Jesse V. Johnson wurde am 29. November 1971 in Winchester, England, geboren und fand über seine Berufung als Stuntman und Stuntkoordinator ins Filmgeschäft, wo er alsbald eigene Filmprojekte entwickelte. Anstelle unseres üblichen Portraits baten wir Jesse anlässlich der Veröffentlichung seines Filmes “The Package” zum Interview. Hier blickte er zurück auf seine Karriere, sprach über “The Package” und sinnierte über die Probleme, in den heutigen Zeiten gute B-Filme zu inszenieren… (For our english speaking Actionfans: Read the original interview on page 2!)
Wer ist Jesse V. Johnson?
Erzähl uns doch bitte etwas über dein bisheriges Leben. Was müssen die Leute über dich und dein Leben, bevor du Filme gemacht hast, wissen? Wir sind außerdem an deinen Hobbys und deinem Privatleben interessiert.
Hallo, ich bin ein Filmemacher, der seine teuren Vergnügungen bezahlte, indem er Stunts bei großen Filmen gemacht hat. Als junger Mensch war ich feingeistiger, habe Malerei, Lesen und das Schauen ausländischer Filme genossen. Daher, einmal abgesehen von der Tatsache, dass meine Onkel damals etablierte Stuntkoordinatoren waren, war es keine vorgezeichnete Karriere für mich. Es war nur so, dass ich mich als Production Designer versucht hatte (bei fünf Playboy-Filmen), als Regie-Assistent („Die Verurteilten“, „Mr. Hollands Opus“) und als Effektspezialist. Doch diese Jobs waren nicht so gut bezahlt und haben bei weitem nicht so viel Spaß gemacht, wie das Ausführen von Stunts.
Als ich es mir im Stuntgeschäft gemütlich gemacht hatte, bemerkte ich, dass mein etwas anderer (Stuntman-)Blickwinkel aufs Filmen nützlich war und es mir erlaubte, sehr gut mit Schauspielern und Regisseuren zu kommunizieren. Es folgte eine wundervolle Karriere und ich habe unglaubliches Glück gehabt. Ich habe dann angefangen, Regie zu führen, und wurde ab 2005 oder 2006 sogar dafür bezahlt. Die Bezahlung war nicht immer gut, also wechselte ich zwischen den Stunts und der Regie hin und her.
Dann kam 2008 eine Wirtschaftskrise und drei brillante, aufregende Projekte fielen über Nacht auseinander, was mich pleite gehen ließ. Dank meiner Familie und einem guten Freund und Stuntkoordinator par excellence, Garrett Warren, konnte ich einige Jahre lang mit James Cameron („Avatar“), Kenneth Branagh („Thor“), P.T. Anderson („The Master“) und Steven Spielberg („Lincoln“) zusammenarbeiten – das war eine Art Schule der Meister. Das hat meine Ansichten übers Filmemachen beeinflusst, sowohl was das Lernen als auch das Wachsen angeht. Aber gleichzeitig hatte ich auch große Angst, dass ich vielleicht nie wieder Regie führen würde.
Ich liebe Filme, aber ich langweile mich sehr schnell. Meine Frau hasst es, wenn ich aus einem Film herausgehe. Ich habe keine Geduld, wenn mich etwas langweilt, das Leben ist zu kurz. Aber meine Lieblingsfilme schaue ich wieder und wieder. Ich hatte eine furchtbare Schulausbildung, insofern war meine große Sammlung von Büchern, Filmen und Kunst aus aller Welt meine Ausbildung. In meiner Teenager-Zeit habe ich begeistert Hemingway, Steinbeck und Conrad gelesen und es hat meinen Blick aufs Geschichtenerzählen beeinflusst.
Ich habe als rebellischer Teenager Martial Arts geliebt und dachte lange Zeit, dass ich den Kommandotruppen beitreten würde und dass es das dann sein würde. Meine Filmkarriere verdanke ich einem besonders unfairen Sergeant, der mich gegen die Institution des Berufssoldaten aufbrachte und mich dankenswerterweise erkennen ließ, dass es wesentlich mehr Spaß macht, eine Schlacht-Szene zu drehen, als tatsächlich bei einer dabei zu sein.
Der Sergeant hieß Valentine und ich nahm seinen Namen viele Jahre später als Vorlage für meinen Film „Charlie Valentine“ her. Ich finde es immer interessant, wenn ein sadistischer Bastard einen klassisch-romantischen Spitznamen hat.
Ich neige dazu, Sachen zu sammeln. Interessante Dinge, die mich in meinem Büro inspirieren oder eine Idee anstoßen, meine Vorstellungskraft anregen. Ich bin glücklicherweise in der Lage, herumzureisen, und nutze das Suchen nach Souvenirs zur Ablenkung. Ich habe ein hundert Jahre altes Ölgemälde an der Location gefunden, an der wir Dolphs Shootout in „The Package“ gedreht haben, oben in Kanada. Es wurde von einem sehr interessanten Künstler gemalt: Aimes Morot. Ich kenne einige seiner Arbeiten aus dem Louvre. „Der gute Samariter“ – das Werk, das ich fand – stellte eine sehr, sehr gewalttätige Schlacht zwischen den Türken und den Franzosen dar. Ich glaube, das war die Schlacht, welche die Erfindung des Croissants als Umformung der islamischen Halbmondsymbolik inspiriert haben soll. Ein erschreckendes Gemälde, aber perfekt für mich. Es war schwer, es außer Landes zu schaffen, aber jetzt hängt es in meinem Büro.
Ich liebe es, am Set zu sein. Ich bin nicht wie mein Held David Lean oder mein anderes Idol Hitchcock, die sich beide überwiegend auf die Arbeit im Schneideraum freuten.
Zur Zeit besteht mein Ziel darin, Schauspieler oder Themen, die der Mainstream mal geliebt hat, die inzwischen aber aussortiert, geschmäht oder abgeschrieben wurden, zu nehmen und alles zu versuchen, diese wieder auferstehen zu lassen oder neu zu erfinden.
Jesse V. Johnson und sein Weg zum Film
Wie kam es zu deiner ersten Arbeit für die Filmindustrie?
Meinen ersten Job bekam ich mit 14. Ich musste Vic Armstrongs Stunttasche am Set von „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ tragen. Es war wunderbar, aber ich ging noch zur Highschool. Mein erster bezahlter Job war bei einer Firma, die Bapty and Co. hieß und Waffen für Filme bereitstellte. Ich war Teenager und besessen von Waffen. Egal ob sie antik oder modern waren und das hat sich nicht geändert, muss ich leider zugeben. Das war eine großartige Möglichkeit, meiner Leidenschaft nachzugehen. Ich musste deren Loft von der Größe einer Lagerhalle, das seit den 1950ern nicht mehr angerührt worden war, einen Monat lang saubermachen. Das war eine gute Art, etwas über Disziplin und die Tatsache, dass ich Disziplin nicht so sehr mochte, zu lernen.
Ich habe mich mit ungefähr 15 dort rausgeschlängelt, wie auch aus der Schule, und habe dann für meine Familie gearbeitet. Ich habe Storyboards für Stuntszenen erstellt, was ich geliebt habe, da es ein direkter Zugang zu kreativen Tätigkeiten hinter der Kamera war. Ich erinnere mich immer noch an die Kameraanweisungen, die das erste Storyboard umsetzten, das ich gezeichnet habe. Der Regisseur benutzte Formulierungen, die ich noch nie gehört hatte: Podiumsaufnahme, Dolly, Kranschwenk, schwenken und kippen – es war wie eine gotisch-romanische Sprache und ich wollte sie unbedingt erlernen.
Danach beschloss ich, dass ich wieder an einem Filmset sein wollte und versuchte mich als Assistent und Runner bei Pinewood. Doch das einzige, was ich wirklich dort gelernt habe, war, dass man, um vom Kaffee- und Teekochen wegzukommen, dafür sorgen musste, dass die erste Tasse einfach schrecklich, kalt, schwach und ekelhaft sein musste, damit du nie wieder danach gefragt wirst.
Währenddessen habe ich meine eigenen Filme gedreht und geschrieben, ohne Erfahrung, größtenteils Schrott… Aber für mich ist meine Sturheit meine Stärke und Schwäche zugleich. Ich habe für meine Projekte geschuftet, aber selten auf Ratschläge gehört. Der beste Ratschlag, den ich jemals bekam, war der, meine Freunde nicht mehr als Schauspieler zu nehmen, sondern Profis zu casten. Ich habe immer noch Probleme, mich daran zu halten.
Was ließ dich dranbleiben?
Ich habe fast jeden furchtbaren Job gemacht, den man sich vorstellen kann. Ich habe die Schule viel zu früh verlassen und habe quasi keine akademische Ausbildung. Die Armee war eine Sackgasse und wenn es keine Arbeit beim Film gab, dann war Kanalisationsreinigung oder der Bau von Lagerhallen die einzige Alternative – es war schrecklich. Das war die Zeit, in der ich das machte, was meine Familie als „richtige Arbeit“ bezeichnete – ich habe diese Tätigleiten seitdem gemieden wie eine Geschlechtskrankheit.
Die Furcht, diese Jobs für den Rest meines Lebens machen zu müssen, hat mich dazu gebracht, etwas zu verändern und im Filmbusiness dranzubleiben.
Außerdem liebe ich Filme, untersuche und schaue sie begeistert. Für mich gibt es wenig, das so viel Thrill, Aufregung, pure Freude und spürbare Liebe bereithält, wie das Drehen eines Films. Es ist ein kraftvolles Elixier und meine Geliebte.
Wie kam es zu der Entscheidung, selbst Regie zu führen?
Regieführen ist eine Fortführung des kindlichen Spielens. Du darfst währenddessen nie die jugendliche Freude daran verlieren, das ist alles. Bei einer Szene, die düster und chaotisch rüberkommt und nicht zu funktionieren scheint, ist die Tatsache, dass ein plötzlicher „Funke“ eine originäre Idee schaffen kann, wunderbar. Ich liebe es, das hält mich jung. Wirst du erschöpft oder zynisch, dann ist das fort.
Ich war immer der Regisseur: Wenn ich als Kind gespielt habe, wenn ich Comics zeichnete, wenn ich Theaterstücke inszenierte, wenn ich meine Klassenkameraden versammelte und meine blutige Version von MacBeth mit einer Betamax-Kamera drehte.
Mein erster bezahlter Regiejob war das Drehen furchtbarer Musikvideos fürs britische Fernsehen – gotterbärmliche Bands, da konnte man nicht viel mit dem Video anfangen. Dann kam „Pit Fighter“, in den ich meine bisherigen Honorare hineinbutterte.
An dem Punkt war ich verzweifelt: Ich hatte die Storyboards gezeichnet, ich hatte Kostüme designt, ich hatte Verträge mit fünf verschiedenen Firmen unterzeichnet, die besagten, dass ich den Film für weniger als 100.000 Dollar machen konnte. Als der Film dann grünes Licht bekam, musste ich mich vorsichtig aus all diesen anderen Verträgen heraus verhandeln. Regent Entertainment finanzierte ihn – der größte schwule Fernsehsender. Die wollten ursprünglich, dass der Pitfighter schwul sein sollte: „Statt eines Mädchens gib ihm einen Jungen, ist doch nur eine kleine Änderung?“ Natürlich habe ich das abgenickt, ich wollte ja einfach nur mit der Arbeit anfangen. Aber Dominique (Vandenberg) war sich nicht so sicher. Schließlich wurde der schwule Anteil wieder rausgenommen und wir haben den Film innerhalb von 13 Tagen in der britischen Karibik gedreht, die als Mexiko herhalten musste.
Der Film ist für mich jetzt unansehbar. Ursprünglich war er okay, aber die billigen Plätze fingen an, ihn neu zu schneiden, Spiele damit zu spielen und versuchten, ihn aufzupolieren – was für ein Chaos. Aber irgendwie lief er gut für Fox und er hat mir tatsächlich meine nächsten beiden Regiejobs eingebracht!
Das erste Mal, dass ich dachte, ich verstehe etwas von Schauspielführung, war „Charlie Valentine“. Ich begann, sie zu lieben. Ich merkte, es kam daher, dass ich selbst Schauspieler in einigen Filmen war (Stunt-Schauspieler, *lacht*). Und diese Angst, dieser Druck hatten sich bei mir eingebrannt. Sich daran zu erinnern, half mir, wenn ich mit einem Schauspieler sprach. Manchmal reicht es einfach, zu verstehen, was sie machen, wie sie Tonfall oder Körpersprache verändern. Sie beginnen dir zu vertrauen und dann wird es aufregend – man geht gemeinsam Risiken ein, jammt, so wie ich es mir bei Jazzmusikern vorstelle…
Was fasziniert dich am Regieführen?
Alles. Es ist ein Abenteuer, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes, oft aber nur im kreativen Sinne. Egal, ob es sich dabei um die zauberwürfelartigen Probleme des Drehens einer komplexen Actionszene in kurzer Zeit dreht oder um das Experimentieren mit einem Charakter, wenn man all seinen Dialog weglässt, damit der Schauspieler nur seine Körpersprache als Ausdruck benutzt. Die glücklichen Zufälle, dass du für Dinge beglückwünscht wirst, mit denen du eigentlich nichts zu tun hattest, das sind die besonderen Momente.
Genauso das wundervolle Gefühl, an der Spitze eines Teams aus unheimlich kreativen Individuen zu stehen, die sich alle kleinere Details deines großen Puzzles anschauen, dir helfen, dich leiten. Es ist ein großartiger Beruf. Mein Verdienst besteht darin, dass ich nie abgebrochen habe. Egal, ob ich krank bis aufs Blut war oder unfähig, in der Nacht vor dem Dreh zu essen oder zu schlafen. Man bricht nie ab, egal wie groß der Dreh ist. Man geht die Shot-Liste durch und stellt sich jedes Problem vor, das auftreten könnte: Du wirst beim ersten Aufbau gefeuert, der Schauspieler muss ins Krankenhaus, keiner von der Crew taucht auf, alles mit dem Script stimmt nicht, du hast es durcheinander gebracht… Aber all diese Katastrophen sind auch gut, denn dein Gehirn bedenkt all diese Probleme. Dir fallen Lösungen ein und du kommst auf Ideen, die du nie erwartet hättest. Es gibt NICHTS, das deine Fantasie so anregt, wie Verzweiflung und blanke Panik!
Welchen deiner Filme betrachtest du bisher als deinen besten und bei welchem lief es deinem Empfinden nach nicht so, wie es laufen sollte?
Haha, das Problem war, dass ich zu ALLEM ja gesagt habe, was mir angeboten wurde. Ich habe wenig an meinen „Namen“ oder mein Talent gedacht und dachte, es wäre gut, alles zu machen, immerhin sei ich anonym. Später merkte ich, dass ein wenig mehr Sorgfalt bei der Auswahl meiner Projekte geholfen hätte. Wir werden anhand des Schrotts beurteilt, nicht anhand der Sahnestücke.
Toshiro Mifune hat mal gesagt: Als Filmemacher sind wir wie Goldfische. Wenn wir scheißen, dann ziehen wir das für jeden sichtbar hinter uns her.
Anstatt weiter in die weniger glücklichen Dinge einzutauchen, übernehme ich übrigens 100%ig die Schuld für meine gescheiterten Projekte! Als Regisseur musst du das immer. Wenn mir der Film weggenommen und neu geschnitten wird, dann ist das meine Schuld, weil ich zu wenig wie Machiavelli agiert habe, weil ich weniger diplomatisch war, weil ich die Kontrolle verloren habe. Wenn der Hauptdarsteller schwierig war, dann hätte ich dieses Schlagloch kommen sehen müssen. Es ist meine Schuld und ich kann nur mich dafür verantwortlich machen.
Ich habe mich bei jedem meiner Filme sehr, sehr angestrengt und habe eine enorme Menge gelernt. De facto habe ich bei den negativen Erfahrungen wahrscheinlich mehr gelernt als bei denen, wo alles gut ausging und alle am Ende lächeln konnten. Ich mag „Charlie Valentine“, ich habe „The Package“ auf der großen Leinwand sehr genossen, ich habe ihn noch nicht auf dem kleinen Bildschirm gesehen.
Der, den ich mag und der am meisten polarisiert, ist „Hooligans 2“. Es war eine furchtbare Ausgangssituation mit einem ärgerlichen Script. Ich war erbärmlich pleite nach „Charlie Valentine“ und unterschrieb für „Hooligans 2“ mit wenigen Wochen Vorbereitungszeit. Aber ich hatte so viel Spaß mit dem Cast, mit dem Neuschreiben und Überarbeiten, dass sich letzten Endes alles zum Guten wendete. Vermutlich war es für die Allgemeinheit nicht genug Neubearbeitung, aber ich habe eine besondere Schwäche für den Film. Er funktioniert für mich auf einer fantastischen Bauchgefühlebene. Der Film hat ein paar echte Fans in England, denen gegenüber bin ich aber eher skeptisch und misstrauisch, obwohl sie meinen Film mögen. Ich würde die jedenfalls nicht zum Nachmittagstee einladen.
„The 5th Commandment“ ist der einzige deiner Filme, der einen Kinostart in Deutschland bekam. Er scheint auch anderswo auf der Welt größere Releases als deine sonstigen Filme bekommen zu haben. Siehst du es als Rückschritt, dass die späteren Filme nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekamen?
Nein, überhaupt nicht. Ich weiß sehr wenig darüber, welche Anhängerschaft meine Filme so auf der Welt haben. Ich wusste nicht, dass der einen Kinostart bekam. „The Package“ bekam ein limitiertes Kinorelease hier. Das war aufregend. Ich dachte, das sei mein erstes. Ich bin irgendwie enttäuscht, dass es das nicht war.
Ich habe nichts mit der Veröffentlichung von „The 5th Commandment“ zu tun, nachdem ich mich bei der Regie fast zu Tode geschuftet hatte. Es war physisch eine der schwierigsten Erfahrungen meiner Karriere. Meine Wege und die des Hauptdarstellers trennten sich während des Schnitts. Ich zog weiter und koordinierte die Stunts für „Die Legende von Beowulf“ von Robert Zemeckis und leckte meine Wunden.
Jede Einstellung in diesem Film ist meine, bis auf ein paar Second-Unit-Szenen in den Straßen Bangkoks bei Nacht. Viele von Keith Davids Szenen habe ich geschrieben … und die Richtung zu sehen, in die es beim Schnitt ging, brach mir das Herz. Ich habe ihn einmal gesehen, bei einem privaten Screening, und mein Magen zog sich zusammen. Ich hätte wohl gekotzt, hätte ich etwas gegessen. Eine gute Art, mich loszuwerden, ist den Film anzusprechen. Tatsächlich zieht sich mein Magen gerade wieder zusammen.
Stuntman, Regisseur … und Filmfan!
Welche Filme magst du persönlich am liebsten?
Ich habe das Gefühl, ich habe meine Lieblingsfilme inzwischen zu oft gesehen. Ich würde gerne mal auf eine Sauftour mit einem meiner Lieblingsregisseure gehen wollen. Alles, was Melville gedreht hat, schaue ich mir wieder und wieder an und kaufe die Schallplatten der Soundtracks. Truffaut, Kurosawa, Godard mag ich ebenso. Ich liebe die Criterion Collection und liebe es, mir die Extras auf den DVDs anzuschauen.
Ich habe mich aktuell neu in Paul Schraders „Mishima“ verliebt und mag Wong Kar Wai sowie alles von Park Chan-wook. Ich liebe koreanische Actionfilme, „A Bittersweet Life“, Gott, was für ein wunderbarer Film. Ich war danach sauer, dass ich ihn nicht gemacht habe. Ich wünschte, dass „The Butcher“ so wäre, genau der Ton und das Tempo… „The Butcher“ habe ich dagegen vergeigt, die Pre-Production übereilt. Ich habe eine Bonuszahlung genommen, damit ich ihn schnell fertig stelle und mich damit selbst gefickt.
Eric Roberts war großartig, aber er hatte keine Zeit, sich in die Figur einzufühlen. Er verließ sich dann auf sein Standardrepertoire und hat ganze Dialogseiten zerschnitten. Der Film war ein echter Herzensbrecher – ich werde das Skript noch einmal neu machen, irgendwann. Den werdet ihr nicht wieder erkennen und an „The Butcher“ erinnert sich sowieso keiner mehr.
Ich liebe außerdem „The Man from Nowhere“ und habe den Messerkampf daraus als Basis für den Zweikampf in „The Beautiful Ones“ genommen – Brian Tee und Ross McCall sind darin GROSSARTIG.
Wer ist dein Lieblingsregisseur? Hast du irgendwelche Vorbilder?
Ich habe die meisten Bücher über Sam Peckinpah gelesen: Eine tragische, vergeudete Karriere mit makelbehafteten Meisterwerken. Das Faszinierende daran ist, dass da noch genug Genie gezeigt wird, dass die Leute das auch sehen. Dann natürlich David Lean. Von den noch lebenden müsste es P.T. Anderson sein, noch mehr, nachdem ich für ihn gearbeitet habe. Spielberg als tapferer Risikofreudiger ist für mich jenseits aller Vergleiche. Alle denken, es sei einfach für ihn, aber er geht so große Risiken ein. Vor allem in letzter Zeit. Wunderbare Sachen. Wir haben Glück, dass wir diese Regisseure haben. In Japan wären sie Nationalheiligtümer, hier schauen wir nach dem besten Weg, sie bei jeder Gelegenheit niederzumachen.
Was sind deine Lieblingsactionfilme?
„Lawrence von Arabien“, „Die sieben Samurai“, „Samurai Rebellion“.
In Sachen Martial Arts: „Sanshiro Sugata“, der beste Turnierfilm aller Zeiten.
„Der Mann, der Liberty Valance erschoss“, den mag ich noch mehr als „Der schwarze Falke“.
Die oben genannten koreanischen Filme. Ich mochte „The Raid“, „Snatch“, ich dachte, dass „Sherlock Holmes“ genial war, verpackt in einen kommerziellen Film … ich war so ein Narr. Ich habe „Django Unchained“ geliebt – so sehr wie ich „Inglorious Basterds“, mit Ausnahme der Anfangsszene, nicht mochte.
Eine neue Ära der Actionfilme beginnt, groß und laut reicht einfach nicht mehr. Für mich hat es das sowieso nie. Die Leute, die diese Filme mochten, spielen jetzt an ihren Computern. Die haben zu viele Ablenkungen: Realistische Spiele, Gamer-Fan-Foren voller Trolle, die brauchen diese dicke-Knarre-schmale-Story-Filme nicht mehr. Das zeigt sich auch am Box Office. Wenn du Actionfilme machen willst, die größer als direct to DVD sind, dann musst du smart und intelligent sein und musst den Leuten etwas bieten, das sie daheim nicht haben. Das ist eine Herausforderung – aber was für eine!
Jesse V. Johnson über “The Package” mit Dolph Lundgren und Steve Austin
Wie war die Arbeit mit Dolph Lundgren und Steve Austin? Wie gingen die beiden am Set und privat miteinander um. Was sind die so für Typen?
Ich habe jede Sekunde bei der Arbeit mit ihnen geliebt. Ich wusste damals nicht viel über Steve und hatte ihn nur in „The Expendables“ gesehen, wo ich ihn sehr überzeugend fand. Dolph Lundgren liebe ich natürlich seit „Rocky IV“ und habe bereits vor zwanzig Jahren mit ihm an „Joshua Tree“ gearbeitet. Das habe ich bei den Dreharbeiten nicht herauskramt und auch nie erwähnt. Beide waren unglaublich professionell, ruhig und bereit loszulegen.
Sie sind sehr unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten und Einstellungen, aber es ist toll, mit ihnen zu arbeiten. Und witzig sind sie auch. Sie haben beide einen großartigen Humor und viel Wärme. Sie sind keine Testosteronjunkies oder „Tough Guys“, obwohl sie beide außerordentlich tough sind. Steve verbringt seine Freizeit mit Jagen und Dolph mag Restaurants und gute Küche. Es war einfach eine tolle Zeit für mich und eine große Ehre, mit ihnen zu arbeiten. Ich habe von beiden viel gelernt. Wenn man Steve dazu bringt und es ihm erlaubt, ist er einer der besten Improvisatoren, mit denen ich je gearbeitet habe. Dreißig Jahre Gelaber beim Wrestling und das Spielen vor einer oft aggressiven Menge haben dem eine ziemliche Schärfe gegeben… Er ist einfach großartig.
Wie einfach oder schwer ist es neue Projekte wie „The Package“ zu finanzieren?
Es war eine Auftragsarbeit. Das Drehbuch, die Locations, Crew und Cast waren vor mir da. Ich glaube, ich könnte jemanden ersetzt haben, was ich schon viele Male gemacht habe. Das ist das Geschäft und ich habe meine eigene Philosophie: Wer auch immer es war, er war schon lange weg. Mir kann genau dasselbe passieren. Ich bin einfach nur vorsichtig und rede nie schlecht über einen anderen Regisseur. Es ist schon ohne sowas hart genug.
Ich glaube, es ist schwerer als je zuvor, Actionfilme auf dem direct to DVD Level zu finanzieren. Die Stars wollen mehr, als sie wert sind und die Filme kosten mehr, als sie einspielen – das Gleiche sagt man seit den 1920ern.
Wie kommt es, dass bei “The Package” nur einer der Darsteller zu sehen ist, mit denen du sonst wiederholt zusammenarbeitest (Es handelt sich um Jerry Trimble)?
Darren Shahlavi und Monique Ganderton haben beide schon vorher mit mir gearbeitet. Aber in erster Linie liegt es daran, dass Kanada Rabatte nach der Menge der einheimischen Mitwirkenden vergibt, Von daher verlierst du Prozente bei diesen Rabatten, wenn du Cast oder Crew importierst. Ich musste Kanadier anheuern und Jerry Trimble ist US- und kanadischer Staatsbürger.
Du arbeitest auch als Stuntman und Stuntkoordinator an Big Budget Produktionen wie „The Amazing Spider-Man“. Was sind die Hauptunterschiede zwischen der Arbeit an solchen Projekten und Filmen wie „The Package“?
Die Zeit zum Proben ist der Hauptunterschiede: Monate bei großen Filmen im Vergleich zu Tagen bei „The Package“. Das ist WIRKLICH scheiße. In L.A. verlange ich das Einhalten solch knapper Zeitpläne von meiner Crew. In Kanada konnte ich als Gast gar nichts verlangen und war eingebunden in eine vorher festgelegte Struktur. Die Crew war großartig, aber es war ihr Vollzeitjob. Mein „Drei-Wochen-Film“ war einer von vielen und wenn ich von ihnen verlangt hätte, unbezahlt zu proben, dann hätte sie das von einem anderen bezahlten Job abgehalten. Sie waren trotzdem großartig. Aber es war frustrierend für mich. Ansonsten ist dort alles ähnlich wie bei einem Studiofilm, nur halt kleiner *lacht*.
Würdest du gerne einen Film mit einem ähnlichen Budget wie „The Amazing Spider-Man“ drehen?
Ja.
Wie viele deiner Filme hat „The Package“ einen interessanten Soundtrack. Zu welchem Grad hast du einen Einfluss darauf und spiegeln „deine“ Soundtracks deinen eigenen Musikgeschmack wider?
Ich hatte hundertprozentige Kontrolle über den Soundtrack, was großartig war. „The Soul of John Black“ (Ein Soul/Blues Duo) wird von einem guten Freund gemanagt. Sie waren total aufgeregt, dass wir ihre Musik nutzen würden. Sean Murray schrieb den Score, den ich liebe. Sein Tommy Thema hebt den Film für mich auf ein neues Level, so wie es nur die beste Musik kann. Auch die klassische Musik war toll. Ich hatte die Rechte an den Stücken für „Charlie Valentine“ gekauft und wir hatten sie noch von der damaligen Schnittphase übrig behalten. Da wurde nämlich kurz vor Schluss umdisponiert, wegen der Verträge, die Anchor Bay brauchte, und mir wurde gesagt, ich solle andere Musik finden. Es brach mir das Herz, aber ich habe mich mit dem Rechteinhaber, einer Aktiengesellschaft, in Verbindung gesetzt, die Situation erklärt und in einer unglaublichen Geste der Großzügigkeit haben sie mir einen neuen Vertrag für die einmalige Verwendung der Stücke geschickt.
Gibt es eine Szene in „The Package“, auf die du besonders stolz bist? Welche Szene hätte vielleicht noch einen Anlauf gebrauchen können?
Ich mag die Szene am Ende mit Tommy und Big Doug in der irischen Bar, wo er auf den Tisch zurast, ihn aus dem Weg schubst und danach einfach nur zuhört. Ich mag den Tempowechsel und denke, dass Steve am stärksten ist, wenn er eine dynamische Bedrohung ist, ohne das zu sehr betonen zu müssen.
Zu den weiteren Anläufen: Ich hätte liebend gern noch einen oder zwei weitere Tage für den Showdown gehabt. Ich hatte so viele Ideen, aber das musste alles in einen Nachmittag gezwängt werden – wie das oft der Fall ist.
Der Auftakt des Films wurde von einem regulären Kameramann gedreht, da der Chefkameramann einen Nierenstein (erster Tag, erste Szene) hatte und wieder heimgehen musste. Das war ein unheilvoller Start – aber es wurde besser. Ich denke, dass Kim Miles, der phänomenal ist, ein paar Dinge mit dem Auftakt gemacht hätte, die ihn herausgehoben hätten – c’est la vie.
Die gesamte Action in „The Package“ wurde außerordentlich schnell gefilmt. Das ist schwierig und haarsträubend und du solltest dir eigentlich mehr Zeit dafür nehmen. Aber das hier ist ein Job. Wenn du den Drehplan überziehst, dann ersetzen sie dich – du kommst zur Arbeit und da ist dein Ersatz!
Einem wird weniger vergeben, als die Leute denken. Vor allem für unbekannte Regisseure wie mich – diese unschuldigen Halbwissenden fragen einen immer: „Warum hast du dies oder das gemacht“, Gott hab sie selig, dafür dass sie glauben, man hätte überhaupt die Kontrolle über viele dieser Sachen!
Es kann eine Achterbahnfahrt sein! Wie ich schon sagte, ist es oft ein spannendes Abenteuer auf dem Regiestuhl zu sitzen! Es kann aufregend sein… und auf verheerende Weise enttäuschend!
Das bringt die Zukunft für Jesse V. Johnson
Was ist dein nächstes Projekt?
Ich habe für die nächsten vier Monate jeweils einen Film pro Monat angeboten bekommen und zwei größere Angebote bei Studios. Aber das ist heute und heute ist ein sehr guter Tag. Ich sage wieder ja zu allem und wir werden sehen, welche Projekte haften bleiben und gedeihen und welche sich in Luft auflösen.
Wie ist die Resonanz auf deinen „Wonder Woman“ Trailer?
Die war ein wenig überwältigend. Das habe ich sehr genossen. Es wird jetzt weniger, aber es hat mich einige Tage lang erstaunt. Das Ergebnis war wundervoll: Sehr, sehr, sehr viele Meetings. Die Leute, die ich seit Jahren versuche, zu treffen, haben angerufen. Ich liebe es.
Denkst du, dass du auf Basis des Teasers vielleicht einen Lang- bzw. Majorfilm drehen darfst?
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.
Gibt es ein Wunschprojekt, das du gerne machen würdest, für das dir aber noch die Finanzierung fehlt?
Ja. Ich habe meine eigene Version der Geschichte von 1066 [der normannischen Eroberung Englands] geschrieben. Drei große Männer, zwei Schlachten und nur ein König ist am Ende übrig. Aber meine Geschichte bezieht sich auf einen oft übersehen Aspekt des Epos – es ist im Grunde eine Liebesgeschichte, denn hinter jedem großen Mann steht eine noch größere Frau! Ich habe über zehn Jahre gebraucht, um für das Drehbuch zu recherchieren und es zu schreiben…
Dann gibt es da noch meine von Larry Thorne/Lauri Törni inspirierte 1960er Vietnam-Story. Ein weiteres Ding von größerem Ausmaß. So eine Art „Die glorreichen Sieben“ in Laos. Sehr charakterzentriert, aber mit einem enormen dritten Akt. Es hätte zwei oder dreimal fast geklappt damit.
Könntest du dir einen Film a la „Expendables 3“ vorstellen, nur vielleicht nicht mit Sly und Co. sondern mit den B-Stars des Genres? Also „Expendables 3“ in der B-Version mit Jeff Speakman, Don Wilson (den du ja von „The Last Sentinel“ kennst), Olivier Gruner, Mark Dacascos (mit dem du „Alien Agent“ gedreht hast), Cynthia Rothrock, Richard Norton, Michael Dudikoff, Lorenzo Lamas, …?
Nein, nicht für mich – meine Karriere geht in eine etwas andere Richtung. Das ist was für jemanden in seinen 20ern, der nur aus Muskeln und Samenstränge besteht und denkt, er kann jeden Kampf gewinnen, jedes Projekt großartig machen. Ich war auch mal so, als ich noch in meinen 20ern war. Jetzt bin ich etwas realistischer eingestellt.
Bevor wir zum Schluss kommen, möchtest du noch etwas zu unseren Lesern sagen?
Wenn sie bis hierhin gekommen sind, dann haben sie meinen tiefsten Respekt und ich wünsche ihnen alles Gute. Ich hoffe, dass meine Filme weiterhin besser werden: Jeder Film etwas besser als der davor.
Vielen Dank für das Interview und viel Glück für deine weitere Karriere!
Danke!
Jesse V. Johnsons Filmografie
2018Accident Man
1998 | Death Row – the Tournament [Kurzfilm] |
2002 | The Honorable |
2005 | Pit Fighter |
2007 | The Last Sentinel |
Alien Agent | |
2008 | The 5th Commandment |
2009 | Charlie Valentine |
Green Street Hooligans 2 | |
2009 | The Butcher |
2013
2013 |
The Package |
2017 | The Beautiful Ones |
Savage Dog | |
2018 | Accident Man |
Pay Day | |
2019 | the Mercenary |
2020
2021 2022 2023 2023 2024 |
the Debt Collector 2 |
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Der Wonder Woman Fan-Trailer von Jesse