibt es weniger dicke Schauwerte, weil es für die Protagonisten schon schwer ist an einen Raketenwerfer mit einem einzigen Geschoss heranzukommen. Das Geschehen ist chaotisch, im Feuergefecht wissen auch die Protagonisten nicht, wer Freund und Feind ist (was teilweise zu entsprechenden Verletzungen führt), was sich in der Inszenierung spiegelt: Die Kamera bleibt nah dran an den Figuren, der Schnitt von Alex Rodriguez („Slayers“) setzt in Einzelszenen auf bewusste Desorientierung in dem Gewühl aus Stimmen, Lauten, sirrenden Geschossen und sich bewegenden Leibern. Trotzdem wird „Mosul“ nicht vollends unübersichtlich, sondern präsentiert immer wieder sehenswerte Feuergefechte und Nahkämpfe zwischen SWAT-Team und IS-Terroristen, aber eher in kleinerem Maßstab und nicht ganz so durchkomponiert wie die Konkurrenz.

Matthew Michael Carnahans „Mosul“ ist ein Actionfilm mit Anspruch, eine Erfahrung, die das Publikum mit auf eine unmittelbare Reise durch die umkämpfte Stadt nimmt. Keine großen Stars sind dabei, kein ausgetüftelter Plot, sondern einfach das Erleben des Kämpfens in der Ausnahmesituation. Dementsprechend sind die Action-Schauwerte nicht ganz so spektakulär, die Figuren werden kaum entwickelt und entsprechen bei allem Realismus gewissen Genretopoi, aber „Mosul“ ist vielleicht keine perfekte, aber doch eine durchaus lohnenswerte Erfahrung.

Knappe:

Nachdem „Mosul“ seine Festivalpremiere in einer rund 86 Minuten langen Fassung hatte, sicherte sich Netflix die Rechte am Film und veröffentlichte ihn in einer ungefähr 15 Minuten längeren Version. Aktuell ist der Film nur dort zu sehen und wurde von der FSK nicht geprüft. Netflix empfiehlt ihn ab 16 Jahren.

© Nils Bothmann (McClane)

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