Originaltitel: Netherworld__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1992__Regie: David Schmoeller__Darsteller: Michael Bendetti, Denise Gentile, Anjanette Comer, Holly Floria, Robert Sampson, Holly Butler, Alex Datcher, Robert Burr, George Kelly, Mark Kemble, Barret O’Brien, Michael Lowry, David Schmoeller, Candice Williams, Robert LaBrosse, Darlene Molero, Linda Ljoka u.a. |
Rumänien oder doch lieber New Orleans? Die Wahl des Drehorts übt in der Regel einen enormen Einfluss auf die Wirkung eines fertigen Films aus. Noch selten aber war ein Film so abhängig von dieser Wahl wie „Netherworld“, hat der doch abgesehen von seinem Setting nicht so arg viel zu bieten.
Dabei wäre fast alles anders gekommen. Die Produktion des Fantasy-Horrorfilms aus der Full-Moon-Werkstatt fiel in eine Zeit, da Charles Band gemeinsam mit dem rumänischen Produzenten Vlad Păunescu gerade erst die „Castel Film Romania“-Studios gegründet hatte, um sein Fließband im Ausland günstig, schnell und unabhängig rattern zu lassen. Speziell für das Genre, dem Band seit seinen besten Videothekenzeiten stets treu verbunden blieb, bot das osteuropäische Land natürlich damals schon einige verwertbare Locations, die man mit einem Stab aus Einheimischen vergleichsweise billig zum Leben erwecken konnte. Wie so ein rumänischer Phantastik-Vertreter der unteren Kategorie am Ende der Lieferkette ausschaut, kann man inzwischen gut bei einigen der frühen Castel-Film-Produktionen nachprüfen, „Dark Angel“ etwa, „Subspecies II“, „Oblivion“ oder „Lurking Fear“, alles Filme aus den frühen 90ern mit grundverschiedenen Themen, aber sehr ähnlichen atmosphärischen Grundeigenschaften.
„Netherworld“ indes scheint einer völlig anderen Dimension zu entstammen – weil sich Charles Band dieses eine Mal zum Glück gegen Rumänien und für New Orleans entschieden hat. Eine Gutsherrenvilla ohne Nachbarn, gerahmt von endlosen Wiesen, dazu kilometerlange Alleen, zu deren Ehren sich die Bäume verbeugen. Überhaupt, Platz ohne Ende, von innen wie von außen. Dazu eine Bar am See, so urig, als säße man auf einem Holzschemel im „Road House“ höchstselbst, mitsamt schummriger Neonbeleuchtung und Liveband, die derart auf der Bühne festgewurzelt scheint, dass man meinen könnte, sie kenne kein Morgengrauen. Im Line-Up dabei: Edgar Winter und Bon-Jovi-Keyboarder David Bryan, der das Ambiente auch mit seinem stilvollen Piano-Soundtrack veredelt und dadurch eine gewisse Authentizität beschwört. Eine Zwielicht-Stimmung dieser speziellen Art bekommst du nirgendwo in Rumänien rekonstruiert, da musst du schon direkt an der Quelle sein, um die Voodoo-Puppen lebensecht zappeln zu lassen.
Die Bar, so stellt sich bald heraus, symbolisiert das Portal auf die andere Seite; zu weltlich, um schon zum Nirgendwo zu gehören, aber doch surreal genug, um sich im Kreis zu drehen wie der Kaninchenbau im verknoteten Hirn eines Betrunkenen. David Schmoeller, ein Experte für derartige Settings, hat zunächst keine Mühe, wunderbar traumartige Einstellungen im Kasten zu bannen, von denen einige immerhin wie die Kleingeld-Ausgaben der besten Momente aus David Lynchs gesammelten Werken anmuten – von Marilyn Monroes (Holly Butler) Grinsekatzevisage, die manchmal eine ähnlich beunruhigende Bildschirmwirkung hat wie die Radiator-Frau aus „Eraserhead“, bis hin zu einem Penner-hinter-dem-Diner-Moment noch vor „Mulholland Drive“ irgendwo im surrealen Obergeschoss der Bar, wo die Dinge langsam nicht mehr so ganz mit rechten Dingen zugehen. Dazu Vögel, Federn und Flatterwerk, wohin das Auge blickt, ein Versuch, die Südstaatenkultur mit eigenen Akzenten zu erweitern, was zumindest im dekorativen Sinne als gelungen zu bezeichnen ist.
Abgesehen von diesen atmosphärischen Sahnehäubchen lassen auch die praktischen Spezialeffekte nicht lange auf sich warten. Nur Minuten hat man auf den verschwommenen Fluren der Unterwelt verbracht, da bekommt man bereits eine Kostprobe der größten Attraktion des Films geliefert, einer fliegenden Steinhand mit Medusa-Fingern, die sich so einiges bei Don Coscarellis fliegenden Metallkugeln aus der „Phantasm“-Reihe abgeguckt hat, was die magnetisch auf Köpfe zusteuernde Navigation und das anschließende Bearbeiten des Zielobjekts angeht. Die Effekte machen nur Sekunden der Gesamtlaufzeit aus, brennen sich aber – auch der Einbettung in das irreale Ambiente wegen – tief genug ein, dass man sie als visuelle Highlights aus der Sichtung mitnimmt.
Schaut in den Wicked-Vision-Trailer
Aus den Drehbuchseiten von „Netherworld“ lässt sich allerdings herzlich wenig Saft pressen. Im Wesentlichen geht es um einen jungen Hausherrn von außerhalb (Michael Bendetti), der soeben das Anwesen seines Vaters (Robert Sampson) geerbt hat und nun zur Besichtigung vor Ort ist, wo er von der Haushälterin (Anjanette Comer) und ihrer Tochter (Holly Floria) in die Geheimnisse des Ortes eingeführt wird. Danach wird alles ein wenig diffus. Bendetti bringt in der Hauptrolle immerhin die unverbrauchten Eigenschaften eines Dana Ashbrook aus „Twin Peaks“ mit, einer Serie, die damals in aller Munde war und sicher auch auf einen Saugschwamm wie Band abgefärbt haben dürfte; womöglich ist es auch kein Zufall, dass die Haushälterin und ihre Tochter mit Nachnamen Palmer heißen. Die Abenteuer, die der junge Erbe auf seinem Besitz erlebt, drehen sich hingegen zu schnell im Kreis. Nichts treibt die Handlung an, der Stil scheint die Substanz mit Haut und Haar zu fressen, und irgendwann beißt er sich sogar in den eigenen Schwanz, als sich die grundsätzlich schicken Sets mitsamt der Kameraeinstellungen zu wiederholen beginnen wie in einer Sitcom und infolge dessen sogar die visuellen Aspekte ihren Reiz verlieren – und das bei einer Nettospielzeit von gerade mal 80 Minuten.
Pünktlich zum Finale reißt sich Schmoeller noch einmal aus der Lethargie und zwingt dem dünnen Handlungsrahmen einen Abschluss auf, indem er der Steinhand einen weiteren Flug spendiert und ein „Monster on the Attic“-Szenario nach „Hellraiser“-Art beschwört. Ein paar Beschwörungen, ein wenig Hokuspokus, und der Spuk wird zumindest standesgemäß zu Ende gebracht.
Das ändert aber nichts daran, dass man in den mittleren vierzig Minuten einen ausgedehnten Toilettengang einplanen kann, ohne wichtige Handlungselemente oder besondere Schauwerte zu verpassen. „Netherworld“ lebt ganz und gar von seinen mit schwüler Südstaaten-Feuchtigkeit aufgeladenen Bildern, seinen surrealen Kompositionen und den fein abgemessenen Spezialeffekten. Je länger man jedoch in der Unterwelt verweilt, desto offensichtlicher wird die Einseitigkeit dieser Produktion, die sich ganz und gar auf einige wenige Fassaden stützen muss, die einen ganzen Spielfilm nicht tragen können, zumal das Fundament in Form einer dichten Handlung schlichtweg fehlt. So gesehen ist die Voodoo-Sause nicht ganz zu Unrecht in der Schublade verschwunden, auch wenn in Sachen Optik, Kulisse und Soundtrack Höchstwertungen auf dem Full-Moon-Barometer erreicht werden.
Informationen zur Veröffentlichung von “Netherworld”
Full Moon Classic Selection Nr. 20
Filme wie „Netherworld“ begannen ihr Dasein typischerweise in den Regalen der Videotheken. Insofern dürfte es wenig überraschen, dass Charles Bands New-Orleans-Voodoo-Streifen auch in Deutschland ursprünglich auf Band (ha!) erschienen war. 2010 wurde der Titel dann über Voulez Vous als Start einer neuen Horror-DVD-Reihe ins digitale Zeitalter transferiert. Das Vollbildformat der VHS blieb dabei erhalten, allerdings gab es diesmal den englischen Originalton oben drauf, ebenso wie ein paar Extras. Außerdem war erstmals die Hidden Scene nach dem Abspann vorhanden, die bis dato stets fehlte.
Erst im Jahr 2023 wagte sich Full Moon in seinem Heimatland an eine Blu-ray-Auswertung. Der US-Release bedeutete dann vermutlich auch grünes Licht für Wicked Vision in Funktion des offiziellen „Full Moon Germany“-Partners. So erschien „Netherworld“ im Februar 2024 als deutsche Blu-ray-Premiere und machte nebenbei die hauseigene „Full Moon Classic Selection“ rund: Es ist bereits der 20. Titel der Keep-Case-Reihe, die erst 2019 mit „Dollman“ startete.
Die Präsentation
Einheitlichkeit im Sammlerregal wird auch nach 20 Filmen groß geschrieben: Erneut dient ein transparentes Scanavo Case mit breitem Spine als Verpackung. Layout und Design entsprechen ebenfalls den bisher geltenden Standards. Die Hintergrundflächen sind mit einer Fläche im Look schwarzen Leders gefüllt, der Titel ist am oberen Rand im Metallic-Stil abgedruckt, während am unteren Rand weiße Buchstaben auf die Reihe und die entsprechende Nummerierung hinweisen. Das relativ schlichte, aber recht bunte Artwork ist wie üblich in einen metallischen Rahmen gefasst. Darauf zu sehen ist der einzige echte Spezialeffekt des Films, die aus einer Säule brechende Steinhand, deren Finger zu drei Fünfteln aus Vogelkrallen bestehen und zu zwei Fünfteln aus Schlangenköpfen. Wer das Artwork auf ganzer Fläche betrachten möchte, kann den Papiereinleger einmal drehen und bekommt so das Motiv ganz ohne Rahmen auf dem Wendecover mit einem alternativen gelben Titelschriftzug serviert. Das FSK16-Logo fehlt erfreulicherweise auf beiden Seiten des Inlays, ist es doch lediglich als Sticker auf der Plastikfolie aufgeklebt. Egal, welche Seite man nach außen dreht, ein Backcover mit Screenshots, Inhaltsangabe, Credits und technischen Spezifikationen ist immer dabei. Im Inneren findet man dann die DVD, die ganz schlicht im Leder-und-Metall-Look bedruckt ist.
Das Bild
Für einen Film, der hauptsächlich von seinen stimmungsvollen Bildern lebt, ist der visuelle Transfer nicht ganz unwichtig. Da ist zunächst mal ein wenig Zittern angesagt, weil das Full-Moon-Archiv über die Jahre nicht jede Filmrolle mit der gleichen Sorgfalt behandelt hat. Bei „Netherworld“ kann man aber Entwarnung geben: Das frisch vom 35mm-Negativ abgetastete Bild sieht über weite Strecken hervorragend aus und übertrifft die Erwartungen sogar. Die kräftigen, ungemein lebhaften Farben, die fein aufgelöste Bildschärfe sowie der Umgang mit der teils sehr kontrastreichen Ausstattung gehört zu seinen Stärken, die man in dieser Ausprägung von einem vergessenen Low-Budget-Streifen wie diesem nicht unbedingt erwartet hätte. Wenn hier und da dann doch mal der Weichzeichner zuschlägt, passt das oft sogar zur kolportierten Stimmung. Präsentiert wird der Film im Gegensatz zu den alten DVDs in 1,78:1, mit dem das Bild eines handelsüblichen Flatscreens vollständig ausfüllt.
Der Ton
Der auf der US-Disc enthaltene englische 5.1-Track wurde nicht auf die deutsche Edition übertragen, lediglich die Stereo-Spur in DTS-HD Master Audio ist erhalten geblieben. Der prägnante Soundtrack des Films beansprucht einen Großteil der Wirkung der Tonspur gleich für sich; die Kompositionen von David Bryan (Bon Jovi) klingen rund und voll und ergänzen die leuchtenden Bilder hervorragend. Auch die Dialoge sind klar und deutlich zu hören. Insgesamt ist von einem 92er-Film dieser Kategorie aber kaum mehr zu erwarten als ein eher flaches Sounddesign, das zumindest sauber wiedergegeben wird. Ob die 5.1-Spur der US-Disc da wirklich mehr Tiefe einbringen kann, bleibt ohne Vergleich zumindest fraglich. Eine deutsche Synchronisation im gleichen Format ist ebenfalls mit an Bord, qualitativ schneidet sie aber in jeder Hinsicht schlechter ab als der O-Ton. Insbesondere die Dialoge scheppern recht blechern aus den Boxen, noch dazu ist die Lokalisation eher dünn besetzt und liefert kaum bekannte Stimmen. Untertitel liegen in Englisch und Deutsch vor.
Die Extras
Audiokommentare findet man leider nicht, dafür profitiert die Scheibe aber davon, dass Band in den 90ern bereits längst wie ein Geschäftsmann dachte und Featurettes für den Videomarkt produzierte, während parallel die Filme gedreht wurden. In der knapp halbstündigen „Videozone“-Ausgabe zu „Netherworld“ besteht ungefähr die Hälfte aus Einführung, Trailern und Werbung für Shopartikel, im Netto-Making-Of-Anteil werden aber durchaus einige interessante Informationen bereitgestellt. Im Mittelpunkt stehen vor allem Effektspezialist Mark Shostrum, der die Steinhand präsentiert, Edgar Winter und David Bryan, die über ihren Gig in der Barszene und den Soundtrack des Films sprechen, sowie Creature Creator John Buechler, der einen Rundgang durch das Studio moderiert und allerhand Kreaturen zeigt, von denen man die ein oder andere sicher schon in so manchem anderen Film gesehen hat.
Dazu gibt es noch den Originaltrailer in hochauflösender Qualität zu sehen. Die Ausstattung entspricht damit so ziemlich dem Standard der Classic-Selection-Reihe, die im Gegensatz zu den vielen Sondereditionen im Wicked-Vision-Programm eher reduziert ausfällt, doch dementsprechend moderat fällt auch der Preis dieser Budget-Edition aus, deren Highlight sicherlich der schicke HD-Transfer ist.
Sascha Ganser (Vince)
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