Originaltitel: The Feast__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 2021__Regie: Lee Haven Jones__Darsteller: Annes Elwy, Caroline Berry, Steffan Cennydd, Sion Alun Davies, Julian Lewis Jones, Rhodri Meilir, Lisa Palfrey, Nia Roberts |

Das Cover der britischen Picture-House-Blu-ray von „The Feast“.
Es könnte auch ein Clip von der Ikea-Homepage sein. Man blickt auf ein menschenleeres Esszimmer, durchflutet von Licht, das durch die verglaste Außenwand strömt, jedes einzelne Stück der Ausstellung wird von einer eigenen Aura betont, als solle für potenzielle Käufer geworben werden. Im Grunde fehlen nur Name und Preisschild. Was man da betrachtet, ist aber kein Arrangement aus dem Möbelhaus, sondern das Zweitdomizil einer walisischen Familie, die es geschafft hat, sich aus dem Mittelstand zu erheben und in die obere Gesellschaftsschicht vorzudringen. Noch kann man die Spiegelungen der Hochglanzseiten des Werbekatalogs auf den Augen spüren, aber der Titel verrät bereits, dass die Seiten schon bald mit Blut besudelt sein werden.
Unter der Akte „The Feast“ laufen viele Filme. Meist handeln sie von Maßlosigkeit und Exzess, nicht selten möchten sie dabei auch das Freundliche, das Makellose, das Unschuldige, das Zivilisierte aufbrechen, gewissermaßen also den größten Widerspruch in der menschlichen Natur aufdecken, das Tier von seiner Maske der Rationalität lösen. Demgemäß überrascht es nicht, wenn Familienmutter Glenda (Nia Roberts) vorgestellt wird, indem sie sich gerade wie ein Christian Bale in „American Psycho“ ihre zweite Haut in Form einer Gesichtsmaske abpellt. Ihr Sohn Gweirydd (Sio Alun Davies), Welsh Psycho Junior, hält sich zweifelsohne in der gleichen symbolischen Markierung auf, als er sich zum Training für einen Triathlon Armlinge überstreift. Den Kontrapunkt dazu bilden Familienvater Gwyn (Julian Lewis Jones), der seinen inneren Frieden nur durch die Jagd auf das Wild in der umliegenden Natur erlangt, und der rebellische zweite Sohn Guto (Steffan Cennydd), ein Junkie auf Entzug, der von seinem Bruder nicht nur durch die Glasscheibe der Hi-Tech-Designanlage getrennt ist, sondern auch in jeder erdenklichen Art des Denkens. Mit Axt in der Hand eifert er dem männlichen Ideal seines Vaters nach, ohne sich dessen bewusst zu sein. Schnell ist ein familiäres Konstrukt gezeichnet, das man in nur wenigen Einstellungen als dysfunktional eingeordnet hat. Es ist die einzige Asymmetrie in der ansonsten völlig symmetrischen Behausung, und es bedarf kaum mehr als eine Prise Dialog, um ihre Asymmetrie wirken zu lassen.

Eben noch gehüpft, gleich schon in der Pfanne.
Der in walisischer Sprache gedrehte Film scheint seine Dialoge ohnehin eher als melodischen Singsang einsetzen zu wollen, vornehmlich erzählt er über seine eindringlichen Bilder, die durch Slow Zooms, artifizielle Spotlight-Beleuchtung und relativ lange Einstellungen mit tonnenschwerer Intension beladen werden. Distanzen spielen dabei eine Rolle, Semiotik und nicht zuletzt das plötzliche Durchbrechen harmonischer Kompositionen. Daraus speist sich letztlich auch der Horror, der subtil, fast unsichtbar bei grellem Tageslicht eingeführt wird, getragen von den folkloristischen Chorälen des Soundtracks, der anlässlich kurzer Momente des Erstarrens zuspitzt, die aber nichts mit dem gemeinen Jump Scare zu tun haben, sondern vielmehr auf soziale Irritation ausgelegt sind. Das macht „The Feast“ zu einem Artverwandten von modernen Horrordramen wie Ari Asters „Midsommar“ (2019), aber auch bittereren Abzweigungen wie „Speak No Evil“ (2022).
Das Motiv der Dinnerparty wiederum, es ist ein altes, und für einen Film, der die Besonderheiten walisischer Ursprünge herausstellen will, verlässt sich „The Feast“ nicht nur dem Allerweltstitel nach vielleicht ein wenig zu sehr auf filmhistorische Standards. Die Wurzeln des Grauens reichen zurück bis zu Buñuels „Der Würgeengel“ (1962) und Hitchcocks „Cocktail für eine Leiche“ (1963). Bis zum heutigen Tag tauchen immer mal wieder neue Vertreter auf, die vor dem geselligen Zusammensein eindringlich warnen; von „Coherence“ (2014) über „The Invitation“ (2016) bis zur ausformulierten Offensichtlichkeit von „The Dinner Party“ (2020). Als ein gelackter Geschäftsmann (Rhodri Meilir) und eine verschüchterte Landwirtin (Lisa Palfrey) als Gäste zu der Familie stoßen, meint man fast schon das schallende Gelächter von Vincent Price zu vernehmen, der aufs „Haus auf dem Geisterhügel“ (1959) einlädt.

Der walisische Patrick Bateman: Sion Alun Davies.
Im Gegensatz zu schlichtem Genre-Handwerk, das solche vorgefertigten Formeln vor allem nutzen würde, um mit Blut und Terror kathartische Entladung zu erzeugen, geht es hier nun eher um Ahnungen, um Graustufen des Horrors. Neben der subtilen Regie und der ästhetischen Kameraarbeit ist es vor allem Hauptdarstellerin Annes Elwy, an der sich dieser Ansatz festmachen lässt. Die Narration ist um ihre Figur Cadi herum angelegt, eine Bedienstete für den Abend, die einzige externe Komponente, die sich frei inmitten der Hausgesellschaft bewegen darf. Auch Cadis Ursprünge liegen in Stereotypen begraben, doch sie wird mit derart interessanten Facetten ausgestattet, dass man kaum in die Verlegenheit kommt, darüber nachzudenken. Elwy ist durchaus überzeugend darin, die Natur zu metaphorisieren, die es geschafft hat, in der unauffälligen Form eines Mauerblümchens eine Wurzel zwischen die Tür zu schieben, um aus dem Inneren eine rote Blüte des Verderbens heranreifen zu lassen, während die Handlung gemächlich, aber stringent ihrer unvermeidlichen Eskalation entgegensteuert.
Von den Stützbalken vorher dagewesener psychologischer Horrorfilme weiß sich „The Feast“ auch gerade dann nicht zu lösen, als die Bildsprache unruhiger wird und die Mittel drastischer. Hier erweist sich vor allem Marco Ferreris „Das Große Fressen“ (1973) als Pate, gepaart womöglich mit der surrealistischen Note von Jean-Pierre Jeunets „Delicatessen“ (1991). Und doch findet Lee Haven Jones immer eigene Wege, den zuvor eingestreuten Obszönitäten, die nicht immer grafisch dargestellt werden, aber doch zumindest in der Imagination auf Anstößigkeit abzielen, eine poetische Abrundung zu verleihen. Das gelingt dem TV-Regisseur („Doctor Who“, „Mord auf Shetland“) in seinem Spielfilmdebüt auf Anhieb besser als vielen vergleichbaren Filmen der jüngeren Art, wie „Run Rabbit Run“ oder „Clock“ (beide 2023). Deswegen funktionieren trotz Mangels an exzessiven Schauwerten, die auf dem Papier ja durchaus versprochen werden, die Schockmomente; ob dabei nun ein Stück rohes Fleisch im Mittelpunkt steht, die Glasscherbe einer zerbrochenen Weinflasche oder eine wahrhaft gespenstische Begegnung zwischen Mutter und Tochter.

Den Gästen scheint’s zu schmecken.
Auch wenn das Gefühl, all das in ähnlicher Form schon einmal gesehen zu haben, über den bloßen Filmtitel hinausgeht, ist „The Feast“ eine durchaus erlebenswerte Erfahrung, die vor allem aus den durchdachten Kontrasten der erdigen Folklore walisischer Natur im Gegensatz zu den Echos verglaster Großstadtlandschaften entsteht. Den Sprung einer Familie aus dem Tümpel in den großen Teich weiß Lee Haven Jones mit viel Fingerspitzengefühl in die Welt des Horrors zu transferieren – auch seines kleinen Darstellerensembles zum Dank, das für die radikalen Gegensätze auf der Leinwand sorgt.
(knappe)
Schaut in den Trailer zu „The Feast“
„The Feast“ ist im deutschsprachigen Raum leider bisher noch nicht erschienen. Diese Rezension basiert auf der britischen Blu-ray von Picture House Entertainment. Die kommt recht schmucklos im einfachen Amaray Keep Case mit breitem Rand ohne Wendecover oder gar ein Booklet, ist aber immerhin „english friendly“ ausgestattet, und das durchaus großzügig: Der walisische Originalton liegt einmal in 5.1 und einmal in 2.0 Stereo vor. Da bei dieser Sprache aber auch die meisten Briten Verständnisschwierigkeiten haben dürften, gibt es einmal englische Untertitel und dann noch einmal separate englische Untertitel für Hörgeschädigte. Auch walisische Untertitel für Hörgeschädigte sind dabei. Neben den beiden Originaltonspuren gibt es außerdem jeweils eine Audiodeskription für Sehbehinderte in Englisch und eine weitere in Walisisch.
An Extras bietet die Disc neben dem Trailer eine kleine Behind-the-Scenes-Featurette auf Englisch, in dem vor allem Regisseur Lee Haven Jones und einige der Darsteller zu Wort kommen, um Inhalt und Intention ihres Films zu veranschaulichen.
Sascha Ganser (Vince)
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